aus ZAP-Heft 5/2005, F. 22 R, S. 373
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
von RiOLG Detlef Burhoff, Münster/Hamm
Die Frage der Fluchtgefahr i.S. des § 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO macht in der Praxis bei Ausländern immer wieder Schwierigkeiten (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., 2003, Rn. 1700 m.w.N. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]). Vor kurzem hat erst in diesem Bereich das OLG Hamm zu der Frage der Fluchtgefahr bei ihm Ausland lebenden Ausländer, die nicht in die Bundesrepublik (zurück)kommen wollen, Stellung genommen und Fluchtgefahr (vgl. dazu OLG Hamm, Beschl. v. 15. 4. 2004 - 2 Ws 111/04; PStR 2004, 154 = NStZ-RR 2004, 278; s. auch F. 22 R S. 341, 344). Das OLG Karlsruhe hatte sich mit der Konstellation zu beschäftigen, dass der Angeklagte zwar an der Aufklärung mitwirken wollte und er zwar auch grds. bereit war, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, er sich daran jedoch durch die drohende Gefahr der Inhaftierung, insbesondere den Erlass eines Haftbefehls gehindert sah. Die Strafkammer hatte die Fluchtgefahr damit begründet, dass diese Erklärung des Angeklagten darauf hindeute, dass er nicht bereit sei, sich im Falle seiner Verurteilung zum Strafantritt zu stellen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3. 4. 2004, 3 Ws 44/04, StraFo 2004, 240).
Das OLG Karlsruhe (a.a.O.) hat das anders gesehen und Fluchtgefahr verneint. Fluchtgefahr besteht nach allgemeiner Meinung nur dann, wenn aufgrund der Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles mit größerer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich der Angeklagte dem Strafverfahren entziehen, anstatt sich ihm stellen bzw. zur Verfügung halten würde (Meyer-Goßner StPO, 47 Aufl., § 112 Rn. 17 m.w.N. aus der Rspr. [im Folgenden kurz: Meyer-Goßner]; so z.B. auch OLG Karlsruhe StV 2000, 513; OLG Hamm, a.a.O.; s. auch Burhoff, EV, Rn. 16´99 ff.). Es bedarf neben einer hohen Straferwartung weiterer konkreter Tatsachen, auf die sich diese Besorgnis gründet. Diese hat das OLG nicht gefunden. Sie konnten auch - so das OLG Karlsruhe - insbesondere nicht damit begründet, dass der Angeklagte offenbar nicht bereit sei, sich später zum Strafantritt zu stellen. Untersuchungshaft dürfe nur zur Sicherung des Verfahrens angeordnet werden. Daher liegt nach Ansicht des OLG Karlsruhe der Haftgrund der Fluchtgefahr dann nicht vor, wenn der Angeklagte sich lediglich seiner jetzigen Inhaftierung entziehen will, sein Interesse an seiner Teilnahme an der Hauptverhandlung aber glaubhaft dargelegt hat. Die Annahme, dass der Angeklagte sich im Falle seiner Verurteilung nicht zum Strafantritt stellen werde, reicht alleine nicht aus (OLG Karlsruhe, a.a.O.). Den Angeklagten trifft aber keine Pflicht, sich freiwillig einer Verhaftung zu stellen (a.A. wohl OLG Hamm, a.a.O.).
Tipp/Hinweis: In vergleichbaren Fällen sollte der Verteidiger in einer Stellungnahme zur Frage der Fluchtgefahr ggf. zu sonstigen Umstände, die gegen eine Fluchtgefahr sprechen, auch noch auf folgende Punkte hinweisen. * der Angeklagte ist gewillt persönlich an der Hauptverhandlung teilzunehmen, um seine Freisprechung zu erwirken, * der Angeklagte ist ggf. bereit für die Dauer der Hauptverhandlung Wohnsitz in Deutschland zu nehmen, * der Angeklagte ist bereit, sich an seinem Wohnsitz anhören zu lassen (OLG Köln NStZ 2003, 219), * der Angeklagte ist von seiner Unschuld überzeugt und hat daher ein Interesse an der Klärung der gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe hat, vor allem wenn sein inländisches Vermögen erheblichen Umfangs aus Anlass des Strafverfahrens arrestiert, * der Angeklagte hat ggf. den Nichtvollzug des Haftbefehls nicht zur Flucht genutzt. Das OLG Karlsruhe (a.a.O.) hat allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass, wenn der Angeklagte der anzuberaumenden Hauptverhandlung unentschuldigt fernbleiben oder diese eigenmächtig verlassen sollte, dies nicht nur den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO (vgl. auch § 231 Abs. 1 StPO) rechtfertigen (vgl. hierzu BVerfG E 32, 87, 93). Indiziert wäre dann nach Ansicht des OLGs Karlsruhe vielmehr auch der Haftgrund der Flucht nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO (so auch OLG Köln, a.a.O.). |
Spannungen zwischen Richter und Verteidiger sind in der Praxis nicht selten. Nach allgemeiner Meinung können gravierende Spannungen zwischen Richter und dem Verteidiger des Angeklagten grds. auch die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. u.a. BGH StV 1993, 339; StV 1995, 396 f., OLG Hamm StraFo 2002, 355 und OLG Braunschweig StraFo 1997, 76). Fraglich ist allerdings, wann die Spannungen einen solchen Grad erreicht haben, dass die Annahme, der Richter sei gegenüber dem Angeklagten befangen i.S. des § 24 StPO, gerechtfertigt ist. Mit dieser Frage hat sich das OLG Hamm vor kurzem befasst (vgl. Beschl. v. 7. 10. 2004, 2 Ss 345/04, StraFo 2004, 415 = NStZ-RR 2005, 15). Hintergrund des Ablehnungsgesuchs war ein anderes Verfahren, in dem der Verteidiger des Angeklagten als Verteidiger eines anderen Angeklagten in der Hauptverhandlung vom erkennenden Richter in Ordnungshaft genommen worden war. Dieser Ordnungsbeschluss ist vom OLG Hamm aufgehoben worden (vgl. dazu OLG Hamm StraFo 2003, 244= wistra 2003, 358 = NZV 2003, 491 = StV 2004, 69 mit Anmerkung Leuze StV 2004, 101 = PA 2003, 118). Unter Hinweis auf dieses Verhalten des Vorsitzenden hat nun der Angeklagte den Vorsitzenden in dem gegen ihn jetzt anhängigen Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Das OLG Hamm (Beschl. v. 7. 10. 2004, 2 Ss 345/04, StraFo 2004, 415 = NStZ-RR 2005, 15) hat dies unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als nicht ausreichend angesehen und dazu ausgeführt: Grundsätzlich kann der Angeklagte aus Spannungen zwischen seinem Verteidiger und dem Vorsitzenden nicht ohne weiteres darauf schließen, dass der Vorsitzende eine eventuelle Abneigung gegen den Verteidiger auf ihn und seine Sache überträgt und deshalb die Besorgnis der Befangenheit i. S. des § 24 StPO besteht (vgl. u.a. BVerfG NJW 1996, 2022; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 4. Aufl., 2003, Rn. 44 m.w.N. [im Folgenden kurz: Burhoff, HV]. Eine der von diesem Grundsatz in der obergerichtlichen Rechtsprechung gemachten Ausnahmen lag nach Auffassung des OLG Hamm nicht vor. Das OLG konnte nicht feststellen, dass die Spannungen zwischen dem Verteidiger und dem Richter auf dessen Einstellung zu der nun verhandelten Sache ausstrahlen. Soweit der Vorsitzende es abgelehnt hat, persönliche und telefonische Absprachen mit dem Verteidiger des Angeklagten zu treffen, und diesen auch nicht grüßt, hat das OLG darauf hingewiesen, dass das Verhalten zwar möglicherweise eine Unhöflichkeit darstellt, noch nicht jedoch den Schluss auf eine nicht sachgerechte Behandlung des Verfahrens zulässt. Auch der Umstand, dass der Verteidiger gegen den Vorsitzenden wegen dessen Verhalten in dem anderen Verfahren Strafanzeige und Dienstaufsichtsbeschwerde erstattet hat, reichte allein nicht aus, "Befangenheit" anzunehmen, da es sonst den Beteiligten möglich wäre, sich nach Belieben jedem Richter zu entziehen. Das OLG hat ein Indiz für ein erhebliches Zerwürfnis zwischen Richter und Verteidiger auch nicht darin gesehen, dass dieser, wie der Verteidiger vorgetragen hatte, nicht die gesetzlich vorgesehenen Verfahren genutzt hat, um gegen den Verteidiger vorzugehen, sondern quasi im Wege der "Selbstjustiz" diesen verhaften ließ. Es mache einen Unterschied, ob der Richter in einem laufenden Verfahren eine rechtliche Entscheidung trifft, oder ob er den Verteidiger auch über dieses Verfahren hinaus verfolgt. Denn nur das zuletzt genannte Verhalten bildet - so das OLG - einen Anhaltspunkt dafür, dass die Spannungen persönlicher Art sind.
Tipp/Hinweis: Die Auffassung des OLG Hamm entspricht der Meinung des BVerfG (a.a.O.). Der Verteidiger muss die in der Tatsacheninstanz nicht erfolgreiche Ablehnung mit der Verfahrensrüge geltend machen. Für die gelten die strengen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Es ist also alles vorzutragen, was für die Frage der Besorgnis der Befangenheit von Bedeutung sein kann. |
Häufig muss sich der Verteidiger in der Praxis mit den Fragen der Vernehmung einer Verhörsperson auseinandersetzen. Das ist insbesondere immer dann der Fall, wenn es um die Verwertung der früheren Aussage eines in der Hauptverhandlung nun das Zeugnis verweigernden Zeugen geht (vgl. dazu eingehend Burhoff, HV, Rn. 1057 ff.). Im Rahmen dieser Problematik ist der Begriff der "Vernehmung" von erheblicher Bedeutung. Dazu hat der BGH vor kurzem noch einmal Stellung genommen (vgl. Beschl. v. 3. 9. 2004, 3 StR 185/04).
Nach dem Sachverhalt waren im Ermittlungsverfahren, in dem dem heranwachsenden Angeklagten u.a. wegen Körperverletzung mit Todesfolge zur Last gelegt wurde, die Ehefrau des Angeklagten und seine Eltern von der Jugendgerichtshilfe angehört worden. In der Hauptverhandlung erstattete die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe ihren Bericht zum Angeklagten und berichtete dabei u.a. auch über diese Gespräche. In ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung hatte die Ehefrau des Angeklagten aber von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gebrauch gemacht. Die Eltern des Angeklagten waren zur Hauptverhandlung nicht geladen und wurden demgemäss auch nicht vernommen. In ihrer Entscheidung, auf die Straftaten des Angeklagten Erwachsenenstrafrecht anzuwenden, hat sich die Jugendkammer unter anderem auch mit den Äußerungen der Ehefrau des Angeklagten und seiner Eltern gegenüber der Jugendgerichtshilfe auseinandergesetzt. Die Revision des Angeklagten hatte einen Verstoß gegen § 252 StPO gerügt.
Der BGH (a.a.O.) hat die Vorgehensweise der Jugendkammer beanstandet. Sie durfte, so der BGH, nach § 252 StPO. weder die Angaben der Ehefrau des Angeklagten noch die seiner Eltern verwerten. Diese Vorschrift verbietet nach ständiger Rspr. nicht nur - entsprechend ihrem Wortlaut - die Verlesung der früheren Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, sondern untersagt es auch, jene Aussage durch Anhörung der nichtrichterlichen Verhörsperson in die Hauptverhandlung einzuführen und zu verwerten (BGHSt 2, 99, 104 f.; 21, 218). Voraussetzung für das Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot ist zwar stets, dass es sich um Erklärungen des Zeugen handelt, die er im Rahmen einer Vernehmung gemacht hat. Der Begriff der Vernehmung ist aber in einem weiten Sinne zu verstehen und umfasst - unabhängig davon, ob die Angaben förmlich protokolliert oder nur in einem internen Vermerk festgehalten werden - alle Bekundungen über wahrgenommene Tatsachen auf Grund einer amtlichen, von einem Staatsorgan durchgeführten Befragung, bei der der Beweiserhebungswille des Amtsträgers nach außen erkennbar ist (vgl. BGHSt 29, 230, 232; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 252 Rn. 10). Unter diesen weiten Begriff der Vernehmung im Sinne des § 252 StPO fällt - so der BGH im Beschl. v. 3. 9. 2004 (a.a.O.) auch die Befragung der Angehörigen des Angeklagten i.S. von § 52 Abs. 1 StPO durch einen Vertreter der Jugendgerichtshilfe (vgl. Diemer in Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. § 252 Rn. 19; Gollwitzer, a.a.O. § 252 Rn. 30). Hierfür spricht bereits, dass Befragungen durch den Vertreter der Jugendgerichtshilfe auch sonst wie Vernehmungen behandelt werden. Zudem sprechen aber auch Sinn und Zweck des § 252 StPO und des damit im Zusammenhang stehenden Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 StPO für diese Auslegung. Dieses soll den Zeugen vor Konflikten schützen, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen. Diese Entscheidungsfreiheit muss auch hinsichtlich der Angaben bestehen, die Angehörige bei der Befragung durch die Jugendgerichtshilfe machen. Diese Befragung dient nämlich den im Jugendgerichtsverfahren nach § 43 Abs. 1 JGG gebotenen Ermittlungen zur Persönlichkeit des Täters, die entsprechend der Zweckbindung nach § 38 Abs. 2 Satz 2 JGG - auch im Verfahren gegen Heranwachsende (§§ 107, 109 Abs. 1 JGG) - eine zentrale Aufgabe der Jugendgerichtshilfe darstellen und zu ihren klassischen Tätigkeitsbereichen zählen.
Tipp/Hinweis: Damit bestand für die Angaben der Ehefrau ein unmittelbar aus § 252 StPO folgendes Beweisverwertungsverbot (BGH, Beschl. v. 3. 9. 2004, a.a.O.) . Für die Angaben der Eltern gilt im Ergebnis dasselbe. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen nämlich in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 252 StPO nichtrichterliche Vernehmungspersonen in der Hauptverhandlung grundsätzlich so lange nicht über den Inhalt früherer Angaben eines zur Zeugnisverweigerung berechtigten Zeugen gehört werden, wie Ungewissheit darüber besteht, ob dieser von seinem Weigerungsrecht Gebrauch macht oder darauf verzichtet (vgl. BGHSt 25, 176, 177 m. w. N.). Der Verteidiger sollte in der Hauptverhandlung der Verwertung solcher Angaben ausdrücklich widersprechen (BGHSt 38, 214; zur Widerspruchslösung Burhoff, HV, Rn. 1166a). |
In den in § 247 StPO bestimmten Fällen kann der Angeklagte während der Vernehmung eines Zeugen aus der Hauptverhandlung entfernt werden. Der Ausschluss des Angeklagten erfasst aber nur die eigentliche Vernehmung und nicht auch Verfahrensvorgänge mit selbständiger verfahrensrechtlicher Bedeutung (vgl. dazu z.B. BGH StV 1987, 377; Burhoff, HV, Rn. 441). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gehörte bislang die Verhandlung über die Vereidigung eines Zeugen nicht mehr zur Vernehmung des Zeugen, während derer der Angeklagte gemäß § 247 StPO entfernt gehalten werden durfte. Wurde die Entscheidung über die Vereidigung daher in Abwesenheit des Angeklagten getroffen, so begründete dies den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (vgl. z.B. BGH NStZ 1999, 44). Das hat der BGH jetzt noch einmal bestätigt (vgl. BGH, Beschl. v. 23. 9. 2004, 3 StR 255/04).
Tipp/Hinweis: Der BGH hat in der Entscheidung vom 23. 9. 2004 (a.a.O.) darauf hingewiesen, dass die Frage, ob die vorschriftswidrige Abwesenheit des Angeklagten bei der Entscheidung über die Vereidigung eines Zeugen einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung i.S. von § 338 Nr. 5 StPO betrifft, nach der Neuregelung des Vereidigungsrechts (§ 59 StPO n.F.) durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz (vgl. dazu Burhoff ZAP F. 22, S. 389 m.w.N.; Preyer PA 2004), wonach Zeugen nur vereidigt werden, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält, neuer Betrachtung bedürfen könnte. Insbesondere könnte die Änderung nach Auffassung des BGH zur Folge haben, dass in den Fällen, in denen die Verfügung des Vorsitzenden nicht zum Gegenstand von Erörterungen gemacht wurde, insbesondere also keine gerichtliche Entscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO beantragt wurde, die Abwesenheit des Angeklagten keinen wesentlichen Verfahrensteil betrifft. Damit deutet sich eine Änderung der Rechtsprechung an. Dies und die Ausführungen des BGH sollten den Verteidiger dazu veranlassen, auf jeden Fall die Vereidigung zu beantragen und gegen die ablehnende Entscheidung des Vorsitzenden das Gericht anzurufen (vgl. dazu Burhoff, a.a.O.). |
a) Berücksichtigung bei der Strafzumessung
Insbesondere Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren dauern wegen ihrer Komplexität häufig lange. Eine zu lange Verfahrensdauer kann gegen das Recht des Beschuldigten auf beschleunigte Erledigung des Verfahrens verstoßen (eingehend dazu Gaede wistra 2004, 166; s. auch die Checklisten bei Burhoff PStR 2004, 275). Der Verteidiger muss sich mit den damit zusammenhängenden Fragen möglicht früh auseinander setzen und die Auswirkungen auf die Verteidigungsstrategie prüfen. In dem Zusammenhang ist insbesondere auch die Rechtsprechung des EGMR von Bedeutung. Dieser rügt immer wieder die zu lange Dauer von Verfahren, wie z.B. in seinem Urt. v. 2. 10. 2003 (Nr. 41444/98, wistra 2004, 177).
Nach dem Sachverhalt (vgl. EGMR , a.a.O.) war der Betroffene, ein österreichischer Staatsbürger, bereits im Dezember 1989 in Zusammenhang mit der Ermittlung eines Großbetruges vom Salzburger Finanzamt informiert worden, dass er der Steuerhinterziehung verdächtigt werde. Es wurden die Ermittlungen gegen den Betroffenen eingeleitet. Im Juni 1994 wurde die Staatsanwaltschaft über das bis dahin vorliegende Ermittlungsergebnis informiert. Diese erhob dann im Februar 1995 Klage gegen den Betroffenen wegen Steuerhinterzeihung in Höhe von rund 1 Mio ATS. Nach einer Verschiebung des zunächst für Mitte September 1995 vorgesehenen Hauptverhandlungstermins wurde der Betroffene dann am 22. November 1995 wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Die dagegen vom Betroffene eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde wurde Ende Juli 1997 vom Obersten Gerichtshof verworfen.
Der EGMR (a.a.O.) hat in diesem Verfahrensgang eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gesehen. Die Angemessenheit der Dauer von Strafverfahren müsse im Lichte der besonderen Fallumstände unter Berücksichtigung der in der ständigen Rechtsprechung des EGMR niedergelegten Kriterien gewürdigt werden. Diese sind im Besonderen die Komplexität des Falles, das Prozessverhalten des Beschwerdeführers und der relevanten staatlichen Behörden sowie die persönliche Bedeutung des Verfahrens für den Beschwerdeführer (vgl. dazu auch Gaede, a.a.O.). Der zu würdigende Zeitraum beginne in Strafverfahren, sobald eine Person strafrechtlich angeklagt sei. Dies könne auch schon vor der Überstellung des Falles an das Tatgericht der Fall sein. Anklage i.S. des Art. 6 EMRK sei im allgemeinen die offizielle Mitteilung an den Angeklagten darüber, dass er von den zuständigen staatlichen Stellen wegen der Begehung einer Straftat verfolgt werde. Eine Anklage liege auch dann vor, wenn der Verdächtige bereits durch ein Verfahren tatsächlich substantiell betroffen worden sei. Die Komplexität eines Verfahrens könne nicht pauschal beurteilt werden. Es komme auf die Umstände an. Allerdings reiche auch eine bloß gewisse Komplexität des Falles allein nicht hin, die erhebliche Dauer eines Strafverfahrens zu rechtfertigen (zu allem EGMR, a.a.O.).
Der EGMR hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sich der Schwierigkeiten bewusst ist, welche den Vertragsstaaten bei der Führung von Wirtschaftsstrafverfahren begegnen. Art. 6 Abs. 1 EMRK verpflichte die Konventionsstaaten aber, ihre Justiz so einzurichten, dass die Gerichte allen Anforderungen dieser Vorschrift entsprechen können, einschließlich der Verpflichtung, innerhalb angemessener Frist zu entscheiden (zum Recht auf Verfahrensbeschleunigung siehe auch Gaede wistra 2004, 166).
Tipp/Hinweis: Der EGMR hat zudem die Möglichkeit einer Kompensation verneint. Wenn also das Verhalten staatlicher Stellen im Ermittlungsstadium des Verfahrens übermäßige Verzögerungen bewirkt hat, kann eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht allein wegen der zügigen Durchführung des Verfahrens vor dem Gericht verneint werden. Treten derartige Verzögerungen auf und ist der Fall weder komplex, noch durch im Verhältnis zu den staatlich begründeten Verzögerungen nennenswerte Verzögerungen seitens des Beschwerdeführers gekennzeichnet, liege eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vor. |
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung kann sich die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung für den betroffenen Beschuldigten strafmildernd auswirken (vgl. dazu u.a. BVerfG NJW 2003, 2225 m.w.N.). Nach wohl h.M. in der Rspr. begründet die Verletzung des Beschleunigungsgebots grundsätzlich kein Verfahrenshindernis (zuletzt BGHSt 46, 160 = StV 2001, 189, StV 2000, 670; so auch BVerfG NJW 1992, 2472; 2003, 22, 25; OLG Koblenz NJW 1995, 1887; OLG Schleswig StV 2003, 379; OLG Hamm, Beschl. v. 5. 10. 2004, 1 Ws 267/04, http://www.burhoff.de; LG Mainz wistra 2003, 472) ).
Aus der neueren Rechtsprechung ist hinzuweisen (vgl. im Übrigen Burhoff PStR 2004, 275 ff.):
Das Tatgericht muss im Urteil eine Kompensation in Form einer Strafmilderung vornehmen (BGH NJW 2003, 2759). Das Ausmaß der Kompensation muss im Urteil konkret dargelegt werden, und zwar wie folgt: Es ist ausdrücklich die an sich verwirkte Strafe festzustellen. Außerdem muss unter Berücksichtigung der Verfahrensverzögerung die konkret verhängte Strafe festgestellt werden. Bei einer Gesamtstrafe muss sowohl diese als auch die ihr zugrunde liegenden Einzelstrafen ermäßigt werden (BGH NStZ 2002, 589; wistra 2002, 337). Die Kompensation darf aber nicht zu einem doppelten Rabatt führen (BGH NJW 2003, 2759).
b) Verfahrensverzögerung in der Revision
Die Frage, wie eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren geltend zu machen ist, ist bzw. war zwischen den Strafsenaten des BGH nicht ganz unstreitig. Während z.T. eine Sachrüge als ausreichend angesehen worden ist, wenn nach den Urteilsgründen wegen des Zeitablaufs die Erörterung der Verfahrensdauer nahe liegt (s. der 4. Strafsenat in BGH StV 1998, 376), wurde im Übrigen grds. die Erhebung einer Verfahrensrüge, die der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügen muss, verlangt (s. z.B. BGHSt 45, 308, 310). Der 5. Strafsenat hatte wegen einer von ihm beabsichtigten Änderung der Rechtsprechung dahin, dass grds. die Sachrüge ausreichend sein sollte, bei den übrigen Senaten des BGH angefragt (vgl. wistra 2004, 181), ob diese an ihrer Rechtsprechung festhalten. Die Antwortbeschlüsse der anderen Strafsenate haben kein einheitliches Bild ergeben. Der 5. Strafsenat hat nun unter Aufgabe seines weitergehenden Standpunktes im Anfragebeschluss die Rechtsposition des 3. Strafsenats im Antwortbeschluss vom 12. 8. 2004 (3 ARs 5/04) prinzipiell übernommen, dem auch die Auffassung des 4. Strafsenats tendenziell nahe kommt (Antwortbeschl. v. 25. 3. 2004 - 4 ARs 6/04).
Tipp/Hinweis: Nach der (neuen) Rechtsprechung des BGH muss ein Revisionsführer, der das Vorliegen einer Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK verletzenden Verfahrensverzögerung geltend machen will, grds. eine Verfahrensrüge erheben. Ergeben sich indes bereits aus den Urteilsgründen die Voraussetzungen einer solchen Verzögerung, hat das Revisionsgericht auf Sachrüge einzugreifen. Das gilt auch, wenn sich bei der auf Sachrüge veranlassten Prüfung, namentlich anhand der Urteilsgründe, ausreichende Anhaltspunkte ergeben, die das Tatgericht zur Prüfung einer solchen Verfahrensverzögerung drängen mussten, so dass ein sachlichrechtlich zu beanstandender Erörterungsmangel vorliegt. Die ggf. zu erhebende Verfahrensrüge unterliegt den strengen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Der Verteidiger muss alles vortragen, was mit der geltend gemachten Verfahrenszögerung in Zusammenhang steht. |
Sachverhalt |
Begründung |
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Allgemein |
Allgemein gilt: Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Er hat die wesentlichen entlastenden und belastenden Tatumstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen. Welchen Umständen er dabei bestimmendes Gewicht beimisst, ist seiner Beurteilung überlassen. Das Revisionsgericht darf lediglich nachprüfen, ob dem Tatrichter bei seiner Entscheidung ein Rechtsfehler unterlaufen ist (st. Rspr. der Obergerichte, vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 11. 11. 2004, 5 StR 372/04).
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Bildung einer Gesamtstrafe |
Die Bildung der Gesamtstrafe bedarf einer eigenen Strafzumessung und Begründung im Urteil unter zusammenfassender Würdigung der einbezogenen Straftaten und der Person des Täters. Der Verweis auf die den jeweiligen Einzelstrafen zugrundeliegenden Strafzumessungserwägungen genügt insbesondere dann nicht, wenn die Einsatzstrafe sehr stark erhöht wurde und die Zumessung der Gesamtstrafe daher besorgen lässt, dass sich der Tatrichter unzulässigerweise von der Summe der Einzelstrafen hat leiten lassen (BGH, Beschl. v. 4. 6. 2004, 2 StR 163/04). |
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Regelbeispiele |
Die gesetzlichen Merkmale von Regelbeispielen sind Tatbestandsmerkmalen soweit angenähert, dass sie als "Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes" im Sinne von § 46 Abs. 3 StGB anzusehen sind. Ihr Vorliegen darf daher im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne, also innerhalb des zutreffend gewählten Strafrahmens des Regelbeispiels, nicht nochmals strafschärfend berücksichtigt werden (Doppelverwertungsverbot; BGH, Beschl. v. 22. 4. 2004, 3 StR 113/04). |
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Bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes, wird entscheidend zu Lasten des Angeklagten darauf abgestellt, dass die Geschädigte "zum Tatzeitpunkt 12 Jahre und zwei Monate alt, mithin noch sehr jung war". |
Unzulässig. Der Umstand allein, dass das Opfer erst zwölf Jahre alt war, erhöht den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat innerhalb der möglichen Schweregrade der vorwerfbaren Handlung nicht ohne weiteres. Entscheidend sind insoweit die vom Angeklagten verschuldete physische und psychische Belastung des Mädchens und der Folgeschaden (vgl. BGH, Beschl. v. 20. 10. 2004, 2 StR 398/04; s. auch BGH, Beschl. v. 1. 2. 1991, 2 StR 648/90, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Strafzumessung 3. |
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Mangelnde Intelligenz und eine "Borderline-Persönlichkeit" werden strafschärfend herangezogen. |
Unzulässig (BGH, Beschl. v. 3. 11. 2004, 2 StR 295/04). |
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Nicht vorwerfbares Tatnachverhalten Tatmodalitäten wird strafschärfend berücksichtigt. |
Unzulässig (BGH, Beschl. v. 3. 11. 2004, 2 StR 295/04). |
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Es wird strafschärfend berücksichtig, dass der Angeklagte die Tat selbst initiiert hat. |
Unzulässig. Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, das Fassen eines Tatentschlusses und die Durchführung der Tat in eigener Initiative ist der Normalfall (OLG Hamm, Beschl. v. 18. 11. 2004, 3 Ss 411/04). |
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Beim Handeltreiben mit BtM wird strafschärfend gewürdigt hat, dass der Angeklagte die Tat aus rein finanziellen Gründen und eigennützigen Motiven begangen habe. |
Unzulässig. Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, unter den Begriff des Handeltreibens fällt jede eigennützige und auf Umsatz ausgerichtete Tätigkeit (OLG Hamm, Beschl. v. 18. 11. 2004, 3 Ss 411/04). |
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Bei einer Vergewaltigung wird strafschärfend darauf abgestellt, dass der Angeklagte seine körperliche Überlegenheit schamlos zur Befriedigung seiner eigenen Wünsche und Bedürfnisse' ausnutzte, zudem auf die hohe Intensität, "mit welcher der Angeklagte aus eigensüchtigen Motiven zur Verwirklichung seiner eigenen sexuellen Interessen vorgegangen ist"' und auf den ebenfalls bestimmenden Umstand, er habe sich egoistisch aus eigensüchtigen Motiven zur Befriedigung seiner sexuellen Interessen über die körperliche Integrität der Geschädigten hinweggesetzt. |
In der Gesamtschau ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB (BGH, Beschl. v. 15. 3. 2003, 5 StR 394/03). |
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Bei einer Hehlerei wird strafschärfend erwogen, dass der Täter sich bewusst gewesen sei, rechtswidrige Vermögenszustände aufrechtzuerhalten und damit eigene Geschäfte zu machen. |
Unzulässig. Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (BGH, Beschl. v. 20. 7. 2004, 2 StR 231/04). |
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Rücktritt vom Versuch |
Ist der Täter strafbefreiend vom Versuch einer Tat zurückgetreten, so dürfen der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz sowie ausschließlich darauf bezogene Tatbestandsverwirklichungen nicht strafschärfend berücksichtigt werden (BGH, Beschl. v. 14. 7. 2004, 2 StR 223/04; Rücktrittsprivileg; vgl. BGHSt 42, 43). |
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In der Strafzumessung wird nicht erörtert, dass der vom Angeklagten durchgeführte Drogentransport unter so engmaschiger Überwachung durch den Zoll stattgefunden hat, dass eine tatsächliche Gefährdung durch das Rauschgift bei dessen Übernahme durch den Angeklagten ausgeschlossen war. |
Lückenhafte Strafzumessung, da ein bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt, nicht erörtert ist (BGH, Beschl. v. 8. 6. 2004, 5 StR 173/04; ähnlich Beschl. v. 9. 7. 2004, 2 StR 36/04; vgl. auch BGH StV 2000, 555). |
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Berücksichtigung von Folgeschäden. |
Zulässig , wenn verschuldete Tatfolge (BGH, Beschl. v. 16. 6. 2004, 2 StR 18/04). |
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Berücksichtigung von Eintragungen im Erziehungsregister nach Vollendung des 24. Lebensjahres |
Unzulässig, wenn daneben nicht auch Eintragungen im Zentralregister vorhanden sind (§ 63 Abs. 2 BZRG, BGH, Beschl. v. 1. 7. 2004, 3 StR 179/04). |
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Bei einem Missbrauch von Kindern nach § 176 StGB wird strafschärfend berücksichtigt werden, dass der Täter unter Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses gehandelt hat. |
Zulässig, auch wenn der Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) verjährt ist (BGH, Beschl. v. 9. 7. 2004, 2 StR 155/04). |
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Das bloße Dulden einer falschen Aussage in der Hauptverhandlung durch den Angeklagten wird strafschärfend gewertet. |
Unzulässig (BGH, Beschl. v. 20. 4. 2004, 4 StR 474/03; Beschl. v. 4. 12. 2003, 4 StR 439/03). |
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Prozessverhalten eines Angeklagten, mit dem er den Angaben eines Belastungszeugen entgegentritt, wird bei der Strafzumessung zu seinen Lasten berücksichtigt werden. |
Kann ggf. unzulässig sein, macht entsprechende klarstellende Ausführungen des Tatgerichts erforderlich (BGH, Beschl. v. 8. 4. 2004, 4 StR 576/03).
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Bei sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen wird bei dem Angeklagten berücksichtigt, dass er Angehöriger der öffentlichen Jugendhilfe ist. |
Zulässig, da an diesen Angeklagten höhere Anforderungen gestellt werden können (BGH, Beschl. v. 3. 2. 2004, 5 StR 488/03). |
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Der Verlust des Arbeitsplatzes und der beruflichen Stellung wird strafmildernd berücksichtigt. |
Zulässig, auch wenn das auf die prozessbegleitende Berichterstattung in den Medien zurückzuführen ist (BGH, Beschl. v. 20. 1. 2004, 1 StR 319/03; ähnlich BGH, Beschl. v. 16. 10. 2003, 5 StR 377/03, für den Verlust der Approbation beim Arzt). |
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Vernichten von Tatspuren |
I.d.R. unzulässig (BGH, Beschl. v. 3. 12. 2003, 5 StR 473/03). |
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Bei einer Verurteilung wegen Betruges wird "zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er im Schnitt jeweils vierstellige Schadensbeträge verursachte und dass die Wahrscheinlichkeit, dass die angerichteten Schäden wieder gutgemacht werden, eher bei Null anzusiedeln ist im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten." |
Unzulässig, da damit das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes strafschärfend berücksichtigt wird (OLG Hamm, Beschl. v. 18. 12. 2003, 4 Ss 658/03). |
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Das Leugnen der Tat wird strafschärfend berücksichtigt. |
Unzulässig, da es sich um ein zulässige Verteidigungsverhalten eines Angeklagten handelt. Dass dadurch der Geschädigte eine erneute gerichtliche Vernehmung nicht erspart bleibt, darf für sich gesehen nicht zu Lasten des Angeklagten gewertet werden (BGH, Beschl. v. 4. 12. 2003, 4 StR 439/03). |
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Bei einer Geiselnahme wird das verfolgte Nötigungsziel berücksichtigt. |
Zulässig, ist regelmäßig von wesentlicher Bedeutung (BGH, Beschl. v. 16. 12. 2003, 5 StR 459/03). |
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Bei der Verurteilung wegen eines Sexualdelikts wird straferschwerend gewertet, dass der Angeklagte seine eigenen sexuellen Bedürfnisse auf Kosten der Mädchen befriedigt hat, obwohl er es nach eigenen Angaben "nicht nötig hatte", ein Mädchen gegen dessen Willen anzufassen, und obwohl ihm auch das Mittel der Selbstbefriedigung zur Stillung seiner Bedürfnisse durchaus bekannt und vertraut war, verstößt dies gegen das Doppelverwertungsverbot |
Unzulässig, Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (BGH, Beschl. v. 11. 11. 2003, 4 StR 424/03). |
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Bei einem Verstoß gegen das BtMG wird strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte durch den Verkauf von Drogen andere Personen in sein kriminelles Tun verstrickt hat. |
Unzulässig, Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (BGH, Beschl. v. 28. 11. 2003, 2 StR 403/03). |
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In der Strafzumessung wird ausgeführt, dass ein Geständnis, das der Angeklagte trotz erdrückender Beweislage bis zu seinem letzten Wort nicht abgelegt habe, ggf. eine Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren mit der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung gerechtfertigt hätte. |
Unzulässig, da diese Ausführungen besorgen lassen, dass sich das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes im Ergebnis strafschärfend ausgewirkt hat (OLG Hamm, Beschl. v. 2. 12. 2003, 4 Ss 619/03) |
Das RVG ist am 1. Juli 2004 in Kraft getreten. Den Übergang von der BRAGO zum RVG regelt § 61 RVG (vgl. dazu eingehend Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, ABC-Teil, Übergangsvorschriften, Rn. 25 ff.). Danach gilt für den Pflichtverteidiger, der nach dem 1. Juli 2004 beigeordnet worden ist, das RVG. In der Rechtsprechung ist inzwischen bereits umstritten, ob das RVG auch gilt, wenn die Beiordnung des Pflichtverteidigers zwar nach dem 1. Juli 2004 erfolgt ist, dieser aber bereits vorher als Wahlanwalt für seinen Mandanten tätig gewesen ist. Teilweise wird auf diese Konstellation noch die BRAGO angewendet (vgl. z.B. LG Berlin, Beschluss vom 20. Oktober 2004, 509) 70 Js 923/04 KLs (40/04), /rvg/default.asp). Die überwiegende Meinung in der Literatur zum RVG und die bislang vorliegende Rechtsprechung von Oberlandesgerichten geht demgegenüber jedoch davon aus, dass das RVG anwendbar ist (vgl. dazu Burhoff/Volpert, a.a.O., ABC-Teil, Übergangsvorschriften, Rn. 28; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., § 60 Rn. 32; Hartmann, Kostengesetze, § 60 RVG Rn. 18; Goebel/Gottwald, RVG, § 61 Rn. 32; Bischoff/Jungbauer, RVG, § 61 RVG, Rn. 27, außerdem N.Schneider. in Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, Teil 19, Rn. 57; Hansens, RVGreport 2004, 10, 13, Volpert, RVGreport 2004, 296, 298; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 32, OLG Schleswig, Beschluss vom 30. November 2004, 1 Ws 423/04 (132/04), ebenfalls http://www.burhoff.de und aus der (früheren) Rechtsprechung und Literatur: OLG Schleswig SchlHA 1989, 80; OLG Koblenz Rpfleger 1988, 123; OLG Düsseldorf StV 1996, 165; OLG Oldenburg JurBüro 1996, 472; Enders JurBüro 1995, 2, jeweils auch mit weiteren Nachweisen zur zu § 134 BRAGO teilweise vertretenen anderen Ansicht).
Dem hat sich jetzt das OLG Hamm angeschlossen (Beschl. v. 10. 1. 2005, 2 (s) Sbd. VIII 267, 268 u. 269/04). Es hat noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Anknüpfungspunkt für die Entscheidung der Frage - entgegen der Ansicht des LG Berlin (a.a.O.) - nicht § 60 RVG ist, sondern § 61 RVG. Damit habe die Gesetzesbegründung in der BT-Dr. 15/1971, S. 203 für die Frage der Anwendung des RVG Bedeutung. Nach dem gesetzgeberischen Willen in der BT-Drucks. 15/1971 soll aber der Pflichtverteidiger, der nach dem 1. 7. 2004 bestellt wird, auf jeden Fall nach dem RVG honoriert werden. Das LG Berlin (a.a.O.) übersehe zudem, dass im Fall der Bestellung des Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger für die Frage, ob die gesetzlichen Gebühren sich nach BRAGO oder RVG richten, wenn der vor dem 1. 7. 2004 bereits als Wahlanwalt tätige Rechtsanwalt nach dem 1. 7. 2004 als Pflichtverteidiger beigeordnet wird, gerade nicht mehr die Übernahme des Wahlmandats als Anknüpfungspunkt für das anzuwendende Recht zur Verfügung steht. Die zutreffende überwiegende Meinung gehe nämlich davon aus, dass zumindest mit dem Beiordnungsantrag konkludent das Wahlmandat niedergelegt wird (vgl. dazu auch BGH NStZ 1991, 94; OLG Schleswig im Beschluss vom 30. 11. 2004, a.a.O.). Damit ist Anknüpfungspunkt für die Anwendung des Gebührenrechts nur noch die Bestellung zum Pflichtverteidiger, so dass sich die gesetzlichen Gebühren in diesen Fällen nach dem RVG richten .
Das OLG Hamm hat in seinem Beschluss vom 10. 1. 2005 (2 (s) Sbd. VIII 267, 268 u. 269/04, a.a.O.) zugleich auch zu den Voraussetzungen der Bewilligung einer Pauschgebühr nach dem neuen § 51 RVG Stellung genommen. Danach gilt:
Offen gelassen hat das OLG Hamm die Frage, wie das neu in § 51 Abs. 1 RVG aufgenommene Merkmal der "Zumutbarkeit" allgemein zu verstehen und auszulegen ist (vgl. auch dazu Burhoff/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn. 23 ff.). Jedenfalls dann, wenn der Rechtsanwalt entscheidend zur Abkürzung des Verfahrens beigetragen hat, ist nach wie vor ein großzügiger Maßstab bei der Bewilligung der Pauschgebühr heranzuziehen. Anderenfalls würden sich die Justizbehörden - so das OLG Hamm - widersprüchlich verhalten (Beschl. v. 10. 1. 2005, a.a.O.).
Tipp/Hinweis: Pauschgebühr: Umfang der Prüfung; Abgeltungsbereich der Grundgebühr Nach Auffassung des OLG Jena (Beschl. v. 11. 2. 2005, ARs 185/04) erfolgt die Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Pauschgebühr nach § 51 RVG (für das gesamte Verfahren oder einzelne Verfahrensabschnitte) besteht, - wie auch im Verfahren nach § 99 BRAGO - regelmäßig in der Weise, dass untersucht wird, inwieweit die besondere Schwierigkeit und/oder der besondere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich einzelner Gebührenanteile zu berücksichtigen ist. Bei außergewöhnlich zeitaufwändigen Verfahren, u.a. umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren bzw. Indizienprozessen, kann im Einzelfall auch eine pauschale Betrachtung angezeigt sein. Nach Auffassung des OLG (a.a.O.) soll die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG den Aufwand honorieren, der einmalig mit der Übernahme des Mandats entsteht, also das erste Gespräch mit dem Mandanten und die Beschaffung der erforderlichen Informationen (vgl. BT-Dr. 15/1971 S. 222). Dazu gehört vor allem auch die erste Akteneinsicht nach § 147 StPO (so auch Burhoff/Burhoff, a.a.O., Nr. 4100 VV RVG Rn. 13. |
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