aus ZAP-Heft 15/2005, F. 22 R, S. 395
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
von RiOLG Detlef Burhoff, Münster/Hamm
Inhalt
a) Fluchtgefahr bei Ausländern
Es ist bereits mehrfach zu der in der Praxis Schwierigkeiten bereitenden Frage der Fluchtgefahr i.S. des § 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO bei Ausländern berichtet worden (vgl. dazu ZAP F. 22 R, S. 373 m.w.N.; siehe auch Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., 2003, Rn. 1700 m.w.N. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]). Nachdem zu dieser Frage vor einiger Zeit das OLG Hamm (vgl. Beschl. v. 15. 4. 2004 - 2 Ws 111/04; PStR 2004, 154 = NStZ-RR 2004, 278; s. auch F. 22 R S. 341, 344) und abweichend davon das OLG Karlsruhe (Beschl. v. 3. 4. 2004, 3 Ws 44/04, StraFo 2004, 240 = StV 2005, 33) beschäftigt hat jetzt auch das OLG Dresden zu den anstehenden Fragen Stellung genommen (OLG Dresden, Beschl. v. 24. 2. 2005, 1 Ws 29/05, http://www.strafverteidiger-sachsen.de).
Das OLG Dresden (a.a.O.) hat sich der Auffassung des OLG Karlsruhe (a.a.O.) angeschlossen und hinsichtlich des Haftgrundes der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO darauf hingewiesen, dass allein die allgemeine Besorgnis, der Beschuldigte werde sich dem Verfahren nicht stellen, für die Annahme der Fluchtgefahr nicht ausreicht. Insbesondere trage der Umstand, dass der Beschuldigte seinen Lebensmittelpunkt im Ausland (im entschiedenen Fall: Polen) habe, die Annahme von Fluchtgefahr nicht. Der Beschuldigte lebte dort unter einer den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht bekannten Anschrift. Er sei damit weder flüchtig noch halte er sich verborgen.
Tipp/Hinweis: Etwas anderes gilt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Beschuldigte seinen Lebensmittelpunkt im Ausland verlassen wird (vgl. dazu OLG Frankfurt StV 1994, 581 f.; OLG Stuttgart StV 1995, 258 f.; Brandenburgisches OLG, StV 1996, 381 f.)- Ebenso wie das OLG Karlsruhe (a.a.O.) hat das OLG Dresden allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass, wenn der Angeklagte der anzuberaumenden Hauptverhandlung unentschuldigt fernbleiben, dies nicht nur den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO rechtfertigen würde (vgl. hierzu BVerfG E 32, 87, 93). Indiziert wäre nach Ansicht des OLG Dresden dann vielmehr auch der Haftgrund der Flucht nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO (so auch OLG Köln NStZ 2003, 219). Darauf muss der Verteidiger den Mandanten zur Vermeidung von U-Haft ausdrücklich hinweisen. |
b) U-Haft nach Erlass des Urteils
In Haftsachen hat Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, der die Freiheit der Person garantiert, erhebliche Bedeutung. In diesem Freiheitsgrundrecht ist nämlich das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot angesiedelt (vgl. u.a. BVerfGE 46, 194 f.). Das BVerfG betont deshalb in seiner ständigen Rechtsprechung, dass der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist und sich sein Gewicht gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert (vgl. u.a. BVerfGE 53, 152, 158 f. m.w.N.; s. auch Burhoff, EV, Rn. 924 ff. m.w.N.). Zudem setzt auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer Grenzen. Dem trägt gerade auch die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO Rechnung, wonach der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aus besonderen Gründen aufrechterhalten werden darf. Die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO lässt insoweit nur in begrenztem Umfang eine Fortdauer der Untersuchungshaft zu und ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., 2005, § 121 Rn. 19 m.w.N. aus der Rspr. der OLG [im Folgenden kurz. Meyer-Goßner]).
Mit den damit zusammenhängenden Fragen muss sich zunehmend auch das BVerfG beschäftigen. In dem Zusammenhang hat es vor kurzem noch einmal Stellung genommen zur Geltung des besonderen Beschleunigungsgebotes für die Zeit nach Erlass eines erstinstanzlichen Urteils (BVerfG, Beschl. v. 4. 3. 2005, 2 BvR 109/05; StraFo 2005, 152 = StV 2005, 220). Nach dem Sachverhalt befand sich der Angeklagte seit August 2002 in U-Haft. Mit Urteil vom 1. 12. 2003 hatte ihn das LG u.a. wegen ausbeuterischer Zuhälterei und Menschenhandels zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Neben dem Angeklagten wurden fünf Mitangeklagte zu Freiheitsstrafen verurteilt. Gegen das Urteil legten der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und zwei der Nebenklägerinnen Revision ein. Das LG stellte ihre Revisionsbegründungen teilweise erst nach eineinhalb bzw. zweieinhalb Monaten der jeweiligen Gegenpartei zu. Nach Übersendung der Akten durch die StA an den GBA leitete dieser die Akten vier Monate später mit einer Stellungnahme an den BGH weiter. Der BGH bestimmte drei Wochen später, am 22. Dezember 2004, Termin zur Hauptverhandlung über die Revisionen der zwei Nebenklägerinnen sowie der StA auf den 15. 6. 2005.
Diesen Verfahrensablauf hat das BVerfG beanstandet. Das besondere Beschleunigungsgebot für Haftsachen gelte auch nach Erlass eines erstinstanzlichen Urteils und sei bei der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten. Es dürfe nicht zu erheblichen, dem Staat zuzurechnenden vermeidbare Verfahrensverzögerungen kommen. Das sei aber der Falle aufgrund der verzögerten Zustellung der Revisionsbegründungen, der nicht nachvollziehbaren langen Bearbeitungsdauer durch den GBA und der weiträumigen Bestimmung des Termins zur Hauptverhandlung durch den BGH.
Tipp/Hinweis: Die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund steigen mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft, so dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache zunehmen (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf StV 1996, 496; KG, Beschl. v. 12. 1. 2005, 1 HEs 195/04 (52/04), http://www.strafverteidiger-berlin.de; Meyer-Goßner, § 121 Rn. 19). (Mit)Entscheidend ist in vergleichbaren Fällen eine Abwägung aller maßgeblichen Umstände (BVerfG, a.a.O.). Dabei kann, worauf das BVerfG ausdrücklich hingewiesen hat, die verhängte Freiheitsstrafe nicht ohne weiteres als Maßstab für die mögliche Länge der Untersuchungshaft dienen. In erster Linie komme es auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an. Diese könne etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung dürften aber bei erheblichen, dem Staat zuzurechnenden vermeidbaren Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden. Dabei ist vor allem auch zu berücksichtigen, dass ggf. ein Teil der verhängten Strafe durch die nach § 51 StGB anzurechnende Untersuchungshaft bereits verbüßt ist (OLG Hamm StraFo 2002, 177 = StV 2002, 492; zur 2/3 -Erwartung s. einerseits KG, 1 Ws 44/05, Beschl. v. 11. 2. 2005, www.strafverteidiger-berlin.de und OLG Hamm, Beschl. v. 27. 12. 2002, 2 Ws 475/02, StV 2003, 170). |
Zuletzt habe ich in ZAP F. 22 R, 361, 362 über die mit einer Durchsuchung zusammenhängenden Fragen berichtet (vgl. dazu auch die Bestandsaufnahme der obergerichtlichen Rechtsprechung Burhoff StraFo 2005, 140 und Burhoff PStR 2005, 138). Inzwischen haben die Obergerichte zu weiteren Fragen Stellung genommen. Im Einzelnen:
Tipp/Hinweis: Es können insbesondere auch Verkehrsdelikte Anlass für eine Durchsuchungsmaßnahme sein (BVerfG, Beschl. v. 25. 1. 2005, 2 BvR 1467/04, VRR 2005, 111 [Junker] = VA 2005, 89). Auch bei Ordnungswidrigkeiten muss nicht generell von Durchsuchungsmaßnahmen abgesehen werden (BVerfG, Beschl. v. 9. 3. 2005, 2 BvR 1178/04, HRRS 2005 Nr. 313). |
Tipp/Hinweis: Allerdings soll eine unzureichende Dokumentation der richterlichen Entscheidung eine richterlich angeordnete Gestattung nicht unwirksam machen und in keinem Fall zu einem Verwertungsverbot führen (BGH, a.a.O.). |
Tipp/Hinweis: Die Aufforderung an den Betroffenen, bestimmte Beweismittel vorzulegen kann dann gegenüber der Anordnung einer Durchsuchung das mildere, gleich geeignete Mittel darstellen, wenn das Gericht im Hinblick auf ein teilweises Schweigen aus einer etwaigen Nichtbefolgung der Aufforderung verwertbare Schlüsse ziehen kann (BVerfG, a.a.O.). |
Tipp/Hinweis: Der Rechtsschutz gegen Durchsuchungsmaßnahmen ist kompliziert, unvollkommen und schwach (vgl. wegen der Rechtsmittel Burhoff, EV, Rn. 598 ff.). In dem Zusammenhang weist das BVerfG allerdings auf eine sich aus der Funktion des Richtervorbehalts (Art. 13 Abs. 2 GG) ergebende Einschränkung der Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts hin. Dieses darf nämlich, um der Funktion einer vorbeugenden Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 103, 142, 155 m.w.N.) gerecht zu werden, seine Entscheidung nicht auf Gründe stützen, die dem Ermittlungsrichter nicht bekannt waren. Prüfungsmaßstab bleibt im Beschwerdeverfahren die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses. Das Beschwerdegericht darf zur Begründung seiner Entscheidung daher keine Erkenntnisse heranziehen, die erst durch die Durchsuchung gewonnen wurden. Die Kontrollfunktion des Richtervorbehalts verbietet auch, mangelhafte Umschreibungen des Tatvorwurfs oder der zu suchenden Beweismittel nachträglich zu heilen, denn beide Angaben dienen den durchsuchenden Beamten zur Begrenzung des Eingriffs auf das zur Zweckerreichung erforderliche Maß (vgl. u.a. BVerfG, Beschl. v. 20. 4. 2004, 2 BvR 2043/03 u.a., PStR 2004, 176 = NJW 2004, 3171). |
In der Praxis gibt es immer wieder Probleme, wenn ein nicht ortsansässiger Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet werden soll. Der Rechtsanwalt muss sich dann auf die überwiegende Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung berufen, wonach der verfassungsrechtliche Rang der Verteidigung durch den Anwalt des Vertrauens des Beschuldigten der entscheidende Maßstab für die Auswahl eines Pflichtverteidigers ist (BVerfG StV 2001, 601 ff. m.w.N. = NJW 2001, 3695 ff.; BGH NStZ 2003, 378 m.w.N.). Die Ortsferne des Verteidigers ist deshalb nur insoweit zu berücksichtigen, als sie einer sachdienlichen Verteidigung, sowohl für den Beschuldigten als auch für einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf entgegensteht (vgl. u.a. BGH NStZ 1998,49; OLG Düsseldorf StV 2001, 609; 2000, 412; OLG München StV 1993, 180; zu allem auch Burhoff, EV, Rn. 1195 f. m.w.N.).
Tipp/Hinweis: Dazu hat vor einiger Zeit auch noch einmal das BayObLG Stellung genommen. Nach seiner Auffassung ist, wenn der Beschuldigte die Beiordnung seines "auswärtigen" Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger beantragt, i.d.R. das das Auswahlermessen des Vorsitzenden auf dessen Beiordnung beschränkt, wenn der Vorgeschlagene die an ihn zu stellenden Voraussetzungen der Gewährung rechtlichen Beistands und der Sicherung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufes erfüllt. Der Angeklagte ist, auch wenn die Beiordnung bereits mit der Anzeige des Mandats beantragt wird, nicht verpflichtet, das Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses im Einzelnen darzulegen. Ein solches ist bereits auf Grund der Beauftragung als Wahlverteidiger zu vermuten und kann nur bei konkreten Anhaltspunkten widerlegt werden. Das Recht des Angeklagten auf Beiordnung eines Anwalts seines Vertrauens hat grundsätzlich Vorrang (BayObLG, Beschl. v. 23. 9. 04, 6 St ObWs 3/04). |
Seit gut zwei Jahren sind die mit der Wirksamkeit von Urteilsabsprachen zusammenhängenden Fragen in der Diskussion (zur Absprache im Strafverfahren s. auch Burhoff, EV, Rn. 37 ff. und Burhoff, HV, Rn. 63 ff.).Ausgangspunkt sind der Anfragebeschluss des 3. Strafsenats des BGH (vgl. NJW 2003, 3426) und die darauf ergangenen Antworten der anderen Strafsenate (vgl. NJW 2004, 1335; NJW 2004, 1336; NStZ 2004, 164). Der 3. Strafsenat hat daraufhin die von ihm zu entscheidenden Fragen dem Großen Strafsenat des BGH zur Entscheidung vorgelegt (vgl. NJW 2004, 2536). Dessen Entscheidung liegt inzwischen vor (vgl. Beschl. v. 3. 3. 2005, GSSt 1/04, NJW 2005, 1440). Danach gilt:
a) Allgemeine Zulässigkeit von Urteilsabsprachen
Der Große Senat für Strafsachen hat zunächst noch einmal zur allgemeinen Zulässigkeit von Urteilsabsprachen Stellung genommen. Er hält diese nicht von vornherein für unzulässig. Dazu nimmt er Bezug auf die Grundsatzentscheidung des 4 Strafsenats des BGH in BGHSt 43, 195. Diese hat die Verständigung im Strafverfahren insgesamt unter den Aspekten der Rechtsstaatlichkeit, der Idee der Gerechtigkeit sowie der Notwendigkeit einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege beurteilt und daraus Regeln abgeleitet, bei deren Einhaltung durch den Tatrichter die so "institutionalisierte" Verständigung mit der geltenden Rechtsordnung (noch) in Einklang zu bringen sei (vgl. dazu Burhoff, a.a.O.).
Diese Mindestbedingungen für die Zulässigkeit hat der Große Strafsenat übernommen, sie jedoch präzisiert. Der Große Senat für Strafsachen weist nachdrücklich darauf hin, dass sich verfassungsrechtliche Grenzen für die Urteilsabsprache insbesondere aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem Schuldprinzip ergeben. Die Grenzen für eine Urteilsabsprache zieht der Große Senat für Strafsachen danach wie folgt:
b) Vereinbarung eines und Mitwirken an einem Rechtsmittelverzicht
Zwar sind Urteilsabsprachen grundsätzlich zulässig. Der Große Senat für Strafsachen hält es aber für unzulässig, dass das Gericht mit den Verfahrensbeteiligten vor Urteilsverkündung einen Rechtsmittelverzicht vereinbart.
Tipp/Hinweis: Darüber hinausgehend ist jedwedes Mitwirken des Gerichts an einem Rechtsmittelverzicht unzulässig. |
Die Urteilsabsprache dürfe nicht gleichsam als eigenständiges, informelles Verfahren neben der eigentlichen Hauptverhandlung geführt werden. Ihr Inhalt müsse auch für das Revisionsgericht überprüfbar sein, eine effektive Möglichkeit der Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen durch das Revisionsgericht müsse erhalten werden. Beteilige sich hingegen das Gericht im Rahmen einer Urteilsabsprache an der Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts oder drängt es gar die Rechtsmittelberechtigten hierzu, so lasse es erkennen, dass sein Urteil keiner revisionsgerichtlichen Kontrolle unterzogen werden soll. Das verletze nicht nur die Würde des Gerichts und schade seiner Autorität. Eine solche Verfahrensweise lasse vor allem ernsthaft besorgen, dass das Gericht es in der Erwartung, seine Entscheidung werde nicht mehr überprüft, bei der Urteilsfindung an der auch in diesem Verfahren notwendigen Sorgfalt bei der prozessordnungsgemäßen Ermittlung des Sachverhalts, bei seiner Subsumtion unter das materielle Strafrecht und bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe fehlen lassen werde.
c) Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts
Eindeutig hat der Große Senat zur Frage der Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts, der nach einem Urteil erklärt wurde, dem eine Absprache zugrunde liegt, Stellung genommen. Diese ist nach unwirksam. Das sei - so der Große Senat - zwingend und gelte sowohl für den am Ende der Hauptverhandlung - unmittelbar nach Urteilsverkündung - als auch für den nach Abschluss der Hauptverhandlung, am selben Tag oder später erklärten Verzicht.
Tipp/Hinweis: Der Betroffene kann dann trotz eines ggf. erklärten Verzichts noch Rechtsmittel einlegen. In Abwägung zwischen dem Anliegen des fairen Verfahrens einerseits, der Rechtssicherheit andererseits erstreckt der Große Senat für Strafsachen die Folge der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auf alle Fälle, in denen überhaupt eine Urteilsabsprache erfolgt ist. Dies ist auch angezeigt, um Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, die sich namentlich in Fällen ergeben können, in denen die unzulässige Absprache eines Rechtsmittelverzichts nicht offen gelegt wird. |
Um jedoch die Interessen der Rechtssicherheit nicht zu weitgehend zu berühren, hat der Große Senat das Verdikt der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts unter bestimmten Bedingungen eingeschränkt. Es entfällt, wenn dem Rechtsmittelberechtigten über die Freiheit, unbeschadet der getroffenen Absprache Rechtsmittel einlegen zu können, eine von der eigentlichen Rechtsmittelbelehrung abgehobene, qualifizierte Belehrung erteilt worden ist.
Tipp/Hinweis: Qualifizierte Belehrung bedeutet, dass der Betroffene vom Gericht ausdrücklich dahin zu belehren ist, dass er ungeachtet der Urteilsabsprache und ungeachtet der Empfehlung der übrigen Verfahrensbeteiligten, auch seines Verteidigers, in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen. Er ist darauf hinzuweisen, dass ihn eine - etwa im Rahmen einer Urteilsabsprache abgegebene - Ankündigung, kein Rechtsmittel einzulegen, weder rechtlich noch auch sonst bindet. |
Im Einzelnen gilt:
Tipp/Hinweis: Bei erfolgter Rechtsmittelbelehrung, aber ohne qualifizierte Belehrung gilt für die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Rechtsmitteleinlegung: Die gesetzliche Vermutung des § 44 Satz 2 StPO kommt für die unterbliebene qualifizierte Belehrung nicht zur Anwendung. Die Vermutung gilt nur für die unterbliebene Rechtsmittelbelehrung nach § 35 a Satz 1 StPO. |
2. Vernehmungsbegriff in der Hauptverhandlung
In ZAP F. 22 R, S. 250 f. ist über die Entscheidung des BGH v. 3. 9. 2004 (3 StR 185/04) zum Begriff der Vernehmung berichtet worden (inzwischen veröffentlicht in StV 2005, 63 = StraFo 2005, 117 = NJW 2005, 765 = NStZ 2005, 219). Der Begriff der Vernehmung und die damit zusammenhängenden Fragen spielen in der Praxis immer wieder eine Rolle. Dies zeigen anschaulich die beiden nachfolgenden Entscheidungen des BayObLG, die erst jetzt bekannt geworden sind
a) Abgrenzung der informatorischen Befragung von der Beschuldigtenvernehmung
Die erste Entscheidung hat noch einmal die die Unterscheidung zwischen einer informatorischen Befragung und einer Beschuldigtenvernehmung zum Gegenstand (BayObLG, Beschl. v. 2. 11. 2004, 1 St RR 109/04, VRR 2005, 191). Nach dem Sachverhalt beobachtete ein Polizeibeamter auf der Fahrt zum Dienst wie der auf den Angeklagte zugelassene Pkw wiederholt auf die Gegenfahrbahn und auf das rechte Bankett geriet. Er erkannte im Fahrzeug als Fahrer einen Mann und außerdem einen Hund. Der Polizeibeamte rief einen Kollegen herbei: Gemeinsam fand man kurze Zeit später auf einem nahe gelegenen Parkplatz das Fahrzeug, auf dessen geöffneter Ladefläche ein Hund saß. Der Angeklagte stand an einer nahe gelegenen Telefonzelle. Er räumte ein Fahrer des Pkw gewesen zu sein. A, der alkoholisiert war, wird wegen eines Verstoßes gegen § 316 StGB angeklagt. In der Hauptverhandlung lässt er sich nicht zur Sache ein. Das AG hat die Angaben des Angeklagten gegenüber den Polizeibeamten zu seinen Lasten verwertet.
Das hat das BayObLG (a.a.O.) beanstandet. Nach seiner Auffassung wäre eine Belehrung des Angeklagten erforderlich, weil es sich bei seiner Befragung schon um eine Vernehmung und nicht mehr nur um eine so genannte informatorische Befragung gehandelt habe. Für die Unterscheidung zwischen einer informatorischen Befragung und einer Beschuldigtenvernehmung ist - so das BayObLG (a.a.O.) zum einen die Stärke des Tatverdachts bedeutsam. Hierbei hat der Vernehmungsbeamte einen Beurteilungsspielraum, den er jedoch nicht dazu missbrauchen darf, den Zeitpunkt der Belehrung nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO möglichst weit hinauszuschieben. Zum anderen ist von Bedeutung, wie sich das Verhalten des Beamten nach außen in der Wahrnehmung des Befragten darstellt. Es gibt polizeiliche Verhaltensweisen, die schon nach ihrem äußeren Befund belegen, dass der Polizeibeamte dem Befragten als Beschuldigten begegnet, auch, wenn er dies nicht zum Ausdruck bringt (BGHSt 38, 214, 228). In dem entschiedenen Fall hat das BayObLG darauf abgestellt, dass der Angeklagte in unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Nähe zum Tatort aufgefunden worden und er noch dazu Halter des Fahrzeugs war. Damit sei er als wahrscheinlicher Täter in Betracht gekommen und hätte, anders als bei einer verdachtsunabhängigen Verkehrs-Alkoholkontrolle (vgl. dazu BayObLG DAR 2003, 530 m. abl. Anm. von Heinrich = zfs 2003, 519 m. abl. Anm. von Bode), vor seiner Befragung durch den Polizeibeamten nach §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 4 S. 2 StPO über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt werden müssen. Das Unterlassen der Belehrung führe zur Unzulässigkeit der Verwertung der Äußerung des Angeklagten.
Tipp/Hinweis: Der Verwertung einer informatorischen Befragung, die in Wirklichkeit bereits eine Beschuldigtenvernehmung ist, muss er sich durch Widerspruch in der Hauptverhandlung widersetzen (BGHSt 38, 214; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., 2003, Rn. 1166a ff. [im folgenden kurz: Burhoff, HV; siehe auch Junker VRR 2005, 191). |
b) Nochmals: Reichweite des Verwertungsverbotes des § 252 StPO
In der Praxis von erheblicher Bedeutung sind auch die mit dem sich aus dem Vernehmungsverbot des § 252 StPO ergebenden Fragen nach seiner Reichweite. Auch dazu hat das BayObLG Stellung genommen (Beschl. v. 6. 10. 2004, 1 St RR 101/04, VRR 2005, 192). Es hat zunächst darauf hingewiesen, dass § 252 StPO auch für informatorische Befragungen gilt. Der Begriff der Vernehmung i.S. des § 252 StPO sei weit auszulegen. Entscheidend sei allein, dass die Auskunftsperson von einem Staatsorgan in amtlicher Eigenschaft zu dem Gegenstand des späteren Strafverfahrens gehört worden ist (BayObLGSt 1982, 167, 169; Gollwitzer JR 1981, 126). Wenn die Auskunftsperson dann später im Verfahren die Aussage wegen eines Zeugnisverweigerungsrechtes verweigere, dann seien die ohne Belehrung gemachten Angaben unverwertbar. Dazu dürfe auch nicht die Vernehmungsperson gehört werden (BGHSt 2, 99, 104 f.; 21, 218). Zwar bestehe das aus § 252 StPO abzuleitende Verwertungsverbot nur unter der Voraussetzung, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Nach der Rechtsprechung des BGH dürfen nichtrichterliche Vernehmungspersonen aber solange nicht gehört werden, wie Ungewissheit darüber besteht, ob der Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht oder darauf verzichtet (BGHSt 2, 110, 111; 7, 194, 196; 25, 176, 177).
Tipp/Hinweis: Eine Ausnahme von dem weit reichenden Verwertungsverbot des § 252 StPO gilt nur für den Fall, dass der Zeuge von einem Straf- oder Zivilrichter vernommen worden ist und dieser ihn entsprechend über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt hat. Der Richter kann dann über den Inhalt der Aussage des Zeugnisverweigerungsberechtigten vernommen werden (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn. 725 ff.). Wichtig: Auch in diesen Fällen darf der Verteidiger nicht vergessen, in der Hauptverhandlung der Verwertung der nach seiner Meinung unverwertbaren Zeugenangaben zu widersprechen (BGHSt 38, 214, vgl. dazu eingehend Burhoff, HV, Rn. 1166 a ff.; siehe auch Junker VRR 2005, 192). |
Durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz sind die Vereidigungsvorschriften neu geregelt worden (vgl. dazu Burhoff ZAP F. 22, S. 389 m.w.N.; Peglau NStZ 2005, 186 und krit. Müller JR 2005, 78 ff.) . Der BGH hat bereits zum neuen Recht Stellung genommen (vgl. schon den Hinweis in der Entscheidung vom 23. 9. 2004, 3 StR 255/04, ZAP F. 22 R, S. 373. Er hat jetzt ausgeführt, dass es auch nach der Neufassung der Vorschriften über die Vereidigung durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz aus der Prozessleitungsbefugnis des Vorsitzenden folgt, dass dieser zunächst allein im Wege einer Anordnung nach § 238 Abs. 1 StPO darüber entscheidet, ob ein Zeuge nach seiner Vernehmung vereidigt wird oder unvereidigt bleibt (BGH, Beschl. v. 20. 1. 2005, 3 StR 455/04, StV 2005, 200 = StraFo 2005, 204; s. auch die Anm. von Schlothauer in StV 2005, 200 m.w.N.). An diesem Recht des Vorsitzenden hat die Neufassung der Vorschriften über die Vereidigung durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz nichts geändert. Die Vereidigungsentscheidung des Vorsitzenden sei als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen. Habe der Vorsitzende innerhalb der Hauptverhandlung die Vereidigung angeordnet oder verfügt, den Zeugen nicht zu vereidigen, bedürfe seine Entscheidung keiner Begründung. Diese bestimme § 59 Abs. 1 S. 2 StPO für den Fall der Vereidigung und es ergebe sich im Falle des Absehens von einer Vereidigung daraus, dass - im Gegensatz zur früheren Gesetzeslage, die in § 59 StPO a.F. die Regelvereidigung vorsah - durch § 59 Abs. 1 S. 1 StPO n.F. nunmehr die Nichtvereidigung zum Regelfall geworden ist (BGH, a.a.O.; vgl. dazu auch Peglau, a.a.O.)
Tipp/Hinweis: Der BGH hat darauf hingewiesen, dass dann, wenn der Angeklagte die Anordnung des Vorsitzenden über die Vereidigung mit der Revision angreifen will, die Zulässigkeit einer entsprechenden Verfahrensrüge voraussetzt, dass der Angeklagte die Entscheidung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung beanstandet und gemäß § 238 Abs. 2 StPO einen Beschluss des Gerichts herbeigeführt hat (vgl. u.a. BGH NStZ 97, 198; vgl. auch BGH StV 2005, 7 = PA 2005, 33 und BGH, Beschl. v. 30. 3. 2005, 1 StR 67/05). Das darf der Verteidiger nicht übersehen, da er sonst insoweit sein Recht auf Revision verloren hat. |
Nach der Rspr des BGH muss der Revisionsführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will, die den Mangel enthaltenden Tatsachen i.S. des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO so vollständig und so genau angeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (vgl. u.a. BGH NStZ 1992, 29; 1995, 462; 1999, 45 f.; 2002, 216; NStZ-RR 2001, 174). Erforderlich ist nach dieser Rspr. nicht nur, dass der Beschwerdeführer die ihm nachteiligen Tatsachen nicht übergeht, sondern auch, dass er die Fakten vorträgt, die für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands sprechen, der seiner Rüge den Boden entzöge (vgl. BGHSt 40, 218, 240; StV 1996, 530; NStZ 2000, 49 f.). Er muss also sog. Negativ-Tatsachen vortragen (vgl. BGH NJW 1998, 3284 m.w.N.). Gerade dieses Erfordernis bereitet in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten (vgl. dazu. Kukuk, Das Erfordernis des Vortrags von "Negativtatsachen" nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, 2000; Gollwitzer, DAV-Schriftenreihe, Bd. 9, 1992). Gegen dieses Erfordernis wird insbesondere geltend gemacht, mit ihm sei die Garantie effektiven Rechtsschutzes nicht mehr gewährt, da das Rechtsmittel der Revision ineffektiv gemacht werde und für den Beschwerdeführer häufig "leer laufe", was unzulässig sei (vgl. BVerfGE 78, 88, 99; 96, 27, 39).
Einer der Fälle, in denen nach der Rspr. der Obergerichte der Vortrag einer Negativtatsache verlangt wird, ist der der Rüge, mit der geltend gemacht wird, das Tatgericht habe den Inhalt einer in der Hauptverhandlung nicht verlesenen Urkunde verwertet. Hier verlangt die Rspr. i.d.R. den Vortrag, dass der Inhalt der Urkunde auch nicht in sonstiger prozessordnungsgemäßer Weise, etwa durch Vorhalt, in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, soweit Anhaltspunkte dafür sprechen können (vgl. zuletzt BGH NStZ 2001, 425). Die bloße Behauptung, der Urkundeninhalt sei nicht nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen worden, sei nicht ausreichend; der Inhalt einer Urkunde könne nämlich auf unterschiedlichen Wegen zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht worden sein. Kommen mehrere Möglichkeiten der Einführung in Betracht, so seien konkrete Tatsachen vorzutragen, wie der in der Urkunde verkörperte Beweisstoff auf andere Weise zum Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne von § 261 StPO geworden sein könne. Ein solcher Fall der - erfolglosen - Revisionsrüge war jetzt Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde (BVerfG, Beschl. v. 25. 1. 05, 2 BvR 656/99 u.a.).
Nach dem Sachverhalt hat das das LG den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen hat er Revision eingelegt. Zur Begründung hat er mit seiner Verfahrensrüge die Verletzung des § 261 StPO gerügt und geltend gemacht: Seiner Täterschaft sei u.a. aufgrund von Verbindungsdaten zahlreicher zwischen ihm und Mitangeklagten geführter Telefonate festgestellt worden. Die Listen mit den Gesprächsdaten seien aber nicht verlesen worden. Auch seien die Informationen nicht auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt, vor allem nicht durch Vorhalte. Der BGH hatte die Revision verworfen. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte nun Erfolg.
Das BVerfG (a.a.O.) hat dazu ausgeführt, dass der nach der Rechtsprechung des BGH in diesen Fällen regelmäßig gebotene Vortrag, das Tatgericht habe von sämtlichen nahe liegenden Möglichkeiten der prozessordnungsgemäßen Einführung des Urkundeninhalts keinen Gebrauch gemacht, sachgerecht und aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich nicht zu beanstanden sei. Er mache eine solche Revision nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig. Die Möglichkeiten der Einführung des Inhalts einer Urkunde seien eng begrenzt, sie seien unschwer am Gesetzestext erkennbar, und sie seien in der Revisionsrechtsprechung der Fachgerichte seit langem anerkannt (vgl. dazu Dahs StraFo 1995, 41, 44; Burhoff StV 1997, 432, 438). Der geforderte Tatsachenvortrag sei mithin für den Revisionsführer vorhersehbar und mache das Rechtsmittel der Revision nicht ineffektiv.
Das BVerfG hat jedoch weiter ausgeführt, dass der BGH im entschiedenen Fall die Zulässigkeitsanforderungen überspannt habe, wenn er auch noch verlangt habe, dass der Angeklagte zur Ladung eines sachverständigen Zeugen, der zu den Gesprächsdaten vernommen werden sollte und vernommen worden ist, und zu dem bei dessen Ladung angefügten Ladungszusatz vortrage. Denn der vom BGH vermissten Mitteilung der Ladung des sachverständigen Zeugen und des dabei angegebenen Ladungszusatzes komme keine über diesen Revisionsvortrag hinausgehender Bedeutungsgehalt zu. Sie stünde mit dem Vorgang der Beweisgewinnung in der Hauptverhandlung in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Der Angeklagte habe - auch wenn er die Ladungsverfügung nicht mitgeteilt habe den entscheidenden inhaltlichen Gesichtspunkt der möglichen Einführung des Inhalts der Listen im Wege des Vorhalts gegenüber dem sachverständigen Zeugen ausdrücklich erörtert. Hingegen folge aus der Ladung nicht, ob der sachverständige Zeuge auch vernommen worden sei. Der Ladungszusatz gebe für die Frage, ob und in welchem Umfang der Inhalt der Telefonlisten über den geladenen Zeugen in die Hauptverhandlung tatsächlich eingeführt worden ist, keinen Aufschluss. Der Zusatz enthalte darüber hinaus auch keine Anhaltspunkte über eine vom Gericht beabsichtigte Einführung der Telefonlisten durch den sachverständigen Zeugen.
Tipp/Hinweis: Schon lange hat die Praxis auf eine Entscheidung des BVerfG zu den von den Obergerichten auf der Grundlage des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gestellten Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge gewartet. Die Anforderungen der revisionsrechtlichen Rechtsprechung werden allgemein als zu hoch angesehen. Das BVerfG hat dazu nun Stellung genommen. Allerdings hat es leider nicht allgemein die Zulässigkeit der revisionsrechtlichen Rechtsprechung betreffend Negativ-Tatsachen geprüft, sondern lediglich im konkreten Fall die Anforderungen des BGH als zu hoch angesehen. Die allgemeine Rechtsprechung des BGH in diesem Bereich (vgl. dazu z.B. BGH NStZ 2001, 425) hat es hingegen grundsätzlich abgesegnet. Die Entscheidung legt aber dennoch über den konkreten Fall hinaus die Maßstäbe fest, an denen die Zulässigkeitsanforderungen der Verfahrensrüge in Zukunft zu messen sein werden. Entscheidend wird sein, ob es für den Angeklagten bei Anwendung der von ihm bei der Abfassung verfahrensrechtlicher Revisionsrügen anzuwendenden Sorgfalt vorhersehbar ist, dass es dem Revisionsgericht für die Zulässigkeit der Rüge auf zusätzlichen Vortrag ankommt. Das kann man aber nur dann bejahen, wenn zwischen diesem Vortrag und der Beweisgewinnung ein unmittelbarer Sachzusammenhang besteht. Der Revisionsführer muss zudem auch nur dann damit rechnen, dass das Revisionsgericht im Hinblick auf § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechenden Vortrag erwartet. Fazit: Alles in allem geht die Entscheidung in die richtige Richtung, leider allerdings nur einen kleinen Schritt. |
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