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RVG Entscheidungen

Vorbem. 4 Abs. 1 VV, Nr. 4100 VV

Terminsvertreter, Gebühren, Einzeltätigkeit, voller Verteidiger, Grundgebühr

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.02.2024 - 1 Ws 13/14 (S)

Eigener Leitsatz:

Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin als Verteidiger des Angeklagten bestellt worden ist, richtet sich nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG. Er umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV RVG. Neben der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG entsteht aber ggf. nicht auch eine Verfahrensgebühr.


1 Ws 13/24 (S)
Brandenburgisches Oberlandesgericht

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger

wegen Verbrechens nach dem Betäubungsmittelgesetz

hier; Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Potsdam, Jägerallee 10-12, 14467 Potsdam gegen die Kostenentscheidung der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 23. Oktober 2023

hat das Brandenburgische Oberlandesgericht - 1. Strafsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht am 26. Februar 2024 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Potsdam vom 29. November 2023 wird der Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 23. Oktober 2023 dahin geändert, dass bei der Festsetzung der Kosten für den Pflichtverteidiger Rechtsanwalt neben den in der Festsetzungsentscheidung vom 19. Januar 2023 berücksichtigten Gebühren zusätzlich die Grundgebühr, nicht jedoch die Verfahrensgebühr in Ansatz zu bringen ist.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2, Satz 2, 3 RVG).

Gründe

I.

Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Potsdam wendet sich mit seiner Kostenbeschwerde vom 29. November 2023 gegen die auf die Erinnerung des Rechtsanwalts Pp1 ergangene Entscheidung der 2, großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 23. Oktober 2023.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
In dem seit dem 9, Februar 2022 vor der 2, großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam geführten Strafverfahren gegen sechs Angeklagte wegen Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz hat der Kammervorsitzende mit Einverständnis des Angeklagten pp. Rechtsanwalt Pp1 für den Hauptverhandlungstag am 26. September 2022 als Pflichtverteidiger beigeordnet, nachdem der für das Verfahren beigeordnete Pflichtverteidiger Rechtsanwalt pp.2 für diesen Tag seine Verhinderung angezeigt hatte. In der Hauptverhandlung am 26. September 2022 wurde das Hauptverfahren gegen dessen Angeklagten wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit „auf unbestimmte Zeit" abgetrennt,

Am 27, September 2022 beantragte Rechtsanwalt Pp1 die Abrechnung seiner Gebühren wie folgt:
VV 4100 Grundgebühr 176,00 EUR
VV 4112 Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug vor der Strafkammer 163,00 EUR
VV 4114 Termingebühr je Verhandlungstag (26.09.2022) 282,00 EUE
VV 7002 Pauschale Post- und Telekommunikationsdienstleistungen 20,00 EUR
VV 7003 Fahrtkosten bei Benutzung eines eigenen Pkw 33,60 EUR
VV 7005 Tages und Abwesenheitsgeld 30,00 EUR
Zwischensumme 704,60 EUR
VV 7008 19.00 % Umsatzsteuer aus 704.60 EUR 133.87 EUR
Summe gesamt 838,47 EUR

Unter dem Datum des 19. Januar 2023 hat die Kostenbeamtin die dem Beschwerdegegner aus der Staatskasse zu zahlende Pflichtverteidigervergütung auf insgesamt 435,06 EUR (netto: 365,60 EUR) festgesetzt. Die Kostenbeamtin hat bei der Kostenfestsetzung die Grundgebühr in Höhe von 176,00 EUR und die Verfahrensgebühr von 163,00 EUR, jeweils nebst Umsatzsteuer, mit der Begründung in Abzug gebracht, dass diese Gebühren „nur dem vollumfänglich bestellten Pflichtverteidiger" zustünden, die Tätigkeit von Rechtsanwalt Pp1 sich hingegen "auf die Teilnahme an diesem Hauptverhandlungstag" beschränkt habe.

Der gegen die Kostenfestsetzung am 31. Januar 2023 erhobenen Erinnerung des Rechtsanwalts Pp1 hat die Kostenbeamtin nach Anhörung der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Potsdam unter dem Datum des 22. Mai 2023 nicht abgeholfen und die Sache der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Beschluss vom 23. Oktober 2023 hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam die Kostenfestsetzungsentscheidung vom 19. Januar 2023 dahingehend geändert, dass auch die beantragten Grund- und Verfahrensgebühren festzusetzen seien. Zur Begründung hat das Landgericht hervorgehoben, dass der nur für einen Verhandlungstag bestellte Pflichtverteidiger einem für das gesamte Verfahren bestellten Pflichtverteidiger gleichgestellt sei, da in beiden Fällen ein eigenständiges öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet worden sei.

Gegen diese Entscheidung hat der Bezirksrevisor, dem der Beschluss am 24. November 2023 zugestellt worden war, am 29. November 2023 Beschwerde eingelegt und die Auffassung vertreten, dass dem Erinnerungsführer bzw. Beschwerdegegner neben Nebenausgaben lediglich die Termingebühr zustehe. Die 2. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam hat — nach Beratung — der Beschwerde des Bezirksrevisors nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel (§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und 3, Abs. 8 RVG) hat teilweisen Erfolg und führt zur weiteren Festsetzung lediglich der beantragten Grundgebühr, nicht jedoch der Verfahrensgebühr.

1. Wie das Landgericht Potsdam in der angegriffenen Entscheidung zutreffend dargelegt hat, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob der wegen Abwesenheit des verhinderten Pflichtverteidigers (nur) für einen Hauptverhandlungstermin beigeordnete Verteidiger als Vergütung für seine Tätigkeit nur die Terminsgebühr erhält oder ob ihm darüber hinaus auch eine Grund- und ggf. eine Verfahrensgebühr zusteht (vgl. die Nachweise zum Streitstand bei: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris; Burhoff, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021 Nr. 4100, 4101 VV RVG, Rn, 5; Knaudt in BeckOK RVG, 58. Ed. Stand 01.12.2022, RVG VV Vorbemerkung Rn. 19-22).

a) Nach einer Ansicht sei der lediglich für einen gerichtlichen Termin als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers beigeordnete Verteidiger gebührenrechtlich nicht dem zuvor bereits für das gesamte Verfahren beigeordneten Pflichtverteidiger gleichgestellt. Der zeitlich befristet bestellte Verteidiger sei nicht als weiterer Pflichtverteidiger, sondern lediglich als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers bestellt, weshalb insgesamt nur ein Pflichtverteidigermandat abrechnungsfähig sei (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19. September 2018, 3 Ws 221/18, BeckRS 2018, 23280, OLG Celle Beschluss vom 19. Dezember 2008, 2 Ws 365/08, NStZ-RR 2009, 158; KG, Beschluss vom 18. Februar 2011, 1 Ws 38/09, NStZ-RR 2011, 295; OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Oktober 2012, 2 Ws 759/12, BeckRS 2012, 22226; OLG Oldenburg, Beschluss vom 13. Mai 2014, 1 Ws 195/14, BeckRS 2014, 13328; siehe auch OLG Stuttgart Beschluss vom 23. Januar 2023, 4 Ws 13/23, zit. nach juris zu Nr. 4103 Nr. 4 RVG-VV). Lasse sich ein Verteidiger in einem Termin durch einen anderen Verteidiger - mit Zustimmung des Gerichts - vertreten, könne dies nicht dazu führen, dass Grund- und Verfahrensgebühr mehrfach entstehen. Andernfalls könne ein Pflichtverteidiger, der sich an verschiedenen Sitzungstagen durch verschiedene Vertreter vertreten lasse, zahlreiche Gebührentatbestände entstehen lassen, ohne dass dafür ein sachlicher Grund bestünde (vgl. OLG Koblenz a.a.O. mit weiteren Nachweisen).

b) Nach überwiegender Rechtsauffassung in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, beschränkt sich der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin als Verteidiger des Angeklagten bestellt worden ist, nicht auf die Termingebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (ausf. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit, n, juris; ebenso: OLG Jena, Beschluss vom 14.04.2021, (S) AR 62/20, BeckRS 2021, 9651; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Oktober 2008, 1 Ws 318/08, zit. nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 23. März 2006, 3 Ws 586/05, zit. n, juris; OLG Köln, Beschluss vom 26. März 2010, 2 Ws 129/10, BeckRS 2010, 16664; OLG Bamberg, NStZ-RR 2011, 223; OLG München, NJOZ 2014, 1478; OLG Nürnberg, NStZ-RR 2015, 95; OLG Saarbrücken, NJOZ 2015, 1166).

Dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen gerichtlichen Termin beigeordneten Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als „Vertreter" des bereits bestellten Verteidigers sieht die Strafprozessordnung nicht vor. Dies folgt bereits daraus, dass der bestellte Verteidiger eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen kann, auch nicht mit Zustimmung des Gerichts, weil die Bestellung zum Verteidiger auf seine Person beschränkt ist (vgl. BGH StV 1981, 393; BGH StV 2011, 650, BGH, Beschluss vom 15, Januar 2014, 4 StR 346/13, zit. nach juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris). Eine solche Vertretung in der Verteidigung ist nur dem entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 BRAO) bestellten allgemeinen Vertreter des Pflichtverteidigers möglich (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014, a.a.O.). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine solche umfassende, eigenverantwortliche Verteidigung setzt auch eine Einarbeitung in den Fall voraus, ohne die eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist. Gerade für diese erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht die Grundgebühr. Eine Unterscheidung danach, welchen Aufwand diese Einarbeitung im Einzelfall erfordert (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Februar 2011, 4 Ws 195/10, NJOZ 2012, 213) verbietet sich schon deshalb, weil es sich bei den Gebühren des Pflichtverteidigers nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 zu § 2 Abs. 2 RVG um Festgebühren handelt, die grundsätzlich unabhängig von dem im Einzelfall erforderlichen Aufwand anfallen (ausf. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris). Der Anspruch des wegen Verhinderung des zuvor bestellten Verteidigers zeitlich beschränkt bestellten weiteren Verteidigers scheitert auch nicht daran, dass die Gebühr aus VV Nr. 4100/4101 pro Rechtsfall nur einmal entsteht und auf Seiten des ursprünglich bestellten Pflichtverteidigers bereits entstanden ist; denn die Einmaligkeit der Gebühr pro Rechtsfall ist ausschließlich personen- und nicht verfahrensbezogen zu verstehen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.; Knaudt in BeckOK RVG, a.a.O. RVG VV Vorbemerkung, Rn. 20). Auch im Falle eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a StPO steht die Grundgebühr sowohl dem zunächst bestellten Pflichtverteidiger als auch dem an seiner Stelle bestellten neuen Pflichtverteidiger zu.

c) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze steht dem Beschwerdegegner für seine am 26. September 2022 erbrachte Pflichtverteidigertätigkeit die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG in Höhe von 176,00 Euro, die Termingebühr nach Nr. 4114 VV RVG in Höhe von 282,00 Euro, die Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro, die Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG in Höhe von 33,60 E, das Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG, jeweils nebst gesetzlicher Umsatzsteuer, zu.

Hingegen ist die Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VV RVG für das Betreiben der Geschäfte einschließlich der Information im vorliegenden Fall nicht angefallen. Eine in den Geltungsbereich der Verfahrensgebühr fallende Tätigkeit hat der Pflichtverteidiger nicht entfaltet. Zwar wird mit der Verfahrensgebühr die Tätigkeit des Pflichtverteidigers im Strafverfahren des ersten Rechtszuges nach Abschluss des vorbereitenden Verfahrens abgegolten. Ausgenommen sind davon aber Tätigkeiten, für die besondere Gebühren vorgesehen sind, wie z.B. die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Termingebühr für die Hauptverhandlung Nr. 4114 VV RVG (vgl. OLG München, Beschluss vom 27. Februar 2014, 4c Ws 2/14, zit. n. juris m.w.N.). Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 12. Verhandlungstag am 26. September 2022 ergibt sich, dass an diesem Tage keine Beweisaufnahme durchgeführt worden ist, für die eine Einarbeitung in das bisherige Beweisergebnis oder das Entwerfen einer Verteidigungsstrategie erforderlich gewesen wäre. Dem Protokoll über die 20 Minuten dauernde Hauptverhandlung ist lediglich die Beiordnung von vier Pflichtverteidigern für den Verhandlungstag sowie die Abtrennung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten pp wegen Verhandlungsunfähigkeit „auf unabsehbare Zeit" zu entnehmen.

3. Soweit der Senat mit der Entscheidung vom 11. Juni 2007 (1 Ws 105/07) eine zum Teil abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, hält er daran nicht weiter fest.


Einsender: RA A. Funck, Berlin

Anmerkung:


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