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Entscheidungen

Zivilrecht

Ablehnung, Besorgnis der Befangenheit, Beschäftigungsverhältnis des Partners, Pflicht zur Selbstanzeige

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.09.2002 - 2 W 47/22

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn die Ehegattin oder feste Partnerin des abgelehnten Richters bei einer Partei des Rechtsstreits beschäftigt ist und bei vernünftiger Betrachtungsweise aus Sicht des ablehnenden Klägers die Befürchtung besteht, dass sie sich aufgrund ihrer gehobenen beruflichen Tätigkeit in besonderem Maße mit den Interessen und Zielen des Unternehmens identifiziert, deshalb bei Rechtsstreitigkeiten von herausragender Bedeutung für das Unternehmen dessen Position einnimmt oder sich mit diesem solidarisiert, dies auch ihrem Ehegatten - dem abgelehnten Richter - vermittelt und aufgrund der besonderen Nähebeziehung des Paares dessen Meinungsbildung zugunsten der Partei bewusst oder unbewusst beeinflusst, sodass die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Richters nicht mehr gewährleistet ist.
2. Ist oder war die Ehefrau bzw. feste Partnerin eines Richters bei einer Partei beschäftigt, hat der Richter dies den Parteien des Rechtsstreits vor oder spätestens bei der ersten richterlichen Handlung anzuzeigen.


In pp.

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 08.06.2022 wie folgt abgeändert:
Die Ablehnungsgesuche der Klägerin gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht X und gegen den Richter am Landgericht Y sind begründet.

Gründe

Die sofortige Beschwerde der Klägerin richtet sich gegen die Zurückweisung eines Befangenheitsgesuchs.

A

I.

Wegen des Sachverhalts wird auf die Feststellungen im angefochtenen Beschluss des Landgerichts verwiesen. Zusammenfassend: Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen der Beteiligung der Beklagten am sog. Lkw-Kartell. Beim Landgericht Stuttgart fallen solche Streitigkeiten u. a. in die Zuständigkeit der 53. Zivilkammer.

Die Klägerin lehnt den Vorsitzenden der 53. Zivilkammer, Vorsitzenden Richter am Landgericht X, u.a. mit der Begründung ab, dass dessen Ehefrau von Mai 2011 bis Oktober 2021 bei der Beklagten als Manager, später als Senior Manager angestellt und zum Oktober 2021 zur D. in eine Führungsposition im Bereich Compliance gewechselt sei. Die D. sei gegenüber der Beklagten im Innenverhältnis zur Freistellung von den streitgegenständlichen Schadensersatzansprüchen verpflichtet. Der abgelehnte Richter habe zudem gegen seine Pflicht zur rechtzeitigen Offenbarung dieser Umstände verstoßen. In seiner dienstlichen Äußerung hat der abgelehnte Richter die berufliche Tätigkeit seiner Ehefrau bestätigt.

Das Befangenheitsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter veranlasste den Richter am Landgericht Y, der ebenfalls der 53. Zivilkammer angehört, zu dem Hinweis, dass seine Partnerin bis 30. November 2021 im Personalbereich der Beklagten tätig war und im Anschluss daran im Personalbereich der D. Die Klägerin sieht hierin einen Grund zur Besorgnis der Befangenheit und lehnt auch den Richter am Landgericht Y ab.

II.

Das Landgericht hat die Ablehnungsgesuche zurückgewiesen.

1. Im Hinblick auf das Ablehnungsgesuch gegen Richter am Landgericht Y führt das Landgericht aus, in Anbetracht der Größe des Unternehmens der Beklagten mit rund 300.000 Mitarbeitern sei das Beschäftigungsverhältnis der Partnerin des Richters völlig unbedenklich. Sie sei weder in den Prozess noch in die zugrundeliegende Materie involviert. Umstände, die auf einen persönlichen Kontakt zu einem mit dem Sachverhalt befassten Mitarbeiter schließen ließen, seien weder dargetan noch ersichtlich. Die Partnerin des abgelehnten Richters nehme auch keine unternehmensbezogene Führungsposition ein. Ein Unterliegen der Beklagten im hiesigen und in sämtlichen bei der Kammer anhängigen Parallelverfahren sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geeignet, die unternehmerische oder wirtschaftliche Existenz der Beklagten bzw. der D. zu gefährden. Eine Besorgnis der Befangenheit sei auch nicht aus der zunächst unterbliebenen Offenlegung der Verhältnisse herzuleiten. Seine Einschätzung, ein seine Unvoreingenommenheit infrage stellender Sachverhalt komme nicht in Betracht, sei nachvollziehbar und rechtlich vertretbar.

2. Im Hinblick auf das Ablehnungsgesuch gegen Vorsitzenden Richter am Landgericht X führt das Landgericht aus, aus der Tätigkeit der Ehefrau des abgelehnten Richters ergebe sich auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen ebenfalls kein Anlass, an dessen Unvoreingenommenheit und objektiver Einstellung zu zweifeln. Sie sei bereits vor der Übertragung der Zuständigkeit für Kartellsachen auf die 53. Zivilkammer zu der nicht unmittelbar am Verfahren beteiligten D. gewechselt. Es fehle sowohl an einer unternehmensbezogenen Führungsposition als auch an einer Befassung mit der streitgegenständlichen Materie. Eine Existenzgefährdung der D. sei nicht ersichtlich. Der abgelehnte Richter habe auch nicht seine Anzeigepflicht gegenüber den Parteien verletzt.

B

Die gegen den Zurückweisungsbeschluss des Landgerichts gerichtete sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

I. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Absatz 2 ZPO).

1. Ein Grund im Sinne von § 42 Absatz 2 ZPO ist gegeben, wenn aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (BGH, Beschluss vom 28. März 2017 – RiZ (R) 1/15, juris Rn. 8).

a) Nach diesem Maßstab ist im Ablehnungsverfahren nicht darüber zu entscheiden, ob sich der Richter befangen fühlt oder tatsächlich befangen ist, sondern ob aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei die Besorgnis besteht, der zur Entscheidung berufene Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2003 – 2 BvR 383/03, juris Rn. 18; BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2003 – II ZB 31/02, juris Rn. 8). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 15. März 2012 – V ZB 102/11, juris Rn. 11; BGH, Beschluss vom 21. Juni 2018 – I ZB 58/17, juris Rn. 14). Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es allerdings auch darum, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden (BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2003 – 2 BvR 383/03, juris Rn. 25).

b) Entscheidend ist demnach, ob objektive Gründe vorliegen, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung aller Umstände die Befürchtung wecken könnten, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber. Demgegenüber scheiden rein subjektive Vorstellungen oder Gedankengänge des Ablehnenden als Ablehnungsgründe aus (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 – VIII ZR 271/13, juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 10. April 2018 – VIII ZR 127/17, juris Rn. 4). Die objektiven Gründe hat die ablehnende Partei glaubhaft zu machen (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2010 – V ZB 210/09, juris Rn. 10). Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des abgelehnten Richters können sich zum einen aus dem Verhalten des Richters innerhalb oder außerhalb des konkreten Rechtsstreits sowie aus einer besonderen Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits oder zu Prozessbeteiligten ergeben (BGH, Beschluss vom 21. Juni 2018 – I ZB 58/17, juris Rn. 10).

c) Gründe in der Person eines anderen als der Partei lassen die Unvoreingenommenheit eines Richters dann zweifelhaft erscheinen, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass sich das Verhältnis zu dem Dritten auf die Einstellung des Richters zu einem Prozessbeteiligten oder zum Gegenstand des Verfahrens auswirkt (BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – II ZR 237/09, juris Rn. 2).

Dritter in diesem Sinne kann auch der Ehegatte des abgelehnten Richters sein. Die Besorgnis der Befangenheit des Richters kann sich etwa daraus ergeben, dass sein Ehegatte beruflich für eine der Parteien tätig ist oder war (BGH, Beschluss vom 19. November 2020 – V ZB 59/20, juris Rn. 10). Ob dieser Umstand die Besorgnis der Befangenheit begründet, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller objektiven Umstände zu beurteilen (BGH, Beschluss vom 14. März 2003 – IXa ZB 27/03, juris Rn. 8). Dabei ist insbesondere die persönliche oder sachliche Nähe des Ehegatten zum Verfahrensgegenstand zu berücksichtigen. Anhaltspunkte hierfür können etwa die Größe des Betriebs, die Stellung und der Tätigkeitsbereich des Ehegatten, mögliche Nachteile jedweder Art für den Ehegatten in Folge des Gerichtsverfahrens sowie die Auswirkungen des Gerichtsverfahrens auf das wirtschaftliche Fortkommen des Unternehmens und auf dessen Reputation geben. Dabei kann es etwa gegen die Besorgnis der Befangenheit sprechen, wenn der Ehegatte bei einem großen Arbeitgeber beschäftigt ist und sich der Verfahrensgegenstand auf eine andere Organisationseinheit bezieht (vgl. OLG München, Beschluss vom 26. August 2009 – 1 W 2051/09, juris Rn. 4). Entsprechendes dürfte anzunehmen sein, wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen des Prozessausgangs verhältnismäßig gering sind, auf den Einzelfall beschränkt bleiben und der Ehegatte keinen sachlichen Bezug zum Verfahrensgegenstand und auch keine engen Kontakte zu den hiervon im Unternehmen betroffenen Personen hat. Umgekehrt kann schon der Umstand einer leitenden Tätigkeit des Ehegatten bei einer Partei oder einem Tochterunternehmen genügen, um die die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 – I ZR 121/92, juris Rn. 31).

2. Nach diesen Maßstäben ist die Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich beider abgelehnten Richter begründet.

a) Vorsitzender Richter am Landgericht X:

Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheidet die Besorgnis der Befangenheit aufgrund der beruflichen Tätigkeit der Ehefrau des Richters für die Beklagte und die D. nicht schon deshalb aus, weil es sich bei der Beklagten um ein großes, weltweit tätiges Unternehmen mit rund 300.000 Beschäftigten handelt, die Ehefrau des Richters im Rahmen ihrer Beschäftigung nicht mit dem Verfahrensgegenstand in Berührung gekommen ist und auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie enge Kontakte zu den insoweit zuständigen Personen pflegt.

Vielmehr ist bei der erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände zu berücksichtigen, dass es sich bei den Schadensersatzklagen aufgrund des Lkw-Kartells - somit auch bei der vorliegenden Klage - um Rechtsstreitigkeiten handelt, die in ihrer Gesamtheit von herausragender und grundsätzlicher Bedeutung für das Unternehmen der Beklagten und der D. sind. Die Ehefrau des abgelehnten Richters hat in beiden Unternehmen über einen langen Zeitraum hinweg bis zum heutigen Tag gehobene Positionen mit Führungscharakter wahrgenommen. Deshalb ist bei vernünftiger Betrachtungsweise aus Sicht der ablehnenden Klägerin die Befürchtung gerechtfertigt, dass sie sich aufgrund ihrer gehobenen beruflichen Tätigkeit in besonderem Maße mit den Interessen und Zielen des Unternehmens identifiziert, deshalb bei Rechtsstreitigkeiten von herausragender Bedeutung für das Unternehmen dessen Position einnimmt oder sich mit diesem solidarisiert, dies auch ihrem Ehegatten - dem abgelehnten Richter - vermittelt und aufgrund der besonderen Nähebeziehung der Eheleute dessen Meinungsbildung zugunsten der Beklagten bewusst oder unbewusst beeinflusst, sodass dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit nicht mehr gewährleistet ist. Dies begründet bei vernünftiger Betrachtung aus Sicht der Klägerin Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters, sodass die Besorgnis der Befangenheit besteht.

aa) Die vorliegende Klage betrifft keinen isolierten Einzelfall, sondern steht in engem Zusammenhang mit einer Vielzahl gleichgerichteter Schadensersatzklagen anderer Geschädigter, die diese - europaweit - gegen die Beklagte wegen deren Beteiligung am Lkw-Kartell erhoben haben und mit denen z. T. erhebliche Schadenssummen geltend gemacht werden. Diese Klagen sind in ihrer Gesamtheit von herausragender Bedeutung für das Unternehmen der Beklagten wie auch der D.; für letztere schon deshalb, weil diese sich nach den Feststellungen des Landgerichts intern verpflichtet hat, die Beklagte von Schadensersatzansprüchen aufgrund des Lkw-Kartells freizustellen. Allein der Gesamtstreitwert der bei der 53. Zivilkammer anhängig gewordenen Schadensersatzklagen wegen des Lkw-Kartells beläuft sich nach den Angaben der Beklagten auf rund 220 Mio. Euro; der Gesamtstreitwert aller auf das Lkw-Kartell gestützten Klagen ist nicht dargelegt, beträgt aber zweifelsfrei ein Vielfaches dieses Betrags. Dass die Schadensersatzklagen wegen des Lkw-Kartells für die Unternehmen der Beklagten und der D. in ihrer Gesamtheit von herausragender wirtschaftlicher Bedeutung sind, kann daher nicht ernsthaft bezweifelt werden.

Darüber hinaus ergibt sich die besondere Bedeutung dieser Verfahren für die Beklagte und die D. auch daraus, dass durch deren Ausgang der gute Ruf beider Unternehmen erheblich beeinflusst wird. Die Beklagte hat gegenüber der Europäischen Kommission ihre Beteiligung am Lkw-Kartell eingeräumt und ein Bußgeld von rund einer Milliarde Euro akzeptiert (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 9. Dezember 2021 – 2 U 101/18, juris Rn. 2). Dieser Vorgang hat erhebliches öffentliches Interesse erregt. In den Prozessen verteidigt sie sich gegen Schadensersatzforderungen der Lkw-Käufer damit, dass diesen durch die eingeräumte Zuwiderhandlung tatsächlich kein Schaden entstanden sei. Dränge die Beklagte mit diesem Vortrag durch, würde dies die Reputation der Beklagten und der D. erheblich stärken.

Soweit das Landgericht die Frage einer Existenzgefährdung der Beklagten problematisiert und verneint, kommt es hierauf nicht an, da die Besorgnis der Befangenheit auch dann bestehen kann, wenn das Unternehmen der Partei, für die der Ehegatte des Richters beruflich tätig ist, durch den Prozessausgang nicht in seiner Existenz gefährdet wird.

Unerheblich ist auch, dass die Beklagte im Falle ihres Unterliegens Regress bei Mitkartellanten nehmen könnte. Dies ändert nichts daran, dass der Prozessausgang bezüglich der bereits anhängigen Schadensersatzklagen für die Unternehmen der Beklagten und der D. von herausragender Bedeutung ist. Ob und inwieweit sich die Beklagte im Falle ihres Unterliegens bei Mitkartellanten schadlos halten kann, lässt sich erst in einem nachgelagerten Verfahren feststellen. Bis dahin richtet sich das vorrangige Interesse der Beklagten darauf, die Forderungen vollständig abzuwehren (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Januar 2021 – 2 W 7/20, juris Rn. 18).

bb) Bei der Gesamtwürdigung fällt weiter ins Gewicht, dass die Ehefrau des abgelehnten Richters sowohl bei der Beklagten, als auch später bei der D. gehobene berufliche Positionen mit Führungscharakter wahrgenommen hat und weiterhin innehat, auch wenn sie in deren Rahmen nicht mit Fragen des Schadensersatzes wegen der Beteiligung am Lkw-Kartell befasst war und auch nicht in Kontakt zu Personen stand, die für die Bearbeitung dieser Ansprüche zuständig waren.

Die Ehefrau des abgelehnten Richters hat über einen Zeitraum von insgesamt mehr als zehn Jahren zunächst bei der Beklagten (von Mai 2011 bis September 2021) als Manager, später Senior Manager, und sodann ab Oktober 2021 bis zum heutigen Tag bei der D. als Bereichsleiterin der Abteilung [...] gehobene berufliche Positionen mit Führungscharakter wahrgenommen. Bei einer Person, die eine derartige gehobene Position in einem Unternehmen innehat, ist aus Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Betrachtungsweise die Befürchtung gerechtfertigt,

- dass diese sich in besonderem Maße mit den Interessen und Zielen des Unternehmens identifiziert,

- deshalb bei Rechtsstreitigkeiten des Unternehmens von herausragender Bedeutung dessen Position einnimmt, rechtfertigt oder ein besonderes Verständnis für diese äußert,

- sich hierüber auch mit ihrem Ehepartner - dem abgelehnten Richter - austauscht, vor allem wenn dieser derartige Rechtsstreitigkeiten konkret zu bearbeiten hat,

- und hierdurch aufgrund der besonderen Nähebeziehung der Eheleute dessen Meinungsbildung zugunsten der Partei, für die sie beruflich tätig ist, bewusst oder unbewusst so beeinflusst, dass dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit nicht mehr gewährleistet ist.

Ob es tatsächlich zu einer solchen Beeinflussung gekommen ist, ist unerheblich, da das Vorliegen einer tatsächlichen Befangenheit nicht erforderlich ist. Entscheidend ist allein, dass aus Sicht der Klägerin, die über keinen Einblick in die inneren Verhältnisse der Eheleute verfügt, die genannten Umstände bei vernünftiger Betrachtung geeignet sind, Anlass zu Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters zu geben.

Auf die näheren Einzelheiten der gehobenen beruflichen Position der Ehefrau des Richters wie auch auf etwaige Gefährdungen ihres Arbeitsplatzes durch den Prozessausgang kommt es bei der hier gegebenen Konstellation nicht an.

cc) Schon aufgrund der beruflichen Tätigkeit der Ehefrau des abgelehnten Richters bei der Beklagten und der D. besteht daher die Besorgnis der Befangenheit.

dd) Darüber hinaus kann die Klägerin als ablehnende Partei aber auch deshalb berechtigten Anlass für Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters haben, weil dieser die Verfahrensbeteiligten zunächst nicht auf das Beschäftigungsverhältnis seiner Ehefrau bei der Beklagten bzw. der D. hingewiesen hat.

(1) Gemäß § 48 ZPO hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht auch dann zu entscheiden, wenn ein Richter von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Aus dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung bzw. ihrer Funktion im Zusammenhang mit den Verfahrensgrundrechten aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 GG und Artikel 103 Absatz 1 GG folgt eine Verpflichtung des Richters zur Anzeige solcher Verhältnisse (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 1993 – 1 BvR 878/90, juris Rn. 28 ff.). Die in § 48 ZPO vorgesehene Anzeige bestimmter Gründe durch den Richter dient der Gewährleistung des Verfassungsrechts der Parteien, nicht vor einen Richter gestellt zu werden, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 – I ZR 121/92, juris Rn. 32).

Mit Blick auf einen möglichen Ablehnungsgrund ist eine Pflicht zur Anzeige gegeben, wenn ein Ablehnungsgesuch nach den Maßstäben des § 42 ZPO begründet sein könnte. Offen zu legen sind alle Umstände, die Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Richters wecken können (OLG München, Urteil vom 26. März 2014 – 15 U 4783/12, juris Rn. 15; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2017 – VI-U (Kart) 9/17, juris Rn. 81). Die Anzeige hat vor oder spätestens bei der ersten richterlichen Handlung zu erfolgen (Vollkommer in: Zöller, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 34. Auflage 2022, § 48 ZPO Rn. 3). Ob und gegebenenfalls wann ein materieller Grund für die Annahme der Befangenheit eines Richters gegeben ist und ob eine Befangenheit tatsächlich besteht, ist für die Verpflichtung eines Richters, objektive Umstände anzuzeigen, welche die Besorgnis der Befangenheit aus Sicht der Parteien nahelegen können, grundsätzlich ohne Belang (BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 – RiZ (R) 1/08, juris Rn. 38).

Allerdings hat der Richter nicht auf "alles Mögliche", sondern nur auf Umstände hinzuweisen, von denen er annehmen muss, sie könnten bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an seiner Unbefangenheit und Unparteilichkeit erwecken (Kammergericht, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 20 SchH 2/10, juris Rn. 20; OLG Hamm, Beschluss vom 5. Oktober 2011 – I-8 SchH 1/11, juris Rn. 22). Wie bei der Beurteilung nach § 42 ZPO ist unbeachtlich, ob der Richter sich tatsächlich befangen fühlt, da es darum geht, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (OLG München, Urteil vom 26. März 2014 – 15 U 4783/12, juris Rn. 15). Die Anzeigepflicht gewährleistet, dass die Parteien von etwaigen, ihnen unbekannten Ablehnungsgründen Kenntnis erlangen und sich zu ihnen äußern können (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 – I ZR 121/92, juris Rn. 33). Zudem stärkt die Hinweispflicht das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Gerichts.

Die pflichtwidrig unterlassene Selbstanzeige kann für sich allein oder in der Zusammenschau mit weiteren Umständen die Besorgnis der Befangenheit begründen (Vossler in: Beck’scher Onlinekommentar zur ZPO, 45. Ed. 01. Juli 2022, § 48 ZPO Rn. 7). Dies gilt allerdings nicht für Umstände, die eindeutig und klar ungeeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit des Richters zu begründen (Kammergericht, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 20 SchH 2/10, juris Rn. 20). Da die Abgrenzung zu Gründen, die eine Befangenheit nahelegen, nicht immer klar ist, wird eine einfache Fehleinschätzung im Einzelfall nicht dazu führen, dass aus der Sicht einer Partei durch den unterbliebenen Hinweis Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (BGH, Urteil vom 4. März 1999 – III ZR 72/98, juris Rn. 14). Anders liegt es hingegen, wenn sich dem Richter eine Offenlegungspflicht in der konkreten Situation aufdrängen musste (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2019 – I ZB 46/18, juris Rn. 23).

(2) Nach diesen Maßstäben hat der abgelehnte Richter durch den nicht rechtzeitig (vor oder spätestens bei der ersten richterlichen Handlung) erteilten Hinweis der ablehnenden Partei Anlass gegeben, an seiner Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit zu zweifeln.

Der Umstand, dass die Ehefrau langjährig bei der Beklagten beschäftigt war und weiterhin bei der durch die Konzernaufspaltung hervorgegangenen D. beschäftigt ist, löste die Verpflichtung des abgelehnten Richters zur Anzeige dieser Umstände aus. Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich, dass die berufliche Tätigkeit eines Ehegatten die Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall begründen kann (BGH, Beschluss vom 19. November 2020 – V ZB 59/20, juris Rn. 10). Soweit der abgelehnte Richter selbst die relevanten Umstände in seiner dienstlichen Äußerung als "völlig unerheblich" bezeichnet hat, ist diese Einschätzung nicht nachvollziehbar. Da bei einer Beschäftigung der Ehefrau bei einer Partei die Besorgnis der Befangenheit von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls abhängt, musste sich dem abgelehnten Richter die ernsthafte Möglichkeit aufdrängen, dass das für die Entscheidung über die Ablehnung zuständige Gericht auf eine entsprechende Anzeige gemäß § 48 ZPO die Besorgnis der Befangenheit für begründet erklären könnte.

b) Richter am Landgericht Y:

Hinsichtlich des abgelehnten Richters am Landgericht Y ist die Besorgnis der Befangenheit aus den vorstehenden Erwägungen ebenfalls begründet. Die Partnerin des Richters war bis zur Konzernaufspaltung bei der Beklagten als Juristin im Arbeitsrecht mit Fachfunktion tätig und ist dies seither bei der D. Auch bei dieser beruflichen Tätigkeit handelt es sich um eine gehobene Position, bei der die Annahme gerechtfertigt ist, ihr Inhaber identifiziere sich in besonderem Maße mit den Interessen und Zielen des Unternehmens.

Dass der abgelehnte Richter mit seiner Partnerin nicht verheiratet ist, ist nicht von Bedeutung. Die Lebensgemeinschaft des abgelehnten Richters mit seiner Partnerin begründet im gleichen Maß wie bei einem verheirateten Paar die Besorgnis, dass die Partnerin die vorstehend beschriebene Bedeutung eines Prozessgewinns für das Ansehen oder den wirtschaftlichen Erfolg der Beklagten bzw. der ebenfalls betroffenen D. vermitteln könnte und sich der Richter hierdurch – wenn auch unbewusst – unsachlich beeinflussen lassen könnte.

Die Besorgnis der Befangenheit wird darüber hinaus auch dadurch begründet, dass der abgelehnte Richter den gebotenen Hinweis nicht rechtzeitig erteilt hat.

C

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Mai 2007 – 1 W 23/07, juris Rn. 5). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 46 Absatz 2 ZPO).


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