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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, Fahreignung, VG Berlin, Vielzahl von OWis

Gericht / Entscheidungsdatum: VG Berlin, Urt. v. 28.10.2022 - VG 4 K 456/21

Eigener Leitsatz:

Ein Kraftfahrer, der innerhalb eines Jahres zahlreiche Parkverstöße begeht, ist zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, sodass ihm die Fahrerlaubnis entzogen werden kann.


In pp.

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Er war seit dem 7. Juni 1995 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse 3, später der Klassen AM, A1, A, B, C1, BE, C1E, CE und L. Im Juli 2021 teilte die Polizei Berlin dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin (im Folgenden: LABO) mit, dass gegen den Kläger seit Juli 2020 ca. 174 Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren geführt wurden. Die beigefügten Datensatzauszüge wiesen 159 Parkverstöße und 15 Geschwindigkeitsüberschreitungen aus. Vornehmlich handelte es sich nach der Mitteilung um Parkverstöße im absoluten Halteverbot. Die angegebenen Zuwiderhandlungen wurden mit Fahrzeugen des Klägers ganz überwiegend im unmittelbaren Umfeld seiner Wohnanschrift begangen. Für Einzelheiten wird auf das Schreiben der Polizei Berlin vom 20. Juli 2021 samt Anlagen (Bl. 1ff. des Verwaltungsvorgangs) verwiesen.

Unter dem 29. Juli 2021 wurde der Kläger über die beabsichtigte Entziehung der Fahrerlaubnis angehört.

Mit Bescheid vom 23. August 2021, zugestellt am 27. August 2021, entzog das LA-BO dem Kläger die Fahrerlaubnis (Ziffer 1.), forderte ihn auf, seinen Führerschein binnen fünf Tagen nach Zustellung des Bescheides abzugeben (Ziffer 2.), drohte widrigenfalls ein Zwangsgeld in Höhe von 511,-- Euro an (Ziffer 3.) und erhob eine Gebühr in Höhe von 152,18 Euro (Ziffer 5.). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Dichte der Verstöße begründen Zweifel an seiner Fahreignung. Es sei von einem gefestigten negativen Verhaltensmuster auszugehen. Geltende Rechtsnormen ignoriere der Kläger schlichtweg. Dadurch würde die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmenden gefährdet. Der Kläger gab am 1. September 2021 seinen Führerschein bei der Polizei Berlin ab.

Am 17. September 2021 erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch. Er trägt im Wesentlichen vor: Die Verfehlungen seien sämtlich von Herrn N... mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen B... und Herrn G... mit den Fahrzeugen mit den amtlichen Kennzeichen B... und B... begangen worden. Auch sei zunächst eine Fahrtenbuchauflage anzudrohen gewesen. Die bisherige Entziehungsdauer sei bereits geeignet, ihn zu einer besseren Kontrolle anzuhalten. Er sei beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen.
Mit Widerspruchbescheid vom 3. November 2021, zugestellt am 8. November 2021, wies das LABO den Widerspruch zurück und erhob eine Widerspruchsgebühr von 150,00 Euro. Selbst unterstellt, der Vortrag des Klägers sei wahr, zeige er charakterliche Eignungsmängel, indem er die erheblichen Verkehrsverstöße mit seinen Kraftfahrzeugen geduldet habe. Auch habe er keine Rechtsmittel gegen die Bußgeldbescheide eingelegt, weshalb er diese daher gegen sich gelten lassen müsse.

Mit der am 6. Dezember 2021 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er widerholt und vertieft die Begründung des Widerspruchs. Verwarngelder könnten nicht in Rechtskraft erwachsen, er habe der Behörde Arbeit ersparen wollen und deswegen keine Rechtsmittel eingelegt. Die vom Beklagten angeführte Rechtsprechung sei veraltet, die bisherige Begründung erschöpfe sich in Textbausteinen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Referat Fahrerlaubnisse, Personen- und Güterbeförderung – III C – vom 23. August 2021, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. November 2021 aufzuheben und

die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er hält an dem angefochtenen Bescheid fest.

Die Parteien haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung des Berichterstatters im schriftlichen Verfahren gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

A. Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 87a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO), ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet.

B. Die Klage ist unbegründet.

1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Fahrerlaubnisentziehung ist § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Führerscheinverordnung (FeV). Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Die im Zeitraum von Juli 2020 bis Juli 2021 mindestens 174 Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren begründen die Feststellung der fehlenden Eignung.

Zwar haben die, durch die Nichterfassung im Verkehrszentralregister dem Bagatellbereich zuzurechnenden, Verkehrsordnungswidrigkeiten grundsätzlich bei der Prüfung der Fahreignung außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1973 – BVerwG VII C 12.71 – juris, Rn. 9). Davon ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Inhaber der Fahrerlaubnis die Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr nicht anerkennt; so ist ein Kraftfahrer, der offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, einzuhalten, und der solche Vorschriften hartnäckig missachtet, wenn dies seinen persönlichen Interessen entspricht, zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. März 2007 – OVG 5 S 26.07 – juris, Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. Dezember 1999 – 12 M 4307/99 – juris, Rn. 10). Dabei kommt ein solcher Ausnahmefall jedenfalls dann in Betracht, wenn über einen längeren Betrachtungszeitraum nahezu wöchentlich Verstöße dokumentiert werden. Besonderes Gewicht gewinnen diese Verstöße, wenn sie an einem bestimmten Ort gehäuft auftreten und der Fahrerlaubnisinhaber damit zu erkennen gibt, dass er seine persönlichen Interessen über das Allgemeinwohl stellt. Bei der durchzuführenden Gesamtabwägung sind ferner auch sonstige Verstöße – auch wenn sie nach dem Punktesystem zu Eintragungen im Verkehrszentralregister geführt haben – in den Blick zu nehmen, da auch sie Aufschluss über die eignungsmängelbegründende Haltung des Fahrerlaubnisinhabers geben. Bei Vorlage dieser Kriterien begründet allein die Anzahl an für sich genommenen unbedeutender Verstöße Zweifel an der Eignung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Dezember 2007 – OVG 1 S 145.07 – juris, Rn. 5).

So verhielt es sich hier, zumal für den Zeitraum Juli 2020 bis Juli 2021 im Schnitt mehr als drei Verstöße pro Woche zu verzeichnen waren. Der Kläger lässt mit den mehr als 150 Parkverstößen binnen eines Jahres keinen Zweifel daran, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Durch dieses Verhalten dokumentierte er eine krasse Missachtung der Rechtsordnung des ruhenden Verkehrs. Die dadurch zum Ausdruck kommende Haltung steht im Widerspruch zu den Erfordernissen eines geordneten und vor allem sicheren Straßenverkehrs, der insbesondere zum Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmender die Regelbeachtung auch in Bezug auf den ruhenden Verkehr durch Fahrerlaubnisinhaber erfordert. Besonderes Gewicht gewinnen diese Verstöße, da sie vornehmlich im direkten Umfeld der Wohnung des Klägers stattgefunden haben. Der Kläger stellt mit diesem Verhalten seine Interessen über die Interessen anderer Verkehrsteilnehmender. Die Ordnungswidrigkeitenverfahren haben ihm nicht Anlass gegeben, eine dauerhaft belastbare Lösung für das Parken seiner Kraftfahrzeuge zu finden (wie z.B. die Anmietung eines Stellplatzes, Umstieg auf den ÖPNV oder das Fahrrad). Vielmehr hat er es dadurch bewusst hingenommen, dass er seine Individualinteresse über das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit stellt. Das rechtswidrige Abstellen ihres Fahrzeuges in Zonen eines absoluten Halteverbots ist darüber hinaus geeignet, andere Verkehrsteilnehmende zu gefährden. Angesichts der Intensität seines Fehlverhaltens hat die Behörde darin zutreffend eine fehlende Eignung erkannt.

Auch sein Verweis auf die mögliche Täterschaft seiner Familienangehörigen ändert nichts an dieser Bewertung. Es kann nämlich dahingestellt bleiben, ob er die Verkehrsordnungswidrigkeiten selbst begangen hat oder ein Dritter. Auch im Fall einer Täterschaft seiner Familienangehörigen wäre der Kläger zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet. Derjenige, der durch zahlreiche ihm zugehende Bußgeldbescheide erfährt, dass Personen, die sein Fahrzeug benutzen, laufend gegen Verkehrsvorschriften verstoßen, und der dagegen nichts unternimmt, weil er keine Rechtsmittel gegen die Bußgeldbescheide ergreift und auch nicht die Überlassung des Fahrzeugs an die jeweiligen Täter von Ordnungswidrigkeiten verweigert, zeigt charakterliche Mängel, die ihn selbst als einen ungeeigneten Verkehrsteilnehmer ausweisen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1976 – BVerwG VII C 57.75 – juris, Rn. 34). Dies gilt auch für mit Verwarngeldern belegtes Verhalten.

Dass der Kläger von den diversen Verkehrsordnungswidrigkeiten Kenntnis erhalten hat, zieht er selbst nicht in Zweifel. Zu möglichen Gegenmaßnahmen äußert er sich nicht, sondern verbleibt im Vagen und spricht nur von "familieninterner Sanktion". Der Kläger durfte es nicht dulden, dass mit auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeugen fortgesetzt Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen werden. Er zeigt durch dieses Verhalten, dass er es nicht für erforderlich ansieht, gegen rechtswidriges und potentiell die Verkehrssicherheit gefährdendes Verhalten einzuschreiten. Dies belegt seine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Es ist auch unerheblich, ob die Bescheide über die Verwarngelder formell in Rechtskraft erwachsen (können), denn er hat sich nämlich tatsächlich innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre nicht gegen diese gewehrt. Er muss diese daher gegen sich gelten lassen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob den als "eidesstattliche Erklärung" überschriebenen Dokumenten überhaupt ein Beweiswert zukommt, da jedenfalls eine Erklärung von einer anderen Person verfasst wurde ("V..."), als vom Kläger als Täter angegeben wurde ("N...").

Da es sich bei der Entziehungsentscheidung um eine gebundene Entscheidung handelt, verbleibt für die Berücksichtigung der – ohnehin nicht konkret vorgetragenen – beruflichen Angewiesenheit keinen Raum. Auch die Anordnung einer medizinischpsychologischen Gutachtens kommt nicht in Betracht, da die Nichteignung feststeht.

2. Gegen die sich unmittelbar aus § 3 Abs. 2 S. 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 S. 1 FeV ergebende Aufforderung den Führerschein binnen fünf Tagen abzugeben, bestehen – ungeachtet der Frage, ob diese sich nicht ohnehin durch die nunmehrige Abgabe des Dokuments erledigt hat – ebenso wie gegen die Zwangsgeldandrohung, deren sich aus § 8 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 9 Abs. 1 lit. b, 11, 13 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes ergebende Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen, keine rechtlichen Bedenken. Dasselbe gilt für die auf der Grundlage von § 6a Abs. 1 Nr. 1a StVG i.V.m. Gebühren-Nr. 206 der Anlage zu § 1 Abs. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr erfolgte Gebührenfestsetzung bzw. für die Widerspruchsgebühr, die auf Gebühren-Nr. 400 beruht.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, war über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht mehr zu entscheiden.

D. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.

E. Die Berufung war nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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