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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Ende des Verfahrens, Entpflichtung, Ermessen des Gerichts

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 28.09.2022 - 2 Ws 484/22

Eigener Leitsatz:
1. Das Strafverfahren im Sinne von § 143 Abs. 1 StPO umfasst auch dem Urteil nachfolgende Entscheidungen, die den Inhalt des rechtskräftigen Urteils zu ändern oder zu ergänzen vermögen. Hierzu gehören auch Entscheidungen nach § 57 JGG.
2. Liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bestellung eines Pflichtverteidigers vor, ist diese grundsätzlich gemäß § 143 a Abs: 1 Satz 1 StPO vorzunehmen. Ein Ermessen des Vorsitzenden des Gerichts, die Bestellung eines Verteidigers gleichwohl fortdauern zu lassen, besteht schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht.


2 Ws 484/22

OBERLANDESGERICHT KÖLN
BESCHLUSS

In der Strafsache
gegen

Pflichtverteidiger: Rechtsanwalt pp. in Bonn,
Wahlverteidiger: Rechtsanwalt pp. in Bonn,

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln

auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 02.09.2022 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 8. großen Jugendkammer - als Berufungskammer - des Landgerichts Bonn vom 30.08.2022 (28 Ns 26/21), durch den der Antrag des Verurteilten auf Entpflichtung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger abgelehnt worden ist, unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht, der Richterin am Oberlandesgericht und der Richterin am Landgericht am 28. September 2022 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der angefochtene Beschluss dahingehend abgeändert, dass die Beiordnung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger aufgehoben wird.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten hierin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Der Beschwerdeführer ist im Berufungsverfahren durch Urteil der 8. großen Strafkammer des Landgerichts Bonn als Jugendkammer vom 18.02.2022 (28 Ns 783 Js 133/21 - 26/21) wegen Beleidigung in Tatmehrheit mit Beleidigung, vorsätzlicher Körperverletzung. und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit schuldig gesprochen und zu einer Einheitsjugendstrafe von 9 Monaten verurteilt worden. Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung blieb im Urteil für sechs Monate vorbehalten (Vorbewährung). Das Urteil ist seit dem 26.02.2022 rechtskräftig. Im Berufungsverfahren wurde der Beschwerdeführer durch den ihm als Pflichtverteidiget beigeordneten Rechtsanwalt pp. in Bonn vertreten.

Zur Vorbereitung der Entscheidung über die-Frage der Aussetzung der-Einheitsjugendstrafe zur Bewährung bestimmte der Vorsitzende der Berufungskammer einen Termin zur Anhörung des Verurteilten auf den 10.08.2022. Die Ladung ging dem Verurteilten am 26.07.2022 zu.

Mit Schriftsatz vom 28.07.2022 bestellte sich daraufhin Rechtsanwalt pp. in Bonn als Wahlverteidiger für den Verurteilten unter Vorlage einer auf ihn lautenden Strafprozessvollmacht vom selben Tag.

Mit Schriftsatz vom 08.08.2022 hat Rechtsanwalt pp. im Namen des Verurteilten beantragt, die Bestellung von Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger „gemäß § 143 StPO" zurückzunehmen. Der Verurteilte wünsche die Verteidigungsführung ausschließlich durch ihn, also durch Rechtsanwalt pp. Er, Rechtsanwalt pp., sei zu der Führung der dauerhaften Tätigkeitsentfaltung im hiesigen Verfahren bereit und versichere anwaltlich, dass die Wahlverteidigung gesichert sei und der o.g. Antrag nicht vor. dem Hintergrund gestellt sei, alsbald eine Umstellung der Wahl- auf eine Pflichtverteidigung zu betreiben.

Der Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt pp., hat mit Schriftsatz vom 09.08.2022 mitgeteilt, zu dem Antrag keine Stellungnahme abgeben: zu wollen. Über eine Entpflichtung habe der Vorsitzende zu entscheiden.

Der ursprünglich auf den 10.08.2022 anberaumte Termin zur Anhörung ist in der Folgezeit verlegt worden.

Mit Beschluss vom 30.08.2022 (28 Ns 26/21) hat der Vorsitzende der Berufungskammer den Antrag des Verurteilten auf Entpflichtung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger abgelehnt. Es liege ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 68 Nr. 5 JGG vor, da eine Jugendstrafe verhängt worden sei und am Ende der Vorbewährungszeit über die Aussetzung oder Nichtaussetzung dieser Jugendstrafe zu entscheiden sei. Das Gericht halte in Ausübung des ihm obliegenden Ermessens nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO die Aufrechterhaltung der Pflichtverteidigerbestellung vor dem Hintergrund eines bereits zuvor - im Zuge des Strafverfahrens - erfolgten Verteidigerwechsel§ zur Sicherung des Verfahrens für notwendig.

Rechtsanwalt pp. hat gegen die ihm am 01.09.2022 zugestellte Entscheidung im Namen des Verurteilten mit Schriftsatz vom 02.09.2022 sofortige Beschwerde eingelegt, die am 05.09.2022 beim Landgericht eingegangen ist. Mit der Beschwerde trägt der Verurteilte vor, die Bestellung des Pflichtverteidigers sei gemäß § 143 a Abs. 1 S. 1 SPO aufzuheben gewesen, da er einen anderen Verteidiger gewählt habe und dieser die Wahl angenommen habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlageverfügung vom 09.09.2022 beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.

Der Verurteilte hat mit Schriftsatz seines Wahlverteidigers vom 16.09.2022 mitgeteilt, vollumfänglich an den bisherigen Ausführungen festzuhalten.

II.

Die gemäß §.143 a Abs. 4 StPO statthafte und auch im Übrigen (§ 311 Abs. 2 StPO) zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Berufungskammer vom 30.08.2022 (28 Ns 26/21) ist begründet.

1. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich der Verurteilte gegen die Ablehnung seines Antrags, Rechtsanwalt pp. als seinen Pflichtverteidiger zu entpflichten. Dieser war ihm noch zuletzt als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Zwar endet gemäß § 143 Abs. 1 StPO die Bestellung des Pflichtverteidigers mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens. Auch ist das Urteil vom 18.02.2022 mit Wirkung zum 26.02.2022 in Rechtskraft erwachsen. Das hiesige Strafverfahren war aber gleichwohl noch nicht im Sinne des § 143 Abs. 1 StPO abgeschlossen. Denn über die Frage der Aussetzung der Einheitsjugendstrafe zur Bewährung wurde bis heute noch nicht-entschieden, nachdem die Entscheidung im Urteil für die Dauer einer Vorbewährungszeit von sechs Monaten vorbehalten worden war.

Das Strafverfahren im Sinne von § 143 Abs. 1 StPO umfasst auch dem Urteil nachfolgende Entscheidungen, die den Inhalt des rechtskräftigen Urteils zu ändern oder zu ergänzen vermögen (Noak in BeckOK JGG, Stand: 01.08.2022, § 68a Rdn. 18). Hierzu gehören auch Entscheidungen nach § 57 JGG (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 24.03.1998, 3 Ws 53/98, StV 1998, 348). Die Bestellung des Pflichtverteidigers wirkt daher im Verfahren nach § 57 JGG fort (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 24.03.1998, 3 Ws 53/98, StV 1998, 348; Kilian in BeckOK, JGG, Stand: 01.08.2022, § 57 Rdn. 38).

2. Die Bestellung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger war gemäß § 143 a Abs. 1 S. 1 StPO aufzuheben.

Wie schon nach bisheriger Rechtslage (§ 143 StPO a.F.) ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn der Beschuldigte einen anderen Verteidiger gewählt und dieser die Wahl angenommen hat, § 143 a Abs. 1 S. 1 StPO. Dies gilt gemäß § 143a Abs .1 StPO nur dann nicht, wenn zu besorgen ist, dass der neue Verteidiger das Mandat demnächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen wird, oder soweit die Aufrechterhaltung der Bestellung aus den Gründen des § 144 StPO erforderlich ist.

Hiernach liegen die Voraussetzungen für die Entpflichtung des Pflichtverteidigers vor.

Der Verurteilte hat mit Rechtsanwalt pp. einen anderen als den bestellten Verteidiger gewählt und dieser hat die Wahl angenommen.

Liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bestellung vor, ist diese grundsätzlich gemäß § 143 a Abs: 1 S. 1 StPO vorzunehmen. Ein Ermessen des Strafkammervorsitzenden, die Bestellung eines Verteidigers gleichwohl fortdauern zu lassen, besteht schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl.; § 143 a Rdn. 3; Krawczyk in BeckOK, StPO, Stand 01.07.2022, § 143 a .Rdn. 1; zur alten Rechtslage (§ 143 StPO): SenE v. 06.03.2007, 2 Ws 79/07; OLG Koblenz, Beschluss v. 05.10.2015, 1 Ws 535/15, juris; KG Berlin, Beschluss vom 30.06.2016, 3 Ws 309/16, 3 Ws 310/16, BeckRS 2016,. 13853).

3. Eine Aufrechterhaltung der Bestellung von Rechtsanwalt ist auch nicht nach § 143a Abs. 1 S. 2 StPO geboten. Rechtsanwalt pp. hat mit Schriftsatz vom 08.08.2022 ausdrücklich zugesichert, dass die Verteidigung des Verurteilten durch ihn sichergestellt sei.

Anhaltspunkte für ein „Hinausdrängen" (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 143 a Rdn. 6) des bisherigen Pflichtverteidigers im Sinne von § 143 a Abs. 1 S. 2 Alt. 1 StPO sind weder ersichtlich noch dargetan. Entsprechende Befürchtungen müssen auf konkrete Tatsachen gestützt werden. Bloße Vermutungen genügen nicht (Krawczyk in BeckOK StPO, Stand: 01.07.2022, § 143 a Rdn. 6). Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Rechtsanwalt Piel nicht dauerhaft, sondern nur punktuell zur Übernahme der Verteidigung des Verurteilten bereit und in der Lage ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 30.06.2016, 3 Ws.309/16, 3 Ws 310/16, BeckRS 2016, 13853). Darüber hinaus ist die Verteidigung des Verurteilten auch durch den von ihm gewählten Verteidiger gesichert, so dass kein unabweisbares Bedürfnis dafür besteht, den Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen. Einer Bestellung von Rechtsanwalt pp. als zusätzlichen Verteidiger gemäß § 144 Abs. 1 StPO kam nicht in Betracht. Die Voraussetzungen für die nur in Ausnahmefällen angezeigte Beiordnung eines „Sicherungsverteidigers" im Sinne von § 144 Abs. 1 StPO liegen hier nicht vor.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA M. Piel, Bonn

Anmerkung:


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