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Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Einzelhaft, Trennungsgebot, Jugendliche

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Oldenburg, Beschl. v. 29.11.2022 - 6 Qs 62/22

Eigener Leitsatz:

Eine faktische Einzelhaft aus organisatorischen Gründen ist im Gesetz nicht vorgesehen.


Landgericht Oldenburg

Beschluss

6 Qs 62/22

In der Beschwerdesache
gegen pp.

Verteidiger:

wegen gefährlicher Körperverletzung

hier Beschwerde gegen Beschluss des Amtsgerichts Cloppenburg vom 03.11.2022

hat das Landgericht - 1. Große Jugendkammer - Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter und den Richter am Landgericht am 29.11.2022 beschlossen:

1. Es wird festgestellt, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers durch die Absonderung von anderen jugendlichen Untersuchungshäftlingen und sein Ein-schluss über 23 Stunden am Tag im Zeitraum vom 24.10.2022 bis zum 03.11.2022 in der JVA Vechta rechtswidrig waren.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat den Beschwerdeführer sowie die Mitangeklagten pp. und pp. mit Anklageschrift vom 21.07.2022 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht Cloppenburg —Jugendschöffengericht- angeklagt.

Sie wirft den Angeklagten vor, dass diese am 12.07.2022 gegen 22:20 Uhr im Stadtpark in Cloppenburg aufgrund eines gemeinsamen Tatplans den Zeugenpp. zunächst provoziert und später körperlich angegriffen haben. Der Angeklagte pp. soll dem Zeugen einen Faustschlag in das Gesicht, auf die Nase versetzt haben. Als der Angegriffene und der Mitangeklagte pp. dann zu Boden gingen, soll der Beschwerdeführer und der weitere Angeklagte pp. mit Faustschlägen und Fußtritten auf den pp. gemeinschaftlich eingewirkt haben. Dieser soll stark geblutet und einen Nasenbeinbruch sowie zahlreiche Prellungen erlitten haben.

Das Amtsgericht Cloppenburg hat am 02.08.2022 einen Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer wegen Flucht- und Wiederholungsgefahr erlassen. Wegen des Inhalts wird auf diesen Bezug genommen (vgl. Bl. 40 Bd. I. d.A.).

Der Beschwerdeführer wurde am 10.08.2022 in Cloppenburg festgenommen. Ihm wurde am 11.08.2022 durch das Amtsgericht Cloppenburg der Haftbefehl verkündet.

Mit Beschluss vom 01.09.2022 (BI. 198f. Bd. I d.A.) hat das Amtsgericht Cloppenburg zudem die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Jugendschöffengericht eröffnet.

Nach Verkündung des Haftbefehls wurde der 16-jährige Beschwerdeführer von der JVA Vechta über das Hafttransportsystem mit Zwischenhalt in Hannover in die JA Hameln verbracht. Auf diesem Transport fand die gemeinsame Unterbringung mit erwachsenen Insassen statt.

Mit Verfügung vom 22.08.2022 (BI. 107 Bd. I d.A.) verfügte das Amtsgericht Cloppenburg durch die zuständige Richterin am Amtsgericht, den 16-jährigen Beschwerdeführer zum Haft-prüfungstermin am 29.08.2022 vorzuführen. Mit Verfügung vom 29.08.2022 wurde eine weitere Vorführung zur Fortsetzung des Haftprüfungstermins am 01.09.2022 angeordnet.

Zur Durchführung der Haftprüfungstermine wurde der Beschwerdeführer von der JA Hameln per Sammeltransport über die JVA Vechta dem AG Cloppenburg zugeführt. Während des Transportes und der Unterbringung fand eine gemeinsame Unterbringung des Beschwerdeführers auch mit erwachsenen Gefangenen statt.

Nachdem der Beschwerdeführer zur Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Cloppenburg am 24.10.2022 erneut der JVA Vechta zugeführt worden war, wurde er dort zur Wahrung des Trennungsgebotes von den anderen erwachsenen Untersuchungshäftlingen bis zum 03.11.2022 abgesondert.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.10.2022 (BI. 146 R Bd. II d.A.) hat der Beschwerdeführer sodann die Feststellung begehrt, dass sein Einschluss von 23 Stunden täglich rechtswidrig sei. Als Begründung führt der Beschwerdeführer aus, dass nach der Anfechtung der gemeinsamen Unterbringung er durch Absonderung und Einschluss von anderen Gefangenen getrennt werde. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den weiteren Inhalt des Schreibens verwiesen.

Mit Schreiben vom 28.10.2022 (BI. 169 Bd. II d.A.) teilte die JVA Vechta mit, dass der Beschwerdeführer ihr als Terminübersteller am 24.10.2022 von der JA Hameln zugeführt worden sei. Zur Durchführung des Trennungsgrundsatzes könnten jugendliche Gefangene, die für eine zeitlich begrenzte Dauer in Anstalten des erwachsenen Vollzugs untergebracht seien, nicht an gemeinschaftlichen Veranstaltungen, gemeinsamen Freistunden und Aufschluss mit anderen Gefangenen teilnehmen.

Mit Beschluss vom 03.11.2022 (BI. 203 Bd. II d.A.) hat das Amtsgericht Cloppenburg den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 10.11.2022 (BI. 130ff. Bd. I Beschwerdeband). In dieser führt er insbesondere aus, dass er im Zeitraum vom 24.10.2022 bis zum 03.11.2022 in Einzelhaft verbracht habe. Seine Zellentür sei 23 Stunden am Tag geschlossen gewesen und er habe nur eine Stunde Hofgang — getrennt von anderen Gefangenen — in Begleitung eines Vollzugsbeamten gehabt. Auf den Inhalt der Beschwerdeschrift wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Am 03.11.2022 erklärte der Beschwerdeführer gegenüber der JVA Vechta, dass er auf den Trennungsgrundsatz verzichte. Am gleichen Tag erteilte auch das Amtsgericht Cloppenburg seine Zustimmung zu einer Ausnahme vom Trennungsgrundsatz gegenüber der JVA Vechta. Mit Schreiben vom 04.11.2022 (BI. 133 Bd. I Beschwerdeband) hatte die JVA Vechta gegenüber dem Verteidiger des Beschwerdeführers mitgeteilt, dass sich eine weitgehende Isolierung des Beschwerdeführers aus der konsequenten Einhaltung der Trennungsgrundsätze ergeben habe. Die Vollzugsbeamten kümmerten sich jedoch speziell um solche Durchgangsgefangenen, gerade damit diese nicht „vereinsamen". Es handele sich nicht um „Einzelhaft", eine solche wäre nach niedersächsischem Landesrecht als Disziplinarmaßnahme ohnehin nicht zulässig. Die bisherige Unterbringung sei keineswegs rechtswidrig.

Das Amtsgericht Cloppenburg hat mit Beschluss vom 14.11.2022 (BI. 129 Bd. I Beschwerdeband) dieser Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß § 167 NJVollzG i.V.m. mit § 304 StPO zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Kammer hat das Begehren des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Einschlusses über 23 Stunden täglich dahingehend ausgelegt, dass er auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner faktischen Einzelhaft durch Aussonderung aufgrund des Trennungsgrundsatzes begehrt.

Das für die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse liegt vor. Der Beschwerdeführer befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft und sein Strafverfahren wird vor dem Amtsgericht Cloppenburg fortgesetzt, sodass im Falle einer erneuten Vorführung über die JVA Vechta eine mögliche Wiederholung der Absonderung zur Wahrung des Trennungsgrundsatzes droht.

Diese von der Justizvollzuganstalt Vechta vorgenommene Absonderung des Beschwerdeführers zur Einhaltung des Trennungsgrundsatzes, die faktisch der Anordnung der Einzelhaft gegenüber einem Jugendlichen gleichkam, war rechtswidrig.

Eine gerichtliche Anordnung über eine Einzelhaft des Beschwerdeführers nach § 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StPO im Rahmen einer haftgrundbezogenen Beschränkung lag nicht vor, sodass sich vorliegend die Zulässigkeit der Maßnahme nach dem NJVollzG richtet.

Auch die Vorschriften des NJVollzG rechtfertigen die vorgenommene Maßnahme nicht. Die Ausgestaltung der Untersuchungshaft von jungen Gefangenen richtet sich dort nach den § 157 ff. NJVollzG. Gemäß § 158 Abs.1 NJVollzG soll der Vollzug von jungen Untersuchungshaft-Häftlingen erzieherisch gestaltet werden. Der junge Gefangene soll in der Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie in der Bereitschaft zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Lebensführung in Achtung der Rechte anderer gefördert werden. Nach § 159 NJVollzG gilt für die Unterbringung des jungen Gefangenen § 120 NJVollzG entsprechend mit der Maßgabe, dass eine Unterbringung in einer Wohngruppe, eine gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeitszeit und Freizeit sowie eine gemeinsame Unterbringung während der Ruhezeit ausgeschlossen oder eingeschränkt werden können, wenn es der Zweck der Untersuchungshaft erfordert.

Eine faktische Einzelhaft aus organisatorischen Gründen ist jedoch von Seiten des Gesetzgebers weder normiert worden, noch war diese nach Auffassung der Kammer aus sonstigen Gründen im vorliegenden Fall zulässig.

Nach § 82 i.V.m. § 166 NJvollzG ist Einzelhaft, worunter die unausgesetzte Absonderung eines Gefangenen zu verstehen ist, nur zulässig, wenn dies aus Gründen, die in der Person des Gefangenen liegen, unerlässlich ist. Solche Gründe sind hier jedoch ersichtlich.

Vielmehr fand die Absonderung des Beschwerdeführers über einen längeren Zeitraum zur Gewährung des Trennungsgrundsatzes statt, dessen organisatorische Umsetzung dieser nicht zu vertreten hat. Hierbei ist zu beachten, dass die Einhaltung des Trennungsgrundsatzes gerade dem Schutz von insbesondere jugendlichen Untersuchungshäftlingen dient, die besonders haftempfindlich sind.

Soweit die JVA Vechta in ihrem Schreiben vom 04.11.2022 gegenüber dem Verteidiger des Beschwerdeführers ausführte, dass die Vollzugsbeamten sich speziell um solche Durchgangsgefangenen kümmerten, gerade damit diese nicht „vereinsamen", ist diese allgemein gehaltene Ausführung nicht geeignet, darzulegen, in welchem Umfang durch welche Personen eine Betreuung des Beschwerdeführers stattfand.

Es kann zudem dahinstehen, ob dies nicht näher konkretisierte „Kümmern" grundsätzlich ausreichend ist, um die Isolation des Beschwerdeführers durch Absonderung zu durchbrechen, da eine Einzelhaft aus organisatorischen Gründen jedenfalls unzulässig war.

Zudem erfordert aus Sicht der Kammer auch der gesetzlich normierte Erziehungsgedanke der Ausgestaltung der Untersuchungshaft, dass eine gemeinsame Unterbringung von jugendlichen Untersuchungshäftlingen stattfindet. Nur diese ermöglicht neben der täglichen Frei-stunde/Hofgang, dem Gemeinschaftsfernsehen und sonstigen Gemeinschaftsveranstaltungen die gemeinsame Unterhaltung oder Beschäftigung und wirkt den mit der Untersuchungshaft verbundenen psychischen Belastungen junger Inhaftierter entgegen.

Hierbei ist unerheblich, dass der Beschwerdeführer vorliegend die Wahl hatte, sich einer rechtswidrigen faktischen Einzelhaft durch eine Zustimmung zur Ausnahme vom Trennungsgrundsatz zu entziehen. Der Trennungsgrundsatz soll gerade dem Wohl des Jugendlichen dienen und dieser soll nicht durch die Vollstreckung von faktischer Einzelhaft durch Isolierung und Absonderung von anderen Häftlingen dazu gehalten werden, auf dieses günstige und schützende Recht zu verzichten.

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO analog.


Einsender: RA J. Sürig, Bremen

Anmerkung:


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