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Entscheidungen

StPO

Berufungsbeschränkung, Wirksamkeit, zwei tateinheitliche Verurteilungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, , Beschl. v. 12.08.2022 - 1 RVs 101/22

Leitsatz des Gerichts:


Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch kann unwirksam sein, wenn die amtsgerichtlichen Feststellungen die Strafbarkeit des Angeklagten hinsichtlich einer von zwei tateinheitlichen Verurteilungen nicht zu belegen vermögen.


III-1 RVs 101/22

OBERLANDESGERICHT KÖLN

BESCHLUSS

In der Strafsache

gegen pp.

wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Gütern u. a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln

auf die „Beschwerde“ des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 31. März 2022 sowie auf seine Revision gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 31. Januar 2022 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und hinsichtlich der Revision einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO am 12. August 2022 beschlossen:

I. Der Beschluss vom 31. März 2022 wird aufgehoben
II. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben
1. im Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Stoffen und Gütern in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz verurteilt worden ist - sowie
2. im gesamten Strafausspruch.

Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.

Gründe

A.

Das Amtsgericht Düren hat den Angeklagten am 21. Juni 2021 wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Stoffen und Gütern in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu der unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt.

Seine hiergegen gerichtete, im Hauptverhandlungstermin auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkte Berufung hat das Landgericht mit der angefochtenen Entscheidung verworfen.

Hiergegen hat der Angeklagte mit taggleich eingegangenem anwaltlichem Schriftsatz vom 4. Februar 2022 Revision eingelegt und das Rechtsmittel zugleich mit der nicht ausgeführten Sachrüge begründet.

Mit Beschluss vom 31. März 2022 hat die Berufungsstrafkammer die Revision als mangels Begründung unzulässig verworfen, diese Entscheidung indessen auf die am 8. April 2022 eingegangene „Beschwerde“ des Angeklagten mit Beschluss vom 28. April 2022 wieder aufgehoben.

B.

I.

Die gegen den Verwerfungsbeschluss der Berufungsstrafkammer vom 31. März 2022 gerichtete „Beschwerde“ ist gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts im Sinne von § 346 Abs. 2 StPO auszulegen, da die das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende Entscheidung nur auf diesem Wege beseitigt werden kann. Das so verstandene Rechtsmittel ist fristgerecht gemäß § 346 Abs. 2 S. 1 StPO eingelegt; in der Sache hat es Erfolg, weil die Revision zugleich mit ihrer Einlegung unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge begründet worden ist.

Eine Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses ist nicht etwa infolge des Aufhebungsbeschlusses des Amtsgerichts vom 28. April 2022 entbehrlich. Der Tatrichter darf einen Verwerfungsbeschluss nach § 346 Abs. 1 StPO nicht selbst aufheben; ein solcher Aufhebungsbeschluss ist nichtig (SenE v. 17.12.2001 - Ss 480/01 -; SenE v. 21.09.2006 - 83 Ss-OWi 68/06 -; Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, 65. Auflage 2022, § 346 Rz. 6 [„wirkungslos“]; MüKo-StPO-Knauer/Kudlich, § 346 Rz. 15 [„unwirksam“]).

II.

Die Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Revision des Angeklagten hat Erfolg; sie führt zur teilweisen Aufhebung des Schuldspruchs sowie des gesamten Rechtsfolgenausspruchs und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

1. Der erklärten Beschränkung der Berufung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs ist – was der Senat von Amts wegen zu prüfen hat (st. Senatsrspr., s. zuletzt SenE v. 22.02.22 – III-1 RVs 20/22 -) – die Wirksamkeit teilweise zu versagen.

a) Freilich gebietet es die dem Rechtsmittelberechtigten in § 318 S. 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang der Anfechtung, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlichen Möglichen zu respektieren (Dispositionsfreiheit). Das Rechtsmittelgericht kann und darf daher regelmäßig diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird (BGH BGHSt 47, 32 [38] = NJW 2001, 3134 [3135] = NZV 2001, 434 [435] = DAR 2001, 463 [464] = VRS 101, 107 [110] = VM 2002, 18 [Nr. 16] m. w. Nachw.; SenE v. 02.03.2018 – III-1 RVs 14/18 -; SenE v. 24.03.2021 – III-1 RVs 27/21 -; BayObLG NStZ-RR 2004, 336). Die Beschränkung der Berufung (auf den Rechtsfolgenausspruch) ist nur dann unwirksam, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (grundlegend BGHSt 62, 155 = NJW 2017, 2428 = StraFo 2017, 280 m. N. in Tz. 20; SenE v. 09.07.2019 – III-1 RBs 241/19 –; SenE v. 12.02.2021 – III-1 RVs 20/21 -; SenE v. 24.03.2021 – III-1 RVs 27/21 -). So verhält es sich – wie zu zeigen sein wird – hier hinsichtlich der Tat zu Fall 1 der Urteilsgründe.

aa) Soweit das Tatgericht den Angeklagten freilich wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Ziff. 3 BtMG verurteilt hat, belegen die amtsgerichtlichen Feststellungen dessen Strafbarkeit nach dieser Bestimmung. Die getroffenen Feststellungen lassen auch den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat zureichend erkennen. Dass das Landgericht zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel keine Feststellungen getroffen hat, berührt in der hier vorliegenden Sachgestaltung den Schuldspruch und die erklärte Beschränkung nicht (vgl. SenE v. 26.01.2018 – III-1 RVs 3/18; SenE v. 26.01.2018 – III-1 RVs 4/18).

bb) Auf die Verurteilung wegen des tateinheitlichen Umgangs mit gefährlichen Gütern und des Verstoßes gegen das SprengG trifft das hingegen nicht uneingeschränkt zu:

Das Amtsgericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:

„Am 02.05.2019 gab der Angeklagte gegen 15:20 Uhr bei der A-Tankstelle in der B-Straße 421 in C ein an den gesondert verfolgten D aus E adressiertes Paket auf. Dieses enthielt ein Kilogramm Kaliumnitrat, ein Kilogramm Kaliumchlorat, wobei es sich jeweils ein entzündliches Gefahrgut handelt, sowie einen Beutel Kohlepulver und vier 250 ml große Flaschen Salpetersäure, wobei es sich um ein ätzendes und entzündliches Gefahrgut handelt. Das Paket hatte der Angeklagte nicht als Gefahrgut gekennzeichnet. Die Stoffe waren dazu geeignet, aus ihnen Sprengstoff herzustellen und sind explosionsgefährlich. Im Zentrallager des Logistikunternehmens F in G trat am 09.05.2019 aus einer bereits geborstenen Flasche Salpetersäure die Flüssigkeit aus und vermengte sich mit der Kaliumsubstanz, so dass eine chemische Reaktion einschließlich einer nicht unerheblichen Rauchentwicklung entstand.

Der Angeklagte war in Kenntnis der Umstände, dass er keine Erlaubnis für den Handel mit Chemikalien hatte und verkaufte diese dennoch über den von betriebenen Onlineshop „H“. Der Angeklagte stand dem Umstand, dass durch die nicht ordnungsgemäße Verpackung der Inhalt der Chemikalien auslaufen konnte und Dritte somit der Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt werden konnten, zumindest gleichgültig gegenüber.“

α) Zwar handelt es sich bei den von dem Angeklagten versendenden Chemikalien um gefährliche Stoffe im Sinne von §§ 330d Abs. 1 Ziff. 3 StGB, 2 Abs. 1 GGBefG. Dies ergibt sich aus der Anl. II Eintrag 2 zu §§ 5 – 11 der Chemikalien-Verbotsverordnung vom 20. Januar 2017 (ChemVerbotsV – BGBl. I 2017, S. 94, 2018, S. 1389) (zur Gefahrgutklassifizierung s. näher unten). Hieraus, nämlich aus einem Verweis in der Anlage II auf die §§ 8 Abs. 1, 6 Abs. 2 ChemVerbotsV ergibt sich zugleich, dass der Angeklagte unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten gehandelt hat (s. a. MüKo-StGB-Schmitz, 4. Auflage 2022, § 330d Rz. 10). Die getroffenen Feststellungen belegen schließlich – im Lichte der erklärten Beschränkung – in noch ausreichender Weise einen vorsatzgetragenen Gefahrerfolg im Sinne von § 328 Abs. 3 Ziff. 2 StGB.

β) Hingegen belegen die getroffenen Feststellungen nicht, dass sich der Angeklagte auch nach § 40 Abs. 1 Ziff. 2 SprengG strafbar gemacht hat.

Gemäß § 40 Abs. 1 Ziff. 2 SprengG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer ohne die erforderliche Erlaubnis entgegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 SprengG den Verkehr mit explosionsgefährlichen Stoffen betreibt.

„Explosionsgefährlich“ sind nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 Ziff. 1 SprengG solche festen oder flüssigen Stoffe und Gemische, die durch eine gewöhnliche thermische, mechanische oder andere Beanspruchung zur Explosion gebracht werden können und sich bei Durchführung europarechtlich näher geregelter Prüfungsverfahren als explosionsgefährlich erwiesen haben.

Maßgeblich für diese Einstufung und die Kennzeichnung von Gefahrstoffen ist die VO (EG) 1272/2008 (CLP), durch die das global harmonisierte System der Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien in unmittelbar geltendes europäisches Recht umgesetzt worden ist. Auf ihrer Grundlage (namentlich des Anhang 1 zu Art. 3 Abs. 1 der VO) werden die Stoffe u. a. mit sog. H-(hazardous)Sätzen gekennzeichnet, die Aussagen über die von dem je in Rede stehenden Stoff ausgehenden Gefahren treffen. Dabei befassen sich die Sätze ab H200 mit den physikalischen Gefahren, die von den jeweiligen Stoffen ausgehen, während die Sätze ab H300 die Gesundheits- und die Sätze ab H400 die Umweltgefahren betreffen. Danach ergibt sich:

Salpetersäure verfügt über die Kennzeichnungen H272 (kann Brand verstärken, Oxidationsmittel) sowie H290 (kann gegenüber Metallen korrosiv sein). Kaliumnitrat ist gleichfalls mit dem Satz H272 gekennzeichnet. Beide Stoffe sind demnach nicht explosiv; dies würde eine Einordnung etwa in die Kategorien H200 (instabil, explosiv) – 203 oder H205-208 voraussetzen. Lediglich das von dem Angeklagten gleichfalls versandte Kaliumchlorat verfügt über die Kennzeichnung H271. Dies bedeutet, dass der Stoff einen Brand oder eine Explosion „verursachen“ kann. Der Senat geht aber davon aus, dass dieser Stoff gleichwohl nicht als solcher explosionsgefährlich ist, wäre er doch sonst mit einem der zuvor genannten H-Sätze zu kennzeichnen gewesen.

Die genannten Stoffe - und namentlich das Kaliumchlorat – sind auch nicht als sonstige explosionsgefährliche Stoffe im Sinne von § 3 Abs. 1 Ziff. 9 SprengG von der Strafnorm des § 40 Abs. 1 Ziff. 2 SprengG erfasst. Ein „sonstiger“ explosionsgefährlicher Stoff ist danach auch ein solcher, der zur Herstellung explosionsgefährlicher Stoffe bestimmt ist, was auf die hier in Rede stehenden Stoffe deswegen zutreffen kann, weil diese in der Sprengmittelherstellung (Nitroglyzerin, Schwarzpulver) Verwendung finden. Indessen bestimmt § 1 Abs. 4 Ziff. 1 SprengG die Anwendung des § 40 SprengG nur für solche explosionsgefährliche Stoffe, die der Stoffgruppe A der Anlage II zum SprengG unterfallen (vgl. Erbs/Kohlhaas-Steindorf/Pauckstadt-Maiholz/Lutz, Strafrechtliche Nebengesetze, § 40 SprengG Rz. 3). Dort sind aber die hier in Rede stehenden Stoffe nicht gelistet.

b) Der Umstand, dass die getroffenen Feststellungen nur eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Stoffen, nicht aber eine solche wegen eines Verstoßes gegen das SprengG belegen, führt unter den hier obwaltenden Umständen dazu, dass der Beschränkung der Berufung für diese Tat die Wirksamkeit insgesamt zu versagen ist.

aa) Es ist anerkannt und wird auch in der Rechtsprechung des Senats so gesehen, dass ein bloßer Fehler bei der Subsumtion des Sachverhalts unter die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen die Wirksamkeit der Beschränkung nicht grundsätzlich hindert, wenn nur auf der Grundlage der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen eine wie auch immer geartete – wenn auch anders als vom Amtsgericht angenommene - Strafbarkeit besteht (SenE v. 22.02.2022 – III-1 RVs 20/22; SenE v. 12.03.2019 – III-1 RVs 49/19 -; SenE v. 30.10.2018 – III-1 RVs 214/18 –; SenE v. 02.12.2016 – III-1 RVs 235/16 -; KG Urt. v. 26.02.2020 – (3) 161 Ss 10/20 (8/20) = BeckRS 2020, 6518; OLG Hamburg VRS 123, 88; OLG Koblenz NStZ-RR 2008, 120; BeckOK-StPO-Eschelbach, 43. Edition Stand 01.04.2022, § 318 Rz. 19; MüKo-StPO-Quentin, § 318 Rz. 53; KK-StPO-Paul, 8. Auflage 2019, § 318 Rz. 7a; LR-StPO-Gössel, 26. Auflage 2012, § 318 Rz. 52; SK-StPO-Frisch, 5. Auflage 2016, § 318 Rz. 46b).

Dieser Grundsatz gilt namentlich auch dann, wenn das Amtsgericht das Konkurrenzverhältnis mehrerer Taten unzutreffend beurteilt hat (SenE v. 12.03.2019 – III-1 RVs 49/19 -; KG StV 2014, 78; OLG Hamm NStZ-RR 2010, 345; BayObLG NStZ 1998, 532). In diesen Fällen wird es freilich häufig so liegen, dass die unzutreffende konkurrenzrechtliche Bewertung nichts am materiellen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat(en) ändert (anders aber OLG Karlsruhe B. v. 18.07.2017 – 2 Rv 8 Ss 348/17 = BeckRS 2017, 118456). Sollte sich dies im zu bewertenden Einzelfall einmal anders darstellen, könnten aus einem solchen Befund ggfs. aber auch Konsequenzen für die Frage der Wirksamkeit der erklärten Beschränkung gezogen werden.

Andererseits entspricht es der gefestigten Rechtsprechung des Senats, dass die erklärte Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam sein kann, wenn die getroffenen Feststellungen zwar eine Strafbarkeit des Angeklagten belegen, diese aber ein Delikt mit günstigerem Strafrahmen als vom Amtsgericht angenommenen ergeben (SenE v. 22.01.1999 – Ss 616/98 = NStZ-RR 2000, 49; SenE v. 19.03.2010 – III-1 RVs 48/10; SenE v. 28.09.2021 – III-1 RVs 163/21; SenE v. 22.02.2022 – III-1 RVs 20/22). Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen (anders aber etwa OLG Karlsruhe B. v. 18.07.2017 – 2 Rv 8 Ss 348/17 = BeckRS 2017, 118456; s. insoweit auch – für die Revisionsbeschränkung - BGH NStZ 2016, 733 [736 Tz. 35]).

Der hier zu beurteilende Fall liegt gleichsam „zwischen“ den bislang behandelten Konstellationen: Die amtsgerichtlichen Feststellungen, an die sich die Berufungsstrafkammer gebunden gesehen hat, belegen zwar nicht (auch) eine Strafbarkeit nach § 40 Abs. 1 Ziff. 2 SprengG, wohl aber eine solche (nur) nach § 328 Abs. 3 Ziff. 2 StGB. Insoweit ist dem Amtsgericht ein Fehler bei der Subsumtion des Sachverhalts unter die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen unterlaufen. Die Strafe ist auch dem Tatbestand entnommen, dessen Vorliegen die Feststellungen belegen. Gleichwohl belastet den Angeklagten die unberechtigte Verurteilung nach einer Strafnorm hinsichtlich derer er – wäre sie allein zur Anklage gelangt – freizusprechen gewesen wäre. Das Landgericht ist zu seinen Lasten bei der Strafbemessung von einem zu hohen Schuldumfang ausgegangen, indem es dem Angeklagten die tateinheitliche Begehung zweier Delikte strafschärfend entgegenhält. Bei einer solchen Sachlage muss nach Auffassung des Senats dem Grundsatz Geltung verschafft werden, dass die Berufungsstrafkammer nicht an einen als falsch erkannten Schuldspruch gebunden sein soll (Senat NStZ 2000, 49; im Ergebnis ebenso OLG Saarbrücken NStZ 1997, 149). Für einen durchaus vergleichbaren Sachverhalt (Verurteilung wegen Diebstahls in Tateinheit mit Nötigung, während die – offenbar nicht ergänzungsfähigen – Feststellungen nur eine solche wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Nötigung trugen) ist auch das OLG Rostock (B. v. 29.10.2001 – 1 Ss 253/01 I 81/01 – bei Juris) von einer Unwirksamkeit der Beschränkung ausgegangen (anders aber OLG Karlsruhe B. v. 14.07.2017 – 2 Rv 8 Ss 420/17 – Juris; für Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung OLG Oldenburg B. v. 08.01.2015 – 1 Ss 226/14 – Juris; krit hierzu wiederum HK-StPO-Rautenberg/Reichenbach, 6. Auflage 2018, § 318 Rz. 17).

Der Senat hat erwogen, dem Subsumtionsfehler dadurch Rechnung zu tragen, dass er die fehlerhafte tateinheitliche Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz im Wege einer Schuldspruchänderung in Fortfall geraten lässt. Hieran hat er sich jedoch dadurch gehindert gesehen, dass ggf. von Sonderkonstellationen (vgl. BGHSt. 19, BayOhlGSt 1968,119) abgesehen) - bislang allgemein von der Unteilbarkeit des (Un)wirksamkeitsurteils ausgegangen wird.

c) Das angefochtene Urteil ist nach alledem hinsichtlich der Tat vom 2. Mai 2019 materiell-rechtlich unvollständig, weil die Berufungsstrafkammer, die sich - nach dem zuvor Dargestellten: zu Unrecht – an die amtsgerichtlichen Feststellungen gebunden gesehen hat, nicht in eigener Verantwortung Feststellungen zu dieser Tat getroffen hat.

2. a) Die Aufhebung des Schuldspruchs für die Tat vom 2. Mai 2019 zieht zwanglos die Aufhebung der hierfür verhängten Einzelstrafe nach sich.

b) Aber auch die für die Betäubungsmitteltat verhängte Einzelstrafe von drei Monaten leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern, weil die Voraussetzungen für die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB für diese Tat nicht belegt sind.

aa Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll – wovon auch das Tatgericht im rechtlichen Ansatz zutreffend ausgeht - die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten kann danach regelmäßig nur dann Bestand haben, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (st. Senatsrechtsprechung, s. nur SenE v. 30.11.2004 - 8 Ss 453/04 -; SenE v. 08.09.2006 - 83 Ss 64/06 -; SenE v. 24.04.2009 - 82 Ss 4/09 -; SenE v. 03.11.2009 - 83 Ss 90/09 -; SenE v. 03.08.2012 - III-1 RVs 134/12 -; SenE v. 03.05.2017 – III-1 RVs 68/17 -; SenE v. 26.01.2018 – III-1 RVs 10/18 -; SenE v. 18.01.2019 – III-1 RVs 259/18 -). Unerlässlich zur Einwirkung auf den Täter ist die Freiheitsstrafe nur, wenn eine - selbst hohe - Geldstrafe voraussichtlich nicht ausreichen wird, ihre spezialpräventive Funktion zu erfüllen und in der kriminalpolitisch notwendigen Weise auf den Täter einzuwirken. Insoweit bedarf es einer eingehenden Würdigung der Tat und der Täterpersönlichkeit, wobei die maßgebenden Erwägungen gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO im Urteil darzulegen sind (SenE v. 13.05.2011 - III-1 RVs 98/11 -; SenE v. 03.08.2012 - III-1 RVs 134/12 -; SenE v. 07.10.2016 – III-1 RVs 212/16 -; SenE v. 08.12.2017 – III-1 RVs 294/17 -; SenE v. 14.03.2018 – III-1 RVs 49/18 -). Die Frage, ob aufgrund von Vorstrafen die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich ist, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalles ab, insbesondere von der Anzahl, dem Gewicht und dem zeitlichen Abstand der Vorstrafen, den Umständen und dem Schuldgehalt der vorliegenden Tat sowie den Lebensverhältnissen des Täters. Auch bei einem Wiederholungstäter darf die “Unerlässlichkeit” nicht schematisch bejaht werden (SenE v. 15.10.2002 - Ss 399/02 -; SenE v. 18.03.2003 - Ss 105/03 -; SenE v. 06.08.2004 - Ss 337/04 -; SenE v. 03.11.2009 - 83 Ss 90/09 -; SenE v. 13.05.2011 - III-1 RVs 98/11 -; SenE v. 02.04.2013 - III-1 RVs 57/13; SenE v. 03.06.2015 - III-1 RVs 81/15; SenE v. 07.10.2016 – III-1 RVs 212/16 -; SenE v. 26.01.2018 – III-1 RVs 10/18 -; SenE v. 14.03.2018 – III-1 RVs 49/18 -; SenE v. 20.11.2018 – III-1 RVs 260/18 -). Neben dem Zeitpunkt der Verurteilung und der Art und der Höhe der Strafen sind daher in der Regel die den als belastend eingestuften Vorverurteilungen zugrundeliegenden Sachverhalte zwar knapp, aber doch in einer aussagekräftigen Form zu umreißen (st. Senatsrechtsprechung s. nur SenE v. 26.10.2007 - 81 Ss 166/07 -; SenE v. 20.11.2018 – III-1 RVs 260/18 -).

Gemessen an diesem Maßstab fehlt es hier an der Darstellung des der Verurteilung durch das Amtsgericht Leverkusen vom 28. November 2018 zu Grunde liegenden Sachverhalt, die das Tatgericht dem Angeklagten in besonderem Maße straferschwerend entgegenhält.

bb) Bei einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sind für die zutreffende Beurteilung des Schuldumfangs grundsätzlich auch Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Rauschgifts erforderlich (BGH NStZ-RR 2016, 247; SenE v. 05.04.2011 - III-1 RVs 70/11 -; SenE v. 02.08.2011 - III-1 RVs 92/11 -; SenE v. 18.11.2011 - III-1 RVs 268/11 -; SenE v. 22.06.2012 - III-1 RVs 110/12 -; SenE v. 22.12.2017 - III-1 RVs 315/17). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn – wie hier - lediglich davon ausgegangen wird, dass ein Wirkstoffanteil unterhalb der „nicht geringen Menge“ des § 29 a BtMG vorlag (SenE v. 08.12.2000 - Ss 497/00 -; SenE v. 31.10.2008 - 81 Ss 93/08 -; SenE v. 05.04.2011 - III-1 RVs 70/11 -; SenE v. 22.06.2012 - III-1 RVs 110/12 -). Solche Feststellungen fehlen. Der Senat vermag trotz der relativ geringen Menge des in Rede stehenden Rauschmittels nicht auszuschließen, dass Feststellungen zum Wirkstoffgehalt die Strafbemessung zu Gunsten des Angeklagten beeinflusst hätten.

3. Die zur Rechtsfolgenseite rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht berührt und haben daher Bestand (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Sie dürfen – und müssen nach dem zuvor Dargestellten – um solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen.


Einsender: 1. Strafsenat des OLG Köln

Anmerkung:


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