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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 228/02 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Annahme von Fluchtgefahr und zur Außervollzugsetzung eines Haftbefehls, wenn eine Kaution von Familienangehörigen gestellt wird.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Fluchtgefahr, hohe Straferwartung, Kaution

Normen: StPO 112

Beschluss: Strafsache
gegen H.A..
wegen Unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (hier: Beschwerde des Angeschuldigten gegen die Anordnung der Untersuchungshaft )

Auf die ( Haft- ) Beschwerde des Angeschuldigten vom 9. Mai 2002 gegen den Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum Auswärtige Strafkammer Recklinghausen - vom 9. April 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17. 06. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen :

Die Beschwerde wird mit folgender Maßgabe verworfen :
Der Vollzug des Haftbefehls des Landgerichts Bochum vom 9. April 2002 (21 KLs 46 Js 263/01 I 26/02 ) wird unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt :
1.Der Angeschuldigte hat wieder in 45661 R., Wohnung zu nehmen und jede Wohnsitzänderung dem Landgericht Bochum zu o.a. Aktenzeichen mitzuteilen.
2.Der Angeschuldigte darf bis auf weiteres das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen. Reisen innerhalb Deutschlands, die länger als drei Tage dauern, sind vorher vom Landgericht Bochum zum o.a. Aktenzeichen anzuzeigen. Der Angeschuldigte hat seine Ausweispapiere (Personalausweis und Reisepass) dem Landgericht Bochum abzugeben und darf bis auf weiteres ggf. beantragte neue Personalpapiere nicht vom Einwohnermeldeamt in Empfang nehmen .
3.Der Angeschuldigte hat allen Ladungen von Gerichten und Staatsanwaltschaften Folge zu leisten.
4.Der Angeschuldigte hat sich zweimal wöchentlich, und zwar montags und donnerstags bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden.
5.Der Angeschuldigte hat eine Kaution von 10.000,- Euro zu hinterlegen, die auch durch Bankbürgschaft erbracht werden kann.

Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft Bochum hat unter dem 18. März 2002 gegen den Angeschuldigten Anklage erhoben und zugleich den Erlass eines auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 b StPO gestützten Haftbefehls beantragt.
Ihm wird zur Last gelegt, in dem Zeitraum von 25. Januar 2001 bis zum 22. Mai 2001 durch insgesamt 26 selbständige Handlungen mit Betäubungsmitteln ( Kokain ) in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben, indem er von dem anderweitig Verurteilten A. zweimal 10 Gramm, dreimal 12 Gramm, einmal 15 Gramm, zweimal 18 Gramm, viermal 20 Gramm, viermal 25 Gramm, einmal 23 Gramm, zweimal 27 Gramm, einmal 28 Gramm, einmal 33 Gramm, einmal 35 Gramm, zweimal 40 Gramm, einmal 45 Gramm und einmal 60 Gramm erwarb, um damit Handel zu treiben.

Das Ermittlungsverfahren wurde gegen den Angeschuldigten eingeleitet, weil sich aus der Überwachung der Mobilfunkanschlüsse des anderweitig Verurteilten A. eine Vielzahl von Gesprächen zwischen diesen beiden ergab. Nach der Festnahme des A. am 29. Mai 2001 konnte mit Hilfe eines bei diesem sichergestellten Zettels und der Angaben der Zeugen H. und S., die ebenfalls von A. Kokain bezogen hatten, der bei den telefonischen Bestellung zwischen A. und seinen Abnehmern verwandte code entschlüsselt werden. Aus der danach erfolgten Auswertung der zwischen dem Angeschuldigten und A. geführten Telefongespräche ergab sich der Verdacht, dass der Angeschuldigte die ihm in der Anklageschrift zur Last gelegten Mengen zum Zwecke des Handeltreibens erworben hat.

Anlässlich einer am 28. August 2001 in seiner Wohnung erfolgten Durchsuchung erfuhr er von dem Ermittlungsverfahren und den gegen ihn gerichteten Vorwürfen. Er gab bei dieser Gelegenheit an, mit dem Erscheinen der Polizei seit der Festnahme des A. gerechnet zu haben. Diesen kenne er nur flüchtig . Er habe lediglich mal anlässlich einer Wette mit ihm zu tun gehabt. Von BTM sei ihm nichts bekannt. Nachdem er sich zunächst zu einer Vernehmung am 31. August 2001 bereit erklärt hatte, sagte seine Verteidigerin diesen Termin ab und kündigte an, der Angeschuldigte werde sich allenfalls über sie zu dem Vorwurf äußern.

Der A. wurde, nachdem er am 21. November 2001 vom Landgericht Bochum ( 1 KLs 46 Js 202/00 ) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen rechtkräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden war, am 6. März 2002 in mehreren gegen als Erwerber Verdächtigte eingeleiteten Ermittlungsverfahren vernommen. Zum Angeschuldigten gab er an, diesen von Sportwetten gut zu kennen. Dieser habe bei ihm aber nie Drogen gekauft. Ihre Telefonate seien meistens um Sportwetten gegangen.

Nach Eingang der Anklageschrift vom 18. März 2002, dessen Datum sich aus den Zweitakten nicht ergibt, hat der Vorsitzende Richter der 1. Strafkammer des Landgerichts Bochum Auswärtige Strafkammer Recklinghausen am 28. März 2002 die Zustellung der Anklageschrift an den Angeschuldigten sowie die Übersendung einer Ausfertigung an dessen Verteidigerin verfügt. Außerdem hat er sie dem Berichterstatter mit dem Zusatz „( HB ? )“ zugeschrieben. Ausweislich der Zustellungsurkunde ist der Angeschuldigte am 3. April 2002 über die Niederlegung der Sendung benachrichtigt worden.

Das Landgericht hat am 9. April 2002 gegen den Angeschuldigten wegen der ihm in der Anklageschrift zur Last gelegten Taten Haftbefehl erlassen. Als Haftgründe hat die Strafkammer Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO und Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 b StPO angenommen und diese wie folgt begründet.
„Angesichts der Aussage des als Zeugen vernommenen A. besteht die begründete Annahme, dass der Angeschuldigte und der Zeuge ihre nahezu identischen Aussagen abgesprochen haben. Es ist zu besorgen, dass angesichts des Tatvorwurfs weiter durch den Angeklagten auf Zeugen eingewirkt werden wird, Aussagen in seinem Sinne zu tätigen.

Des weiteren verfügt der Angeschuldigte über keine bekannten sozialen Bindungen im Bundesgebiet. Angesichts der zu erwartenden langjährigen, nicht bewährungsfähigen Freiheitsstrafe ist deshalb dem bestehenden Fluchtanreiz nicht anders als durch Vollzug der Untersuchungshaft zu begegnen.“

Aufgrund dieses Haftbefehls wurde der Angeschuldigte am 2. Mai 2002 in seiner Wohnung festgenommen.

Mit ihrer gegen den Haftbefehl gerichteten Beschwerde macht die Verteidigerin mit näherer Begründung vom 28. Mai 2002 insbesondere geltend, es liege weder ein dringender Tatverdacht noch Fluchtgefahr und/oder Verdunkelungsgefahr vor. Die Strafkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 19. Februar 2002 nicht abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die Haftbeschwerde ist gemäß § 304 StPO zulässig und hat auch in der Sache in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg.

Entgegen der Auffassung der Verteidigerin ist der Angeschuldigte der angeklagten Taten aufgrund der Ergebnisse der Telefonüberwachung und der Angaben der Zeugen H. und S. sowie der geständigen Einlassung des A. zu den Bestellmodalitäten seiner Abnehmer dringend verdächtig. Aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses besteht eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeschuldigte die ihm vorgeworfenen Straftaten begangen hat. Die von der Verteidigung vorgebrachten Einwände sind hingegen nicht geeignet, den dringenden Tatverdacht auszuräumen.

Allerdings ergibt sich aus den übereinstimmenden Angaben des A. und des Angeschuldigten, der Angeschuldigte habe von A. keine Betäubungsmittel erworben und man kenne sich nur von Sportwetten, noch nicht das Vorliegen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 b StPO. Allein aus dem Umstand, dass zwei Täter eines Tatkomplexes Angaben machen, die dem bisherigen Ermittlungsergebnis widersprechen und auf eine Absprache schließen lassen, ergibt sich noch nicht, dass der eine auf den anderen in unlauterer Weise eingewirkt hat, wie es diese Vorschrift voraussetzt.

Entgegen der Auffassung des Angeklagten und seiner Verteidigerin ist jedoch bei dem Angeschuldigten (noch) Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO gegeben. Der Strafkammer und der Generalstaatsanwaltschaft sind zwar im Grundsatz darin beizupflichten, dass von einer hohen Straferwartung grundsätzlich Fluchtgefahr ausgeht. Die hohe Straferwartung allein kann eine Fluchtgefahr jedoch nicht begründen, wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat, und zwar selbst dann nicht, wenn der Angeklagte z.B. bereits zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden war ( vgl. u.a. Senat in StV 1999,37; ähnlich Senat in StV 1999, 215; StraFo 1999, 248 und NStZ-RR 2000,188 = StraFo 2000,203 ). Vielmehr ist die zu erwartende Freiheitsstrafe nur Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass er die Annahme rechtfertigt, der Angeklagte werde ihm nachgeben und wahrscheinlich flüchten. Entscheidend ist, wie sich aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO ergibt, ob „bestimmte Tatsachen“ vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, der Angeschuldigte werde dem in der hohen Straferwartung liegenden Fluchtanreiz nachgeben und fliehen ( so auch
OLG Köln StV 1995, 419; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, 2001,
§ 112 Rdnr. 24 m.w.N. ).

Die damit erforderliche Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls führt vorliegend dazu, dass zwar noch Fluchtgefahr besteht, diese aber nicht so stark ist, dass ihr nicht durch andere Maßnahmen als dem Vollzug der Untersuchungshaft begegnet werden kann. Dabei übersieht der Senat nicht, dass der Angeschuldigte, mit einer nicht mehr aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe rechnen muss.

Demgegenüber sind jedoch die persönlichen Umstände des Angeschuldigten von Belang. Dieser lebt ebenso wie seine Angehörigen, von denen die meisten die deutsche Staatsbürgerschaft haben, seit über seit dreißig Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Es besteht zudem eine seit vier Jahren andauernde Beziehung zu seiner Freundin.

Von entscheidender Bedeutung ist aber, dass der Angeschuldigte während der gesamten Dauer des nunmehr fast ein Jahr andauernden Verfahrens keinen Versuch unternommen hat, sich dem Verfahren zu entziehen. Ihm waren die sich aus der Telefonüberwachung ergebenden Verdachtsmomente bekannt. Auch nachdem er von der Erhebung der Anklage was die Strafkammer nicht veranlasst hat, unverzüglich die Untersuchungshaft gegen den Angeschuldigten anzuordnen - erfahren hat, hielt er sich bei seiner Festnahme einige Wochen später noch in seiner Wohnung auf.

Diese Umstände mildern den in der hohen Straferwartung sicherlich liegenden Fluchtanreiz derart, dass der dann noch verbleibenden Gefahr nach Auffassung des Senats mit den im Tenor festgelegten Auflagen ausreichend begegnet werden kann ( siehe dazu auch Senat in StV 1997, 643 ). Von besonderer Bedeutung ist dabei die festgelegte Kaution von 10.000,- Euro, die im Zweifel der Angeklagte nicht allein wird aufbringen können. Wird aber die Kaution ganz oder teilweise von den Familienangehörigen aufgebracht, ist das ein zusätzlich stabilisierendes Moment (Senat a.a.O. ).


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