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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Relativer Fahruntüchtigkeit; Ausfallerscheinung, Beweiswürdigung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschluss vom 3.08.2010, III – 1 RVs 142/10

Fundstellen:

Leitsatz: Die Annahme relativer Fahruntüchtigkeit kann nicht allein darauf gestützt werden,
dass der Kraftfahrzeugführer den Zeichen der Polizei zum Einfahren in eine Verkehrskontrollstelle nicht Folge leistet und weiterfährt.


III – 1 RVs 142/10
82 Ss 35/10
Oberlandesgericht Köln
BESCHLUSS
Strafsache
gegen pp.
wegen Trunkenheit im Verkehr

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 10. November 2009 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln nach Antrag der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO am 03.08.2010 beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Aachen zurückverwiesen.
Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Straßenverkehrsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von 8 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Es hat zum Schuldspruch festgestellt:

„Der Angeklagte bestieg in der Nacht vom 05.12.2008 auf den 06.12.2008 im Anschluss an eine betriebliche Weihnachtsfeier seinen Pkw, um nach Hause zu fahren. Denn aufgrund einer aufsteigenden Grippe fühlte sich der Angeklagte im Verlauf des Abends zunehmend unwohl. Um 1:20 Uhr befuhr der Angeklagte, der mit 0,67 Promille alkoholisiert war, die Bundesautobahn A 544 aus A. kommend in Richtung W.. Zu diesem Zeitpunkt war am Autobahnrastplatz H. eine Großkontrollstelle durch die Polizei eingerichtet. Die Kontrollstelle war so gestaltet, dass die zweispurige Autobahn zunächst durch Lübecker Hüte, einen leuchtenden Richtungspfeil und Baken mit Blitzlampen über einen längeren Verlauf auf eine Spur reduziert wurde. Im Bereich der Auffahrt zum Rastplatzgelände war wiederum durch Baken, Hüte und einen Leuchtpfeil eine Scheidestelle eingerichtet. Für die Fahrzeuge, die nicht kontrolliert wurden, zeigten Baken und ein leuchtender Richtungspfeil an, dass der Spur in einer leichten Linkskurve von der rechten auf die linke Fahrbahn zu folgen war. Für die Fahrzeuge, die kontrolliert werden sollten, war die Ausfahrt zum Rastplatz durch Baken in die rechte Fahrbahn hinein verlängert. In diesem Bereich stand der Zeuge P., bekleidet mit einem neonfarbenen Anorak und einer weißen Mütze und wies die zu kontrollierenden Fahrzeuge mit einer Kelle in den Kontrollbereich ein. Der Angeklagte näherte sich der Kontrollstelle als drittes Fahrzeug in einer Kolonne. Der Zeuge P. winkte die beiden vorausfahrenden Fahrzeuge heraus, die daraufhin in die Kontrollstelle einfuhren. Auch dem Angeklagten signalisierte der Zeuge P. mit der Kelle, in die Kontrollstelle zu fahren. Der Angeklagte fuhr aber unbeirrt und in gleichbleibender Geschwindigkeit weiter, weil er aufgrund seiner Alkoholisierung die Verkehrssituation nicht mehr vollständig überblickte und zu spät reagierte. Der Zeuge trat daraufhin mit der Kelle winkend auf die Fahrbahn heraus, um den Angeklagten zum Einlenken zu bewegen. Als der Angeklagte dann nur noch wenige Meter entfernt war und weiterhin keine Reaktion zeigte, ging der Zeuge zügig in den abgesperrten Bereich zurück und ließ den Angeklagten passieren. Die Zeugen T. und F., die von ihm über Funk benachrichtigt wurden, folgten dem Angeklagten. Als sie ihn schließlich im Bereich der A.- Straße anhalten konnten, stellten sie bei ihm Alkoholgeruch, ein leichtes Schwanken und glasige, gerötete Augen fest.“

Ihm Rahmen der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht ausgeführt:

„Der Angeklagte bestreitet nicht, in entsprechend alkoholisiertem Zustand am 06.12.2008 um 1:20 Uhr gefahren zu sein. Er behauptet aber, es sei ihm verkehrsbedingt nicht möglich gewesen, der Einweisung durch den Zeugen P. Folge zu leisten. Ein ihm vorausfahrender silberner Pkw habe die Ausfahrt schon nicht mehr rechtzeitig genommen und sei daher im Bereich der Scheidestelle plötzlich stehen geblieben. Er sei daraufhin reaktionsschnell nach links ausgewichen und habe danach keine Möglichkeit gesehen, das Fahrzeug noch in die Kontrollstelle zu lenken oder risikolos anzuhalten.
Diese Einlassung ist nach Durchführung der Beweisaufnahme widerlegt. Die Zeugen haben glaubhaft und übereinstimmend bekundet, dass es mit Ausnahme des Angeklagten an diesem Abend keine Schwierigkeiten gegeben habe, Fahrzeuge in die Kontrollstelle zu leiten. Insbesondere der Zeuge P. hatte eine sichere und lebhafte Erinnerung an die Örtlichkeit und die dortigen Vorgänge. Seine persönliche Einbindung in das Geschehen macht dies auch nachvollziehbar und er hätte das nach der Schilderung des Angeklagten fehlgeleitete Fahrzeug wahrnehmen müssen, da es unmittelbar vor ihm zum Stehen gekommen wäre. Dass der Zeuge das von ihm Wahrgenommene im Übrigen wahrheitsgemäß geschildert hat, ist auch insofern anzunehmen, als bei ihm eine Belastungstendenz nicht festzustellen war.
Vielmehr ist aufgrund der Aussage des Zeugen P. zugunsten des Angeklagten erwiesen, dass durch dessen Verhalten keine konkrete Gefährdung des Zeugen eingetreten ist. Denn der Zeuge P. gab an, dem herannahenden Fahrzeug im schnellen Gehen ausgewichen zu sein, ohne dass ein Zusammenprall unmittelbar bevorgestanden hätte.
Der festgestellte BAK-Wert von 0,67 Promille beruht auf dem Alkohol-Befund des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Köln vom 08.12.2008.“

Zur rechtlichen Wertung heißt es im amtsgerichtlichen Urteil:

„Der Angeklagte hat sich danach wie erkannt der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr gern. § 316 Abs. 1, 2 StGB strafbar gemacht. Bei dem Angeklagten lag mit einem festgestellten BAK von 0,67 Promille relative Fahruntüchtigkeit vor, die angesichts der getroffenen Feststellungen mit konkreten Ausfallerscheinungen im Straßenverkehr einherging. Es ist als Ausfallerscheinung zu bewerten, dass es dem Angeklagten nicht gelungen ist, auf die Einweisung des Zeugen P. rechtzeitig zu reagieren und in die Kontrollstelle einzufahren. Denn die Alkoholisierung verminderte die Fähigkeit auf unerwartete Ereignisse und eine komplexe Verkehrsführung schnell und sicher zu reagieren. Dies hat sich in dem vorliegenden Geschehen niedergeschlagen.“

Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.


II.

Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Es führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Zwar hat das Amtsgericht auch zu den Umständen, die im Zusammenhang mit der festgestellten BAK von 0,67 Promille eine alkoholbedingte (relative) Fahruntüchtigkeit des Angeklagten belegen, ausreichende Feststellungen getroffen.

Die Feststellungen werden aber von der Beweiswürdigung nicht getragen. Diese ist vielmehr in revisionsrechtlich bedeutsamer Weise materiell-rechtlich unvollständig. Die tatrichterliche Würdigung der Umstände, aus denen relative Fahruntüchtigkeit gefolgert wird, ist zwar der Nachprüfung durch das Revisionsgericht weitestgehend entzogen. Rechtsfehlerhaft ist es jedoch, wenn diese Beweiswürdigung augenfällige Lücken enthält und gewichtige Umstände, deren Erörterung sich geradezu aufdrängen mußte, völlig außer Betracht lässt (SenE v. 20.12.1994 - Ss559/94 - = NZV 1995, 454 mit Nachweisen). So verhält es sich hier.

Das Amtsgericht hat es - ohne nähere Begründung - als Ausfallerscheinung bewertet, dass es dem Angeklagten nicht gelungen sei, auf die Zeichen/Weisungen des Zeugen P. rechtzeitig zu reagieren und in die Kontrollstelle einzufahren.

Die dieser Wertung zugrunde liegende Beweiswürdigung ist aber schon insofern lückenhaft, als das Amtsgericht nicht die naheliegende Fragestellung erörtert hat, ob der Angeklagte die Kontrollstelle nicht ganz bewusst „umfahren“ wollte, um dadurch etwaigen Fragen und Tests der Polizeibeamten hisichtlich einer Alkoholisierung zu entgehen.

Hätte das Amtsgericht diese Fragestellung - mit nachvollziehbarer Begründung unter Einbeziehung der Einlassung des Angeklagten - verneint, dann hätte es näherer Erörterungen dazu bedurft, ob die gesamte - sich aus den Feststellungen ergebende -Verkehrssituation nicht so komplex war, dass sie vom Angeklagten auch im nüchternen Zustand nicht gemeistert worden wäre.

Beachtlich im Sinne des Nachweises relativer Fahruntüchtigkeit ist ein Fahrfehler nämlich nur, wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, der Fahrfehler wäre dem Angeklagten ohne alkoholische Beeinträchtigung nicht unterlaufen. Dabei kommt es nicht darauf an, wie sich irgendein nüchterner Kraftfahrer oder der durchschnittliche Kraftfahrer ohne Alkoholeinfluß verhalten hätte, sondern festzustellen ist, dass der Angeklagte sich ohne Alkohol anders verhalten hätte (SenE a.a.O.; SenE v. 09.01.2001 - Ss 477/00 - = VRS 100, 123 = VM 2001 Nr. 57 – jeweils mit Nachweisen; Fischer, StGB, 57. Auflage, § 316 Rn. 34). Das Verhalten eines durchschnittlichen nüchternen Kraftfahrers ist nur mittelbar von Bedeutung. Je seltener ein bestimmter Fahrfehler bei nüchternen Fahrern vorkommt und je häufiger er erfahrungsgemäß von alkoholisierten Fahrern begangen wird, desto eher wird der Schluss gerechtfertigt sein, der Fehler wäre auch dem Angeklagten im nüchternen Zustand nicht unterlaufen (Senat a.a.O.). Andererseits haben Fehlleistungen, die erfahrungsgemäß auch nüchternen Fahrern bisweilen unterlaufen, geringeren Indizwert (Senat VRS 100, 123 mit Nachweisen).

Zu diesem Fragenkreis lässt sich der Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil indes nichts entnehmen.

Einsender: RiOLG Jütte, Köln

Anmerkung:


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