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aus RVGreport 2014, 210

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Angelegenheiten in Straf- und Bußgeldsachen – Teil 1: Dieselbe Angelegenheit (§ 16 RVG)

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster /Augsburg

Der Begriff der „Angelegenheit“ ist für die Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit von erheblicher Bedeutung. Von der Einordnung der anwaltlichen Tätigkeit in eine bestimmte Angelegenheit hängt es ab nämlich, ob und welche Gebühren der Rechtsanwalt erhält. Die mit den Angelegenheiten zusammenhängenden Fragen der der anwaltlichen Vergütung sind in den §§ 15 ff. RVG geregelt. Die Vorschriften sind Grundlage für das Gebührensystem des RVG, das die anwaltliche Tätigkeit in gebührenrechtliche Angelegenheiten aufteilt. Mit den nachfolgenden Ausführungen wollen wir dazu eine Reihe beginnen, die– bezogen auf die Teile 4 und 5 VV RVG, also Straf- und Bußgeldsachen – die insoweit gebührenrechtlich relevanten Probleme behandelt. Dargestellt werden zunächst die „dieselbe Angelegenheit (§ 16 RVG) betreffenden Fragen, daran schließen sich die Fragen des 17 RVG („verschiedene Angelegenheiten“9 und die des § 19 RVG („Rechtszug“) an.

I. Begriff der Angelegenheit

Der Begriff der „Angelegenheit“ ist im RVG nicht definiert. Maßgebend für die Abgrenzung von Angelegenheiten sind drei Punkte, nämlich die Frage, ob ein (einheitlicher) Auftrag vorliegt, ob sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im gleichen Rahmen hält und ob zwischen einzelnen Handlungen und Gegenständen der anwaltlichen Tätigkeit ein innerer Zusammenhang besteht (vgl. zum Begriff der Angelegenheit u.a. noch einmal BGH NJW 2010, 3035 = JurBüro 2010, 638 = RVGreport 2011, 16 m.w.N.; NJW 2011, 155 = AGS 2010, 590 = JurBüro 2011, 82; NJW 2011, 3167 = JurBüro 2011, 522 = RVGreport 2011, 339; s. auch Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014, Teil A: Angelegenheiten [§§ 15 ff.], Rn. 89; AnwKomm-RVG/N. Schneider, RVG, 7. Aufl. 2013, § 15 Rn. 22 ff.; Gerold/Schmidt/Mayer, § 15 Rn. 2 ff.; Braun/Schneider, in: Hansens/Braun/Schneider, Teil 1, Rn. 233 ff. m.w.N.). Unter einer (gebührenrechtlichen) „Angelegenheit“ ist danach das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für seinen Auftraggeber erledigen soll. Dieses umfasst sämtliche Tätigkeiten von der Erteilung des (Verteidigungs-)Auftrags bis zu seiner Erledigung;

Der Begriff der Angelegenheit ist deshalb von Bedeutung, weil von ihm der Abgeltungsbereich der Gebühren abhängt. Nach § 15 Abs. 2 RVG erhält der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit seine Vergütung nur einmal. Bei verschiedenen Angelegenheiten (vgl. dazu § 17 RVG) erhält der Rechtsanwalt für jede Angelegenheit gesondert seine Vergütung. Das gilt insbesondere auch für die Auslagen nach Teil 7 VV RVG.

II. Dieselbe Angelegenheit (§ 16 RVG)

Wann es sich um dieselbe Angelegenheit handelt, ist u.a. in § 16 RVG geregelt (wegen der allgemeinen Einzelh. s. AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 15 Rn. 22 ff. m.w.N.). Über die die dort ausdrücklich erwähnten Fälle hinaus, kann aber auch in anderen Fällen von „derselben Angelegenheit“ ausgegangen werden.

1. Vorbereitendes Verfahren und gerichtliches Verfahren

Bis zu den Änderungen durch das 2. KostRMoG v. 23.07.2013 (BGBl 2013, 2586) war die Frage, ob im Strafverfahren das „vorbereitende Verfahren“ und das „gerichtliche Verfahren“ dieselbe oder verschiedene Angelegenheiten sind, nicht (ausdrücklich) geregelt. Die Fragen waren in Rechtsprechung und Literatur erheblich umstritten. Zutreffend war es, davon auszugehen, dass es sich um „verschiedene Angelegenheiten“ handelt (s. Burhoff/Burhoff, RVG [3. Aufl.], Teil A: Angelegenheiten {§3 15 ff.], Rn. 71, 90 ff.; AnwKomm-RVG/N. Schneider [6. Aufl.], Vor VV 4106 ff. Rn. 3 ff. und VV 7001 – 7002 Rn. 33; Schneider, in: Hansens/Braun/Schneider, Teil 15, Rn. 274; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG [20. Aufl.], Einl. Vorb. Teil 4.1 VV Rn. 2; Schneider, AGS 2005, 7, jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung; a.A. u.a. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe [20. Aufl.], § 17 Rn. 55 ff.; [für das Bußgeldverfahren]; OLG Saarbrücken, AGS 2007, 78 = NStZ-RR 2007, 127).

Die Frage ist vom Gesetzgeber durch das 2. KostRMoG geklärt. In § 17 Nr. 10a RVG ist jetzt die ausdrückliche Regelung enthalten, dass es sich um verschiedene Angelegenheiten handelt. Die vorstehende Streitfrage hat damit nur noch Bedeutung für die Verfahren, in denen die Neuregelung in § 17 Nr. 10a, aufgrund der Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG (noch) nicht gilt. Folge dieser (Neu)Regelung ist, dass der RA als Verteidiger in jeder dieser Angelegenheiten die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG abrechnen (vgl. die dortige Anm. 1).

2. Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und gerichtliches Verfahren

Ebenso wie im Strafverfahren das Verhältnis von vorbereitendem Verfahren und gerichtlichem Verfahren umstritten war, war für das Bußgeldverfahren (Teil 5 VV RVG) umstritten in welchem Verhältnis das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das gerichtliche Verfahren stehen (vgl. dazu die bei II, 1 zitierte Literatur und auch noch BGH RVGreport 2013, 105 = AGS 2013, 56 = zfs 2013, 168 = StRR 2013, 118 = VRR 2013, 118, jeweils m. abl. Anm. Hansens). Auch hier hat das 2. KostRMoG v. 23.07.2013 (BGBl 2013, S. 2586) eine ausdrückliche Klarstellung gebracht. In § 17 Nr. 11 RVG ist nun geregelt, dass es sich ebenfalls um „verschiedene Angelegenheiten“ handelt.

3. Mehrere (Ermittlungs)Verfahren/Verbindung

Für die Praxis von erheblicher Bedeutung ist die Frage, wie mit mehreren gegen den Beschuldigten anhängigen Ermittlungsverfahren oder gerichtlichen Verfahren umzugehen ist. Die Problematik lösen Rechtsprechung und Literatur dahin, dass, wenn von den Strafverfolgungsbehörden gegen einen Beschuldigten mehrere Ermittlungsverfahren geführt werden, jedes eine eigene Angelegenheit ist, solange die Verfahren nicht miteinander verbunden worden sind, was für das gerichtliche Verfahren entsprechend gilt (KG StRR 2011, 359 = RVGreport 2012, 456 für den vergleichbaren Fall mehrerer Rehabilitierungsverfahren nach dem StrRehaG; LG Bonn RVGreport 2019, 212 = StRR 2012, 200 = AGS 2012, 176 = VRR 2012, 238; LG Braunschweig RVGreport 2010, 422 = VRR 2010, 359; LG Hamburg, AGS 2008, 545; LG Potsdam RVGreport 2014, 68 = JurBüro 2013, 587 = VRR 2014, 118 [für das Bußgeldverfahren]; AG Braunschweig, RVGreport 2010, 69 = StRR 2010, 200 = VRR 2010, 39; Mayer/Kroiß/Winkler, RVG, 6. Aufl. 2013, § 15 Rn. 35; zur Verbindung von Verfahren Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Verbindung von Verfahren, Rn. 2013; Burhoff RVGreport 2008, 405). Das bedeutet für den RA, dass er bis zur Verbindung in jedem (Ermittlungs)Verfahren gesonderte Gebühren erhält. Das gilt im Übrigen auch, wenn mehrere Verfahren eine Tat i.S.d. § 264 StPO zum Gegenstand haben (KG JurBüro 2013, 362). Gebührenrechtlich handelt es sich aber auch bei mehreren Tatvorwürfen nur um eine Angelegenheit, wenn die Ermittlungen in einem (polizeilichen) Verfahren betrieben werden (KG JurBüro 2013, 362). Zu beachten ist, dass die gemeinsame Terminierung verschiedener Verfahren noch keine Verbindung bewirkt (LG Hanau, RVGreport 2005, 382; LG Potsdam RVGreport 2014, 68 = JurBüro 2013, 587 = VRR 2014, 118 [für das Bußgeldverfahren]).

Beispiel 1:

Der Beschuldigte B ist alkoholisiert mit einem Pkw gefahren und hat einen Verkehrsunfall verursacht. Nach dem Unfall hat er sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, was zunächst nicht bekannt war. Die Polizei hat daher zunächst nur ein Ermittlungsverfahren wegen der Trunkenheitsfahrt eingeleitet. Erst später wird die Unfallbeteiligung des B und das unerlaubte Entfernen vom Unfallort bekannt. Es wird daher ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den B eingeleitet. Dieser wird in beiden Verfahren von Rechtsanwalt R vertreten.

Lösung:

Rechtsanwalt R erhält für beide Ermittlungsverfahren Gebühren nach Teil 4 VV. Es handelt sich bei den beiden Ermittlungsverfahren um unterschiedliche Angelegenheiten. Erst nach Verbindung der Verfahren durch die Staatsanwaltschaft oder ggf. durch das Gericht liegt eine Angelegenheit vor, sodass dann nur noch in diesem Verfahren Gebühren entstehen können. Die Verbindung der Verfahren hat aber auf bis dahin bereits in dem zugrunde liegenden Ausgangsverfahren entstandene Gebühren keinen Einfluss. Diese bleiben erhalten (zur Grundgebühr s. Nr. 4100 Rn. 29; zur Verfahrensgebühr s. Vorbem. 4 VV Rn. 53 ff.; s. auch noch Teil A: Verbindung von Verfahren, Rn. 1431 ff.).

Beispiel 2

Gegen den Beschuldigten werden 27 Ermittlungsverfahren geführt. Diese Verfahren werden bei der StA im Js-Register einzeln eingetragen. Die Staatsanwaltschaft plante aber von vornherein eine Verbindung. Die 27 Verfahren sind dann auch zu sieben Verfahren verbunden worden. Im Rahmen der Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung ist dem RA vom Rechtspfleger nur eine Vergütung für das Tätigwerden in sieben Verfahren gewährt worden.

Lösung

Das ist unzutreffend, da es sich bei mehreren Verfahren solange um einen eigenen Rechtsfall handelt, solange die Verfahren nicht miteinander verbunden sind. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Verfahren zwar einzeln eingetragen worden sind, aber von Anfang an die Absicht vorgelegen hat, die Verfahren später zu verbinden (vgl. dazu (nach LG Braunschweig RVGreport 2010, 422 = StRR 2011, 39 = StraFo 2010, 513 = VRR 2010, 359=; AG Braunschweig RVGreport 2010, 69 = StRR 2010, 200 = VRR 2010, 39).

Beispiel 3:

Dem Beschuldigten wird zur Last gelegt, am 12. 9. 2010 innerhalb weniger Minuten im Zustand verminderter oder aufgehobener Schuldfähigkeit wahllos drei Straßenpassanten angegriffen und verletzt sowie gegen seine anschließende Festnahme durch die herbeigerufenen Polizeibeamten Widerstand geleistet zu haben. Bei der Polizeibehörde werden für die einzelnen Straftaten und Geschädigten jeweils gesonderte Strafanzeigen mit getrennten Vorgangsnummern gefertigt, die Ermittlungen werden aber zusammengefasst durch einen Sachbearbeiter geführt, der für alle in Betracht kommenden Delikte einen gemeinsamen Abschlussbericht fertigt und die Sache als Sammelvorgang unter dem Geschäftszeichen 101126-1225-033341 mit einer Auflistung der als Untervorgänge bezeichneten Strafanzeigen an die Staatsanwaltschaft abgibt. Der Beschuldigte wird zur polizeilichen Vernehmung am 9. 11. 2010 unter jeder Vorgangsnummer durch gesonderte Schreiben mit Angaben zu dem jeweiligen Tatvorwurf geladen. Rechtsanwalt R. meldet sich zu jedem Vorgang mit gesondertem Schriftsatz als Verteidiger. Bei der Staatsanwaltschaft wird der Vorgang (aus statistischen Gründen), zunächst unter vier Aktenzeichen (13 Js 6104/10, 13 Js 6074/10, 13 Js 6084/10 und 13 Js 6094/10) eingetragen. Bearbeitet wird es von Anfang an nur unter dem Aktenzeichen 13 Js 6104/10.

Lösung:

Das KG (KG JurBüro 2013, 362 = StraFo 2012, 305) ist von nur einer Angelegenheit, einem Sammelvorgang, ausgegangen. Gegenstand der Ermittlungen sei von Anfang an ein einheitlicher Lebenssachverhalt gewesen. Die Sicht erscheint bei dem mitgeteilten Sachverhalt grds. vertretbar. Ebenso vertretbar ist es aber, von mehreren Angelegenheiten – zumindest vier – auszugehen. Denn in der Entscheidung des KG bleibt die Frage offen, warum der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft vier Ermittlungsverfahren einträgt, ohne Bedeutung sein soll. Der Hinweis darauf, dass das „aus statistischen Gründen“ erfolgt sei, ist für den Verteidiger ohne Bedeutung (so zutreffend LG Braunschweig RVGreport 2010, 422 = StRR 2011, 39 = StraFo 2010, 513 = VRR 2010, 359).Offen bleibt auch, ob nicht ggf. auch im Hinblick auf die einzelnen Ladungen zu den polizeilichen Vernehmungen von unterschiedlichen Angelegenheiten auszugehen war.

4. Mehrere (Ermittlungs)Verfahren/Trennung

Die Ausführungen zur Verbindung von Verfahren gelten entsprechend für die Abtrennung von Verfahren. Bis zur (Ab)Trennung von Verfahren handelt es sich um dieselbe Angelegenheit mit der Folge, dass die Gebühren nur einmal entstehen können. Mit der (Ab)Trennung von Verfahren werden die abgetrennten Verfahren dann aber selbstständige Verfahren mit der Folge, dass jedes Verfahren eine eigene Angelegenheit darstellt und sowohl mehrere Verfahrensgebühren als auch mehrere Terminsgebühren anfallen können (KG RVGprofessionell 2007, 139; LG Bremen RVGreport 2013, 232 = VRR 2012, 357 = StRR 2012, 479; LG Itzehoe AGS 2008, 233; AG Tiergarten RVGreport 2010, 140 = AGS 2010, 220 = StRR 2010, 400; wegen der Einzelh. Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Trennung von Verfahren, Rn. 1892 ff. m.w.N.).

5. Rücknahme der Anklage und neue Anklage

Um dieselbe Angelegenheit handelt es sich (auch), wenn eine bereits erhobene Anklage von der Staatsanwaltschaft zurückgenommen und bei einem anderen Gericht neu erhoben wird (OLG Köln AGS 2010, 175 = JurBüro 2010, 362; a.A. LG Duisburg, RVGreport 2011, 419 = StRR 2012, 40 = AGS 2011, 596). Entsprechendes gilt, wenn nach Rücknahme der Anklage in das Sicherungsverfahren übergegangen wird.

Beispiel 4:

RA R ist Verteidiger des Beschuldigten B. Die Staatsanwaltschaft erhebt zunächst Anklage zur großen Strafkammer, nimmt diese dann aber zurück. Dann wird die Anklage inhaltsgleich bei der zuständigen Jugendkammer erhoben.

Lösung:

Es handelt sich bei dem Verfahren bei der Jugendkammer nicht um eine vom Verfahren bei der großen Strafkammer „verschiedene Angelegenheit“, sondern um dieselbe Angelegenheit. Es greift also § 15 Abs. 2 RVG ein mit der Folge, dass R nicht (noch einmal) die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und Nr. 4112 VV RVG geltend machen kann (vgl. dazu auch OLG Köln AGS 2010, 175 = JurBüro 2010, 362).

Beispiel 5:

RA R ist Verteidiger des Beschuldigten B. Die Staatsanwaltschaft erhebt unter dem 27. 9. 2010 Anklage zur großen Strafkammer. Unter dem 1. 12. 2010 wird eine zweite Anklage mit identischem Vorwurf erhoben, der allerdings „präziser ausformuliert“ wird.

Lösung

Das LG Duisburg (RVGreport 2011, 419 = StRR 2012, 40 = AGS 2011, 596) ist von verschiedenen Angelegenheiten ausgegangen. Das ist jedoch unzutreffend. Vielmehr handelt es sich auch nach Erhebung der zweiten Anklage und der darin liegenden konkludenten Rücknahme der ersten Anklage um dieselbe Angelegenheit (vgl. zur Rücknahme a. LG Bad Kreuznach RVGreport 2011, 226 = AGS 2011, 235 = StRR 2011, 282). Es greift also § 15 Abs. 2 RVG ein mit der Folge, dass R nicht eine zweite Nr. 4112 VV RVG geltend machen kann (a.A. LG Duisburg, a.a.O.). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der R ggf. zweimal Stellung zu den Anklage genommen hat (s. aber LG Duisburg, a.a.O.). Der Umstand ist gem. § 14 Abs. 1 RVG im Rahmen der Bemessung der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG geltend zu machen.

6. Teilweise Ablehnung der Eröffnung und teilweise Eröffnung bei einem anderen Gericht

Eine (weitere/neue) gerichtliche Verfahrensgebühr entsteht auch nicht, wenn das – zunächst mit der Sache befasste – LG die Eröffnung des Hauptverfahrens vor ihm teilweise ablehnt und den danach noch verbleibenden Anklagevorwurf gem. § 209 Abs. 1 StPO vor dem dann zuständigen AG eröffnet (LG Bad Kreuznach AGS 2011, 235 = RVGreport 2011, 226 = StRR 2011, 282). Der beim AG verbleibende „Verfahrensrest“ ist keine neue Angelegenheit, sondern es bleibt dieselbe Angelegenheit. Die gerichtliche Verfahrensgebühr entsteht in diesen Fällen dann aber aus der Stufe der landgerichtlichen Verfahrensgebühr (vgl. dazu auch Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Verweisung/Abgabe [§ 20], Rn. 2322).

7. Wiederaufnahme des Verfahrens nach gescheiterer Einstellung

Wird das (Ermittlungs)Verfahren bei Erfüllung von Auflagen oder Weisungen nach § 153a StPO (vorläufig) eingestellt, aber, nachdem der Beschuldigte die ihm gemachten Auflagen oder Weisungen nicht erfüllt hat, wiederaufgenommen, handelt es sich bei dem „wiederaufgenommenen“ Verfahren nicht um eine neue Angelegenheit mit der Folge, dass ggf. Verfahrensgebühren noch einmal entstehen würden (§ 15 Abs. 2 RVG). Das Verfahren bleibt vielmehr dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit (Burhoff RVGreport 2014, 2, 3). Der ggf. für den Verteidiger entstehende Mehraufwand ist gem., § 14 Abs. 1 RVG bei der Bemessung der Rahmengebühr geltend zu machen. Entsprechendes gilt für die Wiederaufnahme nach § 154 Abs. 2 StPO. Etwas anderes folgt nicht aus § 17 Nr. 13 RVG. Gemeint ist dort mit „wiederaufgenommene Verfahren“ das Verfahren nach einer Wiederaufnahme i.S.d. §§ 359 ff. StPO bzw. § 85 OWiG.

8. Erneuter Auftrag

Nicht ein Problem des § 16 RVG, sondern des § 15 RVG ist die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn ein Verfahren eine Zeitlang nicht betrieben, dass aber fortgesetzt wird. Der Fall ist in § 15 Abs. 5 RVG geregelt. Als Grundsatz gilt: Wird der Rechtsanwalt, nachdem er in einer Angelegenheit tätig geworden war, erneut beauftragt, in derselben Tätigkeit weiter tätig zu werden, erhält er nicht mehr an Gebühren, als er erhalten würde, wenn er von vornherein hiermit beauftragt worden wäre (§ 15 Abs. 5 Satz 1 RVG; vgl. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Abgeltungsbereich der Vergütung [§ 15], Rn. 9 ff.).

Beispiel 6

RA R vertritt den Beschuldigten B im Ermittlungsverfahren. Das Ermittlungsverfahren wird nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. RA R rechnet für seine Tätigkeit die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG i.H.d. Mittelgebühr ab. Nach drei Monaten melden sich weitere Zeugen. Die Staatsanwaltschaft nimmt daraufhin das Ermittlungsverfahren wieder auf, stellt es aber, nachdem die weiteren Zeugen vernommen worden sind, erneut ein.

Lösung:

RA R erhält nach wie vor nur eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV, da es sich um dieselbe Angelegenheit handelt. Seine weiteren Tätigkeiten sind aber im Betragsrahmen der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG gebührenerhöhend zu berücksichtigen. RA R kann daher jetzt wegen der weiteren Tätigkeiten eine über der Mittelgebühr liegende Verfahrensgebühr abrechnen.

Eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 15 Abs. 5 Satz 1 RVG ist in Satz 2 enthalten. Danach gilt die weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit und der Rechtsanwalt kann sämtliche Gebühren neu verlangen, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist (vgl. dazu N. Schneider, AGkompakt 2011, 98).

Beispiel 7:

Im Beispiel 6 wird das Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft am 13. 10. 2009 eingestellt. Die weiteren Zeugen melden sich erst im Januar 2011.

Lösung

Rechtsanwalt R erhält m.E. in diesem Fall für seine weiteren Tätigkeiten erneut die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG (a.A. in einem ähnlichen Fall LG München I RVGreport 2013, 346 = AGS 2013, 406 = StRR 2013, 311).

Beispiel 8

Im Beispiel 7 wird das gerichtliche Verfahren nach Durchführung einer Hauptverhandlung am 8. 3. 2011 erneut ausgesetzt und dann mehr als zwei Kalenderjahre nicht betrieben.

Lösung

Ob RA R in diesem Fall für seine weiteren Tätigkeiten auch erneut die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG erhält, wird nicht einheitlich gesehen. Dieser Fall wird z.T. unter Hinweis darauf, dass das Verfahren trotz Aussetzung weitergeführt worden sei, da ja immer geprüft werden müsse, ob die Voraussetzungen für die Aussetzung noch weiter vorliegen (vgl. AnwKomm-RVG/N. Schneider, § 15 Rn. 289; vgl. auch – für das Zivilrecht – BGH RVGreport 2006, 219 = NJW 2006, 1525 = AGS 2006, 323; KG RVGreport 2011, 19 = AGS 2010, 599 = JurBüro 2011, 81 [für familienrechtliches Verfahren]; OLG Köln AGS 2011, 321; OLG Schleswig AGS 2013, 123 m. Anm. N. Schneider; N. Schneider, AGS 2006, 323 in der Anm. zu BGH, a.a.O.; ders., AGkompakt 2011, 98, 99 m.w.N. aus der Rspr.) anders gelöst: Die Gebühren werden nicht gewährt.

Das ist m.E. nicht folgerichtig. Denn: Das Verfahren wird ausgesetzt und nicht betrieben. Wird es dann wieder betrieben, ist eine neue Einarbeitung erforderlich, die m.E. dazu führt, dass die Gebühren neu entstehen (s. auch OLG Brandenburg AGS 2009, 432; OLG Stuttgart AGS 2003, 19; N. Schneider AGS 2004, 221, 223; ders., in: Hansens/Braun/Schneider, Teil 20, Rn. 37; wohl auch Gerold/Schmidt/Mayer, § 15 Rn. 125). Das entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung, deren Vorgängerregelung § 13 Abs. 5 Satz 1 BRAGO gerade durch das KostÄndG in die BRAGO eingeführt worden war, um in diesen Fällen für eine angemessene Honorierung zu sorgen (s. auch AnwKomm-RVG/N. Schneider, § 15 Rn. 285 ff.). M.E. spricht auch die Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 2 RVG – »drei Monate ruht« – für diese Lösung.

Die Antwort auf die vorstehende Frage richtet sich letztlich danach, wie man den Begriff der »Erledigung« versteht. Versteht man ihn – wie die wohl h.M. – als den endgültigen Abschluss einer rechtlichen Angelegenheit, dann findet § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG keine Anwendung, wenn das Verfahren nur nicht betrieben wird (vgl. dazu LG München I RVGreport 2013, 346 = AGS 2013, 406 = StRR 2013, 311  unter Hinw. auf Mayer/Kroiß/Winkler, RVG, 6. Aufl., § 15 Rn. 189). Stellt man hingegen mit dem OLG Brandenburg (AGS 2009, 432; ) auf die Fälligkeit und § 8 Abs. 1 Satz 2 RVG ab, dann kann man von einer neuen Angelegenheit ausgehen, mit der Folge, dass die Gebühren dann erneut entstehen (können).

 

9. Adhäsionsverfahren und Strafverfahren

Ob Adhäsionsverfahren und Strafverfahren dieselbe oder verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten bilden, ist nicht unstrittig. Der Gesetzgeber hat in § 17 Nr. 10 ff. RVG das Verhältnis des Strafverfahrens zum Adhäsionsverfahren nicht ausdrücklich geregelt. Zutreffend dürfte es sein, das Adhäsionsverfahren als Teil des Strafverfahrens anzusehen, das allerdings nicht der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs dient, sondern der Geltendmachung der zivilrechtlichen Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Verletzten. Das insoweit zivilrechtlich geprägte Adhäsionsverfahren ist somit aus prozessökonomischen Gründen als Annex an das Strafverfahren angegliedert. Damit dürften Strafverfahren und Adhäsionsverfahren dieselbe Angelegenheit sein (OLG Brandenburg RVGreport 2009, 341 = AGS 2009, 325; OLG Düsseldorf, 12.12.2013 - 1 Ws 416/13; LG Düsseldorf, RVGreport 2011, 104 = StRR 2010, 410 = VRR 2010, 479 m. Anm. Volpert; inzidenter auch OLG Köln RVGreport 2009, 465 = AGS 2009, 29 = StraFo 2009, 87; Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Angelegenheiten [§§ 15 ff.], Rn. 117 und Nr. 4143 VV Rn. 4; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 4143 – 4144 Rn. 18; N. Schneider AGS 2009, 1; a.A. wohl KG RVGreport 2009, 302 = AGS 2009, 484 = JurBüro 2009, 529 = VRR 2009, 238). Dabei kommt es regelmäßig nicht darauf an, wie viele Adhäsionskläger im Adhäsionsverfahren auftreten und wie viele Ansprüche insoweit erhoben werden (vgl. OLG Brandenburg und OLG Düsseldorf, jeweils a.a.O.; s. dazu aber KG, a.a.O.).

10. Vertretung mehrerer Adhäsionskläger im Rahmen desselben Strafverfahrens

War der RA als Vertreter mehrerer Nebenkläger mit der Durchsetzung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen der mehreren Nebenkläger im Rahmen des Adhäsionsverfahrens innerhalb desselben Strafverfahrens beauftragt oder vom Gericht beigeordnet, erhält er die insoweit entstandenen Gebühr Nr. 4143 VV i.d.R. nur einmal, weil er in derselben Angelegenheit tätig geworden ist (§ 15 Abs. 2 RVG; OLG Brandenburg RVGreport 2009, 341 = AGS 2009, 325; vgl. zum Begriff derselben Angelegenheit bei mehreren Geschädigten u.a. BGH NJW 2010, 3035 = JurBüro 2010, 638 = RVGreport 2011, 16 m.w.N.). Das gilt auch dann, wenn diese den Rechtsanwalt an unterschiedlichen Tagen beauftragen (BGH NJW 2011, 3167 = JurBüro 2011, 522 = RVGreport 2011, 339). Da es sich bei den Ansprüchen der Nebenkläger aber um verschiedene Gegenstände handelt, werden die Gegenstandswerte gem. § 22 RVG addiert. Eine Erhöhung der entstandenen Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV RVG findet allerdings nicht statt, da eine Gegenstandsidentität nicht gegeben ist (OLG Brandenburg, a.a.O.; s. aber – für unterschiedliche Lebenssachverhalte – a.A. KG RVGreport 2009, 302 = AGS 2009, 484 = JurBüro 2009, 529 = VRR 2009, 238).

Für den Verteidiger im Verfahren mit mehreren Adhäsionsklägern gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend. Auch er kann, da es sich um dieselbe Angelegenheit handelt (§ 15 Abs. 2 RVG), die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG nur einmal verlangen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn wie bei der Hauptverhandlungsterminsgebühr eine Ausnahme geregelt wäre, wie z.B. Gebühr „je Adhäsionskläger“. Auch beim Verteidiger werden allerdings bei der Berechnung des Gegenstandswertes die Werte der geltend gemachten Ansprüche addiert (§ 22 Abs. 1 RVG).

11. Mehrere Nebenkläger

Vertritt der Rechtsanwalt mehrere Nebenkläger in demselben Verfahren, liegt nur eine/dieselbe Angelegenheit vor (OLG Düsseldorf JurBüro 1991, 70). Die Gebühren werden allerdings über Nr. 1008 VV erhöht (s. Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Mehrere Auftraggeber [§ 7, Nr. 1008 VV], Rn. 1419 und AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 1008 Rn. 25 ).

12. Verteidiger und Nebenklägervertreter

Tritt der RA zunächst als Verteidiger und später dann als Nebenklägervertreter bzgl. derselben Tat auf, liegt gebührenrechtlich jedenfalls dann dieselbe Angelegenheit vor, wenn Verteidigung und Nebenklage dieselbe prozessuale Tat betreffen (OLG Celle RVGreport 2011, 19 = StRR 2011, 37 = AGS 2011, 25).

Beispiel 9:

RA R ist in einem Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei, welches wegen desselben Tatgeschehens gegen insgesamt fünf Angeklagte geführt wird, sowohl als Verteidiger des Angeklagten A als auch, nachdem dieser als Nebenkläger zugelassen und ihm der RA als Beistand beigeordnet worden war, als Nebenklägervertreter tätig. Der Angeklagte A wird freigesprochen, seine notwendigen Auslagen werden der Landeskasse auferlegt worden. Den Verurteilten sind die notwendigen Auslagen des Nebenklägers auferlegt worden. Der RA hat die Festsetzung der Wahlanwaltsgebühren und der Nebenklägergebühren beantragt.

Lösung:

Festzusetzen sind insgesamt nur einmal die Wahlanwaltsgebühren. Die Tätigkeit des RA als Verteidiger des Angeklagten und zugleich als Vertreter des Angeklagten als Nebenkläger haben in demselben Strafverfahren stattgefunden. Gebührenrechtlich ist in Strafsachen das gleiche Strafverfahren stets die gleiche Angelegenheit. Zwar übt der RA, der zugleich als Verteidiger und Nebenklägervertreter tätig wird, in dem Strafverfahren und somit auch in der Hauptverhandlung eine Doppelfunktion aus. Diese Doppelfunktion führt jedoch nicht dazu, dass der RA nicht mehr in derselben Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG tätig wird. Eine Addition der Gebühren scheidet also aus. Auch eine Erhöhung der Gebühren nach Nr. 1008 VV RVG findet nicht statt, da der RA auch in Ansehung der Doppelfunktion nur eine Person vertritt.

Allerdings muss die Doppelfunktion des RA Berücksichtigung im Gebührenrahmen finden muss, da die Doppelfunktion als Verteidiger und als Nebenklagevertreter für den RA i.d.R. eine ins Gewicht fallende Mehrbelastung mit sich bringt (OLG Celle, a.a.O.; LG Freiburg AnwBl. 1982, 390; LG Krefeld Rpfleger 1978, 462).

Beispiel 10

Der RA hat eine Beschuldigte in einem Verfahren wegen angeblicher gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil ihres früheren Ehemannes verteidigt, der Exmann war im gleichen Verfahren wegen Hausfriedensbruch und Körperverletzung zu Lasten der seiner früheren Ehefrau angeklagt. Auf Anregung des Verteidigers werden die beiden Verfahren getrennt. Nach Trennung der Verfahren meldet sich der RA im Verfahren gegen den Ehemann als Nebenklägervertreter für die frühere Ehefrau.an. Bei der Abrechnung fragt sich der RA, ob er die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG in beiden Verfahren abrechnen kann oder ob die Einarbeitung als Verteidiger auch die Einarbeitung als Nebenklägervertreter umfasst.

Lösung:

Die aufgeworfene Frage ist bisher in der Rechtsprechung noch nicht entschieden worden. M.E. kann man die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG hier zweimal abrechnen (s. auch Burhoff RVGreport 2014, 2, 3). Zur Begründung ist auf die Argumentation der Obergerichte in den Fällen zu verweisen, in denen der Verteidiger nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens des dann in anderen Verfahren als Zeuge vernommenen Angeklagten tätig ist. Da wird von unterschiedlichen Angelegenheiten/Rechtsfällen und davon ausgegangen, dass die Einarbeitung in ein Verfahren als Verteidiger eine andere ist als die als Zeugenbeistand. Und so kann man im Beispiel 10 auch argumentieren (vgl. zum Zeugenbeistand OLG Koblenz RVGreport 2006, 232 = AGS 2006, 598 = NStZ-RR 2006, 254; OLG Düsseldorf RVGreport 2008, 182 = StRR 2008, 78; OLG Hamm StraFo 2008, 45 = RVGreport 2008, 108 = JurBüro 2008, 83 = StRR 2008, 79; OLG Köln AGS 2008, 128 = StraFo 2008, 223 = StRR 2008, 439; OLG München AGS 2008, 120). Allerdings wird man bei der Bemessung der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG für das Nebenklagemandat berücksichtigen müssen, dass bereits im Verteidigungsmandat eine Einarbeitung stattgefunden hat. Das wird über § 14 RVG zu einer Reduzierung der Grundgebühr im Nebenklagemandat führen (vgl. dazu auch Vorb. 4.1 VV Rn. 15).

16. Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Rechtsbeschwerde als solche

Nach § 16 Nr. 11 VV RVG sind in Bußgeldsachen das Verfahren über die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG) und die Rechtsbeschwerde als solche als dieselbe Angelegenheit anzusehen.

13. Annahmeberufung (§ 313 Abs. 1 Satz 1 StPO)

Bei einer der Annahmeberufung nach § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. dazu eingehend Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl., 2013, Rn. 477 und Burhoff in: Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2013, Teil D Rn. 21 ff.) handelt es sich nicht um die Frage der Zulassung der Berufung. § 16 Nr. 13 RVG gilt also nicht. Es gilt vielmehr die Regelung des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Rechtszug [§ 19], Rn. 1763 und Vorbem. 4.1 VV Rn. 33 ff.). Es entstehen also keine gesonderten Gebühren.

 

14. Fortsetzung des Berufungsverfahrens nach zurückgenommener Berufung

Um dieselbe Angelegenheit handelt es sich (auch), wenn nach (zunächst) zurückgenommener Berufung das Berufungsverfahren dann später fortgesetzt wird.

Beispiel 11:

Im Berufungsverfahren wird die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil zunächst zurückgenommen. Kurz darauf wird vom Verteidiger die Unwirksamkeit der Berufungsrücknahme geltend gemacht und Fortsetzung des Verfahrens beantragt. Das LG setzt das Berufungsverfahren fort. Der Verteidiger fragt sich, ob eine zweite Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG entstanden ist.

Lösung:

Nein, eine zweite Gebühr Nr. 4124 VV RVG ist nicht entstanden Es handelt sich nach Fortsetzung des Berufungsverfahrens nicht um „verschiedene Angelegenheiten“, sondern um dieselbe Angelegenheit. Es greift also § 15 Abs. 2 RVG ein mit der Folge, dass der Verteidiger die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG nicht noch einmal geltend machen kann. Die Überlegungen zur Rücknahme der Anklage (vgl. oben II, 5) gelten entsprechend (dazu OLG Köln AGS 2010, 175 = JurBüro 2010, 362; a.A. LG Duisburg RVGreport 2011, 419 = AGS 2011, 596 = StRR 2012, 40). Etwas anderes gilt natürlich, wenn nicht der ursprüngliche Verteidiger tätig wird, sondern ein neu beauftragter RA. Der kann dann alle Gebühren noch einmal geltend machen. Das hat aber nichts mit der Frage zu tun, ob eine neue Angelegenheit vorliegt, sondern richtet sich nach den allgemeinen Regeln.

 

15. Revision des Angeklagten und des Nebenklägers

Bei mehreren Revisionen, z.B. vom Angeklagten und vom Nebenkläger, gegen dasselbe Urteil gilt: Es handelt sich um dieselbe Angelegenheit mit der Folge, dass dem Nebenklägervertreter für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren nur einmal ein Gebührenanspruch zusteht. Das gilt auch dann, wenn das Revisionsgericht über die Revision des Angeklagten durch Beschluss gem. § 349 Abs. 2 StPO entscheidet und die gegen dasselbe Urteil gerichteten Revisionen des Nebenklägers und der Staatsanwaltschaft durch Urteil verwirft (OLG München RVGreport 2008, 137 = JurBüro 2008, 248 = AGS 2008, 224).

Beispiel 12:

Der RA hat den Nebenkläger in der Revisionsinstanz eines Strafverfahrens, das sich gegen zwei Angeklagte richtete, vertreten. Der Nebenkläger hat ebenso wie die Staatsanwaltschaft hinsichtlich beider Angeklagter gegen das Urteil Revision eingelegt mit dem Ziel, eine Verurteilung der einen Angeklagten als Mörderin und des freigesprochenen anderen Angeklagten als Anstifter zu erreichen. Die Angeklagte hat ebenfalls Revision eingelegt, die durch Beschluss des BGH verworfen worden ist. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers ist das landgerichtliche Urteil aufgehoben worden.

Lösung:

Der Rechtsanwalt erhält nur einmal die angefallenen Gebühren (OLG München RVGreport 2008, 137 = JurBüro 2008, 248 = AGS 2008, 224).

16. Privatklage und Widerklage (§ 16 Nr. 12 RVG)

Für das Strafverfahren von Bedeutung ist aus den in § 16 RVG ausdrücklich geregelten Fällen noch die Nr. 12. Gem. § 16 Nr. 12 RVG sind das Verfahren über die Privatklage und die Widerklage dieselbe Angelegenheit, und zwar auch im Fall des § 388 StPO. Das bedeutet, dass sich die Gebühren des RA als Beistand oder Vertreter des Privatklägers und des Widerbeklagten sowie des Verteidigers des Privatbeklagten durch die Widerklage auch dann nicht erhöhen, wenn der Privatkläger nicht der Verletzte ist. Gemeint ist damit der Fall, in dem der RA nicht nur den Privatkläger, sondern auch den Verletzten, der nicht mit dem Privatkläger identisch ist (§ 374 Abs. 2 StPO), gegen eine Widerklage des Beschuldigten verteidigt (§ 388 Abs. 2 StPO). Das ist z.B. denkbar bei wechselseitigen Beleidigungen, wenn auch der Dienstvorgesetzte nach § 194 Abs. 3 StGB, § 374 Abs. 2 StPO privatklageberechtigt ist.

Die Widerklage ist also keine neue selbstständige Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG. Der RA hat bei dieser Fallgestaltung jedoch in einer Angelegenheit zwei Personen als Auftraggeber. Das bedeutet, dass Nr. 1008 VV RVG anwendbar ist.


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