Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

aus RVGreport 2016, 42

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Fragen aus der Praxis zu Gebührenproblemen in Straf – und Bußgeldverfahren aus dem Jahr 2015

von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster /Augsburg

Ich habe in den vergangenen Jahren über die Fragen, die in meinem gebührenrechtlichen Forum auf www.burhoff.de und jetzt auf www.burhoff-rvg-forum.de, im Rechtspflegerforum (www.rechtspflegerforum.de) diskutiert aber auch in an mich gerichteten Einzelanfragen oder auf Seminaren immer wieder gestellt worden sind, berichtet (vgl. zuletzt RVGreport 2015, 242 m.w.N. zu früheren Beiträgen). Die nachfolgenden Ausführungen knüpfen daran an und stellen weitere Fragen und Antworten, die die Praxis bewegt haben, vor.

I. Vorschuss vom Mandanten/der Rechtsschutzversicherung (§ 9 RVG)

Folgendes Problem: In einem Bußgeldverfahren macht der RA bei der Rechtsschutzversicherung ein Vorschuss auf die Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und die Nr. 5151 VV RVG geltend. Die Rechtsschutzversicherung hat den Vorschuss nicht in voller Höhe gezahlt. Der Verteidiger hat sie auf den Rest verklagt. Inzwischen ist das Verfahren nach Erlass des Bußgeldbescheides und Einspruch im gerichtlichen Verfahren beim Bußgeldrichter des AG anhängig. Im Zivilverfahren macht die Rechtsschutzversicherung geltend, dass ein Anspruch auf Vorschuss nicht mehr bestehe, da das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde bereits abgeschlossen ist und das gerichtliche Verfahren laufe sei die Angelegenheit „vorbereitendes Verfahren“ abgeschlossen; vorbereitendes Verfahren bei der Verwaltungsbehörde und gerichtliches Verfahren seien nach § 17 Nr. 11 RVG unterschiedliche Angelegenheiten mit unterschiedlichen Fälligkeitszeitpunkten. Zutreffend?

Meine Lösung: Nach den Änderungen durch das 2. KostRMoG in § 17 Nr. 11 RVG ist ausdrücklich klargestellt, dass im Bußgeldverfahren das vorbereitende Verfahren vor der Bußgeldbehörde und das gerichtliche Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Angelegenheiten [§§ 15 ff.], Rn. 127 ff.) . Das hat nicht nur Auswirkungen im Hinblick auf die anfallenden Gebühren, sondern auch im Hinblick auf den Eintritt der Fälligkeit nach § 8 Abs. 1 Satz 2 RVG (Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Fälligkeit der Vergütung [§ 8], Rn. 769; N. Schneider DAR 2013, 175, 176). Die Rechtsschutzversicherung hat mit ihrem Einwand also Recht. Mit Eintritt in das gerichtliche Verfahren ist das „vorbereitende Verfahren“ abgeschlossen und damit die Vergütung des RA fällig. Mit Fälligkeit der Vergütung des RA gem. § 8. Abs. 1 RVG kann aber ein Vorschuss nach § 9 RVG nicht mehr verlangt werden, vielmehr muss der RA nach § 10 RVG abrechnen (AG Berlin-Lichtenberg RVGreport 2013, 306 = AGS 2013, 274).

II. Angelegenheiten

1. Verweisung/Abgabe (§ 20 RVG)

Folgende Fragestellung: Der RA hat in einer Schwurgerichtssache verteidigt. Das Schwurgericht hat ein Verfahren hinzuverbunden, das zunächst beim AG anhängig war und dann an die Schwurgerichtskammer abgegeben wurde, dort aber nur als KLs-Sache geführt wurde. Der Verbindungsbeschluss des Schwurgerichts lautet: „Die Verfahren Ks und KLs werden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.“ Der RA fragt sich, welche Verfahrensgebühren anfallen.

Lösung: Für das Schwurgerichtsverfahren entsteht die Verfahrensgebühr Nr. 4118, 4119 VV RVG. Diese ist m.E. auch für das hinzuverbundene Verfahren entstanden. Dieses hatte zwar seinen Ursprung beim AG, die (gerichtliche) Verfahrensgebühr entsteht aber immer aus dem Rahmen des höchsten mit der Sache befassten Gerichts (LG Bad Kreuznach, RVGreport 2011, 226 = StRR 2011, 282 = AGS 2011, 435; Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Verweisung/Abgabe [§ 20], Rn. 2331 ff.). Das gilt sowohl für den Fall, dass sich durch die Verweisung/Abgabe der Gebührenrahmen reduziert (vgl. die Fallgestaltung bei LG Bad Kreuznach, a.a.O.), als auch, dass er sich erhöht. Die Gebühren fallen im Ausgangsfall im Übrigen auch mit Zuschlag an, da es nicht darauf ankommt, in welchem Verfahren sich der Beschuldigte in Haft befindet (OLG Hamm RVGreport 2010, 27 = AGS 2010, 17; LG Bochum StRR 2009, 283 [Ls.], Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 110; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorbem. 4 Rn. 49).  

2. „Zurückverweisung“

Eine besondere Form der „Zurückverweisung“ spielt in folgender Fallkonstellation eine Rolle: Der Verteidiger verteidigt einen Mandanten beim AG - Schöffengericht. Dieses hat das Verfahren nach § 270 StPO an das LG verwiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde vom LG als unzulässig verworfen. Dann hat die Strafkammer das Verfahren wieder an das AG/Schöffengericht (zurück)verwiesen, da der Verweisungsbeschluss im Widerspruch zu Grundprinzipien der rechtstaatlichen Ordnung stehe und unhaltbar sei (zu dieser Verweisungsproblematik Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl., 2015, Rn. 3227 m.w.N.). Der Verteidiger fragt nach den gebührenrechtlichen Auswirkungen dieses „Hin und Her“.

Die Lösung: Gebührenrechtlich bleibt es sowohl nach der Verweisung vom AG an das LG als auch bei der Zurückverweisung vom LG an das AG „dieselbe Angelegenheit“ i.S. des § 15 RVG. D.h., dass nach § 15 Abs. 2 RVG die gerichtliche Verfahrensgebühr auf jeden Fall nur einmal entstanden ist. Es handelt sich hier ja nicht um eine Zurückverweisung i.e.S. des § 21 RVG, mit der Folge, dass eine neue Angelegenheit vorliegt und alle Gebühren noch einmal entstehen können (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Zurückverweisung [§ 21], Rn. 2407). Die gerichtliche Verfahrensgebühr entsteht allerdings aus dem landgerichtlichen Rahmen (LG Bad Kreuznach, RVGreport 2011, 226 = StRR 2011, 282 = AGS 2011, 435). Und das „Hin und Her“ muss ggf. bei der Bemessung der Gebühr über § 14 Abs. 1 RVG gebührenerhöhend berücksichtigt werden.

3. Gebühren bei Wiederaufnahmeantrag gem. § 37 Abs. 1 BtMG

Problemstellung: Welche Gebühren erhält der Verteidiger bei einem Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft, wenn dieser nach der vorläufigen Einstellung gem. § 37 Abs. 1 BtMG gestellt wird? Handelt es sich dabei um eine eigene Angelegenheit i.S. des § 17 Nr. 13 RVG? Gilt eine ggf. erfolgte Pflichtverteidigerbestellung fort?

Die Lösung: Es handelt sich nicht um eine „Wiederaufnahme“ i.S. des § 17 Nr. 13 RVG. Das Verfahren war nur vorläufig nach § 37 BtMG eingestellt und wird nun, weil der Beschuldigte den Auflagen nicht nachgekommen ist, fortgesetzt. Da es sich also um kein neues Verfahren handelt und die Bestellung eines Pflichtverteidigers für das gesamte Verfahren wirkt, gilt eine bereits erfolgte Pflichtverteidigerbestellung fort.

Es gilt im Übrigen § 15 RVG, da es sich auch nach der „Wiederaufnahme“ um dieselbe Angelegenheit handelt. Das bedeutet, dass der RA die Verfahrensgebühr, wenn er den Verurteilten im Zurückstellungsverfahren vertreten hat, nach § 15 Abs. 2 RVG nicht noch einmal verdient, wenn er ihn im "Wiederaufnahmeverfahren" (weiter) vertritt. Das ursprüngliche Verfahren wird fortgesetzt.

III. Pauschgebühr (§§ 42, 51 RVG)

1. Pauschgebühr für die Einarbeitung

Folgende Problematik bei der Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG. Der Pflichtverteidiger will in einem Verfahren mit einem umfangreichen Aktenmaterial einen Pauschgebührenantrag nach § 51 RVG stellen. Das gesamte Aktenmaterial belief sich in dem Verfahren auf über 16.500 Seiten. Diese verteilten sich auf Hauptakten, Fallakten, die beigezogene Akte nebst dortigen Sonderheften etc. Beweismittelordner, Finanzermittlungen und sonstige Sonderhefte und wurden ihm alle digital zur Verfügung gestellt, lagen also auch dem Gericht vor. Der Verteidiger will auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf v. 23. 6. 2015 (3 AR 65/14, StRR 2015, 358 = JurBüro 2015, 635) verweisen. Dieses ist davon ausgegangen, dass angesichts der Höhe der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG vom (Pflicht)Verteidiger (nur) das Studium einer Akte von i.d.R. nicht mehr als 500 Blatt erwartet werden kann. Allerdings spricht das OLG in dem Zusammenhang von „Sachakte“. Für den Pflichtverteidiger stellte sich die Frage, ob „Sachakten“ i.S.d. § 147 Abs. 1 StPO z.B. auch die Beiakten, wie Sonderhefte usw. sind.

Lösung: Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschl. v. 23. 6. 2015 (a.a.O.)  in der Tat den Begriff der „Sachakte“ verwendet, ohne näher darzulegen, was darunter zu verstehen ist. An der Stelle wird es also Auslegungsschwierigkeiten mit den Vertretern der Staatskasse geben. M.E. wird man unter diesen Begriff alle dem Gericht vorzulegenden und alle diesem vorliegenden Aktenteile, also auch Sonderhefte etc., fassen können/müssen. Die Pflicht des Verteidigers, sich einzuarbeiten, bezieht sich im Übrigen auf alle dem Gericht vorliegenden Akten. Dazu gehören auch Beiakten, so dass man diese in die Berechnung miteinbeziehen muss.

2. Pauschgebühr und Übergangsrecht

Eine weitere Frage zur Pauschgebühr befasste sich mit den Auswirkungen vom RVG a.F. zu den höheren Gebührensätzen nach dem RVG in der Fassung des 2. KostRMoG. Der RA verteidigt schon seit Anfang 2013 in einem Umfangsverfahren als Pflichtverteidiger zusammen mit mehreren anderen RÄ. Aufgrund eines krankheitsbedingten Ausfalls eines der Pflichtverteidiger wurde im Sommer 2014 ein neuer Verteidiger beigeordnet. Dieser erhält aufgrund der Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG seine Gebühren nach dem seit dem 1.8. 2013 geltenden RVG, also höhere gesetzliche Gebühren als die anderen Pflichtverteidiger, die nach den alten Gebührensätzen bezahlt werden (zur Übergangsregelung beim Pflichtverteidiger, bei dem es im Hinblick auf das anwendbare Recht auf den Zeitpunkt der Bestellung ankommt, s. zuletzt OLG Nürnberg RVGreport 2015, 181 = StRR 2015, 157 = AGS 2015, 171 = Rpfleger 2015. 355). Die Frage war, ob das im Rahmen der Pauschgebühr ggf. für die „alten“ Pflichtverteidiger ausgeglichen werden kann?

Lösung: Die Frage ist in der Rechtsprechung bereits entschieden. Das OLG Hamm hat in Zusammenhang mit der Problematik Übergang BRAGO/RVG im OLG Hamm, Beschl, v. 22. 9. 2005 (2 [s[] Sbd. VIII - 181/05, RVGreport 2005, 419) entschieden: „Sind in einem Verfahren mehrere Pflichtverteidiger tätig, von denen der eine seine gesetzlichen Gebühren nach der BRAGO erhält, der andere aber schon nach RVG, lässt sich eine höhere als die nach der BRAGO angemessene Pauschgebühr für den Rechtsanwalt, der nach BRAGO abrechnet, nicht damit begründen, dass sein Mitverteidiger insgesamt nach dem RVG abrechnet und ihm damit für die gleiche Tätigkeit höhere Gebühren zustehen.“ (s. auch Burhoff/Burhoff, RVG, § 51 Rn. 163). Diese Rechtsprechung lässt sich auf den Übergang der Gebührensätze des „alten“ RVG zu den Sätzen des 2. KostRMoG entsprechend anwenden.

3. Pauschgebührenverfahren

Zum Pauschgebührenverfahren stellte sich folgende grundsätzliche Frage: Sieht das Gesetz vor, dass der Nebenklägerbeistand vor Geltendmachung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG den Weg über die weitere Geltendmachung von erhöhten Wahlverteidigergebühren beschreiten, wenn der Verurteilte die Kosten des Verfahrens inklusive die des Nebenklägers zahlen muss? Hat nicht vielmehr der Pflichtverteidiger/der Nebenklägerbeistand unabhängig vom Ausgang des Verfahrens einen Kostenschuldner- nämlich die Staatskasse?

Die Antwort lautet: Nein, das ist nicht erforderlich. Denn der Anspruch des beigeordneten oder bestellten RA nach § 45 RVG unterscheidet sich vom Kostenerstattungsanspruch des Angeklagten/Nebenklägers (vgl. dazu BVerfG StRR 2009, 276 = StraFo 2009, 274 = VRR 2009, 318; OLG Frankfurt/Main JurBüro 2011, 34; LG Magdeburg RVGreport 2014, 343 = StRR 2014, 269).

IV. Übergangsrecht (§ 60 RVG)

Aus dem „Rechtspflegerforum“ stammt folgender Sachverhalt: Der RA wird als Nebenklägervertreter schon 2012 im Verfahren tätig und stellt einen Antrag auf Beiordnung. Dieser wird im Februar 2012 zurückgewiesen. Die zunächst eingelegte Beschwerde wird vom RA zurückgenommen. Die Hauptverhandlung findet in dem Verfahren dann erst im April 2014 statt. Der RA beantragt erneut seine Beiordnung. Nun wird der RA dem Nebenkläger beigeordnet. Bei der Abrechnung werden neben der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 4104 VV RVG und die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren sowie die Terminsgebühr geltend gemacht. Es stellt sich die Frage: Altes Recht oder das Recht des RVG in der Fassung des 2. KostRMoG? Und außerdem: Können ggf. nur die Gebühren geltend gemacht werden, die ab dem Zeitpunkt der Beiordnung im April 2014 entstanden sind.?

Die Lösung: Für die Frage, welches Recht anwendbar ist, ist auf § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG zu verweisen. Da davon auszugehen sein dürfte, dass der unbedingte Auftrag an den RA schon 2012 erteilt worden ist, findet nach überwiegender Meinung altes Recht Anwendung. Denn es wird davon ausgegangen, dass – anders als beim Pflichtverteidiger - das Wahlmandat durch die Bestellung zum Beistand nicht erlischt (KG RVGreport 2005, 262 = AGS 2005, 450; OLG Düsseldorf AGS 2006, 135 OLG Hamm RVGreport 2004, 419 = AGS 2005, 556; Burhoff/Volpert, RVG, 4. Aufl. 2014, Teil A: Rn. 1946 f.). Anknüpfungspunkt ist also die Auftragserteilung in 2012

Über § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG erhält der Nebenklägerbeistand aber auch die vor seiner Beiordnung in seiner Funktion als Wahlanwalt entstandenen Gebühren als gesetzliche Gebühren. Die Grundsätze der Erstreckung nach § 48 RVG gelten auch für den Nebenklägerbeistand (zur Erstreckung die Kommentierung zu § 48 Abs. 6 RVG bei Burhoff/Burhoff, RVG, m.w.N.).

V. Teil 4 VV RVG

1. Gebühren im Sicherungsverfahren

Für einen Fragesteller ergab sich ein Problem mit der gebührenrechtlichen Abwicklung eines Sicherungsverfahrens nach § 413 ff. StPO. Er hatte der Kommentierung bei Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.2 VV Rn. 4 entnommen, dass Urteile im Sicherungsverfahren zur Strafvollstreckung gehören und wollte daraus den Schluss ziehen, dass daher im Sicherungsverfahren nur die Gebühren Nr. 4200 ff. VV RVG.  abgerechnet werden können. Irritiert war er dann durch den in einem Sicherungsverfahren ergangenen Beschluss des KG v. 10. 11. 2006 (4 Ws 166/06, RVGprofessionell 2007, 41) in der das KG dem RA jedoch Gebühr nach den Nrn. 4100 ff. VV RVG gewährt hatte.

Die Lösung liegt m.E. auf der Hand: Beim Sicherungsverfahren nach den § 413 ff. StPO handelt sich um eine „Strafsache“ in Form eines besonderen Erkenntnisverfahren, das bis zum Erlass des Urteils nach den (normalen) Regeln der StPO abläuft. Abgerechnet wird also nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG (Burhoff/Burhoff, RVG Vorbem. 4 VV Rn. 7). Erst wenn es um die Vollstreckung des im Erkenntnisverfahren ergangenen Urteils geht, greifen die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG – „Strafvollstreckung“ ein.

2. Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren

Die Frage, welche Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren entstanden ist, ergab sich aus folgendem Sachverhalt: Das AG hat drei Angeklagte H, G und A am 12. 5. 2014 u.a. wegen Raubes mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Pflichtverteidigerin des Angeklagten H. mit Schriftsatz vom 19. 5. 2014 Rechtsmittel eingelegt. Der Angeklagte G. ließ mit Verteidigerschriftsatz vom 17. 5. 2014 Berufung, der Angeklagte A. mit Verteidigerfax vom 19. 5. 2014 Rechtsmittel einlegen, welches er in der Folgezeit nicht weiter begründete. Die Pflichtverteidigerin des Angeklagten H. hat das von ihr eingelegte Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 13. 7. 2014 als Revision bezeichnet und diese form- und fristgerecht begründet. Vor dem LG wurden sämtliche Rechtsmittel gem. § 335 Abs. 3 Satz 1 StPO als Berufung behandelt und mit Urteil vom 12. 5. 2014 alle kostenpflichtig verworfen. Die Pflichtverteidigerin des Angeklagten H. hat in ihrem Vergütungsfestsetzungsantrag die Revisionsverfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG in Ansatz gebracht. Das AG hat nur die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren gem. Nr. 4124 VV RVG angesetzt.

Lösung: Das Problem ist inzwischen gerichtlich geklärt. Das LG Memmingen (vgl. RVGreport 2015, 307 = StRR 2015, 320) hat die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG für das Revisionsverfahren gewährt. Das ist m.E. zutreffend. Zwar wird Verfahren in den Fällen unterschiedlicher Rechtsmittel gegen ein Urteil nach § 335 Abs. 2 StPO als Berufung geführt. Allerdings muss in solchen Konstellationen der Verteidiger, der Revision eingelegt hat, immer im Auge behalten, dass ggf. das von einem anderen Verfahrensbeteiligten eingelegte Rechtsmittel der Berufung zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird. Dann kann er die Fortsetzung des Verfahrens mit seiner Revision nur erreichen/sicher stellen, wenn diese rechtzeitig begründet worden ist. Ist das nicht geschehen, wird seine Revision als unzulässig verworfen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 335 Rn. 17 m.w.N.). Das bedeutet, dass der Verteidiger – aus anwaltlicher Vorsorge – seine Revision auf jeden Fall begründen und den Mandanten entsprechend beraten muss, er also eine originäre Tätigkeit im Revisionsverfahren, die mit der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG und eben nicht mit der Nr. 4124 VV RVG honoriert wird, erbringt. Und diese Revisionsverfahrensgebühr bleibt ihm – unabhängig davon, wie sich das Verfahren weiter gestaltet – erhalten. Das ist der Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 VV RVG.

3. Wiederaufnahmeverfahren (Nrn. 4136 ff.; § 17 Nr. 13 RVG)

Für einen RA stellte sich folgendes Problem: Der RA hatte für einen Mandanten, den er zuvor nicht verteidigt hatte, erfolgreich ein Wiederaufnahmeverfahren betrieben. Das AG hat den Mandanten dann nach § 371 Abs. 2 StPO freigesprochen. Der RA hat die Festsetzung folgender Kosten beantragt: Nr. 4136, 4137, 4138 VV RVG und dreimal die Nr. 7002 VV RVG sowie die Nrn. 4100, 4106, 4141, 7002 VV RVG. Die letzteren Gebühren hat er damit begründet, dass er, wenn es letztlich zu einem Freispruch gekommen ist, sich bereits wieder im wiederaufgenommen Verfahren befunden habe, so dass auch die Grund- und die Verfahrensgebühren angefallen seien. Der Rechtspfleger hat diese Gebühren nicht festgesetzt.

Lösung: Die Auffassung des Rechtspflegers ist zutreffend. Die Entscheidung nach § 371 Abs. 2 StPO, in der der Freispruch des Mandanten erfolgt ist, ist die abschließende Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren. Es handelt sich noch nicht um eine Entscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren. Es können also insoweit keine Gebühren entstehen, § 17 Nr. 13 RVG greift (noch) nicht ein. Die Nr. 4141 VV RVG wird man allerdings diskutieren können (vgl. dazu LG Dresden StraFo 2006, 475). Im Wiederaufnahmeverfahren ist allerdings dreimal die Nr. 7002 VV RVG entstanden. Es handelt sich um drei unterschiedliche Angelegenheiten, die mit der Geschäftsgebühr Nr. 4136 VV RVG und den Nrn. 4137, 4138 VV RVG abgerechnet werden (Burhoff Vorbem. 4.1.4 VV Rn. 4, 16).

4. Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG

Folgende Fragestellung: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen einen Jugendlichen an dessen Wohnsitzamtsgericht. Ein anderes AG, bei dem eine weitere Anklage hängt, zieht die Sache an sich. Da dieses andere AG aber inzwischen örtlich unzuständig ist, rügt der Verteidiger das und beantragt Einstellung nach 206a StPO. Das Verfahren wird eingestellt. Die Staatsanwaltschaft erhebt erneut Anklage zum örtlich zuständigen Gericht. Die Rechtspflegerin ist der Ansicht, Nr. 4141 VV RVG sei nicht entstanden, da die Sache nur vorläufig eingestellt worden sei.

Zur Lösung: Die Rechtspflegerin irrt. Bei der Einstellung nach § 206a StPO handelt es sich nämlich nicht um eine nur vorläufige Einstellung i.S. der Nr. 4141 VV RVG (s. auch AG Magdeburg Rpfleger 2000, 154 zur BRAGO; Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn. 27; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV 4141 Rn. 7). Das (ursprüngliche) Verfahren wird und ist wegen eines Verfahrenshindernisse beendet; es ergeht ja auch eine eigenständige Kostenentscheidung über die im eingestellten Verfahren entstandenen Kosten. Es ist dann die - eigenständige - Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ob ein neues/weiteres Verfahren eingeleitet wird und noch einmal Anklage erhoben wird. Das ist aber ein anderes/neues Verfahren und nicht (nur) die Fortführung des ersten Verfahrens. Das zeigt sich auch schon darin, dass das neue Verfahren ein eigenes anderes Aktenzeichen erhält als das ursprüngliche Verfahren. Also ist die Nr. 4141 VV RVG entstanden.

Und: Im neuen Verfahren entstehen dann auch die Verfahrensgebühren und ggf. Terminsgebühren neu, da es sich um eine andere Angelegenheit handelt (§ 15 RVG). Die Grundgebühr entsteht allerdings nicht noch einmal, da der Rechtsfall i.S. der Nr. 4100 VV RVG derselbe ist (zum Begriff des Rechtsfalls und zu Grundgebühr Burhoff RVGreport 2014, 42).

5. Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG

Im „Rechtspflegerforum“ ist folgender Sachverhalt diskutiert worden: In einem Strafverfahren wegen Beleidigung wird der "Verletzte" im Hauptverhandlungstermin als Zeuge gehört. Nach seiner Aussage übergibt ihm der Angeklagte 250,- EUR als Entschädigung für die Beleidigung. Der Pflichtverteidiger erklärt, dass dies als Täter-Opfer-Ausgleich angesehen werden kann und regt Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO an. Der Angeklagte wird zu einer Geldstrafe verurteilt, im Urteil wird von einem Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a StGB) ausgegangen. Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung macht der Pflichtverteidiger eine gesetzliche Gebühr nach Nr. 4143 VV RVG gelten. Dies begründet er damit, dass in den Urteilsgründen die Zahlung als Täter-Opfer-Ausgleich anerkannt worden sei. Die Gebühr entstehe auch, wenn vermögensrechtliche Ansprüche im Strafverfahren lediglich mit erledigt werden, z.B. im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs. Der "Verletzte" = Zeuge hatte allerdings im gesamten Verfahren keinerlei finanzielle Ansprüche an den Angeklagten gestellt. Der Rechtspfleger hat die Gebühr nicht festgesetzt.

Lösung: M.E. hat der Rechtspfleger aus zwei Gründen Recht.

  • Die Festsetzung der Gebühr Nr. 4143 VV RVG dürfte nach h.M. schon daran scheitern, dass die „normale“ Pflichtverteidigerbestellung sich auf mit der Gebühr Nr. 4143 VV RVG honorierte Tätigkeiten nicht „erstreckt“ (§ 48 RVG) (vgl. die Nachweise – auch zur a.A. – bei Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4143 VV Rn. 19 ff.). Eine ausdrückliche „Erweiterung“ der Pflichtverteidigerbestellung ist nach dem Sachverhalt nicht erfolgt.
  • Es liegen darüber hinaus aber auch die Voraussetzungen der Nr. 4143 VV RVG nicht vor. Das Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG nicht von einem förmlichen Adhäsionsantrag nach § 404 Abs. 1 StPO ab (OLG Jena RVGreport 2010, 106 = AGS 2009, 587 m. Anm. N. Schneider = StRR 2010, 114 = NJW 2010, 455; OLG Nürnberg RVGreport 2014, 72 = StraFo 2014, 37 = NStZ-RR 2014, 63 = JurBüro 2014, 135; LG Braunschweig RVGreport 2012, 299 = JurBüro 2014, 135; Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn. 12; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, VV 4143 Rn. 6). Vielmehr entsteht entsprechend der Vorbem. 4 VV RVG diese zusätzliche Verfahrensgebühr mit der ersten Tätigkeit des RA, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden. Nach dem Sachverhalt war aber kein erstinstanzliches Verfahren über vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten anhängig, der Verletzte hatte gerade keine Ansprüche geltend gemacht. Es ging lediglich um eine Zahlung, mit der der Angeklagte lediglich seine prozessrechtliche Situation verbessern wollte. Der Rat des Verteidigers zu dieser Zahlung und der Hinweis, dass nach der Zahlung ein Täter-Opfer-Ausgleich anzunehmen ist, ist durch die gerichtliche Verfahrensgebühr mit abgegolten.

6. Einzeltätigkeit (Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG)

a) Prüfung des Kostenansatzes

Folgende Frage beschäftigte einen RA: Der Mandant erscheint nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe mit der Kostenrechnung der Landeskasse, weil er sie nicht nachvollziehen kann und sie ihm sehr hoch erscheint. Der RA soll die Kostenrechnung prüfen. Dabei ergibt sich, dass Kosten mehrerer Verfahren geltend gemacht werden. Der RA war nicht Verteidiger des Mandanten in den der Kostenrechnung zugrunde liegenden Verfahren. Er fragt sich, welche Gebühren für die Prüfung der Kosten entstehen, insbesondere, ob die Nr. 4301 Ziff. 6 VV RVG angefallen ist.

Die Antwort lautet: M.E. ist die Tätigkeit im Rahmen der Überprüfung des Kostenansatzes nicht unter Nr. 4301 Ziff. 6 oder Nr. 4302 Ziff. 3 VV RVG zu fassen. Es handelt sich nicht mehr um eine nach Teil 4 VV RVG abzurechnende Strafsache mehr. Das Kostenansatzverfahren gem. § 19 GKG ist vielmehr ein Verfahren der Justizverwaltung. Das zeigt auch die Vorbem. 4 Abs. 5 Nr. 1 VV RVG, wonach für die Erinnerung gegen den Kostenansatz eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG anfällt. Die Gebühren dürften sich daher nach Teil 3 VV RVG oder im Falle eines reinen Beratungsauftrages nach § 34 RVG richten.

b) Beantragung von Besuchserlaubnissen

Ein Pflichtverteidiger hatte folgendes Problem: Er ist dem inhaftierten Mandanten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Inzwischen wird an ihn herangetragen, dass er laufend neue Besuchserlaubnisse für die Mutter, Freundin, Oma, Tante usw. des Mandanten beantragen. Er fragt, ob er für diese Tätigkeiten gesondert etwas abrechnen kann.

Lösung: Eine Abrechnung über die Pflichtverteidigergebühren wird im Zweifel nicht möglich sein, da es sich, wenn nicht der Mandant den Auftrag erteilt hat, nicht um Verteidigertätigkeit für den Angeklagten handelt. Eine Abrechnung wäre auch, wenn überhaupt, nur, über eine Pauschgebühr nach § 51 RVG möglich, da ansonsten als gesetzliche Gebühren ja nur Pauschalgebühren anfallen. Insoweit gilt dann Vorbem. 4.1 Abs. 2 VV RVG). Zu denken wäre, wenn der Auftrag zur Beantragung der Besuchserlaubnisse nicht vom Mandanten erteilt ist, sondern von den potentiellen Besuchern ggf. an eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 Ziff. 3 VV RVG. Gegenüber den Besuchern ist der RA nicht Verteidiger, so dass die Subsidiaritätsklausel der Vorbem. 4.3 Abs. 1 VV RVG nicht eingreift.

VI. Bußgeldverfahren/Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG

Bei der Abrechnung eines straßenverkehrsrechtlichen Verfahrens stellte sich für den Verteidiger folgende Problematik: Das Verfahren ist eingestellt worden, und zwar teilt die Staatsanwaltschaft mit: „ ...das Ermittlungsverfahren gegen Ihren Mandanten habe ich gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Hinsichtlich der Ordnungswidrigkeit erfolgte Einstellung gemäß § 47 OWiG...". Der Verteidiger fragt, ob er auch die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG abrechnen kann.

Lösung. Nein, entstanden ist für die Einstellung, an der der Verteidiger mitgewirkt hat, nur die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG. Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG ist nicht noch zusätzlich entstanden. Das Verfahren ist als Strafverfahren geführt worden, so dass nur Gebühren nach Teil 4 VV RVG entstehen können (vgl. Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 7 und Vorbem. 5 VV Rn. 8). Etwas Anderes folgt nicht aus § 17 Nr. 10 RVG. Denn da ist nicht der gleichzeitige Anfall von Gebühren im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und im Bußgeldverfahren, sondern das Entstehen von Gebühren in einem sich nach Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens anschließenden Bußgeldverfahren.


Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".