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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, fair-Trial, Waffengleichheit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Freiburg, Beschl. v. 12.03.2008 - 6 Qs 12/08 E. Hw.

Leitsatz: Eine Pflichtverteidigerbestellung erscheint im Hinblick auf den Grundsatz eines fairen Verfahrens geboten, wenn von mehreren Mitbeschuldigten einige bereits anwaltlich vertreten sind.


Geschäftsnummer:
6 Qs 12/08 E. Hw.
Landgericht Freiburg
6. Große Jugendkammer
Beschluss
vom 12. März 2008
Beschwerdesache des pp.
Verteidiger:
wegen gefährlicher Körperverletzung
Auf die Beschwerde des Angeklagten pp. der Beschluss des Amtsgerichtes Freiburg vom 18.2.2008 aufgehoben.
Für den Angeklagten wird Rechtsanwalt Dr. M. zum Pflichtverteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe :
I.
Die Staatsanwaltschaft Freiburg hat unter dem 18.9.2007 (461 Js 27495/06) Anklage gegen den Beschwerdeführer und fünf weitere Mitbeschuldigte zum Jugendschöffengericht erhoben. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, am Abend des 9.9.2006 gemeinsam ein kurdisches Lokal in Kenzingen aufgesucht zu haben und dort mit Messern, Knüppeln, Metallstangen und Baseballschlägern bewaffnet den Betreiber und zwei seiner Verwandten angegriffen und verletzt zu haben, wobei insbesondere der Geschädigte von einem der Mitangeklagten mehrere Schläge mit einem Baseballschläger auf den Kopf und anschließend von der gleichen Person einen Messerstich in den Rücken erhalten habe, während er von einem weiteren Mitangeklagten festgehalten worden sei. Dabei hätten alle Angeklagten die den Opfern durch die jeweiligen Mittäter zugefügten Verletzungen in ihre Planung aufge-nommen gehabt.

Zwei der Mitangeklagten, gegen die jeweils ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl besteht, sind durch Wahlverteidiger vertreten. Für einen dritten - bereits massiv vorbestraften - Mitangeklagten wurde ein Pflichtverteidiger bestellt.

Mit Datum vom 7.2.2008 beantragte der Wahlverteidiger des Beschwerdeführers die Beiordnung unter Hinweis darauf, dass diese unter dem Gebot des fairen Verfahrens angezeigt sei.

Mit Beschluss vom 18.2.2008 lehnte der Amtsrichter die Bestellung ab. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass nicht ersichtlich sei, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen könne, eine besondere Schwierigkeit der Sachlage nicht gegeben sei und der Umstand, dass drei Mitangeklagte einen Verteidiger hätten, nicht dazu führen könne, dass den übrigen Angeklagten Verteidiger beigeordnet werden müssten.

Gegen diesen Beschluss legte der Verteidiger Beschwerde ein mit der Begründung die Rechtslage sei nicht einfach, die Geschädigten träten im Verfahren als anwaltlich vertretene Nebenkläger auf und würden gegebenenfalls Schadensersatzansprüche geltend machen und schließlich seien andere Beschuldigte anwaltlich verteidigt.

Die Staatsanwaltschaft hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme dahingehend Gebrauch gemacht, dass sie die Verwerfung der Beschwerde beantragte.

II.
Die Beschwerde war zulässig und hatte in der Sache Erfolg.
Dem Heranwachsenden ist gemäß §§ 68 I JGG, 140 II StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt nicht bereits deshalb vor, weil die Strafsache vor dem Jugendschöffengericht verhandelt werden soll. Dieser teilweise in der Literatur erhobenen Forderung sind Rechtsprechung und Gesetzgeber bislang nicht gefolgt. Das Verfahren weist auch weder rechtlich, noch tatsächlich besondere Schwierigkeiten auf, die eine Beiordnung rechtfertigen würden.

Auch unter dem Gesichtspunkt der zu erwartenden Rechtsfolgen ist eine Beiordnung nicht geboten, wenngleich die Kammer nicht übersieht, dass das vorliegende Verfahren für pp. auch Auswirkungen auf das von ihm betriebene Einbürgerungsverfahren haben kann und dass darüber hinaus eine Verurteilung auch dazu führen kann, dass er in erheblichem Umfange für die durch die Tat entstandenen Schäden haftbar gemacht wird - der Geschädigte xx. hat insoweit bereits bei seiner polizeilichen Vernehmung darauf hingewiesen, dass der Umsatz in seinem Lokal seit den Vorfällen deutlich zurückgegangen sei.

Eine Pflichtverteidigerbestellung erscheint jedoch im Hinblick auf den Grundsatz eines fairen Verfahrens geboten, da drei der fünf Mitbeschuldigten des Beschwerdeführers bereits anwaltlich vertreten sind. Zwar wird nicht verkannt, dass bei den drei anderen anwaltlich vertretenen Mitbeschuldigten gravierendere Rechtsfolgen zu erwarten sind, als bei dem Beschwerdeführer, jedoch kann die asymmetrische Verteidigung zur Benachteiligung der nicht anwaltlich vertretenen Angeklagten führen. Wenngleich bislang alle Beschuldigten bis auf yy. von ihrem Recht, keine Angaben zu machen, Gebrauch gemacht, zeigen bereits die von den beiden genannten Mitangeklagten gegebenen Einlassungen, dass damit zu rechnen ist, dass sich die Angeklagten in der Hauptverhandlung untereinander wechselseitig belasten. So hat der Beschuldigte zz. im Rahmen seines Haftprüfungstermins bereits angegeben, dass auch der Beschwerdeführer und weitere Mitangeklagte - insbesondere in maßgeblicher Weise auch der eigene Sohn, M. - an dem Überfall beteiligt gewesen seien. Der Angeklagte seinerseits hat sich in einem Schriftsatz seines Verteidigers als "Randfigur" bezeichnet, mithin bereits deutlich gemacht, dass er andere als die Haupttäter betrachte. Im Hinblick auf die sich damit abzeichnenden gegenseitigen Schuldzuweisungen und die Erwartung, dass sich nicht nur die nicht anwaltlich vertretenen Beschuldigten den anwaltlich vertretenen Mitbeschuldigten gegenüber subjektiv im Nachteil fühlen, sondern dass letztere sich aufgrund des Akteneinsichtsrechtes ihrer Verteidiger auch ungleich besser vorbereiten und ihre Rechte in der Hauptverhandlung mit professioneller Hilfe besser wahrnehmen können, ist eine Pflichtverteidigerbeiordnung auch für die anderen Beschuldigten angezeigt.

Hinzu kommt, dass in Fällen, in denen dem Verletzten ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 II StPO gesetzlich vermutet wird. Dies gilt regelmäßig auch dann, wenn - wie hier, wo die jeweils anwaltlich vertretenen Geschädigten und N. bereits angekündigt haben, sich dem Verfahren als Nebenkläger anschließen zu wollen - der Verletzte sich als Nebenkläger auf eigene Kosten eines Rechtsanwalts als Beistand bedient (vgl. Münchner Kommentar zur StPO, § 140, Rnr. 24).

Da mithin die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für den Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der sachgerechten Verteidigung geboten ist, war der angefochtene Beschluss des Amtsgerichtes aufzuheben und Rechtsanwalt Dr. M. als notwendiger Verteidiger beizuordnen.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 I StPO.

Einsender: RA Dr. Malek, Freiburg

Anmerkung:


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