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Entscheidungen

OWi

Geschwindigkeitsmessung, ES 3.0, Fotolinie, Fehlen, Verwertbarkeit der Messung

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Lübben, Beschl. v. 16.03.2010 - 40 OWi 1321 Js 2018/10 (58/10)

Fundstellen:

Leitsatz: Fehlt bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät ES 3.0 die vom Hersteller in seiner Bedienungsanleitung geforderte „nachvollziehbare" gekennzeichnete Fotolinie fehlt, ist nicht klar erkennbar, ob es sich bei dem gemessenen Fahrzeug tatsächlich um das Betroffenenfahrzeug handelt und ob die gemessene Geschwindigkeit im Einklang mit der Fotodokumentation vom Betroffenenfahrzeug steht. Die Messung ist dann unverwertbar.


40 OWi 1321 Js 2018/10 (58/10)
Amtsgericht Lübben
Beschluss
In der Bußgeldsache gegen pp.
wegen Fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
hat das Amtsgericht Lübben - Bußgeldrichter - gemäß § 72 OWiG
am 16.03.2010
durch den Richter am Amtsgericht beschlossen:
1 Die Betroffene wird freigesprochen.
2 Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe:
I.
Das Gericht kann durch Beschluss gemäß § 72 OWiG entscheiden, dass es eine Durchführung der Hauptverhandlung für nicht erforderlich erachtet.
Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Abgabeverfügung einer Entscheidung im Beschluss nicht widersprochen, Der Die Betroffene musste auf die Möglichkeit der Entscheidung durch Beschluss gemäß § 72 OWiG nicht hingewiesen werden, da er sie freigesprochen wird (§ 72 Abs. 1 Satz 3 OWiG).
II.
Mit Bußgeldbescheid vom 18.11.2009 wird der Betroffenen durch den Zentraldienst der Polizei (Zentrale Bußgeldstelle) in Gransee vorgeworfen, am 08.09.2009 um 16.18 Uhr auf der BAB 15 in Höhe des Kilometers 5,4 in Fahrtrichtung der Anschlussstelle Vetschau die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h überschritten zu haben.

Ausweislich des Messprotokolls vom Tattage wurde ein Geschwindigkeitsmessgerät des Typs ES 3.0 verwandt. Dieses Messgerät stellt die vom gemessenen Fahrzeug gefahrene Geschwindigkeit dadurch fest, dass das betreffende Fahrzeug mehrere Lichtschranken in Höhe des Sensorkopfes des Messgerätes durchfährt. Der Sensorkopf wird parallel zur Fahrbahn aufgestellt und aus den im rechten Winkel über die Fahrbahn verlaufenden Lichtschranken ergibt sich die Messlinie (in Höhe Sensorkopf-Mitte). Die sogenannte „Fotolinie" befindet sich 3 m hinter der Messlinie aus Fahrtrichtung des zu messenden Fahrzeuges gesehen.

Das Messgerät ES 3.0 löst nach einem festgestellten Geschwindigkeitsverstoß die Fotodokumentation erst mit Verzögerung aus. Die Fotolinie, welche sich ca. 3 m hinter der Messlinie befindet, und auf die die Kamera auszurichten ist, soll daher sicherstellen, dass das gemessene Fahrzeug hinreichend deutlich fotografisch dokumentiert wird.

Dies ermöglicht eine klare Zuordnung der Messung zu einem Fahrzeug, wenn mehrere Fahrzeuge in kurzem Abstand die Messlinie passieren. Das gemessene Fahrzeug befindet sich dann in der sogenannten "logischen Fotoposition". Diese ergibt sich aus der Fotolinie, der Position des abgebildeten Fahrzeuges und der gemessenen Geschwindigkeit.

Bei der Überprüfung der logischen Fotoposition kann somit nicht nur festgestellt werden, welchem Fahrzeug ggf. eine Geschwindigkeitsüberschreitung zuzuordnen ist, sondern auch, anhand der Fahrzeugposition im Verhältnis zur Fotolinie, ob die durch das Messgerät ermittelte Geschwindigkeit schlüssig ist.
In der Bedienungsanleitung zu dem Messgerät ES 3.0 heißt es,
„[..18.2.3 Fotolinie
für eine sichere Auswertung wird eine Dokumentation der Fotolinie an der Messstelle benötigt.
Die Fotolinie ist eine gedachte Linie quer zur Fahrbahn und befindet sich ca. 3 m in Fahrtrichtung hinter dem Sensorkopf (Sensorkopfmitte). Die Stelle an der sich diese Linie befindet, ist nachvollziehbar gekennzeichnet (Leitkegel, Reflexfolie, Kreidestriche, Spraydose o.ä.) und fotografisch als Fotolinie mindestens in einem Foto zu Beginn der Messung dokumentiert worden [...]

Nach Inaugenscheinnahme der im vorliegenden Verfahren durch die Bußgeldbehörde beigefügten „Fotoliniendokumentation" (Bi. 22 d. A.) musfestgestellt werden, dass die dort als Fotolinie bezeichnete Linie lediglich durch ein sogenanntes „Lübecker Hütchen" am äusseren Fahrbahnrand gekennzeichnet ist. Da eine Linie notwendigerweise aus 2 Punkten besteht, im vorliegenden Fall jedoch nur ein Punkt der Linie, nämlich der am äußeren Fahrbahnrand sich befindliche, erkennbar abgebildet ist, ist der Verlauf der Fotolinie gänzlich unklar. Die Fotolinie ist jedoch ein unverzichtbares Element zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung durch das Messgerät vom Typ ES 3.0.

Da im vorliegenden Fall die vom Hersteller in seiner Bedienungsanleitung geforderte „nachvollziehbare" gekennzeichnete Fotolinie fehlt, ist anhand der durch die Verwaltungsbehörde vorgelegten Beweismittel nicht klar erkennbar, ob es sich bei dem gemessenen Fahrzeug tatsächlich um das Betroffenenfahrzeug handelt und ob die gemessene Geschwindigkeit im Einklang Mit der Fotodokumentation vom Betroffenenfahrzeug steht.

Eine Schlüssigkeitsprüfung der Messung ist dem Gericht daher verwehrt.

Erschwerend kommt insofern hinzu, dass aus der hier vorliegenden unzulänglichen Fotoliniendokumentation nicht einmal erkennbar wird, ob bei dieser Dokumentation überhaupt der Bereich abgebildet worden ist, durch den an irgendeiner Stelle die Fotolinie verläuft, oder ob es sich stattdessen nicht tatsächlich um eine „Messliniendokumentation" handelt.

Die zusätzliche Dokumentation der Messlinie, welche beim Vorgängermodel des hier verwandten Messgerätes, dem Messgerät Typ ES 1.0, regelmäßig durchgeführt wurde, ist für das Nachfolgemodell ES 3.0 vom Gerätehersteller nicht mehr vorgeschrieben. Gleichwohl wäre die ordnungsgemäße Dokumentation beider Linien, also der Mess- und der Fotolinie, bei der Auswertung der Messung sehr hilfreich, da auf diese Weise Fehldokumentationen unter Verwechslung von Foto- und Messlinie verhindert werden könnten.

Der Verdacht von solchen Fehldokumentationen, unter Verwechslung von Fotolinie und Messlinie, liegt nahe, da in zahlreichen Fällen gleichartiger mangelhafter Dokumentation zu beobachten ist, dass die „Fotoliniendokumentation", welche nur durch Vorhandenseins eines Endpunkts gekennzeichnet ist (der ausschließlich durch einen einzigen „Lübecker Hut" markiert wird ) vielfach nicht identisch sind, mit auf der Fahrbahn angebrachten, quer zum Fahrbahnverlauf sich befindlichen Farbmarkierungen. Vielmehr befinden sich diese Lübecker Hütchen regelmäßig in Fahrtrichtung vor den vorerwähnten Fahrbahnmarkierungen, so dass sich der Verdacht aufdrängt, dass hier nicht, wie vorgeschrieben, die Fotolinie, sondern die Messlinie dokumentiert ist.

So gelangt in dem Verfahren des Amtsgerichts Lübben 40 OWi 321/09 der Sachverständige der DEKRA Rostock, bei dem Versuch der Rekonstruktion der Fotolinie, in seiner sachverständigen Stellungnahme vom 2.11.2009 zu dem Ergebnis:
{...] wird hier nur die Fahrzeugfront des betroffenen Fahrzeugs zur Hilfe genommen und diese dann mit dem entsprechenden Lübecker Hütchen verbunden, muss aus hiesiger Sicht bezweifelt werden, ob der Lübecker Hut tatsächlich die Fotolinie darstellt. Hierbei ist zu vermuten, dass der Lübecker Hut die Messlinie, welche sich 3 m vor der Fotolinie befindet, darstellt{...]
Dem vorerwähnten Verfahren liegt ein Frontfoto zugrunde, auf welchem nur ein einziges Fahrzeug abgebildet ist und die „Fotoliniendokumentation” wiederum nur mittels eines Lübecker Hütchens vorgenommen wurde, ohne dass ein weiterer Punkt der Linie erkennbar wäre.
Unter solchen Umständen ist eine sichere Zuordnung der Messung zu einem ganz speziellen Fahrzeug nicht mehr möglich. Es wird hierdurch vielmehr die Möglichkeit eröffnet, dass ein gänzlich anderes Fahrzeug, welches gerade die Messlinie passiert, abgebildet worden ist, während das tatsächlich gemessene Fahrzeug sich bereits außerhalb des Bereiches der Fotodokumentation befindet.

Da bereits bei der Umsetzung der vom Hersteller vorgeschriebenen
verfahrensgegenständlichen Fotoliniendokumentation gravierende Mängel aufgetreten sind, gleichwohl jedoch der Messbeamte im Messprotokoll bestätigt, dass die Geschwindigkeitsmessanlage entsprechend der Zulassüng und Gebrauchsanweisung des Herstellers zur Anwendung gebracht wurde, begründet dies auch Zweifel an der sonstigen Ordnungsgemäßheit der Aufstellung und Anwendung des Messgerätes durch den Messbeamten.

Diese Zweifel, neben der unzulänglichen Dokumentation und der dadurch vereitelten Plausibilitätsbetrachtung, lassen eine für die Verurteilung der Betroffenen hinreichende Überzeugung des Gerichtes von der Richtigkeit des Tatvorwurfes nicht mehr zu.

Insofern ist es auch ohne Belang, ob die Betroffene den Verkehrsverstoß eingeräumt hat, da nicht geklärt ist, ob es sich dabei um den verfahrensgegenständlichen Verstoß handelt.
Die Betroffene war daher freizusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 446 OWiG i. V. m. 467 Abs. 1


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Anmerkung:


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