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Entscheidungen

Corona

Judenstern, ungeimpft, Facebook, Gruppenbild, Volksverhetzung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Aachen, Beschl. v. 18.08.2022 – 60 Qs 16/22

Leitsatz des Gerichts:
1. Die Verwendung eines Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes Jude“ durch das Wort ungeimpft“ in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil erfüllt als Beitrag zur öffentlich geistigen Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand des Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.03.2021 - Ss 72/2020 (2/21), BeckRS 2021, 4322; Fischer StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 27). Eine Deutung des Judensterns“ als allgemeines Symbol für eine staatlich veranlasste Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen ist aus der Sicht eines verständigen Zuhörers nicht ausgeschlossen. Es ist daher im Hinblick auf die gesellschaftlich geführte Debatte um eine Corona-Impfpflicht, Schutzmaßnahmen und die Privilegien für geimpfte Personen aus Sicht eines objektiven, verständigen Zuhörers auch eine Deutung denkbar, die lediglich die Nachteile der ungeimpften Bevölkerung durch die eingeschränkte Teilnahme am öffentlichen Leben gegenüber den Geimpften anprangert, ohne sich hierbei konkret auf den Völkermord an den Juden zu beziehen. Die Angeschuldigte hat im konkreten Fall nicht das den Juden unter der NS-Herrschaft zugefügte Unrecht bagatellisiert, sondern vielmehr ihre eigene Situation als Ungeimpfte in der Corona-Pandemie überdramatisiert.

2. Zwar ist es auf sogenannten Corona-Demonstrationen des Häufigeren zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Demgegenüber haben an diesen Demonstrationen auch zahlreiche Personen teilgenommen, die friedlich gegen eine geplante Impfpflicht oder sonstige Corona-Maßnahmen demonstriert haben und sich mit den Gewalttaten Einzelner nicht identifiziert oder diese gebilligt haben. Vor diesem Hintergrund kann nicht jeder Aufruf, sich gegen eine Impfpflicht einzusetzen als Appell zum Rechtsbruch oder aggressive Emotionalisierung ausgelegt werden.


In pp.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird auf Kosten der Staatskasse, die auch etwaige im Beschwerdeverfahren entstandene notwendige Auslagen der Angeschuldigten zu tragen hat, zurückgewiesen.

Gründe

I.

Gegen die Angeschuldigte wird seitens der Staatsanwaltschaft Aachen unter dem Aktenzeichen 1 Js 210/22 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung, begangen am 01.12.2021, geführt.

Durch die Meldestelle respect! wurde bekannt, dass die Angeschuldigte am 01.12.2021 ein Bild mit einem sogenannten "Judenstern" in einer seinerzeit aus 27 Mitgliedern bestehenden Facebook-Gruppe "Impfzwang?? Nein danke!! Wir stehen auf!!" als Gruppenbild hochgeladen hatte. Dabei handelte es sich um eine abgewandelte Version des "Judensterns" dahingehend, dass auf dem Stern nicht der Begriff "Jude", sondern der Begriff "Ungeimpft" zu sehen war. Über und unter dem Judenstern standen die Worte "Der neue Judenstern".

Die Angeschuldigte hat sich im Rahmen ihrer Beschuldigtenvernehmung am 23.03.2022 zum Tatvorwurf wie folgt eingelassen:

Die Ungeimpften hätten damals nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen dürfen; es habe eine Ausgrenzung stattgefunden wie damals bei den Juden. Sie, die Angeschuldigte, habe ihren Sohn nach Oskar Schindler benannt. Auch gegen schlechte Judenwitze gehe sie immer vor. Sie sei nicht gegen Ausländer und auch kein Nazi. Sie sei zum Tatzeitpunkt ungeimpft gewesen und habe gewollt, dass die Ungeimpften mit den Tests die gleichen Rechte haben wie alle anderen auch.

Sie könne die (von ihr moderierte) Facebook-Gruppe nicht mehr löschen, ebenso wie ihr eigenes Profil, obwohl sie Facebook dazu angewiesen habe. Sie habe das Gruppenbild nach drei bis vier Wochen wieder entfernt, direkt nachdem sie darauf hingewiesen worden sei, dass es strafbar sein könne. Ihr sei mitgeteilt worden, dass es ein Vergleich gegenüber sechs Millionen getöteten Juden sei. Schließlich habe sie es gelöscht, weil sie niemanden habe persönlich angreifen wollen. Sie habe darauf hinweisen wollen, dass es eine freie Entscheidung sein sollte, ob man sich impfen lasse oder nicht. Die Facebook-Gruppe habe keine Hetzgruppe darstellen sollen, sondern ein Austausch, wie man zur Impfung stehe. Sie habe niemanden verletzen oder aufstacheln wollen. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass die Abbildung des Sterns eine Straftat sein könnte, da sie diese auf Google gefunden habe. Hinsichtlich der Impfung habe ihr das Wissen gefehlt. Am Anfang habe es geheißen, der Arbeitgeber solle nicht über den Impfstatus Bescheid wissen, aber überall, wo sie sich beworben habe, sei als erstes nach dem Impfstatus gefragt worden. Irgendwann habe sie sich und ihren älteren Sohn impfen lassen, weil sie zurück ins Arbeitsleben gewollt habe und die Impfung dem Schutz älterer Menschen und der Sicherheit der Bevölkerung diene. Die Ausgrenzung Ungeimpfter könne man nicht mit der Judenverfolgung vergleichen, da Ungeimpfte nicht in KZs kämen. Einen solchen Vergleich habe sie nicht ziehen wollen. Das mit dem Stern tue ihr leid. Zu diesem Zeitpunkt habe es viele Gruppen gegeben, die diesen benutzt hätten, rückblickend habe sie sich nichts dabei gedacht. Zu diesem Zeitpunkt sei viel auf sie "eingeprasselt"; sie habe in ihrem Leben viel Gewalt erfahren und habe dem Hass nicht ausgesetzt sein wollen. Sie sei mal mit einem Verschwörungstheoretiker zusammen gewesen, der gesagt habe, dass Hitler der erste gewesen sei, der außerirdischen Kontakt gehabt habe. Der sei verrückt geworden. Mit solchen Leuten wolle sie nichts mehr zu tun haben. Im Jahr 2008 sei sie in Kattowitz bei ihrer Familie zu Besuch gewesen, wobei sie auch Auschwitz besucht habe. Dies sei erschreckend, grausam und sehr bewegend gewesen.

Durch Strafbefehlsentwurf der Staatsanwaltschaft Aachen vom 14.04.2022 (Az.: Cs 1 Js 210/22) wird der Angeschuldigten vorgeworfen, am 01.12.2022 in S. eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich verharmlost zu haben.

Konkret wird der Angeschuldigten Folgendes zur Last gelegt:

"Am 01.12.2021 stellten Sie gegen 21:35 Uhr in der von Ihnen gegründeten öffentlich einsehbaren Facebook-Gruppe mit dem Titel "Impfzwang?? Nein Danke!! Wir stehen auf!!" als Gruppenbild ein Foto ein, auf dem mittig ein auf einer Scheibe klebendes Plakat abgebildet ist. Das Plakat zeigt einen gelben Judenstern, der zur Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Juden verwendet wurde, mit der Inschrift "Ungeimpft" und der Überund Unterschrift "Der neue Judenstern". Ihnen war bewusst, dass eine Impfung in keinem Zusammenhang zur Judenverfolgung steht. Sie nahmen billigend in Kauf, dass die unter den Nationalsozialisten begangene planmäßige Ermordung von Juden als Vergleich mit den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona Pandemie wahrgenommen werden würde und dadurch eine Bagatellisierung der Art, des Ausmaßes und der Folgen der Unterdrückung, Gewalt und massenhaften Ermordung der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht wird. Ihnen war bewusst, dass dies zu einer Herabsetzung von Hemmschwellen mit unmittelbar rechtsgutgefährdenden Folgen führen kann."

Mit Verfügung vom 14.04.2022 hat die Staatsanwaltschaft Aachen den Entwurf eines Strafbefehls mit dem vorgenannten Inhalt dem Amtsgericht Monschau - Strafrichter - mit dem Antrag übersandt, den Strafbefehl gemäß dem Strafbefehlsentwurf zu erlassen. Zugleich hat sie ausgeführt, das von der Angeschuldigten hochgeladene Bild im Zusammenhang mit der Gruppenbeschreibung vergleiche aus der Warte eines objektiven Betrachters die Corona-Maßnahmen mit den Maßnahmen der Judenverfolgung, insbesondere auch des Holocaust in der NS-Zeit. Dass sich das Bild "nur" auf die seit dem Jahr 1933 schrittweise stattfindende Ausgrenzung und Diskriminierung von Juden unter Ausklammerung des Holocaust beziehe, sei nach objektiver Auslegung nicht anzunehmen. Bereits seit dem Jahr 1939 hätten diverse menschenvernichtende Aktionen stattgefunden, die sich seit dem Jahr 1941 mit dem Überfall auf die Sowjetunion zum Holocaust gesteigert hätten. Gerade in diese Zeit sei die Einführung des Judensterns gefallen, sodass dieser einen eindeutigen Bezug zum Holocaust habe. Da die Corona-Maßnahmen in keiner Weise mit dem Holocaust auf derselben Stufe stünden, gehe damit zwangsläufig eine Verharmlosung einher. Maßgeblich für die Geeignetheit zur Friedensstörung sei, ob die Tat sowohl nach Art und Inhalt der Äußerung sowie den Umständen ihrer Abgabe als auch nach ihren voraussichtlichen Folgewirkungen und dem Kreis der Erklärungsempfänger zur Störung des öffentlichen Friedens konkret geeignet sei. Im Verlauf der Corona-Pandemie komme es nach wie vor regelmäßig zu verschiedensten Demonstrationen, die sich gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie richteten. Dabei mischten sich diverse Gruppen der Gesellschaft; neben Personen aus dem bürgerlichen Spektrum nähmen regelmäßig auch staatsfeindliche und rechtsradikale Gruppierungen an den Demonstrationen teil, wobei eine Radikalisierung für möglich gehalten werde. Teilweise sei es zu Gewalttätigkeiten gekommen. Gerade im Zusammenhang mit dem politischen Vorantreiben der allgemeinen Impfpflicht ab Ende 2021 bis zur Ablehnung am 07.04.2022 im Bundestag habe sich diese Stimmung verstärkt. Auch im Internet werde die Kritik an staatlichen Maßnahmen in nicht selten aggressiver und unter Strafvorschriften fallender Form geäußert. In diesem Kontext in öffentlichkeitswirksamer Form geäußerte Verharmlosungen des Holocaust seien daher gerade zum Zeitpunkt der hiesigen Tat geeignet gewesen, entsprechend aufnahmebereite Adressaten zu radikalisieren, Hemmschwellen herabzusetzen und gegen staatliche Maßnahmen mit Gewalt vorzugehen. Gerade ein Vergleich mit der staatlichen systematischen Judenverfolgung, gegen die ohne Zweifel gewaltsamer Widerstand zulässig gewesen sei, suggerierten, dass Gegnern von Corona-Maßnahmen auch heute wieder staatliches Unrecht angetan würde, weshalb diese als Widerstandskämpfer auch heute das Recht hätten, sich gegen den Staat und seine Organe gewaltsam zur Wehr zu setzen. Die wesentlichen Umstände der Tatbestandsmerkmale habe die Angeschuldigte auch subjektiv verwirklicht. Ihr seien die wesentlichen Fakten der Judenausgrenzung und -verfolgung bekannt gewesen. Sie habe zwar glaubhaft angegeben, dass sie einen Vergleich mit dem Holocaust "nicht gewollt habe". Im Sinne des dolus eventualis sei es jedoch ausreichend, dass die Möglichkeit eines entsprechenden Verständnisses gegeben sei. Ein etwaiger Irrtum sei als Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB zu bewerten. Gerade bei der Verwendung von derart problematischen mit der NS-Zeit in Verbindung zu bringenden Symbolen und Aussagen sei ein sehr hohes Maß an geistiger Anstrengung zu verlangen, das die Angeschuldigte nicht angestellt habe. Der Irrtum sei daher vermeidbar gewesen.

Am 29.04.2022 wurde das weitere Vorgehen seitens des Amtsgerichts mit der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf eine etwaige Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153a StPO erörtert. Ein solches Vorgehen hielt die Staatsanwaltschaft indes für ausgeschlossen.

Mit Beschluss vom 07.05.2022 (Az.: 7 Cs-1 Js 210/22-72/22) hat das Amtsgericht Monschau - Strafrichter - den Antrag auf Erlass des Strafbefehls vom 14.04.2022 aus tatsächlichen Gründen abgelehnt.

Zur Begründung hat es ausgeführt, es erachte die Angeschuldigte eines Vergehens der Volksverhetzung im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB für nicht hinreichend verdächtig. Der Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB sei nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht erfüllt. Im Dezember 2021 habe der Deutsche Bundestag angesichts stetig steigender Infektionszahlen unter anderem über eine Impfpflicht für bestimmte Personengruppen gestritten. Die geplante Gesetzesänderung habe von Dezember 2021 bis April 2022 den bereits zuvor schwelenden Konflikt zwischen sogenannten Impfgegnern und Impfbefürwortern verschärft. Die Einführung einer Corona-Impfpflicht sei seit Dezember 2021 zentrales Thema einer gesamtgesellschaftlich geführten Debatte, die sowohl die Berichterstattung in den öffentlichen Medien als auch die Einträge in vielen sozialen Medien beherrscht habe. Von Dezember 2021 bis ins Frühjahr 2022 sei es zu einer Vielzahl von Demonstrationen gegen die staatlich geplanten Corona-Maßnahmen gekommen, die teilweise mit der Begehung von Aggression, Gewalt und Straftaten einhergegangen seien. Anlässlich dieser Anti-Corona-Demonstrationen sei von einigen Teilnehmern der "Judenstern" mit der Bezeichnung "Ungeimpft" statt "Jude" öffentlich auf der Kleidung angebracht getragen worden. Entsprechende Abbildungen hätten sich parallel in den sozialen Medien verbreitet.

Die Kennzeichnung mit dem "Judenstern" sei ein vom nationalsozialistischen Regime angeführtes Zwangskennzeichen für Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 rechtlich als Juden galten, gewesen. Mit dem Kennzeichen hätten sich die Träger leichter für die damals beginnenden planmäßigen Judendeportationen auffinden lassen. Der Holocaust sei der Völkermord an 5,6-6,3 Millionen europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs gewesen. Es handle sich bei dem Völkermord in Gestalt des Holocaust um eine Handlung im Sinne des § 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuch.

Die der Angeschuldigten als Privatperson vorgeworfene, unreflektierte Verwendung des sogenannten "Judensterns" unter Ersetzung des Wortes "Jude" durch das Wort "Ungeimpft" in einer öffentlich zugänglichen Facebook-Gruppe mit dem Titel "Impfzwang?? Nein danke!! Wir stehen auf!!" erfülle im Licht des Art. 5 Abs. 1 GG im konkreten Einzelfall als Beitrag zur öffentlich geistigen Auseinandersetzung um die gesamtgesellschaftlich umstrittene Einführung einer Impfpflicht in Deutschland ohne das Hinzutreten weiterer Umstände bereits in objektiver Hinsicht nicht den Tatbestand der Volksverhetzung. Die von der Angeschuldigten getätigten Äußerungen seien im konkreten Fall durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt.

Es sei bereits fraglich, ob die Angeschuldigte durch ihren öffentlichen Facebook-Eintrag in objektiver Hinsicht den Völkermord an Juden gemäß § 130 Abs. 3 StGB i.V.m. § 6 Abs. 1 VStGB tatsächlich verharmlost habe. Vorliegend könne der "Judenstern" nicht nur als öffentlich sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocaust gedeutet werden. Vielmehr komme daneben auch die Deutung als allgemein bekanntes Symbol für eine staatlich durch Gesetze und Verordnungen betriebene Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen in Betracht. Eine solche, vom Tatbestand des Völkermordes abweichende Auslegung lasse sich im konkreten Fall unter Berücksichtigung der zur Tatzeit gesamtgesellschaftlich geführten Auseinandersetzung um eine Corona-Impfpflicht und die durch den Gesetzgeber geplanten Corona-Schutzmaßnahmen gerade auch aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv nicht ausschließen. Das Gericht verkenne dabei nicht, dass der von der Angeschuldigten im öffentlichen Raum platzierte, bewusst provozierende Vergleich von ungeimpften Personen in Deutschland während der aktuellen Corona-Pandemie mit der systematischen Ausgrenzung und Verfolgung von Juden zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in hohem Maße anstößig, respekt-, geschmacklos und moralisch zu missbilligen sei. Der angestellte Vergleich verletze nicht nur das Gedenken an die ca. 6 Millionen Opfer des Holocaust, er sei auch für deren Angehörige unerträglich. Art. 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubten indes keinen staatlichen Zugriff auf eine unmoralische Gesinnung. Die Grenzen der Meinungsfreiheit seien nicht schon dann überschritten, wenn die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Holocaust nicht angemessen gewürdigt würden. Vielmehr seien selbst offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissenschaftlich haltlos seien und das Wertfundament unserer gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchten. Die Meinungsfreiheit finde erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen den Tatbestand des § 130 StGB erfüllten und im Sinne dieser Norm zudem in einen unfriedlichen Charakter umschlügen, was hier zu verneinen sei.

Der Facebook-Eintrag der Angeschuldigten sei darüber hinaus im konkreten Fall in objektiver Hinsicht nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Denn unter Berücksichtigung der Art, des Inhalts, der Form und des Umfeldes der Äußerung sowie der Stimmungslage in der Bevölkerung und der konkreten politischen Situation im Dezember 2021 in Deutschland sei dem Facebook-Eintrag der Angeschuldigten mit dem Appell "Wir stehen auf!!" bei objektiver Betrachtung kein Aufruf zu einem Rechtsbruch im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB immanent. Dem Wortlaut nach sei der öffentliche Facebook-Eintrag der Angeschuldigten zunächst als Aufruf zu verstehen, sich gegen die geplante gesetzliche Einführung einer Impfpflicht für bestimmte Personengruppen öffentlich zu positionieren und für diese Meinung aktiv, d.h. nach außen erkennbar, einzutreten. Gerade wegen der provokativen, abstoßenden und anstößigen Verwendung des Judenstern-Symbols als Mittel der Meinungsäußerung, möge die Angeschuldigte durch ihr Verhalten zu einer Emotionalisierung des gesamtgesellschaftlichen Diskurses über die Impfpflicht und zu einer Vergiftung des politischen Klimas in Deutschland beigetragen haben. Das Gericht verkenne zudem nicht, dass eine Vielzahl von Kundgebungen sogenannter Coronaoder Impfgegner dazu genutzt würden, Aggressionen, Straftaten und Gewalttätigkeiten zu begehen, die den öffentlichen Frieden empfindlich störten. Dem sei allerdings entgegenzuhalten, dass nicht alle Personen, die sich im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung auf den Demonstrationen oder in öffentlichen oder sozialen Medien als Impfgegner zu erkennen gegeben hätten, diesen radikalisierenden gewaltbereiten Gruppen zuzuordnen seien oder deren Treiben billigten. Dann könne aber auch der Angeschuldigten im Einzelfall ohne weiter hinzutretende Umstände nicht unterstellt werden, dass ihrem Facebook-Eintrag bei objektiver Betrachtung ein Aufruf zur Störung des öffentlichen Friedens innewohne. Nach den bisherigen Ermittlungen handle es sich bei der Angeschuldigten um eine einzelne, vergleichsweise unbekannte Privatperson, die keinem politischen Spektrum zuzuordnen sei und die nicht erkennbar mit Rechtsradikalen, Verschwörungstheoretikern oder anderen staatsfeindlichen und gewaltbereiten Gruppierungen sympathisierte. Der Facebook-Gruppe der Angeschuldigten seien nur 16 (Anmerkung der Kammer: tatsächlich wohl 26) Mitglieder beigetreten. Die tatsächliche Außenwirkung der Meinungsäußerung der Angeschuldigten sei daher sehr gering gewesen. Gerade angesichts der öffentlich und gesamtgesellschaftlich geführten Debatte um die Einführung einer Impfpflicht in Deutschland, komme der grundrechtlich in Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit in einer demokratischen Grundordnung ein hoher Stellenwert zu. Die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit schütze gerade auch während laufender Gesetzgebungsverfahren alle Äußerungen zu gesellschaftlich kontrovers diskutierten Themen. Dabei komme es nicht darauf an, ob diese für moralisch oder unmoralisch, richtig oder falsch, wertvoll oder wertlos gehalten würden. Eine pauschale Kriminalisierung aller Konstellationen, in denen der "Judenstern" zur Meinungsäußerung und Stimmungsmache verwendet werde, verbiete sich ohne Hinzutreten der in § 130 Abs. 3 StGB beschriebenen Umstände.

Selbst bei abweichender Beurteilung des objektiven Tatbestands des § 130 Abs. 3 StGB sei im konkreten Einzelfall ein subjektiver Tatvorsatz der Angeschuldigten anhand des bisherigen Ermittlungsergebnisses nicht mit der für eine Verurteilung hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Es sei insbesondere nicht sicher festzustellen, dass die offensichtlich unreflektiert handelnde Angeschuldigte den oben genannten Facebook Eintrag wissentlich und willentlich platziert habe, um in einer Weise, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören, eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art zu verharmlosen. Die Angeschuldigte habe anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung auf den Vorwurf der Volksverhetzung mit Entsetzen reagiert und tränenreich versichert, sie habe mit dem Eintrag im Dezember 2021 lediglich ihre Meinung zum Ausdruck bringen wollen, dass die Ungeimpften nicht am gesellschaftlichen Leben hätten teilnehmen dürfen. Es habe aus ihrer Sicht eine Ausgrenzung der Ungeimpften stattgefunden. Sie habe persönlich niemanden angreifen oder aufhetzen wollen. Natürlich könne man die Ausgrenzung der Ungeimpften in Deutschland nicht mit der Judenverfolgung vergleichen. Zum damaligen Zeitpunkt habe es viele Gruppen gegeben, die diesen benutzt hätten. Sie habe sich bei dem Eintrag nichts dabei gedacht. Diese Einlassung sei zur Überzeugung des Gerichts bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände nicht zu widerlegen. Eine in Bezug auf die Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 3 StGB unreflektierte, gegebenenfalls fahrlässige Verwendung des Judenstern-Symbols sei nicht strafbar.

Mit Schreiben vom 18.05.2022, eingegangen am 23.05.2022, hat die Staatsanwaltschaft Aachen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Monschau - Strafrichter - vom 07.05.2022 sofortige Beschwerde eingelegt und die Verfahrensakte dem Landgericht Aachen als Beschwerdegericht vorgelegt. Zur Begründung hat sie zunächst ausgeführt, dass zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Verfügung vom 14.04.2022 verwiesen werde.

Ergänzend hat sie ausgeführt, dass auch unter Beachtung der nach Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Meinungsfreiheit die im Beschluss des Amtsgerichts - Strafrichter - dargelegte alternative Deutung des "Judensterns" abzulehnen sei. Der "Judenstern" stehe quasi für den Holocaust. Eine andere Deutung, nämlich als allgemein bekanntes Symbol für eine staatliche durch Gesetze und Verordnungen betriebene Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen, die mit der gesamtgesellschaftlich geführten Auseinandersetzung um eine Corona-Impfpflicht begründet werde, die dadurch entstehe, dass zur Tatzeit eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung um die Corona-Impfpflicht geführt worden sei, sei entschieden abzulehnen. Nicht nur, aber gerade auch von Juden werde der "Judenstern" als DAS Symbol für den Holocaust angesehen. Eine derartige Argumentationsschiene laufe auch dem Gesetzeszweck, der einer Vergiftung des politischen Klimas vorbeugen wolle, zuwider, da das politische Klima gerade durch die vielfache Verwendung des "Judensterns" vergiftet werde, indem ihm eine andere als die besondere geschichtliche Deutungsmöglichkeit zugeschrieben werde. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass gerade die auch im Beschluss angesprochene mediale Berichterstattung zur Verwendung des "Judensterns" den Fokus etwaiger Empfänger auf den Vergleich mit der NS-Zeit und den Holocaust lenke, sodass eine derartige mögliche Interpretation durch den Empfänger noch stärker in den Vordergrund trete.

Das Bild sei auf der Plattform Facebook für jedermann öffentlich einsehbar gewesen. Insoweit sei es entgegen der Ausführungen im Beschluss des Amtsgerichts unerheblich, dass die Gruppe nur 16 Personen bestanden habe, entscheidend sei, dass jedenfalls jeder Facebook-Nutzer das Bild habe sehen können. Insoweit sei die mögliche Breitenwirkung mit dem der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 25.06.2020 (Az.: 205 StRR 240/20) zugrunde liegenden Fall vergleichbar. Eine öffentlich einsehbare Veröffentlichung auf einer derart reichweitenstarken Plattform wie Facebook habe eine potenziell sehr große Breitenwirkung.

Die seitens der Staatsanwaltschaft vertretene Interpretation der Nichtannahmeentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.09.2021 (Az.: BvR 1787/20) - nämlich dass in bestimmten Konstellationen von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.2018 (Az.: 1 BvR 2083/15) abzurücken sei - finde ihre Stütze auch in den Entscheidungen Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 25.06.2020 (Az.: 205 StRR 240/20) und des Landgerichts Augsburg, als dass in keiner der Entscheidungen überhaupt auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 2083/15 zur eingeschränkten Auslegung von § 130 Abs. 3 StGB eingegangen werde. Dies habe dasselbe Gericht, nämlich das Bundesverfassungsgericht, durch die Nichtannahmeentscheidung gerade nicht gerügt.

Doch selbst wenn die Kriterien der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 2083/15 angewendet würden, lägen die Voraussetzungen der Einschränkung vor. Wie in dem angegriffenen Beschluss angegeben werde, sei eine Vielzahl der Demonstrationen für unter anderem Gewalttätigkeiten benutzt worden. Diese Vorfälle zeigten, dass das hier zur Last gelegte Verhalten bereits zu Rechtsbrüchen erheblicher Art geführt habe. Des Weiteren erhielten durch den Vergleich potentielle Gewalttäter eine Rechtfertigungsmöglichkeit ihres Handelns, da sie sich in ihren Augen "wie Widerstandskämpfer in der NS-Zeit nur gegen staatliches Unrecht wehren".

Dadurch würden Hemmschwellen herabgesetzt, die rechtsgutsgefährdende Folgen unmittelbar auslösen könnten und bereits ausgelöst hätten. Dabei nehme der angegriffene Beschluss nicht ausreichend in den Blick, dass der Gruppenname durch das "WIR STEHEN AUF" bereits dazu auffordere, nicht passiv zu bleiben, sondern aktiv Widerstand gegen einen Impfzwang zu leisten, sodass bereits eine gewisse Mobilisierung des Adressaten intendiert sei. Aus dem Vorstehenden werde deutlich, dass der angegriffene Beschluss bei der Subsumtion des Tatbestandsmerkmals der Eignung zur Friedensstörung die Deliktsnatur als abstraktkonkretes Gefährdungsdelikt nicht ausreichend beachte, indem die Hürden für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals zu hoch angesetzt würden. Das Hervorrufen potentieller Gefahren werde bereits unter Strafe gestellt, wobei das Risiko möglicher Realisierung der Gefahren sozusagen der Hervorrufende zu tragen habe.

Hinsichtlich des subjektiven Tatbestands sei zu betonen, dass auch vor dem Hintergrund der Einlassung jedenfalls mit dolus eventualis gehandelt worden sei. Die im angegriffenen Beschluss zur Verneinung des Vorsatzes dargelegten Ausführungen beträfen eher die Frage eines Verbotsirrtums gemäß § 17 StGB.

Mit Verfügung vom 23.05.2022 hat das Landgericht Aachen der Angeschuldigten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen zur Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Aachen sowie zur Begründung in der Verfügung vom 14.04.2022 eingeräumt. Die Angeschuldigte hat zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft keine Stellung genommen.

II.

1. Die gem. §§ 311, 408 Abs. 2, 210 Abs. 2 StPO gegen den ablehnenden Beschluss statthafte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht (vgl. §§ 306, 311 Abs. 2 StPO) erhoben worden.

2, Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat den Erlass des Strafbefehls in dem angegriffenen Beschluss zu Recht und mit zutreffender Begründung, der die Kammer vollumfänglich folgt, abgelehnt. Ergänzend ist Folgendes anzuführen:

a) Nach § 408 Abs. 2 S. 1 StPO lehnt der Richter den Erlass eines Strafbefehls ab, wenn er den Angeschuldigten nicht für hinreichend verdächtig erachtet. Hinreichender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn die nach Maßgabe des Akteninhalts, nicht lediglich aufgrund der Anklageschrift, vorzunehmende vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist. Eine solche Wahrscheinlichkeit besteht, wenn unter erschöpfender Zugrundelegung des Ergebnisses der Ermittlungen und der daran anknüpfenden rechtlichen Erwägungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand bei Einschätzung des mutmaßlichen Ausgangs der Hauptverhandlung mehr für eine Verurteilung als für einen Freispruch spricht. Dabei wird eine an Sicherheit grenzende Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht gefordert. Auch wird nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit verlangt wie beim dringenden Tatverdacht nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Angeschuldigten muss aber so groß sein, dass es einer Entscheidung durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung bedarf, um festzustellen, ob noch bestehende Zweifel gerechtfertigt sind. Für den strafrechtlichen Entscheidungsgrundsatz "in dubio pro reo" ist bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts zwar grundsätzlich noch kein Raum, jedoch kann hinreichender Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird (vgl. zum Ganzen KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, § 203 Rn. 3 ff.).

b) Unter Zugrundelegung dessen ist ein hinreichender Tatverdacht i.S. des § 408 Abs. 2 S. 1 StPO nicht gegeben. Insbesondere ist entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft Aachen in dem Strafbefehlsentwurf vom 14.04.2022 für eine Strafbarkeit der Angeschuldigten wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB kein Raum. Nach den zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts ist bereits der objektive Tatbestand der Norm nicht erfüllt.

(1) Zum einen liegt bereits kein "Verharmlosen" im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB vor. Verharmlosen ist das Bagatellisieren von tatsächlich begangenen Taten des Völkermordes. Der Umfang solcher Taten oder der Gesamtheit der als NS-Völkermord zu bezeichnenden Taten muss nicht stets bestritten werden; es reichen z.B. auch Behauptungen angeblich guter Gründe, namentlich die Behauptung von "Rechtfertigungsgründen" oder von rassen- oder gesundheitspolitischen "Notwendigkeiten" für solche Maßnahmen; ebenso ihre Darstellung als unvermeidliche Kriegshandlungen oder Polizeimaßnahmen. Vorausgesetzt ist ein ausdrückliches quantitatives oder qualitatives Bagatellisieren von Art, Ausmaß, Folgen oder Wertwidrigkeit einzelner oder der Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen (Fischer, StGB 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 31 m.w.N.). Das Merkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde solche Maßnahmen herunterspielt, beschönigt oder in ihrem wahren Gewicht verschleiert. Alle denkbaren Facetten agitativer Hetze wie auch verbrämter diskriminierender Missachtung sollen erfasst werden (BGH, Urteil vom 6. April 2000 - 1 StR 502/99 -, BGHSt 46, 36-48).

Für die rechtliche Würdigung des Äußerungsdeliktes kommt es indes mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 GG auf den inhaltlichen Gesamtaussagewert der Äußerung an. Dieser ist aus Sicht eines verständigen Zuhörers durch genaue Textanalyse unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln. Bei mehrdeutigen Äußerungen darf nicht allein die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde gelegt werden, ohne die anderen möglichen Deutungen mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2011 - 4 StR 129/11 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 - 1 BvR 1696/98 -, BVerfGE 114, 339-356).

Die Äußerung der Angeschuldigten erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB nicht.

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ist eine Deutung des "Judensterns" als allgemeines Symbol für eine staatlich veranlasste Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen aus der Sicht eines verständigen Zuhörers nicht ausgeschlossen. Dem Judenstern-Symbol in seiner Funktion als Kennzeichnung wohnt auch die Bedeutung der Stigmatisierung und der Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Leben, denen die Juden ausgesetzt waren, inne. Zwar führt die Staatsanwaltschaft zutreffend aus, dass die Einführung des "Judensterns" im Jahr 1941 dazu diente, die Träger leichter für die zu diesem Zeitpunkt beginnenden Judendeportationen in die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager auffinden zu können, sodass ein Zusammenhang mit dem Holocaust besteht. Aus geschichts- oder politikwissenschaftlicher Sicht mag der "Judenstern" tatsächlich als Symbol für den Völkermord an den Juden gedeutet werden. Diese Interpretation ist indes nicht auf die rechtswissenschaftliche Normanalyse übertragbar, da eine "symbolische Ausdehnung" insoweit eine Überdehnung des Wortlautes des § 130 Abs. 3 StGB darstellt (Hoven/Obert, NStZ 2022, 331). Im konkreten Fall ist daher im Hinblick auf die gesellschaftlich geführte Debatte um eine Corona-Impfpflicht, Schutzmaßnahmen und die Privilegien für geimpfte Personen aus Sicht eines objektiven, verständigen Zuhörers auch eine Deutung denkbar, die lediglich die Nachteile der ungeimpften Bevölkerung durch die eingeschränkte Teilnahme am öffentlichen Leben gegenüber den Geimpften anprangert, ohne sich hierbei konkret auf den Völkermord an den Juden zu beziehen.

Hierin liegt der Unterschied zu den von der Staatsanwaltschaft in Bezug genommenen Fällen, in denen ein direkter Bezug zum Holocaust hergestellt wird, indem Bilder im Stil des Eingangstores zum Vernichtungslager Auschwitz mit der Aufschrift "Impfen macht frei" (AG Baden-Baden, Strafbefehl vom 29.04.2021 - 17 Cs 550 Js 1126/21 - , unveröffentlicht; AG Freiburg, Strafbefehl vom 26.05.2021 - 15 Cs 510 Js 748/21 - , unveröffentlicht) gezeigt werden. Durch den unmittelbaren Bezug auf das Vernichtungslager Auschwitz liegt eine Bezugnahme auf eine Handlung im Sinne des § 6 VStGB nahe (Hoven/Obert, a.a.O.), was hier indes nicht der Fall ist.

Auch hat die Angeschuldigte im konkreten Fall nicht das den Juden unter der NS-Herrschaft zugefügte Unrecht bagatellisiert, sondern vielmehr ihre eigene Situation als Ungeimpfte in der Corona-Pandemie überdramatisiert.

Die Heranziehung des Vergleichs der Einschränkungen für Ungeimpfte in der Corona-Pandemie mit der Judenverfolgung zur NS-Zeit bedeutet, dass die Verbrechen gegen die Juden anerkannt werden, da nur, wer davon ausgeht, dass den Juden schwerstes Leid zugefügt wurde, unter Berufung auf ihre Situation die eigene Behandlung als staatliches Unrecht kritisieren kann. Die Grausamkeiten des Nationalsozialismus werden nicht in Abrede gestellt, sondern herangezogen, um das Ausmaß des eigenen "Leids" zu verdeutlichen (Hoven/Obert, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall wollte die Angeschuldigte das den Juden unter der NS-Herrschaft zugefügte Unrecht gerade nicht bagatellisieren, sondern das eigene "Leid" aufwerten. Sie hat in ihrer Vernehmung angegeben, sie sei zum Tatzeitpunkt ungeimpft gewesen und habe gewollt, dass die Ungeimpften mit den Tests die gleichen Rechte haben wie alle anderen auch. Es habe eine Ausgrenzung Ungeimpfter stattgefunden wie damals bei den Juden.

Zwar mag in der Gleichsetzung eines offenkundig geringeren Unrechts mit einem höheren Unrecht stets auch eine Abwertung des letzteren zu sehen sei. Jedoch kommt, wie bereits dargelegt, zum Schutz der Meinungsfreiheit eine strafrechtliche Sanktion nur in Betracht, wenn "die dem Äußernden günstigeren Deutungsmöglichkeiten mit hinreichender Begründung ausgeschlossen worden sind" (BVerfG, Beschluss vom 24.05.Mai 2006 - 1 BvR 49/00 -, BVerfGK 8, 89-107), sodass es für die Bewertung einer Aussage als Verharmlosung entscheidend auf ihren Kontext ankommt, den die Staatsanwaltschaft Aachen im vorliegenden Fall jedenfalls nicht hinreichend beachtet zu haben scheint. Wird ein Vergleich bemüht, um das Unrecht des Völkermordes zu relativieren, so liegt hierin eine Abwertung und Verharmlosung des im Nationalsozialismus begangenen Unrechts. Wird der Vergleich hingegen herangezogen, um eine eigene Unrechtserfahrung anzuprangern, so ist hierin bereits objektiv keine verharmlosende Aussage zu sehen, sondern eine überzogene Dramatisierung (Hoven/Obert, a.a.O.). Gerade im öffentlichen Meinungskampf sind aber überspitzte und polemische Äußerungen von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt (BVerfG, Beschluss vom 26.06.1990 - 1 BvR 1165/89 -, BVerfGE 82, 272-285).

Ähnlich argumentiert die Rechtsprechung auch in den sogenannten "U-Bahn-Lied"-Fällen (OLG Rostock, Beschluss vom 23.07.2007 - 1 Ss 80/06 I 42/06 -, BeckRS 2008, 8158; OLG Dresden, Urteil vom 31.08.2020 - 1 OLG 24 Ss 71/19 -, BeckRS 2020, 28410), in denen das Tatbestandsmerkmal des Verharmlosens mit der Begründung verneint wurde, die Angeklagten hätten die "besonders grausame und menschenverachtende Vernichtung als solche erkannt und als historische Wahrheit akzeptiert". Ebenfalls lehnte die Staatsanwaltschaft Mannheim eine Strafverfolgung eines Abtreibungsgegners, der im Rahmen der von ihm geübten Abtreibungskritik Holocaust-Vergleiche angestellt hatte, wegen Volksverhetzung mit der Begründung ab, dieser bezeichne auf seiner Internet-Seite den Holocaust als "Inbegriff des Grauens" und "grausames Verbrechen", was keine Verharmlosung des Holocaust, sondern eine maßlose Übertreibung bezüglich der Schwangerschaftsabbrüche darstelle (Rath in: lto v. 15.02.2022).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann die Äußerung der Angeschuldigten auch als Kritik an den gesellschaftlichen Nachteilen der Ungeimpften während der Corona-Pandemie im Vergleich zu der öffentlichen Hetze gegen Juden zur Zeit des Nationalsozialismus gedeutet werden, ohne auf deren systematische Ermordung Bezug zu nehmen. Die Äußerung der Anschuldigten stellt nach alledem eine maßlose Übertreibung der Beeinträchtigung der Ungeimpften dar. Die Kammer schließt sich auch insoweit vollumfänglich der Auffassung des Amtsgerichts an, als dass der Vergleich der Situation ungeimpfter Personen in Deutschland während der Corona-Pandemie mit der systematischen Ausgrenzung und Verfolgung von Juden zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in hohem Maße anstößig, respekt-, geschmacklos und moralisch zu missbilligen ist.

Jedoch erlaubt Art. 5 GG keinen staatlichen Zugriff auf eine unmoralische Gesinnung. Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind nicht schon dann überschritten, wenn die anerkannte Geschichtsschreibung oder die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Holocaust nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr sind selbst offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissenschaftlich haltlos sind und das Wertfundament unserer gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchen. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setzt vielmehr darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine demokratische Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der Öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird (BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018 - 1 BvR 2083/15 -, juris).

(2) Des Weiteren fehlt es an einer Störung des öffentlichen Friedens.

§ 130 Abs. 3 StGB ist auf die Bewahrung des öffentlichen Friedens gerichtet. Entsprechend verlangt der Tatbestand der Norm schon seinem Wortlaut nach eine Äußerung, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Zwar bedarf das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens in Bezug auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG einer näheren Konkretisierung durch die weiteren Tatbestandsmerkmale; auch kann, wenn diese verwirklicht sind, eine Friedensstörung in der Regel vermutet werden. Dies setzt aber umgekehrt voraus, dass die weiteren Tatbestandsmerkmale ihrerseits im Lichte der Friedensstörung ausgelegt werden. Insoweit kommt eine Verurteilung nach § 130 Abs. 3 StGB in allen Varianten - und damit auch in der Form des Verharmlosens - nur dann in Betracht, wenn hiervon allein solche Äußerungen erfasst werden, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden im Sinne der Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG zu gefährden. Soweit sich dies aus den übrigen Tatbestandsmerkmalen selbst nicht eindeutig ergibt, ist die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen. Anders als in den Fällen der Leugnung und der Billigung, in denen die Störung des öffentlichen Friedens indiziert ist, erscheint dies für den Fall der Verharmlosung geboten. Eingriffe in Art. 5 Abs. 1 GG dürfen nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Das Anliegen, die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ansichten zu verhindern, ist ebenso wenig ein Grund, Meinungen zu beschränken, wie deren Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit. Legitim ist es demgegenüber, Rechtsgutverletzungen zu unterbinden. Danach ist dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen. Nicht tragfähig ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer "Vergiftung des geistigen Klimas" ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit nicht. Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern. Eine Verurteilung kann dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018 - 1 BvR 2083/15 -, juris).

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft findet die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den vorliegenden Fall Anwendung. Aus der Nichtannahmeentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.09.2021 (Az.: 1 BvR 1787/20) kann nicht - zumindest nicht eindeutig - gefolgert werden, dass von der oben zitierten Rechtsprechung jedenfalls in bestimmten Konstellationen wieder abgerückt werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss vom 22.06.2018 (1 BvR 2083/15) bewusst den Tatbestand des Verharmlosens enger gefasst. Dies ist vor allem daran erkennbar, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss vom selben Tag zum Aktenzeichen 1 BvR 673/18, der sich auf die Tatbestandsvariante des Leugnens bezieht, von einer Vermutung der Friedensstörung ausgegangen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Unterscheidung daher ganz bewusst getroffen. Vor diesem Hintergrund ist ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsprechungsänderung von einer so erheblichen Tragweite, durch einen nicht begründeten Nichtannahmebeschluss vornehmen würde; vielmehr wäre in diesem Fall - wie bei anderen Fällen, in denen die eigene Rechtsprechung geändert oder eine Abgrenzung vorgenommen wird, üblich - eine ausdrückliche Klarstellung zu erwarten gewesen, was jedoch vorliegend gerade nicht erfolgt ist.

Die Staatsanwaltschaft geht ebenfalls fehl in der Auffassung, auch unter Anwendung der Kriterien der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.2018 (1 BvR 2083/15) lägen die Voraussetzungen der Einschränkung vor.

Die Beurteilung, ob die Tathandlung konkret geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, setzt eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände voraus (Krauß in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2021, § 130 Rn. 77). Dabei sind Art, Inhalt, Form, Umfeld der Äußerung, "Stimmungslage" der Bevölkerung und die politische Situation zu berücksichtigen (Fischer StGB, 69. Aufl. 2022, §130 Rn. 13a).

Wie das Amtsgericht zu Recht ausgeführt hat, liegt im vorliegenden Fall gerade keine Eignung zur Friedensstörung vor. Jedenfalls lässt sich dies nicht hinreichend sicher feststellen. Die Verwendung eines "Judensterns" unter Ersetzung des Wortes "Jude" durch das Wort "nicht geimpft" in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil erfüllt als Beitrag zur öffentlich geistigen Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand des Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.03.2021 - Ss 72/2020 (2/21) -, juris; Fischer StGB, 69. Aufl. 2022, §130 Rn. 27).

Unter Berücksichtigung von Art, Inhalt, Umfeld und Form der Äußerung sowie der politischen Situation im Dezember 2021, die maßgeblich von der Impfdebatte geprägt war und sich auch auf die Stimmungslage in der Bevölkerung auswirkte, hat das Amtsgericht mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass dem Facebook-Eintrag der Angeschuldigten mit dem Appell "WIR STEHEN AUF!!" bei objektiver Betrachtung kein Aufruf zu einem Rechtsbruch im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB immanent ist.

In den Blick zu nehmen ist zunächst, dass die Fragen einer allgemeinen Impfpflicht und die sonstigen Corona-Maßnahmen über einen längeren Zeitraum in der Gesellschaft öffentlich kontrovers diskutiert wurden und immer noch werden. Im öffentlichen politischen und gesellschaftlichen Diskurs kommt indes der Meinungsfreiheit hohe Bedeutung zu. Die Angeschuldigte hat mit ihrer Äußerung sicherlich zur Vergiftung des geistigen Klimas beigetragen, was, wie bereits dargelegt, keinen Eingriffsgrund bietet. Gerade im Zusammenhang mit politisch und gesellschaftlich kontrovers diskutierten Themen sind auch bewusst provozierende Meinungsäußerungen geschützt.

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft intendiert der Appell "WIR STEHEN AUF" auch keine Mobilisierung der Adressaten in der Hinsicht, dass zu Gewalttätigkeiten und Rechtsbrüchen aufgerufen wird. Dies wäre eine ganz und gar einseitige Deutung des Appells, die jedoch nicht zutreffen muss. Zwar ist es in der Tat auf sogenannten Corona-Demonstrationen des Häufigeren zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Demgegenüber haben an diesen Demonstrationen auch zahlreiche Personen teilgenommen, die friedlich gegen eine geplante Impfpflicht oder sonstige Corona-Maßnahmen demonstriert haben und sich mit den Gewalttaten Einzelner nicht identifiziert oder diese gebilligt haben. Vor diesem Hintergrund kann nicht jeder Aufruf, sich gegen eine Impfpflicht einzusetzen als Appell zum Rechtsbruch oder aggressive Emotionalisierung ausgelegt werden. Der Appell "WIR STEHEN AUF" dürfte nach Auffassung der Kammer vielmehr allgemein als Aufruf zu verstehen sein, seine Stimme zu erheben und für oder gegen etwas aktiv einzutreten - jedenfalls kann eine derartige Deutung nicht von vornherein auszuschließen sein. Ein Appell zum Rechtsbruch oder die Herabsetzung von Hemmschwellen, durch die rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar ausgelöst werden können, kann dieser Aufforderung nicht entnommen werden. Der Angeschuldigten, die im Übrigen auf Corona-Demonstrationen nicht als Aggressor in Erscheinung getreten ist, kann vor diesem Hintergrund keine Herabsetzung von Hemmschwellen unterstellt werden.

Hierin liegt auch der Unterschied zu dem von der Staatsanwaltschaft angeführten Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 25.06.2020 (Az.: 205 StRR 240/20). Denn im letzteren Fall wurde das Plakat begleitet von den Worten "Die Schlägertruppen des Establishments haben versagt" (vgl. AG Augsburg, Urteil vom 23.08.2019 - 06 Cs 101 Js 134200/18). Eine solche Äußerung ist tatsächlich geeignet, ebenjene Schlägertruppen zum Tätigwerden aufzufordern und somit Hemmschwellen zu senken und zu Rechtsbrüchen aufzurufen.

Auch sind im konkreten Fall keine sonstigen Umstände ersichtlich, die der Äußerung der Angeschuldigten einen potentiell unfriedlichen Charakter geben. Sie ist eine Privatperson, die bislang nicht als Anhängerin rechtsradikaler oder anderer staatsfeindlicher und gewaltbereiter Gruppierungen in Erscheinung getreten ist. Auch ist ihre tatsächliche Reichweite begrenzt, was daran zu erkennen ist, dass ihre Facebook-Gruppe lediglich 16 bzw. 26 weitere Mitglieder hatte. Zutreffend ist zwar, dass das Bild von jedem Facebook-Nutzer hätte gesehen werden können. Jedoch ist in den Blick zu nehmen, dass die Angeschuldigte als Vorbild oder Sprachrohr der Szene von Querdenkern oder Verschwörungstheoretikern ebenfalls nicht aufgefallen ist und sich daher das Interesse an der von ihr gegründeten Gruppe in Grenzen halten dürfte. Hierin liegt ein weiterer Unterschied zu der von der Staatsanwaltschaft ins Feld geführten Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 25.06.2020 (Az.: 205 StRR 240/20). Denn in letzterem Fall handelte es sich um ein Mitglied der AfD, das das entsprechende Plakat auf dem von großem medialen Echo und öffentlichem Interesse begleiteten Bundesparteitag der AfD hochgehalten und auch auf seinem Twitteraccount hochgeladen hat. Im Gegensatz zur hiesigen Angeschuldigten unterhalten zahlreiche Abgeordnete der AfD Kontakte zu rechtsradikalen bis rechtsextremen Gruppierungen; die AfD wird insgesamt vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft (https://de.wikipedia.org/wiki/Alternative_f%C3%BCr_Deutschland). Zahlreiche Vertreter der AfD sorgen regelmäßig mit rassistischen oder antisemitischen Äußerungen für Empörung in der Gesellschaft.

(3) Da bereits die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegen, kommt es auf den subjektiven Tatvorsatz der Angeschuldigten nicht an, der ebenfalls im konkreten Einzelfall anhand des bisherigen Ermittlungsergebnisses nicht mit der für eine Verurteilung hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen sein dürfte.

3) Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

4) Gegen diesen Beschluss findet eine weitere Beschwerde nicht statt (vgl. § 310 StPO).


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