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Entscheidungen

StPO

Einsichtsrecht, Anzeigererstatter, beigezogene Akte eines Zivilverfahrens

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 18.08.2022 – 102 VA 68/22

Leitsatz des Gerichts:

Zum rechtlichen Interesse eines Anzeigeerstatters an der Einsicht in die von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren beigezogene Akte eines Zivilverfahrens.


In pp.

I. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Landgerichts Passau vom 24. Mai 2022 zum Az. xxx wird als unbegründet zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
III. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung wendet sich der Antragsteller gegen den Bescheid des Landgerichts Passau vom 24. Mai 2022, mit dem dem weiteren Beteiligten antragsgemäß Einsicht in die Akte des Verfahrens mit dem Aktenzeichen ... gewährt worden ist.

Der Antragsteller, ein Rechtsanwalt, war in dem zivilgerichtlichen Verfahren (nachfolgend auch: Ausgangsverfahren) Beklagter. Der Kläger forderte von ihm Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Unternehmensübertragung. Er warf ihm ausweislich des insoweit nicht beanstandeten Bescheids vom 24. Mai 2022 vor, beim Unternehmensverkauf sowohl ihn, den Kläger und Verkäufer, als auch den Käufer, den weiteren Beteiligten des hiesigen Verfahrens, beraten und dadurch unter Verstoß gegen § 43a BRAO widerstreitende Interessen vertreten zu haben.

Der weitere Beteiligte erstattete wegen des Sachverhalts Strafanzeige. In dem wegen des Verdachts des Parteiverrats, § 356 StGB, eingeleiteten Ermittlungsverfahren zog die Staatsanwaltschaft die Akte des Zivilverfahrens bei und wertete sie aus. Sie teilte dem Anzeigeerstatter mit Schreiben vom 11. März 2022 mit, dass sie die Einstellung des Verfahrens wegen Verfolgungsverjährung beabsichtige. Nach dem Inhalt der Strafanzeige sei auch "unter Berücksichtigung ... sowie des Inhalts der beigezogenen Zivilakte des LG Passau, Az.: ..." die bemakelte Beratungstätigkeit mit der Unterzeichnung des Asset Deals und der Nebenabreden am 8. Juni 2016 abgeschlossen gewesen, womit der Lauf der Verjährungsfrist begonnen habe. Für eine über diesen Stichtag hinausgehende pflichtwidrige anwaltliche Beratung bzw. eine Tätigkeit als Steuerberater, bei der der hiesige Antragsteller auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts tätig gewesen sei, gebe es keine Anhaltspunkte. Die Anlagen R7 bis R14 der Zivilakte beträfen die spätere Ausgestaltung "des Verhältnisses". Dass hier noch ein Mandatsverhältnis bestanden habe, ergebe sich nicht. Die Strafanzeige gehe selbst davon aus, dass ab der Unterzeichnung des Asset Deals der hiesige Antragsteller als faktischer Geschäftsführer "der ..." tätig gewesen sei; dies stelle keine anwaltliche Tätigkeit mehr dar. Der weitere Beteiligte erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 4. April 2022 an die Staatsanwaltschaft monierte der weitere Beteiligte, dass ihm auf sein Einsichtsgesuch nur die Ermittlungsakte, nicht aber die beigezogene Zivilakte überlassen worden sei. Er bat, ihm Letztere nachzuliefern, da er andernfalls nicht vollständig Stellung nehmen könne. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft die Zivilakte unter Hinweis auf das Einsichtsgesuch an den Vorsitzenden der ersten Zivilkammer des Landgerichts Passau zurück zum Verbleib, verbunden mit der Bitte um Entscheidung über das Gesuch. Der Vorsitzende Richter informierte hierüber den weiteren Beteiligten und wies darauf hin, dass nach § 299 Abs. 2 ZPO Dritten Akteneinsicht ohne Einwilligung der Parteien nur gestattet werden dürfe, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht werde. Darauf brachte der weitere Beteiligte dem Vorsitzenden Richter die Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 11. März 2022 zur Kenntnis und verwies darauf, dass die Staatsanwaltschaft die Zivilakte gemäß Anforderung vom 15. Juni 2021 zur kurzzeitigen Einsichtnahme erhalten und sie zum Gegenstand ihrer Überlegungen gemacht habe. Er könne sich zu der beabsichtigten Einstellung des Ermittlungsverfahrens und der rechtlichen Auffassung der Staatsanwaltschaft nur äußern, wenn er ebenfalls die Zivilakte einsehen könne, von der die Staatsanwaltschaft keine Kopien gefertigt habe.

Der Vorsitzende Richter hörte die Parteien des Ausgangsverfahrens zum Gesuch an. Beide Parteien sprachen sich gegen eine Bewilligung aus. Ein rechtliches Interesse sei nicht glaubhaft gemacht und nicht gegeben. Der weitere Beteiligte wolle sich Informationen aus der Zivilakte beschaffen, um Argumente in dem von ihm veranlassten Ermittlungsverfahren zu gewinnen. Sein Interesse sei mithin nicht auf die Verfolgung eigener privater Rechte bzw. auf die Erlangung von Informationen zur Durchsetzung solcher Rechtspositionen, sondern auf Ausforschung gerichtet. Zudem seien die Anlagen R7 bis R14 dem weiteren Beteiligten bekannt. Darüber hinaus gehe aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft hervor, dass zum einen der Tatbestand einer Straftat nicht gegeben sei und zum anderen Verfolgungsverjährung eingetreten wäre. Auch die Rechtsanwaltskammer habe das vom weiteren Beteiligten initiierte dienstaufsichtsrechtliche Verfahren mangels Pflichtwidrigkeit eingestellt. Das Ausforschungsinteresse des weiteren Beteiligten reiche für einen Eingriff in die Datenschutzrechte der Prozessbeteiligten nicht aus.

Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2022 wiederholte der weitere Beteiligte gegenüber der Staatsanwaltschaft sein Gesuch um Einsicht in die Akte des Zivilverfahrens. Diese Akten hätten der Staatsanwaltschaft vollumfänglich vorgelegen und seien in der Entscheidung zitiert. "Bei einer Abwägung der ablehnenden Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten" überwiege sein berechtigtes Interesse. Er gehe davon aus, dass ihm die Zivilakte von der Ermittlungsbehörde nach Rücksprache mit dem Landgericht zur Verfügung gestellt werde. Über seine Eingabe informierte er auch den Vorsitzenden Richter in der Zivilsache, indem er das Dokument zur Kenntnis auch an ihn übermittelte.

Mit Bescheid des Landgerichts Passau vom 24. Mai 2022 wurde dem weiteren Beteiligten Einsicht in die Zivilakte gewährt. Das rechtliche Interesse ergebe sich aus § 356 Abs. 2 StGB und der Wertung der §§ 373b ff. StPO. § 356 Abs. 2 StGB diene auch dem individuellen Schutz der benachteiligten Partei. Für die Verletzteneigenschaft genüge es, dass bei unterstellter Begehung der Tat eine Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Verletzten vorläge. Es bestehe ein hinreichender Bezug des dadurch begründeten Rechtsverhältnisses zum Gegenstand des Zivilverfahrens, weil derjenige Unternehmenskauf, bei dem der Rechtsanwalt beide Seiten des Geschäfts beraten habe, Gegenstand des Zivilverfahrens sei. Im Rahmen der Interessenabwägung werde das Interesse des Gesuchstellers auch mit Blick auf § 406e StPO hoch gewichtet, zumal die Zivilakte vorübergehend Teil der Ermittlungsakte gewesen sei. Das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Parteien auf informationelle Selbstbestimmung trete vorliegend dahinter zurück. Ein besonderes Geheimhaltungsinteresse hätten die Parteien des Ausgangsverfahrens nicht dargelegt.

Gegen den ihm am 30. Mai 2022 zugestellten Bescheid wendet sich der Antragsteller mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 7. Juni 2022 an das Oberlandesgericht München, der durch elektronische Weiterleitung am 8. Juni 2022 beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist.

Der Antragsteller erstrebt die Aufhebung des Bescheids und die Abweisung des Einsichtsgesuchs.

Durch die ermessensfehlerhafte bzw. rechtswidrige Gewährung von Akteneinsicht werde er in seinen Rechten verletzt. Das von § 356 StGB geschützte Rechtsgut werde nach herrschender Meinung als ein öffentliches qualifiziert; für die Tatbestandsvariante des Absatzes 2 habe der Gesuchsteller nichts glaubhaft gemacht. Das Einsichtsrecht von Behörden im Wege der Amtshilfe sei fehlerhaft in die Abwägung eingestellt worden, denn auf diese Weise werde die restriktive Bewertung des § 299 Abs. 2 ZPO ausgehebelt. Das Einsichtsgesuch sei abzuweisen.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.

Zwar wäre für die Gewährung von Einsicht in beigezogene Akten der zuständige Referent der Staatsanwaltschaft zuständig gewesen. Allerdings bedürfe es der Zustimmung derjenigen Stelle, um deren Akte es sich handele, "§ 378 Abs. 2 StPO". Diese Stelle, das Landgericht, habe hier selbst die Einsicht gewährt. Das erforderliche rechtliche Interesse liege vor; Ermessensfehler seien nicht erkennbar.

Der Gesuchsteller ist am Verfahren beteiligt worden. Er beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.

Der Kläger des Zivilverfahrens habe vorgetragen, dass der hiesige Antragsteller, der Beklagte im Zivilverfahren, beim Firmenverkauf genau in dem Interessenwiderstreit gehandelt habe, den der um Einsicht nachsuchende weitere Beteiligte der Strafanzeige zugrunde gelegt habe, und dass er deswegen ihm, dem Kläger, gegenüber schadensersatzpflichtig sei. Die Staatsanwaltschaft habe das Ermittlungsverfahren wegen Verjährung eingestellt. Die Einstellung fechte er an. Zur Begründung seiner Beschwerde gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft benötige er Kenntnis der von der Staatsanwaltschaft verwerteten Akte.

Dem hat der Antragsteller entgegnet, die Beurteilungsprärogative, ob der Verdacht einer Straftat gegeben sei, liege bei der Staatsanwaltschaft, nicht beim Gesuchsteller. Das durch § 356 StGB geschützte öffentliche Interesse habe auf private Dritte lediglich Reflexwirkung. Es handele sich nicht um eine gezielte legislative Normausrichtung.
Die Akteneinsicht ist noch nicht vollzogen worden.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG ist statthaft und zulässig.

Die auf § 299 Abs. 2 ZPO gestützte Bewilligung der Akteneinsicht für den weiteren Beteiligten als Dritten ist ein Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2015, XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rn. 10; Lückemann in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 23 EGGVG Rn. 4).

Der Subsidiaritätsgrundsatz des § 23 Abs. 3 EGGVG greift vorliegend nicht, denn gegen den Bewilligungsbescheid kann der Antragsteller nicht nach § 406e Abs. 5 Satz 2 StPO oder § 480 Abs. 3 Satz 1 StPO jeweils i. V. m. § 162 StPO um gerichtliche Entscheidung durch den Ermittlungsrichter nachsuchen (zur früheren Rechtslage auch BGH, Beschluss vom 18. Januar 1993, 5 AR [VS] 44/92, BGHSt 39, 112 [juris Rn. 13 ff.]). Zwar wurde die Akte über den - abgeschlossenen - Zivilprozess zu der Zeit, als das Einsichtsgesuch bei der Staatsanwaltschaft gestellt wurde, noch als Beiakte bei der Ermittlungsakte geführt; sie dürfte deshalb zu den Akten des Ermittlungsverfahrens im Sinne der §§ 147, 406e StPO gehört haben (vgl. BGH, Urt. v. 7. März 1996, 1 StR 688/95, BGHSt 42, 71 [juris Rn. 7] f.; LG Hannover, Beschluss vom 24. November 2014, 98 KLs 4/14 u.a., juris Rn. 4; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 12. Januar 2011, 7 Qs 96/2010, StraFo 2011, 225 [juris Rn. 16]; Wessing in BeckOK StPO, 43. Ed. Stand: 1. April 2022, § 147 Rn. 17; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 147 Rn. 16; Ferber in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. 2022, § 406e StPO Rn. 3; Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2021, § 147 Rn. 65 ff.; Thomas/Kämpfer in Münchener Kommentar zur StPO, 2014, § 147 Rn. 15; auch BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1982, 2 BvR 900/82, BVerfGE 62, 338 [juris Rn. 18]; BGH, Urt. v. 18. Juni 2009, 3 StR 89/09, StraFo 2009, 338 [juris Rn. 20]). Demnach wäre die Staatsanwaltschaft als aktenführende Stelle zur Entscheidung über das Gesuch um Einsicht (auch) in die Zivilakte - ggf. nach Anhörung des Beschuldigten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2017, 1 BvR 1259/16, NJW 2017, 1164 Rn. 17; Beschluss vom 30. Oktober 2016, 1 BvR 1766/14, juris Rn. 5) - berufen gewesen. Eine solche Entscheidung liegt jedoch nicht vor. Die Staatsanwaltschaft hat vielmehr das an sie gestellte Einsichtsgesuch an den Vorsitzenden Richter des Zivilgerichts als Organ der Justizverwaltung zur Erledigung in eigener Kompetenz weitergeleitet. Der sodann vom Vorsitzenden Richter der Zivilkammer erlassene Bewilligungsbescheid ist ihr nicht "zuzurechnen".

Der Antrag ist innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG bei dem zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht gestellt worden. Dass der Antrag an das Oberlandesgericht München adressiert war, steht nicht entgegen, denn der Antragsteller hat im weiteren Verlauf sein Einverständnis mit der - wohl ohne Rücksprache, aber innerhalb der Einlegungsfrist erfolgten - Weiterleitung an das Bayerische Oberste Landesgericht, das seit dem 1. Februar 2019 gemäß § 25 Abs. 2 EGGVG i. V. m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG für Entscheidungen dieser Art zuständig ist, zu erkennen gegeben. Zudem ergibt sich aus dem ebenfalls elektronisch übermittelten Transfervermerk sowie dem Prüfprotokoll, dass die Antragsschrift den Formvorgaben des § 14 Abs. 2 FamFG i. V. m. § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 ZPO entspricht, sodass anders als in der vom Verwaltungsgericht Halle mit Urteil vom 15. November 2021 entschiedenen Sache (Az. 5 A 235/21, NVwZ 2022, 1148) keine Zweifel an der formgerechten Einlegung des Rechtsbehelfs bestehen.

Eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten hat der Antragsteller geltend gemacht, denn er rügt einen unzulässigen Eingriff in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, § 24 Abs. 1 EGGVG.

2. In der Sache ist der Rechtsbehelf unbegründet. Die Bewilligung des Einsichtsgesuchs auf der Grundlage des § 299 Abs. 2 ZPO ist nicht zu beanstanden. Zuständig für diese Entscheidung ist der nach der Geschäftsverteilung des Bayerischen Obersten Landesgerichts im Turnus berufene Zivilsenat, da der Antrag aus den unter II. 1. dargestellten Gründen keine Angelegenheit der Strafrechtspflege und somit keine Geschäftsaufgabe im Sinne von Abschnitt B. II. Ziffer 2 des Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2022, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes (AGGVG) betrifft, die in die Zuständigkeit der Strafsenate am Standort Nürnberg fallen würde.

a) Der angefochtene Bescheid ist nicht bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig, denn er ist als Justizverwaltungsakt von der hierfür funktional zuständigen Stelle erlassen worden.

Der Vorsitzende der Zivilkammer war für die Entscheidung über die Erteilung der beantragten Einsicht in die Zivilakte gemäß § 299 Abs. 2 ZPO zuständig. Obwohl das Einsichtsgesuch an die Staatsanwaltschaft gerichtet war, hat sich der weitere Beteiligte an dem eingeleiteten Justizverwaltungsverfahren beteiligt und - um seinem Antrag zum Erfolg zu verhelfen - inhaltliche Angaben zu seinem Interesse an der Einsicht gemacht, nachdem er von der Justizverwaltung über die Behandlung seines Antrags informiert und auf die Voraussetzungen des § 299 Abs. 2 ZPO hingewiesen worden war. Damit hat er hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, das Einsichtsgesuch jedenfalls auch in diesem Justizverwaltungsverfahren weiter zu verfolgen.

Die Befugnis zur Erteilung von Akteneinsicht durch Dritte gemäß § 299 Abs. 2 ZPO ist ausweislich des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts Passau für den richterlichen Dienst mit Verfügung des Präsidenten des Gerichts vom 17. Dezember 2021 für das Geschäftsjahr 2022 den jeweiligen Vorsitzenden der Zivilkammern in zulässiger Weise (vgl. BayObLG, Beschluss vom 14. Februar 2022, 102 VA 153/21, juris Rn. 20) übertragen worden.

b) Im Ergebnis zutreffend nimmt der Bewilligungsbescheid ein rechtliches Interesse des weiteren Beteiligten an der Einsicht in die Zivilprozessakte an, das nach § 299 Abs. 2 ZPO Voraussetzung für die Gewährung von Akteneinsicht an Dritte ohne Einwilligung der Parteien ist.

aa) Das gegenüber dem "berechtigten Interesse" enger zu verstehende "rechtliche Interesse" (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 1993, X ZB 31/92, NJW-RR 1994, 381 [juris Rn. 13]) setzt ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache voraus (BGH, Beschluss vom 5. April 2006, IV AR [VZ] 1/06, NZG 2006, 595 Rn. 15; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 299 Anm. 38).

Ein rechtliches Interesse des Dritten an der Akteneinsicht setzt danach voraus, dass das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest sein Gegenstand für die rechtlichen Belange des Dritten von konkreter rechtlicher Bedeutung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2020, IX AR [VZ] 2/19, NZI 2021, 123 Rn. 14; BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2021, 102 VA 66/21, juris Rn. 26; Beschluss vom 2. September 2021, 101 VA 100/21, NZI 2021, 1078 Rn. 20; Beschluss vom 24. Oktober 2019, 1 VA 92/19, NZI 2020, 491 Rn. 22 [juris Rn. 27] jeweils m. w. N.).

bb) Das ist hier der Fall. Ein rechtliches Interesse des weiteren Beteiligten an der Akteneinsicht liegt vor, weil dessen subjektiven Rechte durch den Sachverhalt des Zivilverfahrens konkret berührt werden.

(1) Allerdings kann die rechtliche Betroffenheit des weiteren Beteiligten vorliegend nicht aus § 356 Abs. 2 StGB hergeleitet werden.

Der Verbrechenstatbestand des schweren Parteiverrats setzt voraus, dass der Täter im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei handelt. Der weitere Beteiligte hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass diese qualifizierenden Umstände vorlägen.

(2) Bedenken bestehen deshalb auch gegen die Ansicht des Landgerichts, das rechtliche Interesse ergebe sich aus der Wertung der §§ 373b ff. StPO.

Zu § 356 StGB hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 14. Juli 2020 (Az. 4 StR 611/19, NStZ 2020, 601) unter Bezugnahme auf weitere Rechtsprechung ausgeführt, die Strafvorschrift gehöre zu den sogenannten "opferlosen" Delikten; sie schütze keine Individualrechtsgüter, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwalt- und Rechtsbeistandschaft (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2001, 2 BvR 1373/00, NJW 2001, 3180 [juris Rn. 4]; zum Meinungsstreit: Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 356 Rn. 2; Heuchemer in BeckOK StGB, 53. Ed. Stand: 1. Mai 2022, § 356 Rn. 1; Sahan/Höft in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, § 356 Rn. 1 f.; Kudlich in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 5. Aufl. 2021, § 356 Rn. 2; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 356 Rn. 1; Dahs in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2019, § 356 Rn. 2 ff.; Heger in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2019, § 356 Rn. 1).

Danach erscheint fraglich, ob der weitere Beteiligte als Verletzter i. S. d. § 373b StPO (vgl. Ferber in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, § 406e StPO Rn. 3 i. V. m. § 406d StPO Rn. 3, § 373b StPO Rn. 4) angesehen werden kann. Nach der Legaldefinition in § 373b Abs. 1 StPO, die in Umsetzung der Opferschutzrichtlinie (RL 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI, Abl. EU, L315/57) zum 1. Juli 2021 eingeführt worden ist, sind Verletzte diejenigen Personen, die durch die Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, in ihren Rechtsgütern unmittelbar beeinträchtigt worden sind oder unmittelbar einen Schaden erlitten haben. Bei der Auslegung ist zu beachten, dass jemand durch die Tat nur dann verletzt sein kann, wenn die übertretene Norm - jedenfalls auch - die Rechte dieser Person schützen will (Weiner in BeckOK StPO, § 373b Rn. 11; BT-Drs. 19/27654, S. 42). Da der weitere Beteiligte auch nicht zu dem erweiterten Personenkreis des § 406e Abs. 4, § 403 Satz 2 StPO gehören dürfte, kommt vorliegend in Betracht, dass er im Ermittlungsverfahren Akteneinsicht nur nach Maßgabe des § 475 Abs. 2 StPO beanspruchen könnte und für eine Einsicht in die beigezogene Zivilakte die Zustimmung des Landgerichts Passau nach § 480 Abs. 2 StPO (§ 478 Abs. 2 StPO a. F.) nachzuweisen hätte, nachdem die Staatsanwaltschaft keine Kopien von der im Ermittlungsverfahren ausgewerteten Zivilakte gefertigt hatte.

(3) Der Senat kann diese Fragen offen lassen, denn bereits die zivilrechtlich gestaltete subjektive Rechtsstellung des weiteren Beteiligten ist durch den Gegenstand des Verfahrens, in das er Einsicht begehrt, unmittelbar betroffen. Dies begründet ein rechtliches Einsichtsinteresse. Die Tatsachen, aus denen sich der rechtliche Bezug zum Streitstoff des Ausgangsverfahrens ergibt, hat der weitere Beteiligte mit seinem Einsichtsgesuch hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.

Ein Rechtsanwalt, der in derselben Rechtssache beiden Parteien im entgegengesetzten Interesse dient, handelt pflichtwidrig i. S. d. § 356 Abs. 1 StGB (BGH, Urt. v. 13. Juli 1982, 1 StR 245/82, juris Rn. 9; BayObLG, Urt. v. 6. August 2021, 201 StRR 66/21, juris Rn. 20) und verstößt zugleich gegen das in § 43a Abs. 4 BRAO normierte berufsrechtliche Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. Auf die privatrechtliche Beziehung zwischen Anwalt und Mandant hat die öffentlichrechtliche Berufsregel unmittelbare Rechtswirkung, denn § 43a Abs. 4 BRAO ist ein Verbotsgesetz i. S. d. § 134 BGB. Ein Verstoß gegen das Verbot führt zur Nichtigkeit des Mandatsvertrags; hierfür genügt, dass der Tatbestand der Verbotsnorm objektiv erfüllt ist (vgl. BGH, Urt. v. 10. Januar 2019, IX ZR 89/18, NJW 2019, 1147 Rn. 24; Urt. v. 12. Mai 2016, IX ZR 241/14, NJW 2016, 2561 Rn. 7 ff.; Fischinger/Hengstberger in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2021, § 134 Rn. 308; Latzel in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2020, § 611 Rn. 449).

Demzufolge berührt der Gegenstand des Zivilverfahrens unmittelbar die subjektiven Rechte des weiteren Beteiligten.

Dies kann und muss vorliegend berücksichtigt werden, obwohl der weitere Beteiligte bei der Schilderung seines Einsichtsinteresses nicht auf den zivilrechtlichen Aspekt, sondern auf die Lage im Ermittlungsverfahren abgestellt hat. Aus seinen Angaben ging hervor, dass er gegen den Beklagten des Zivilverfahrens Anzeige wegen des Vorwurfs des Parteiverrats erstattet und die Staatsanwaltschaft im Zuge ihrer Ermittlungen die Zivilakte beigezogen und ausgewertet hatte. Damit war für das Landgericht auch ohne nähere Darlegungen seitens des weiteren Beteiligten klar ersichtlich, dass dieser zusammen mit den beiden Verfahrensbeteiligten die "Dreiecksbeziehung" bildet, die dem im Zivilverfahren gegen den Anwalt erhobenen Vorwurf der Vertretung widerstreitender Interessen und dem deswegen geführten Streit um Schadensersatz zugrunde liegt. Der Kerntatbestand des § 43a Abs. 4 BRAO ist in demjenigen des § 356 StGB enthalten (Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 43a Rn. 213 m. w. N.). Aus den tatsächlichen Umständen, die der weitere Beteiligte schilderte, um den Anlass für das Einsichtsgesuch darzustellen, ergab sich somit unmittelbar seine Behauptung, dass er in dem dem Zivilverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt mit dem beklagten Rechtsanwalt durch einen unter objektivem Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen durchgeführten Mandatsvertrag verbunden gewesen sei; damit lag zugleich offen, dass der Gegenstand des Zivilverfahrens für die subjektiven rechtlichen Belange des weiteren Beteiligten von konkreter rechtlicher Bedeutung ist, denn der Streitstoff - Doppelvertretung unter angeblichem Verstoß gegen § 43a BRAO - berührt unmittelbar auch die subjektiven Rechte des weiteren Beteiligten. Darin unterscheidet sich der Streitfall von derjenigen Konstellation, die der Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 11. März 2020 (Az. 11 VA 10/18, BeckRS 2020, 4920) zugrunde gelegen hat. Das Oberlandesgericht hat dort ausgeführt, allein der Umstand, dass sich der Gesuchsteller aus einem Einblick in die Verfahrensakte Anhaltspunkte oder Strategien für sein eigenes (familienrechtliches) Verfahren erhoffe, das in keinerlei Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren stehe, genüge nicht (so auch Bacher in BeckOK ZPO, 45. Ed. Stand: 1. Juli 2022, § 299 Rn. 29.1). Demgegenüber besteht im Streitfall aus den dargelegten Gründen ein auf Rechtsnormen beruhender Zusammenhang zwischen der Rechtsstellung des weiteren Beteiligten und dem Streitstoff desjenigen Verfahrens, in das er Einsicht begehrt.

Indem der weitere Beteiligte die Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 11. März 2022 vorgelegt hat, hat er diejenigen tatsächlichen Umstände, die seine rechtliche Betroffenheit durch den Gegenstand des Zivilverfahrens begründen, hinreichend glaubhaft gemacht (§§ 294, 299 Abs. 2 ZPO). Aus der Mitteilung geht für jeden mit der Angelegenheit Befassten hinreichend klar hervor, dass der weitere Beteiligte wie der Kläger des Ausgangsverfahrens dem dortigen Beklagten und Beschuldigten des Ermittlungsverfahrens aus eigener Betroffenheit und wegen desselben Sachverhalts eine Doppelvertretung unter Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen zum Vorwurf macht. Daraus ergibt sich der dargelegte rechtliche Bezug zwischen den Sachverhalten des Ermittlungs- und des Ausgangsverfahrens; zudem ist die Sachverhaltsidentität von den (früheren) Parteien des Zivilprozesses nicht bestritten worden. In dieser Situation bedurfte es keiner Glaubhaftmachung weiterer tatsächlicher Umstände (vgl. auch OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 21. Juni 2016, 20 VA 20/15, juris Rn. 46; allgemein: Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 294 Rn. 12 f., § 299 Rn. 21; Nober in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 294 Rn. 2; Longrée/Maiwurm, MDR 2015, 805 [808]; Zuck, NJW 2010, 2913 [2915]).

Dieses rechtliche Interesse entfällt nicht deshalb, weil der weitere Beteiligte mit seinem Einsichtsgesuch das Ziel verfolgte, im Ermittlungsverfahren zu der angekündigten Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO wegen Verjährung Stellung zu nehmen. Nichts anderes gilt für den Zeitpunkt der Entscheidung. Das rechtliche Interesse lässt sich in der vorliegenden Konstellation nicht aufspalten in ein zivilrechtlich geprägtes Interesse einerseits und in ein Interesse an einer ordnungsgemäßen Behandlung des angezeigten Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft andererseits. Beides hängt angesichts des inmitten stehenden Vorwurfs der Vertretung widerstreitender Interessen untrennbar zusammen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. April 2006, IV AR [VZ] 1/06, ZIP 2006, 1154 [juris Rn. 20 ff. - zur Unzulässigkeit einer Aufspaltung des Gläubigerinteresses in ein rechtliches und ein wirtschaftliches). Dass die Aufklärung und Verfolgung etwaiger Straftaten im öffentlichen Interesse erfolgt und nicht dem weiteren Beteiligten obliegt, ändert am Bestehen eines rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht nichts.
Allerdings verschafft das rechtliche Interesse an der Einsicht noch kein Recht auf Einsicht. Es eröffnet aber den Raum für eine Ermessensentscheidung. Im Rahmen der Ermessensbetätigung ist das mit der Einsicht vorrangig oder ausschließlich verfolgte Ziel zu berücksichtigen.

c) Die Entscheidung ist nicht wegen fehlerhafter Ermessensabwägung aufzuheben.

Im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG prüft das Gericht auch, ob die im Ermessen der Justizbehörde stehende Maßnahme deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist, § 28 Abs. 3 EGGVG.

Abzuwägen ist bei einer Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO das Interesse der Verfahrensbeteiligten an der Geheimhaltung des Verfahrensstoffs mit dem gegenläufigen, gleichfalls geschützten Informationsinteresse der Einsicht begehrenden Person. Diese Abwägung ist unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.

Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung nach diesem Maßstab zeigt keinen Fehler auf, der zur Aufhebung des Bescheids führte.

aa) Im Streitfall, in dem konkrete individuelle Geheimhaltungsinteressen nicht geltend gemacht sind, sind die Interessen der am Zivilverfahren Beteiligten an der Vertraulichkeit ihrer persönlichen Daten zu berücksichtigen, denn aufgrund des in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgten allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist der Einzelne befugt, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte preisgegeben und personenbezogene Daten verwendet werden (BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2018, 2 BvR 1562/17, NJW 2018, 2395 Rn. 44; Beschluss vom 9. März 1988, 1 BvL 49/86, BVerfGE 78, 77 [84, juris Rn. 26 ff.]; Urt. v. 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 - Volkszählung, Mikrozensus, BVerfGE 65, 1 [43 ff., juris Rn. 148 ff.]; BGH, Urt. v. 5. November 2013, VI ZR 304/12 - Mascha S., NJW 2014, 768 Rn. 11; BayObLG, Beschluss vom 1. Juli 2021, 1 VA 37/20, juris Rn. 40 und Beschluss vom 6. August 2020, 1 VA 33/20, ZD 2021, 40 Rn. 23 [juris Rn. 24] m. w. N.). Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Beteiligten eines Gerichtsverfahrens ist somit auch zu berücksichtigen, wenn Dritten Einsicht in die Verfahrensakte gewährt werden soll (BGH, Beschluss vom 10. April 2007, I ZB 15/06 (BPatG) - MOON, GRUR 2007, 628 Rn. 14).

Dass Außenstehende durch Einsicht in die Zivilakte Informationen über geschützte personenbezogene Daten Verfahrensbeteiligter erlangen, steht der Bewilligung von Einsicht allerdings nicht ohne Weiteres entgegen. Denn auch das in der Verfassung wurzelnde Recht auf informationelle Selbstbestimmung verleiht keine unbeschränkte Rechtsposition. Vielmehr muss der Einzelne eine Beschränkung seines Rechts auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots hinnehmen (vgl. BVerfG, Urt. v. 19. September 2018, 2 BvF 1/15 - Zensus 2011, BVerfGE 150, 1 Rn. 220; Beschluss vom 9. Januar 2006, 2 BvR 443/02, NJW 2006, 1116 Rn. 20; Beschluss vom 14. September 1989, 2 BvR 1062/87 - Tagebuchaufzeichnung, BVerfGE 80, 367 [373, juris Rn. 14]; je m. w. N.). Deshalb kann er es zu dulden haben, wenn personenbezogene Daten durch eine Akteneinsicht Dritten zugänglich gemacht werden. Wollte man stets einen Vorrang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber dem Einsichtsinteresse dritter Personen annehmen, liefe deren rechtlich geschütztes Interesse an einer Akteneinsicht leer (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2006, IV AR [VZ] 1/06, NZI 2006, 472 Rn. 23).

Entsprechendes gilt, wenn nicht auf die im Grundgesetz niedergelegten Grundrechte, sondern auf die Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) zurückzugreifen sein sollte (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 27. April 2021, 2 BvR 206/14, juris Rn. 36), hier mithin auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß Art. 8 GRCh. Die Grundrechte der Charta knüpfen sowohl an die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten als auch an die Europäische Menschenrechtskonvention an und stellen - ihre Anwendbarkeit auf die deutsche Staatsgewalt nach Art. 51 Abs. 1 GRCh unterstellt - ein grundsätzlich funktionales Äquivalent zu den Gewährleistungen des Grundgesetzes dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2021, 2 BvR 206/14, juris Rn. 62 ff.; Beschluss vom 1. Dezember 2020, 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18, NJW 2021, 1518 Rn. 37). Auch sie gewähren grundsätzlich keinen absoluten Schutz, sondern sind gemäß Art. 52 GRCh Einschränkungen unterworfen; Grundrechtskollisionen sind im Sinne praktischer Konkordanz aufzulösen (zur allgemeinen Einschränkungsregelung des Art. 52 Abs. 1 GRCh: Jarass in Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 52 Rn. 19 ff; Schwerdtfeger in Meyer/Hölscheidt, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 5. Aufl. 2019, Art. 52 Rn. 27 ff.; zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union betreffend die Einschränkung von Datenschutzrechten zugunsten gegenläufiger Rechtspositionen: Schneider in BeckOK Datenschutzrecht, 36. Ed. Stand: 1. Mai 2021, Grundlagen und bereichsspezifischer Datenschutz, Syst. B. Völker- und unionsrechtliche Grundlagen Rn. 29 ff.). Es ist nicht ersichtlich, dass der Grundrechtsschutz des Grundgesetzes im Streitfall das Schutzniveau der Grundrechtecharta der Europäischen Union im Rahmen eines auf Vielfalt angelegten Grundrechtsschutzes in Europa nicht gewährleistet (vgl. auch Roßnagel, NJW 2019, 1 ff.).

bb) Das Landgericht hat die nach diesen Grundsätzen notwendige Abwägung der gegenläufigen, jeweils geschützten Interessen vorgenommen und bei seiner Ermessensbetätigung keinen Fehler gemacht, der zur Aufhebung des Bescheids führte.

Es hat das durch die Verfassung geschützte Recht der Prozessparteien auf informationelle Selbstbestimmung ausdrücklich in den Blick genommen und in die Abwägung eingestellt. Zutreffend hat es in diesem Zusammenhang berücksichtigt, dass die Prozessparteien nichts zu einem besonderen Geheimhaltungsinteresse ausgeführt haben. Dafür, dass das Landgericht das Gewicht des Grundrechts verkannt hätte, gibt es keinen Anhaltspunkt.

Es ist auch nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen, dass das Landgericht das Interesse des weiteren Beteiligten, sich zu der (beabsichtigten) Einstellung des Ermittlungsverfahrens auf informierter Grundlage äußern zu können, in die Abwägung eingestellt und diesem Interesse ein hohes Gewicht beigelegt hat. Ob das Landgericht den weiteren Beteiligten zutreffend als Verletzten i. S. d. § 406e StPO angesehen hat, kann auch in diesem Zusammenhang dahinstehen. Unabhängig davon, ob dem weiteren Beteiligten diese prozessuale Rolle im Ermittlungsverfahren zukommt, ist - worauf das Landgericht zutreffend abgestellt hat - sein Interesse daran, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nachvollziehen und überprüfen zu können, um im Ermittlungsverfahren Stellung zu nehmen, hoch zu gewichten. Denn ungeachtet der Frage, ob dem weiteren Beteiligten prozessual die Möglichkeit eines Klageerzwingungsverfahrens offensteht, war zu berücksichtigen, dass ihm die Ermittlungsbehörde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und somit die Möglichkeit zur Einflussnahme auf das Ermittlungsverfahren eröffnet hat. Hinzu kommt, dass die in § 43a Abs. 4 BRAO geregelte anwaltliche Berufspflicht hoch zu gewichten ist. Sie stellt eine Grundvoraussetzung dafür dar, dass die Anwaltschaft ihre zentrale Funktion im System der Rechtspflege erfüllen kann. Insoweit dient die Vorschrift zwar einem Gemeinwohlinteresse, auf das sich der weitere Beteiligte nicht im Sinne eines Verfechters öffentlicher Interessen berufen könnte. Gleichrangig verfolgt die Vorschrift jedoch den Schutz des individuellen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant. Wer als Anwalt gegenläufigen Interessen dient, zerstört die für die Mandatsausübung unverzichtbare Vertrauensgrundlage (vgl. Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, § 43a Rn. 161). Mit Blick hierauf ist das Interesse des weiteren Beteiligten nicht einem beliebigen Popularkläger vergleichbar, der allgemein an der Rechtsstaatlichkeit interessiert wäre. Der angebliche Vertrauensbruch im konkreten Mandatsverhältnis bewirkt vielmehr eine persönliche Betroffenheit, die - unabhängig von prozessualen Rollen - ein individuelles Interesse des weiteren Beteiligten an einer rechtsstaatlich ordnungsgemäßen Bearbeitung des von ihm angezeigten Sachverhalts begründet. Dieses Individualinteresse hat das Landgericht angesichts der Bedeutung, die dem individuellen Vertrauensverhältnis und der Berufspflicht des § 43a Abs. 4 BRAO beizumessen sind, sowie der Unmöglichkeit, zur (beabsichtigten) Verfahrenseinstellung ohne Kenntnis der von der Staatsanwaltschaft ausgewerteten Akte fundiert Stellung beziehen zu können, mit Recht als gewichtig eingestuft. Dass die ordnungsgemäße Bearbeitung eines strafrechtlich relevanten Verdachts der Staatsanwaltschaft und nicht dem einzelnen Bürger obliegt, wie der Antragsteller zutreffend bemerkt, steht dem nicht entgegen.

Der Fehler des Landgerichts, das rechtliche Interesse aus § 356 Abs. 2 StGB herzuleiten, hat sich nicht als Ermessensfehler fortgesetzt. Weder den Umstand, dass diese Qualifikation als Verbrechenstatbestand ausgestaltet ist, noch eine Schadenshöhe hat das Landgericht in die Abwägung eingestellt. Einen Fehler stellt es zwar dar, dass das Landgericht das Interesse des weiteren Beteiligten aus dem Grund als anerkennenswert angesehen hat, weil es ihm mit Blick auf § 356 Abs. 2 StGB die Rolle eines Einsichtsberechtigten zuerkannt hat, ohne zu beachten, dass er diese Rolle möglicherweise nicht beanspruchen kann, wenn der zu beurteilende Sachverhalt "lediglich" den Grundtatbestand des § 356 Abs. 1 StPO erfüllt. Das Einsichtsinteresse des weiteren Beteiligten ist jedoch aus den dargestellten Gründen unabhängig von seiner prozessualen Rolle anzuerkennen und hoch zu gewichten.

Daher fehlt es an Anhaltspunkten für die Annahme, die Abwägung könnte von dem fehlerhaften Ansatz beeinflusst worden sein.

Ein Ermessensfehlgebrauch wegen fehlerhafter Gewichtung ist somit nicht zu erkennen.

cc) Auch sonst ist kein Ermessensfehler erkennbar.

Insbesondere war das Landgericht nicht gehalten, eine Beschränkung der Einsicht auf bestimmte Aktenteile - etwa einzelne Anlagen - in Betracht zu ziehen. Nicht zu beanstanden ist die Erwägung, dem weiteren Beteiligten Einsicht in die vollständige Akte deshalb zu gewähren, weil auch der Staatsanwaltschaft die gesamte Akte zur Auswertung zur Verfügung gestanden habe. Die danach vom Landgericht vertretene Ansicht, dass dem weiteren Beteiligten zur effektiven Wahrnehmung seines Äußerungsrechts ebenfalls der gesamte Akteninhalt zur Verfügung stehen müsse, ist sachgerecht und nicht von Rechtsfehlern beeinflusst. Für die Annahme, die Prozessakte enthielte besonders schützenswerte sensible Daten - wie Gesundheitsdaten - fehlt es an Vorbringen und angesichts des Verfahrensgegenstands an jeglichen Anhaltspunkten.

Ohne Erfolg hält der Antragsteller dieser Erwägung entgegen, die Akteneinsicht durch staatliche Behörden wie die Staatsanwaltschaft sei bereits durch Art. 35 GG gewährleistet. Diese Auffassung trifft nicht zu. Als Grundlage für den mit dem Datenaustausch durch Bewilligung von Akteneinsicht verbundenen Grundrechtseingriff kommt Art. 35 Abs. 1 GG nicht in Betracht. Der Gehalt dieser Rahmenvorschrift erschöpft sich in der Feststellung der Pflicht zur Rechts- und Amtshilfe, ohne deren Voraussetzungen und Umfang zu regeln. Wegen des Gesetzesvorbehalts für Grundrechtseingriffe setzt die Gewährung von Amtshilfe durch Austausch personenbezogener Daten jedoch einfachgesetzliche Vorschriften voraus, die zum einen das Ersuchen und zum anderen die korrespondierende Übermittlung erlauben (sog. "Doppeltürmodell"; vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020, 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13 - Bestandsdatenauskunft II, BVerfGE 155, 119 Rn. 93; Beschluss vom 6. März 2014, 1 BvR 3541/13 u.a., NJW 2014, 1581 Rn. 18 und 25 - zur Einsicht von Zivilgerichten in Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft; grundlegend: BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2012, 1 BvR 1299/05, BVerfGE 130, 151 - Bestandsdatenspeicherung, Zuordnung dynamischer IP-Adressen [184, juris Rn. 123]; BayObLG, Beschluss vom 2. Juni 2022, 102 VA 7/22, juris Rn. 70 und 81; Beschluss vom 27. Januar 2021, 1 VA 37/20, FamRZ 2021, 891 [juris Rn. 39]; Beschluss vom 6. August 2020, 1 VA 33/20, FamRZ 2020, 1942 [juris Rn. 22] m. w. N.).

Schließlich bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht die zugunsten des Antragstellers sprechende Unschuldsvermutung aus dem Blick verloren oder unzulänglich berücksichtigt habe.

d) Der Bewilligungsbescheid ist schließlich nicht aufgrund veränderter Umstände rechtswidrig geworden, weil der mit der Akteneinsicht verfolgte Zweck infolge Zeitablaufs nicht mehr erreicht werden könnte.

Soweit der weitere Beteiligte im Schriftsatz vom 8. Juli 2020 vorgetragen hat, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren wegen Verjährung eingestellt, was vom Anzeigeerstatter angefochten werde, liegen keine Umstände vor, denen ein Wegfall des Einsichtsinteresses oder eine Unmöglichkeit der Zweckerreichung entnommen werden könnte.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil der Antragsteller die gerichtlichen Kosten des Verfahrens bereits nach den gesetzlichen Bestimmungen zu tragen hat (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG) und eine Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten nicht in Betracht kommt, § 30 Satz 1 EGGVG. Auch eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des weiteren Beteiligten scheidet wegen der abschließenden Sonderregelung des § 30 EGGVG aus (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Oktober 2014, 3 VA 2/12, juris Rn. 18; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, EGGVG § 30 Rn. 5 m. w. N.).

Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

Die nach § 1 Abs. 1 und 2 Nr. 19, § 3 Abs. 1 und 2 GNotKG i. V. m. Nr. 15301 GNotKGKV erforderliche Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG. Festzusetzen ist der Regelwert von 5.000,00 €, weil eine hinreichende Schätzgrundlage für die Bemessung des Interesses des Antragstellers an der begehrten Aufhebung der angefochtenen Maßnahme fehlt.


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