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Entscheidungen

Haftfragen

Beschleunigungsgrundsatz, Terminsdichte, Kompensation, Abtrennung von Verfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 15.09.2022 – 5 Ws 243/22

Leitsatz des Gerichts: 1. Zur gebotenen Zahl und Dichte von gerichtlichen Terminsvorschlägen für eine anstehende Hauptverhandlung in einer Haftsache mit mehreren Angeklagten, in der bereits eine erste Abstimmung von gemeinsamen freien Terminen der Verteidiger gescheitert war.
2. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare justizseitige Verzögerungen verursacht ist. Eine Verursachung durch vermeidbare Verzögerungen liegt indes dann nicht vor, wenn die Verzögerung auch dann - durch nicht justizseitig verursachte Umstände - eingetreten wäre, wenn das Gericht das Verfahren hinreichend gefördert hätte.


In pp.

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Angeklagte ist am 03.03.2022 festgenommen worden und befindet sich seit demselben Tag aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Essen vom 02.03.2022 (Az.: 66 Gs 195/22) ununterbrochen in Untersuchungshaft. In dem Haftbefehl ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, sich als Heranwachsender am 00.02.2022 in A wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 und 5, 226 Abs. 1 Nr. 1, 52 StGB, §§ 1, 105 JGG strafbar gemacht zu haben.

Konkret sollen der Angeklagte und der Geschädigten B sich in den Tagen vor der Tat gegenseitig beleidigt haben. Als der Geschädigte am Tattag den Schulhof der (..)schule C gegen 20 Uhr aufsuchte, auf welchem sich der Angeklagte mit drei Begleitern befand, um den Streit im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung zu klären, soll der Angeklagte zunächst unvermittelt auf den Geschädigten losgegangen sein und versucht haben, den Geschädigten mit einer Flasche zu schlagen. Anschließend soll er versucht haben, die Flasche auf den Geschädigten zu werfen, wobei er sein Ziel allerdings verfehlte. Der Geschädigte soll hierauf geflüchtet sein und von dem Angeklagten und seinen Begleitern verfolgt und eingekesselt worden sein. Sodann soll der Angeklagte eine weitere Flasche zerschlagen und mindesten zweimal mit dem abgebrochenen Flaschenhals in Richtung des Auges des Geschädigten gestoßen haben. Hierdurch soll der Sehnerv des Geschädigten so stark verletzt worden sein, dass dieser seine Sehkraft nicht wieder erlangen wird. Der Haftbefehl ist auf die Haftgründe der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) sowie der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO) gestützt. Der Angeklagte sei insbesondere bereits wegen räuberischen Diebstahls verurteilt und gegen ihn seien weiterhin Anklagen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung mittels eines Totschlägers sowie tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte erhoben worden.

Auf den Haftprüfungsantrag des Angeklagten vom 16.03.2022 hat das Amtsgericht Gelsenkirchen am 25.03.2022 die Aufrechterhaltung des Haftbefehls aus den Gründen seiner Anordnung beschlossen und in den Gründen ausgeführt, dass ein dringender Tatverdacht nicht wegen vollendeter, sondern versuchter schwerer Körperverletzung bestehe, da sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sicher beurteilen lasse, in welchem Umfang der Geschädigte seine Sehkraft verloren habe.

Nach Durchführung der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Essen am 23.05.2022 Anklage vor dem Landgericht Essen - Jugendkammer - erhoben und dem Angeklagten eine schwere Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie den Mitangeklagten D und E eine Beihilfe hierzu vorgeworfen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung in der Anklageschrift vom 23.05.2022 Bezug genommen. Am 02.06.2022 hat der Vorsitzende der XXIV. großen Strafkammer - Jugendkammer - die Zustellung der Anklageschrift verfügt und eine Stellungnahmefrist von drei Wochen gesetzt, wobei übersehen wurde, dass sich auch bereits für den Angeklagten D ein Verteidiger zur Akte gemeldet hatte. Die Anklageschrift wurde den Verteidigern des Angeklagten und des Mitangeklagten E am 08.06.2022 und 09.06.2022 und dem Angeklagten D und seinen Eltern am 09.06.2022 zugestellt. Eine Zustellung an den Angeklagten E und seine Mutter erfolgte nicht, da als Anschrift noch eine Jugenschutzsstelle notiert war, in welcher sich der Mitangeklagte E nicht mehr aufhielt.

Am 18.07.2022 vermerkte der Berichterstatter, dass er bis zum Tag zuvor krank gewesen sei und ihm die Akte nunmehr das erste Mal vorgelegen habe. Eine Entscheidung zu einem früheren Zeitpunkt sei der Kammer aufgrund zahlreicher laufender Verfahren sowie der Erkrankungen des Vorsitzenden und dessen Stellvertreter Richters bis zum gestrigen Tage sowie in Anbetracht der angezeigten Kammerüberlastung nicht möglich gewesen. Noch am gleichen Tag beschloss die XXIV. große Strafkammer - Jugendkammer - die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen und eröffnete das Verfahren vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen - Jugendschöffengericht. Ferner wurde die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Auf den Angeklagten als Haupttäter finde voraussichtlich Jugendstrafrecht Anwendung. Eine Zuständigkeit der Jugendstrafkammer nach § 41 JGG bestehe nicht. Insbesondere ergebe die vorzunehmende Gesamtwürdigung, dass der Angeklagte zwar mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen habe, dass diese aber prognostisch nicht oberhalb von fünf Jahren liege.

Nach Eingang der Akten am 19.07.2022 beim Amtsgericht hat dies unter dem 21.07.2022 die Staatsanwaltschaft zunächst um Stellungnahme zur Aufrechterhaltung und Außervollzugsetzung des Haftbefehls gebeten und sodann unter dem 25.07.2022 Terminsvorschläge für den 25.08.2022, 15.09.2022 und 06.10.2022 unterbreitet. Während der Verteidiger des Angeklagten alle drei Termine hätte wahrnehmen könnte, teilte der Verteidiger des Mitangeklagten D mit, am 25.08.2022 wegen Urlaubs verhindert zu sein. Der Verteidiger des weiteren Angeklagten E beantwortete die Terminsanfrage nicht und konnte auch telefonisch nicht erreicht werden. Unter dem 16.08.2022 schlug die Vorsitzende des Schöffengerichts sodann als weitere Termine den 17.10.2022, 31.10.2022, 10.11.2022, 17.11.2022, 21.11.2022, 24.11.2022 und dem 01.12.2022 vor.

Mit weiterem Beschluss vom 16.08.2022 hat das Amtsgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und die Akten gemäß §§ 121, 122 StPO dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft sind der Auffassung des Amtsgerichts beigetreten. Die Akte ist am 29.08.2022 beim Oberlandesgericht eingegangen.

Der Angeklagte hat beantragt, den Haftbefehl des Amtsgerichts Essen vom 02.03.2022 aufzuheben, hilfsweise diesen außer Vollzug zu setzen. Insbesondere sei das Verfahren nicht mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden. Zum einen sei es zu vermeidbaren Verzögerungen durch die Anklage vor dem unzuständigen Gericht gekommen. Zum anderen könnten die zwischenzeitlichen Erkrankungen der Richter sowie die Verhinderung der weiteren Verteidiger seinem Mandanten nicht zugerechnet werden. Nunmehr sei Hauptverhandlungstermin erst für den 10.11.2022 anberaumt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verteidigungsvorbringens wird auf die Schriftsätze des Verteidigers vom 30.08.2022, 06.09.2022, 07.09.2022, 08.09.2022 und 12.09.2022 verwiesen.

II.

Die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft des Angeklagten auch über sechs Monate hinaus war anzuordnen.

1. Der Angeklagte ist nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen der ihm im Haftbefehl vom 02.03.2022 zur Last gelegten schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) dringend verdächtig.

Bezüglich des dringenden Tatverdachts nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft Essen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in ihrer Anklageschrift vom 23.05.2022.

a) Der Angeklagte hat in seinen Einlassungen vor dem Haftrichter anlässlich seiner Haftprüfung sowie seiner Anhörung im Haftprüfungstermin die Körperverletzungshandlungen nicht in Abrede gestellt, sondern sich auf Notwehr bzw. alkoholbedingte Ausfallerscheinungen berufen. Es ist jedoch mit der für den dringenden Tatverdacht erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Angeklagte weder durch (aa)) Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt ist noch im Zustand der (bb)) Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) handelte.

aa) Nach den Aussagen des Geschädigten, des Zeugen F, des Mitangeklagten D und des Spurenbildes ist der Angeklagte dringend verdächtig, den Geschädigten nach dessen Provokationen an der Treppe des Schulgebäudes verfolgt und zusammen mit den Mitangeklagten eingekesselt zu haben, wobei er sich mit einem abgebrochenen Flaschenhals bewaffnet hatte. Eine Notwehrsituation im Zeitpunkt des Zustechens mit dem abgebrochenen Flaschenhals liegt daher fern.

bb) Gleiches gilt in Bezug auf die Schuldfähigkeit, soweit der Angeklagte sich auf alkoholbedingte Ausfallerscheinungen beruft. Trotz der erheblichen Trinkmengenangaben des Angeklagten im Haftprüfungstermin war dieser noch zu einer Verfolgung des Geschädigten und zu gezielten Zustechbewegungen im Zuge der körperlichen Auseinandersetzung sowie zur anschließenden Flucht fähig. Eine vollständige Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit infolge der Alkoholintoxikation lag daher im Tatzeitpunkt aller Voraussicht nach nicht vor. Im Übrigen weichen aber auch die Einlassungen des Angeklagten zum Nachtatverhalten - er habe sich ganze Nacht übergeben - und die Aussage seiner Freundin, der Zeugin G, die lediglich das Heulen des Angeklagten in der Nacht berichtete - voneinander ab. Die Trinkmengenangaben und der behauptete (teilweise) Erinnerungsverlust des Angeklagten sind daher ohnehin mit erheblichen Zweifel verbunden.

b) In rechtlicher Hinsicht ist die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat - wie in Haftbefehl und Anklageschrift und damit abweichend vom Beschluss des Haftprüfungstermins vom 25.03.2022 - als gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit vollendeter (und nicht nur versuchter) schwerer Körperverletzung gem. §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 und 5, 226 Abs. 1 Nr. 1, 52 StGB zu werten.

Der von § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorausgesetzte Verlust des Sehvermögens auf einem Auge oder beiden Augen der verletzten Person ist die irreversible Aufhebung der Fähigkeit, mittels des einen Auges oder der beiden Augen Gegenstände wahrzunehmen, wenn auch nur auf kurze Entfernung (Eschelbach, in: Beck´scherOK StGB, Stand: 01.05.2022, § 226 StGB Rn. 6). Alleine verbleibende Lichtempfindlichkeit ist kein Sehvermögen mehr (Eschelbach, in: Beck´scherOK StGB, a.a.O., § 226 StGB Rn. 6). Dem Totalverlust des Sehvermögens steht hierbei eine nahezu vollständige Aufhebung gleich (BGH, Beschluss vom 07.03.2017 - 1 StVKR 569/16, BeckRS 2017, 104191). Gleiches gilt, falls für den Geschädigten im Ergebnis eine wertlose Restfähigkeit zurückbleibt (BGH Beschl. v. 8.12.2010 - 5 StR 516/10, BeckRS 2010, 30925, beckonline). Dies ist nach dem gegenwärtigen Stand anzunehmen. Nach der telefonischen Auskunft des Arztes H (Augenklinik des Universitätsklinikums A vom 01.03.2022) ist der Sehnerv des Geschädigten zwar nicht vollständig zerstört. Selbst bei einem guten Verlauf werde dieser jedoch allenfalls Umrisse und Bewegungen schemenhaft erkennen können. Dass der Geschädigte seine Sehkraft vollständig zurück erlange sei ausgeschlossen. Es ist daher nicht damit zu rechnen, dass der Geschädigte auch auf kurze Entfernung Gegenstände konkret und nicht nur schemenhafte Umrisse von diesen wahrnehmen kann.

2, Bezüglich des Angeklagten sind des Weiteren die Haftgründe der Schwerkriminalität nach § 112 Abs. 3 StPO sowie der Wiederholungsgefahr nach § 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO gegeben.

a) Nach § 112 Abs. 3 StPO darf gegen den Beschuldigten, der unter anderem einer Straftat nach § 226 StGB dringend verdächtig ist, die Untersuchungshaft auch dann angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach § 112 Absatz 2 StPO nicht besteht. Dieser Haftgrund ist verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass nach den Umständen des Falles der Flucht- oder Verdunkelungsverdacht nicht auszuschließen ist oder die ernstliche Befürchtung besteht, dass der Beschuldigte weitere Straftaten ähnlicher Art begehen werde (BVerfGE 19, 342 (350); BGH NJW 2017, 341; OLG Oldenburg BeckRS 2010, 06441; Krauß, in: Beck´scherOK, Stand: 01.04.2022, § 112 StPO Rn. 41).

b) Nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr unter anderem, wenn der Beschuldigte dringend verdächtig ist, wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat nach den §§ 224 bis 227 StGB begangen zu haben, und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, dass er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde, die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist.

c) Beide Haftgründe sind vorliegend gegeben. Neben dem hier gegenständlichen Vorfall ist der Angeklagte dringend verdächtig, am 30.09.2021 eine versuchte gefährliche Körperverletzung (Verfahren StA Essen 50 Js 122/22) im Sinne von §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 22, 23 StGB und damit einen Katalogtat im Sinne von § 112a Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen zu haben. Nach der betreffenden Anklageschrift vom 03.02.2022 wird dem Angeklagten zur Last gelegt, das Jugendzentrum an der Istraße in J aufgesucht und nach einer verbalen Auseinandersetzung versucht zu haben, den Geschädigten Z mittels eines Schlagstocks oder ausziehbaren Totschlägers gegen den Rücken zu schlagen. Der dringende Tatverdacht beruht hierbei insbesondere auf der schriftlichen Schilderung des Vorfalls durch die Zeugin K vom 25.10.2021, welche mit ihrer mündlichen Aussagen sowie der Aussage des Zeugen L gegenüber der Polizei bei der Aufnahme des Vorfalls am Tattag korrespondiert. Der Angeklagte ist daher - wie von § 112a Abs. Nr. 2 StPO vorausgesetzt, dringend verdächtig, wiederholt Straftaten nach § 224 bzw. 226 StGB begangen zu haben.

d) Es besteht weiterhin die Gefahr, dass er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen wird.

Der Angeklagte ist vom Amtsgericht Gelsenkirchen am 21.03.2019 wegen eines gemeinschaftlichen räuberischen Diebstahls verurteilt worden. Er ist weiterhin aufgrund der in der Anklageschrift vom 13.10.2021 (StA Essen 50 Js 830/21) genannten Beweismittel sowie insbesondere der Zeugenaussage der unbeteiligten Bahnfahrerin M des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte dringend verdächtig, indem er am 13.03.2021 bei einem Polizeieinsatz in der U(..) den Polizeibeamten N mit seine Körper in den Rücken gerannt und diesen gegen die halb geschlossene Wagentür gestoßen haben soll.

Der Angeklagte ist somit innerhalb eines kurzen Zeitraums mit einer Reihe von Gewaltstraftaten in Erscheinung getreten, wobei der Schweregrad der Gewalthandlungen zunimmt und der Angeklagte auch vor dem Einsatz gefährlicher Werkzeuge sowie deren lebensgefährdendem Einsatz nicht zurückschreckt. Zudem hat er im Haftprüfungstermin vom 24.03.222 selbst erklärt, zwar selten, dann aber viel Alkohol zu trinken. Weiterhin hat er in der Hauptverhandlung vom 10.02.2022 (Verfahren StA Essen 50 Js 830/21) angegeben, gelegentlich zu "kiffen". Die danach bestehende Mischung aus enormer Gewaltbereitschaft sowie regelmäßiger alkohol- bzw. drogeninduzierter Enthemmung lässt besorgen, dass er in naher Zukunft weitere gefährliche Körperverletzungshandlungen begehen wird, die gerade aufgrund der Enthemmung jederzeit in den schweren Folgen des § 226 StGB münden können.

3) Der vom dem Angeklagten ausgehenden Wiederholungsgefahr kann nur durch den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft begegnet werden. Mildere Mittel im Sinne des § 116 StPO sind nicht ersichtlich und können bei der derzeitigen Sachlage auch nicht in Erwägung gezogen werden. Die bisherige Untersuchungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und zu der im Verurteilungsfall den Angeklagten erwartenden hohen Haftstrafe.

4) Die besonderen Voraussetzungen des § 121 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind gleichfalls gegeben.

a) Das in Haftsachen geltende Gebot der besonderen Verfahrensbeschleunigung ist insgesamt (noch) gewahrt.

Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot, das für das gesamte Ermittlungs- und Strafverfahren gilt und bei Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen besondere Beachtung verlangt, gebietet, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen sowie eine gerichtliche Entscheidung über die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (KG Berlin, Beschluss vom 15. August 2013 - 4 Ws 108/13 -, Rn. 10, juris). Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (KG Berlin, Beschluss vom 15. August 2013 - 4 Ws 108/13 -, Rn. 10, juris). Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann (OLG Hamm, Beschluss vom 23. April 2020 - III-3 Ws 131/20 -, Rn. 25, juris).

b) Nach diesem Maßstab und den zum jetzigen Zeitpunkt zu stellenden Anforderungen ist die Fortdauer der Untersuchungshaft vorliegend noch gerechtfertigt.
aa) Das Ermittlungsverfahren ist ohne Verzögerung betrieben worden. Nach der Festnahme des Angeklagten am 03.03.2022 konnte bereits am 23.05.2022 und damit nach etwas über zweieinhalb Monaten Anklage erhoben werden.

bb) Das Zwischenverfahren ist durch das Landgericht unverzüglich eingeleitet worden.

(1) Nach Eingang beim Landgericht am 01.06.2022 hat der Vorsitzende mit Verfügung vom 02.06.2022 den Verteidigern des Angeklagten sowie des Mitangeklagten E sowie dem Angeklagten und den Mitangeklagten sowie den Eltern der Mitangeklagten die Anklageschrift mit einer Stellungnahmefrist von drei Wochen zugestellt. Dass hierbei übersehen wurde, dass sich bereits Rechtsanwalt O am 25.05.2022 als Verteidiger des Angeklagten D gemeldet hat, hat hierbei zu keiner Verfahrensverzögerung geführt. Denn nachdem Rechtsanwalt O unter dem 07.07.2022 auf dieses Versehen aufmerksam gemacht hatte, wurde zwar am 17.07.2022 eine Umbestellung vorgenommen, aber betreffend die Eröffnungsentscheidung keine weiteren Stellungnahmefristen gesetzt. Gleiches gilt im Ergebnis betreffend die gescheiterte Zustellung an den Mitangeklagten E. An den Mitangeklagten E konnte zwar weder unter der Adresse Pstraße 00, J noch unter der Adresse Qstraße 00, J zugestellt werden. Da die Kammer aber auch insoweit die Zustellung nicht abgewartet hat, ist es hierdurch ebenfalls nicht zu einer der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung gekommen.

(2) Des Weiteren ist eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes nicht darin zu erblicken, dass die Staatsanwaltschaft Essen Anklage vor der Jugendkammer des Landgerichts erhoben und die Kammer mit Beschluss vom 18.07.2022 die Eröffnung abweichend vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Gelsenkirchen eröffnet hat.

Die Anklage vor einem unzuständigen Gericht und dadurch eingetretene Verfahrensverzögerungen können zwar im Einzelfall der Annahme eines wichtigen Grundes im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO entgegenstehen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. September 1992 - 2 BvR 1305/92 -, Rn. 9, juris; Schmitt, in: Meyer/Goßner, 65. Aufl. 2022, § 121 StPO Rn. 24). Dies setzt allerdings voraus, dass die Anklage aus nicht vertretbaren Erwägungen bei einem unzuständigen Gericht erhoben wird (Schultheis, in: Karlsruher Kommentar, 8. Aufl. 2019, § 121 StPO Rn. 21). So verhält es sich hier indes nicht. Die Annahme der Staatsanwaltschaft, dass die Jugendkammer des Landgerichts für den erhobenen Tatvorwurf sachlich zuständig ist, erweist sich weder als willkürlich noch als unvertretbar. Nach § 41 Abs. 1 Nr. 5 JGG ist die Jugendkammer des Landgerichts in Sachen zuständig, bei denen dem Beschuldigten eine Tat der in § 7 Abs. 2 JGG bezeichneten Art vorgeworfen wird und eine höhere Strafe als fünf Jahre Jugendstrafe oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist. Vorliegend handelt es sich bei der dem Angeklagten zur Last gelegten schweren Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB) um eine Katalogtat im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 1 a) JGG. Die Annahme von einer Straferwartung von mehr als fünf Jahren Jugendstrafe erweist sich aufgrund der vom Landgericht im Eröffnungsbeschluss zutreffend aufgeführten, zahlreichen strafschärfenden Umstände, die einen ganz erheblichen Erziehungsbedarf des Angeklagten belegen, nicht als grob rechtsfehlerhaft. Der Angeklagte ist bereits erheblich und auch in unterschiedlichen Deliktsbereichen strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Verhängung von Zuchtmitteln hat ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten können. Die strafrechtliche Entwicklung stellt zudem sich als progredient dar. Nunmehr wird dem Angeklagten eine besonders brutale und gefährliche Gewalthandlung zur Last gelegt. Der Angeklagte schreckt - wie auch die versuchte gefährlicher Körperverletzung mittels eines Schlagstocks bzw. Totschlägers belegt - nicht vor dem rücksichtslosen Einsatz von gefährlichen Werkzeugen gegen seine Opfer zurück, wobei er auch bei nichtigen Anlässen schwerste Körperverletzungsfolgen rücksichtslos in Kauf nimmt. Auch unter Berücksichtigung des strafmildernden Umstandes, dass der Geschädigte den Angeklagten vorliegend unmittelbar vor der Tat provoziert hatte, ist eine Straferwartung von mehr als fünf Jahren - wie das Landgericht in seiner Eröffnungsentscheidung ausdrücklich ausgeführt hat - lediglich "(noch) nicht" gegeben und nicht fernliegend.

(3) Ebenfalls als noch angemessen stellt sich die Verfahrensförderung nach Ablauf der dreiwöchigen Stellungnahmefrist zur Anklageschrift am 30.06.2022 bis zur Entscheidung über die Eröffnung dar.

Dem Berichterstatter ist - wie sich aus dessen Vermerk ergibt - die Akte erstmalig am 18.07.2022 und damit ca. zweieinhalb Wochen nach Fristablauf - was regelmäßig nicht der gebotenen Beschleunigung entspricht - vorgelegt worden. Der Senat vermag insofern zwar nicht beurteilen, ob insofern eine zügigere Sachbehandlung aus den im Vermerk des Berichterstatters vom 18.07.2022 genannten Gründen - Erkrankungen des Berichterstatters, Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden sowie Überlastung der Kammer - ausnahmsweise nicht möglich war. Denn dem Vermerk lassen sich weder die genauen Erkrankungszeiträume der Kammermitglieder noch der Inhalt der Überlastungsanzeige sowie die Reaktion von Verwaltung und Präsidium hierauf entnehmen. Einer weiteren Aufklärung der obwaltenden Umstände bedurfte es jedoch insofern nicht, da hierdurch entstandene etwaige Verfahrensverzögerungen durch die besonders beschleunigte Bearbeitung kompensiert wurden. So hat die Kammer noch am 18.07.2022 und damit am gleichen Tag über die Eröffnung des Verfahrens entschieden. Das Zwischenverfahren hat damit insgesamt etwa eineinhalb Monaten und die Entscheidung über die Eröffnung nach Ablauf der Stellungnahmefrist etwa zweieinhalb Wochen gedauert. Im Hinblick auf die Schwere des Tatvorwurfs und den Umfang des Verfahrens ist diese Bearbeitungsdauer insgesamt noch nicht zu beanstanden.

cc) Schließlich ist die Sache zwar im Hauptverfahren nicht durchgängig mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden (s. hierzu (3)). Soweit eine unzureichende Verfahrensförderung anzunehmen ist, hat diese jedoch im Ergebnis zu keiner der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung geführt, da es auch bei einer pflichtgemäßen Verfahrensförderung nicht zu einer schnelleren Durchführung des Hauptverfahrens gekommen wäre (s. hierzu (4)).

(1) Als noch hinreichend zügig stellt sich die Unterbreitung erster Terminsvorschläge seitens der Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts mit Verfügung vom 25.07.2022 dar. Die Akte ist beim Amtsgericht am 19.07.2022 eingegangen und die Vorsitzende des Jugendschöffengerichts hat bereits mit Verfügung vom 21.07.2022 die Staatsanwaltschaft zur Frage der Aufrechterhaltung des Haftbefehls Stellung nehmen lassen. Sodann hat die Vorsitzende des Jugendschöffengerichts unter dem 25.07.2022 und damit nicht einmal eine Woche nach Akteneingang, drei Terminsvorschläge unterbreitet, wobei der erste Terminsvorschlag am 25.08.2022 und damit binnen eines Monats und noch innerhalb der 6-Monats-Frist lag. Die Terminierung auf diesen Termin scheiterte ausschließlich daran, dass - was einen anderen wichtigen Grund im Sinne von § 121 StPO darstellt - Rechtsanwalt O als Pflichtverteidiger des Mitangeklagten D und damit als unentbehrlicher Verfahrensbeteiligter wegen Urlaubs verhindert war.

Hinsichtlich des weiteren Terminvorschlags am 15.09.2022, der trotz des zu koordinierenden Mitwirkens von drei Verteidigern gerade einmal sieben Wochen nach Vorschlagsunterbreitung und noch vor dem am 19.09.2022 beginnenden und bereits im Hinblick auf das hiesige Strafverfahren verschob einen Erholungsurlaub der Vorsitzenden lag, ging auch nach mehrfachen telefonischen Anfragen bis zum 16.08.2022 keine Antwort des weiteren Verteidigers Rechtsanwalt R ein. Aus diesem Grund durfte die Vorsitzende ihren Terminsvorschlag als gescheitert ansehen. Im Übrigen war aber bereits zum damaligen Zeitpunkt der Vorschlagsunterbreitung, was im Hinblick auf den Verfahrensumfang sowie die angedachte Verfahrensverbindung des Verfahrens AG Gelsenkirchen 303 Ls 312/21 mit vier Anklagen auch sachgerecht war, die Vereinbarung eines Fortsetzungstermins sowie ggfls. eines weiteren Fortsetzungstermins vorgesehen. Die Vereinbarung von mindestens zwei Fortsetzungsterminen innerhalb der dreiwöchigen Frist des § 229 Abs. 1 StPO wäre aber im Hinblick auf den Erholungsurlaub der Vorsitzenden vom 19.09.2022 bis zum 03.10.2022 und des anschließenden Erholungsurlaubs des Verteidigers Rechtsanwalt R ab dem 04.10.2022 ohnehin nicht möglich gewesen.

(2) Weiterhin ist nicht zu beanstanden, dass die Vorsitzende keine Terminsvorschläge für den Zeitraum ihres Erholungsurlaubs vom 19.09.2022 bis zum 03.10.2022 unterbreitete und keine Verhandlung durch ihren Vertreter in Erwägung gezogen hat.

Die Frage, ob zur Verfahrensbeschleunigung die Hauptverhandlung nicht durch den originär zuständigen Richter sondern in dessen Erholungsurlaub durch den nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen Vertreter durchzuführen ist, kann nicht allgemein beurteilt werden, sondern erfordert eine Gesamtabwägung der im Einzelfall obwaltenden Umstände. In Blick zu nehmen sind insofern insbesondere die Dauer der bisherigen Untersuchungshaft, der von Umfang und Komplexität des Verfahrens abhängige voraussichtliche Einarbeitungsaufwand und die Anzahl der voraussichtlich erforderlichen Termine. Danach durfte zum damaligen Zeitpunkt noch von einer Terminierung im Urlaubszeitraum abgesehen werden. Der Angeklagte befand sich zu diesem Zeitpunkt "nur" knapp über die 6-Monatsgrenze hinaus, nämlich 6 ½ Monate bis 7 Monate in Untersuchungshaft. Für die Hauptverhandlung sollten mindestens zwei Termine sowie dreizehn Zeugen und gegeben falls elf weitere Zeugen in dem hinzuverbundenen Verfahren geladen werden. Die Notwendigkeit weiterer Hauptverhandlungstermine - insbesondere aufgrund der Verhinderung von Zeugen - lag nicht fern. Im vorliegenden Fall erweist sich daher die Entscheidung, keine Hauptverhandlungstermine im Zeitpunkt des Erholungsurlaubs vorzuschlagen, als vertretbar.

(3) Als nicht hinreichend stellt sich die Verfahrensförderung hingegen dar, soweit unter dem 16.08.2022 für den Zeitraum nach der Urlaubsrückkehr am 04.10.2022 nur zwei Terminsvorschläge für den Oktober 2022, namentlich der 17.10.2022 und der 31.10.2022, unterbreitet wurden.

Im Hinblick darauf, dass die Mitwirkung von drei Verteidigern zu koordinieren und die erste Terminsvorschlagsrunde bereits gescheitert waren, war es nunmehr geboten, durch eine Vielzahl von Terminsvorschlägen auf eine Terminsfindung hinzuwirken. Dabei war auch zu beachten, dass Haftsachen den Nichthaftsachen vorgehen und mit größtmöglicher Beschleunigung zu betreiben sind. (Böhm, in: MünchKomm, 1. Aufl. 2014, § 121 StPO Rn. 82).

Diesem Erfordernis werden die am 16.08.2022 unterbreiteten Terminierungsvorschläge für den Monat Oktober 2022 nicht gerecht. Nach der vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 07.09.2022 standen dieser als Sitzungstage der Montag und Donnerstag sowie - nach Absprache mit den Kolleginnen - der Freitag zu Verfügung. Weder war die von der Vorsitzenden Richterin frei gewählte Einteilung, dass montags regelmäßig nur Einzelrichtersachen verhandelt werden, für die Unterbreitung von Terminsvorschlägen von Relevanz noch standen nach der dienstlichen Auskunft in diesem Zeitraum anderweitige Haftsache an, welche der hiesigen Strafsache hätten vorgehen können. Allein an den regulären Sitzungstagen hätten als weitere Termine daher jedenfalls der 06.10.2022 (der Termin ist bei der ersten Vorschlagsrunde von keinem der Verteidiger abgelehnt worden), 07.10.2022, 10.10.2022, 13.10.2022, 14.10.2022, 20.10.2022 , 21.10.2022, 24.10.2022 und 28.10.2022 vorgeschlagen werden können. Angesichts der Vielzahl möglicher weiterer Termine braucht der Senat die Frage nicht entscheiden, ob bereits zu diesem Zeitpunkt auch Terminsvorschläge für Tage zu unterbreiten waren, bei welchen es sich nicht um reguläre Sitzungstage handelte.

(4) Die vorstehend unter (3) beschriebene, nicht hinreichende Verfahrensförderung hat jedoch im Ergebnis nicht zu einer Verfahrensverzögerung geführt, so dass insofern keine Verletzung des Beschleunigungsgebots gegeben ist.

Auf die Anfrage des Senats haben sämtliche Verteidiger mitgeteilt, an welchen Tagen eine Terminierung im Oktober 2022 hätte stattfinden können, wenn diese am 16.08.2022 vom Amtsgericht angefragt worden wäre. Nach den erteilten Auskünften ist davon auszugehen, dass nach Urlaubsrückkehr der Vorsitzenden zum 04.10.2022 Rechtsanwalt S am 12.10.2022, 17.10.2022 und 24.10.0222 verhindert gewesen wäre und Rechtsanwalt O lediglich am 05.10.2022, 07.10.2022, 10.10.2022, 13.10.2022 und 18.10.2022 zur Verfügung gestanden hätte. Rechtsanwalt R hätte sich - die etwaige außerplanmäßige Fortsetzung des von ihm in der Stellungnahme vom 12.09.2022 angesprochenen Schwurgerichtsverfahrens ließ keine andere Planung zunächst im Zeitraum vom 04.10.2022 bis zum 16.10.2022 im Urlaub befunden und war im Zeitraum vom 17.10.2022 bis 31.10.2022 vollständig austerminiert. Selbst bei der gebotenen Verfahrensförderung durch die Unterbreitung weiterer Terminsvorschläge wäre daher eine Terminierung unter Beteiligung der weiteren Pflichtverteidiger Rechtsanwalt R und Rechtsanwalt O im Oktober 2022 nicht zustande gekommen.

(5) Für den Monat November 2022 sind von der Vorsitzenden Richterin insgesamt vier Terminsvorschläge unterbreitet worden. Der Senat kann offen lassen, ob diese Anzahl hinreichend ist. Jedenfalls sind am 10.11.2022 und 17.11.2022 Hauptverhandlungstermine und damit der erste Termin noch im ersten Drittel des Monats November 2022 zustande gekommen, so dass es insofern nicht zu einer wesentlichen Verfahrensverzögerung gekommen ist.

(6) Schließlich ist bis zum jetzigen Verfahrensstadium nicht zu beanstanden, dass die Vorsitzende Richterin nicht durch Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten eine zügigere Terminierung ermöglicht hat. Soweit ein früherer Prozessbeginn an der Verhinderung des Verteidigers des nicht inhaftierten Angeklagten scheitert, ist zwar an die Möglichkeit der Trennung der Verfahren in diesem Zusammenhang zu denken. (Gärtner in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 121 StPO). Die Trennung steht gleichwohl im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, 8. Aufl. 2019, § 2 StPO Rn. 14). In die Gesamtabwägung sind hierbei insbesondere der Freiheitsanspruch des Betroffenen und das Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit einzustellen. Danach ist vorliegend einerseits zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bis zum Beginn der Hauptverhandlung acht Monate und eine Woche in Untersuchungshaft verbracht haben wird. Zum anderen wären die abgetrennten Angeklagten, worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift zutreffend hingewiesen hat, ebenfalls zu laden gewesen und hätten von ihrem Recht auf Verweigerung der Aussage Gebrauch machen können. Insbesondere im Hinblick darauf dass der Mitangeklagte D sich am 27.05.2022 umfangreich gegenüber der Polizei eingelassen hat, wäre daher eine erhebliche Behinderung der Sachaufklärung zu besorgen gewesen. Wegen des gewichtigen Tatvorwurfs überwiegt jedenfalls gegenwärtig das Strafverfolgungsinteresse noch den Freiheitsanspruch des Angeklagten, so dass dieser (noch) zurückzutreten hat.

(7) Gleiches gilt im Ergebnis, soweit der Verteidiger des Angeklagten nunmehr die Auffassung vertritt, dass die Pflichtverteidiger der Mitangeklagten von ihren Pflichten hätten entbunden werden können, um eine zügigere Durchführung des Verfahrens zu ermöglichen. Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs überwog jedenfalls im damaligen Verfahrensstadium das Interesse der Angeklagten von den Verteidiger ihres Vertrauens verteidigt zu werden. Dass Rechtsanwalt R zwischenzeitlich mitgeteilt hat, dass aufgrund seiner starken Terminsbelastung nunmehr die Terminswahrnehmung durch seinen Kanzleikollegen Rechtswalt T angedacht sei, rechtfertigt keine andere Bewertung, da dies für das Gericht nicht erkennbar und dies nicht gehalten war, dem Mitangeklagten E einen Verteidigerwechsel anzusinnen.

III.

Die Nebenentscheidung folgt aus § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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