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Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Durchsicht Laptop, Verteidigungszwecke

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 23.12.2021 – 5 Ws 261/21

Leitsatz des Gerichts: 1. Das Sichtungsverfahren gemäß § 110 StPO wird zwar noch der Durchsuchung zugerechnet, ist jedoch angesichts der fortdauernden Besitzentziehung in seiner Wirkung für den Betroffenen der Beschlagnahme angenähert. Die Beschlagnahme oder Maßnahmen nach § 110 StPO sind, sofern Daten betroffen sind, am Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG zu messen.
2. Da das Verfahren im Stadium der Durchsicht gemäß § 110 StPO einen Teil der Durchsuchung nach § 102 StPO oder § 103 StPO bildet, kommt es für die Rechtmäßigkeit der Durchsicht nach § 110 StPO darauf an, ob die Voraussetzungen für eine Durchsuchung zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung vorlagen. Maßstab ist insoweit, wenn die Suche im Haftraum eines Untersuchungshäftlings Beweismitteln oder der Einziehung unterliegenden Gegenständen gilt, nicht § 44 UVollzG Berlin, sondern die §§ 102 ff. StPO.
3. Das Recht auf eine effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren gebietet es, dass - über den Wortlaut des § 97 Abs. 1 StPO hinaus - Unterlagen, die sich ein Beschuldigter erkennbar zu seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren anfertigt, weder beschlagnahmt noch gegen seinen Widerspruch verwertet werden dürfen.
4. Allein die naheliegende Möglichkeit, dass sich auf dem durchzusehenden Datenträger auch beschlagnahmefreie Gegenstände befinden, macht die Durchsicht und die hierzu erforderliche vorläufige Sicherstellung nicht rechtswidrig. Ist nicht sofort feststellbar, ob einzelne Aufzeichnungen der Verteidigung dienen, so können sie vorläufig sichergestellt werden. Eine Pflicht zur sofortigen ungelesenen Herausgabe besteht nur dann, wenn die Eigenschaft als Verteidigungsunterlage offensichtlich ist.


In pp.

1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 31. August 2021 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft B. legt dem Beschwerdeführer mit ihrer Schwurgerichtsanklage vom 2. Juni 2014 einen mittäterschaftlich begangenen Mord zur Last.

Der Beschwerdeführer befindet sich in dieser Sache seit dem 17. Januar 2014 in Untersuchungshaft.

Die Schwurgerichtskammer beschloss am 20. November 2014, „dass wegen des erheblichen Akten- und Datenumfangs die Anschaffung eines […] Laptops“ für den jeweils Inhaftierten „zur Einsicht in der Haftanstalt […] erforderlich [sei], um im weiteren Verfahren eine sachgerechte Verteidigung zu gewährleisten“. Die Beschaffung der (fabrikneuen und nicht internetfähigen) Laptops wurde den Verteidigern übertragen, seitens des Landgerichts Berlin wurde die digitalisierten Akten einschließlich der Video- und Audiodateien auf die Laptops aufgespielt und an die Justizvollzugsanstalt M. übergeben, die ihrerseits die Sperrung der USB-Anschlüsse der Laptops vornahm und diese sodann an die Angeklagten aushändigte.

Am 1. Oktober 2019 verurteilte das Landgericht Berlin - Schwurgericht - den Beschwerdeführer nach 300 Hauptverhandlungstagen wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, von deren Mindestverbüßungsdauer zwei Jahre, ein Monat und 20 Tage als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der Revision eingelegt; über die Rechtsmittel ist bislang noch nicht entschieden worden.

Wegen des gegen einen ebenfalls inhaftierten Mitangeklagten bestehenden Verdachts der Bedrohung im Zusammenhang mit der Nutzung sozialer Netzwerke wurde dessen Laptop untersucht und an diesem ein internetfähiger Zugang festgestellt. Dies nahm die Justizvollzugsanstalt zum Anlass, auch die den weiteren inhaftierten Mittätern überlassenen Laptops aus den Hafträumen herauszunehmen und diese ebenfalls auf die manipulative Schaffung eines Internetzugangs zu überprüfen. Dabei wurden ausweislich der hierüber gefertigten dienstlichen Meldung vom 22. Oktober 2020 betreffend den Laptop des Beschwerdeführers ein freier Zugang zum Internet und auf dem Gerät gespeicherte private Fotos festgestellt.

Mit dem hier angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Berlin auf Antrag der Staatsanwaltschaft die vorläufige Sicherstellung unter anderem des aus dem Haftraum des Beschwerdeführers entnommenen Laptops zur Auswertung angeordnet, „um die als Beweismittel im hiesigen Verfahren […] in Betracht kommenden Laptops durch das Landeskriminalamt inhaltlich darauf untersuchen zu lassen, ob eine richterliche Beschlagnahme (einzelner beweiserheblicher Daten) zu beantragen oder gegebenenfalls die Rückgabe zu veranlassen ist“.

Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel. Er lässt vortragen, es handele sich um einen Rechner, der zu Verteidigungszwecken zur Verfügung gestellt und für solche genutzt worden sei; der Zugriff auf Verteidigungsunterlagen sei unzulässig und im Übrigen auch unverhältnismäßig, weil rechtswidrig erlangte Beweismittel im weiteren Verfahren einem Verwertungsverbot unterlägen und damit für eine weitere Beweisführung nicht zur Verfügung stünden. Private Bilder seien auf dem Gerät nicht gespeichert, vielmehr handele es sich um Fotodateien aus der Ermittlungsakte, die seitens des Landgerichts auf den Rechner übertragen worden seien. Er habe an dem Gerät keine Veränderungen vorgenommen. Die Behauptung, an dem Laptop des Beschwerdeführers sei ein freier Internetzugang festgestellt worden, sei nicht nachvollziehbar, da nicht dargelegt worden sei, über welche Datenverbindung ein solcher geschaffen werden könnte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevortrags wird auf die Schriftsätze seines Verteidigers vom 30. November 2020 und 7. Oktober 2021 Bezug genommen.

Die Schwurgerichtskammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der angefochtene Beschluss trifft keine endgültige Beschlagnahmeanordnung im Sinne des § 98 Abs. 1 StPO, sondern ordnet die vorläufige Sicherstellung des Laptops an, da im Wege der Durchsicht nach § 110 StPO erst ermittelt werden soll, ob auf dem sichergestellten Gerät Daten gespeichert sind, die als Beweismittel von Bedeutung sein können (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. September 2018 - 2 BvR 708/18 -, juris Rn. 22; Bruns in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung [im Folgenden: KK-StPO], 8. Aufl., § 110 Rn. 9). Das Sichtungsverfahren gemäß § 110 StPO wird zwar noch der Durchsuchung zugerechnet, ist jedoch angesichts der fortdauernden Besitzentziehung in seiner Wirkung für den Betroffenen der Beschlagnahme angenähert. Die Beschlagnahme oder Maßnahmen nach § 110 StPO sind, sofern - wie hier - Daten betroffen sind, am Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 20. November 2019 - 2 BvR 31/19 -, juris Rn. 37; Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 -, juris Rn. 80; Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06 -, juris Rn. 51) zu messen, weil dieses Recht die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. November 2019, a. a. O.).

Da das Verfahren im Stadium der Durchsicht gemäß § 110 StPO einen Teil der Durchsuchung nach § 102 StPO oder § 103 StPO bildet, kommt es für die Rechtmäßigkeit der Durchsicht nach § 110 StPO darauf an, ob die Voraussetzungen für eine Durchsuchung zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung vorlagen. Maßstab ist insoweit, wenn die Suche - wie hier - Beweismitteln oder der Einziehung unterliegenden Gegenständen gilt - nicht § 44 UVollzG Berlin, da diese Vorschrift der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt dient (vgl. [zu einer entsprechenden Konstellation im Strafvollzug] Senat, Beschluss vom 1. Oktober 2019 - 5 Ws 168/19 Vollz -, juris Rn. 26 ff.), sondern die §§ 102 ff. StPO (vgl. Tsambikakis in: Löwe-Rosenberg, StPO 27. Aufl., § 102 Rn. 51). Danach muss ein Anfangsverdacht einer Straftat gegen den Beschwerdeführer bestehen und die Durchsicht zur Auffindung von Beweismitteln geeignet und verhältnismäßig sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. November 2019, a. a. O., Rn. 39).

2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Schwurgerichtskammer die vorläufige Sicherstellung zu Recht angeordnet.

a) Hinsichtlich des Bestehens eines entsprechenden Tatverdachts gegen den Beschwerdeführer bedarf es im Hinblick auf dessen erstinstanzliche Verurteilung wegen Mordes keiner weiteren Ausführungen.

b) Angesichts der von der Justizvollzugsanstalt festgestellten Internetzugangs an dem Laptop des Beschwerdeführers liegt es nicht fern, dass er das Gerät zum Zwecke der Kommunikation mit Dritten - auch über das verfahrensgegenständliche Tatgeschehen - manipuliert und den Inhalt dieser Kommunikation auf dem Gerät gespeichert hat. Dies genügt, um von einer potentiellen Beweisbedeutung der auf dem Laptop gespeicherten Daten auszugehen. Dringende Gründe für die Annahme der Beweisbedeutung brauchen nicht vorzuliegen (Greven in: KK-StPO, § 94 Rn. 7). Soweit der Beschwerdeführer vortragen lässt, es sei nicht dargelegt, über welche Datenverbindung ein Internetzugang geschaffen werden könnte, weist der Senat darauf hin, dass ein solcher bekanntermaßen mittels W-LAN über ein Mobiltelefon, welches sich noch nicht einmal in dem Haftraum des Angeklagten befinden müsste, hergestellt werden könnte; auf diese Weise gelang es offenbar dem Angeklagten E Sa, eine Internetverbindung zu generieren.

c) Der vorläufigen Sicherstellung zur Durchsicht steht auch nicht entgegen, dass der Laptop dem Beschwerdeführer ursprünglich zum Zwecke der Einsicht in die auf dem Gerät gespeicherte Ermittlungsakte zur Verfügung gestellt worden war und möglicherweise von ihm zur Anfertigung digitaler Notizen - auch wenn eine solche Nutzung ausweislich der dienstlichen Stellungnahme des ehemaligen Strafkammervorsitzenden nicht vorgesehen war - genutzt wurde.

aa) Zwar gebietet es das Recht des Beschwerdeführers auf eine effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG), dass - über den Wortlaut des § 97 Abs. 1 StPO hinaus - Unterlagen, die sich ein Beschuldigter erkennbar zu seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren anfertigt, weder beschlagnahmt noch gegen seinen Widerspruch verwertet werden dürfen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 2248/00 -, juris Rn. 3 f.; BGH, Urteil vom 25. Februar 1998 - 3 StR 490/97 -, juris Rn. 8 f.). Dabei ist es gleichgültig, auf welchem Medium sich diese Unterlagen befinden, so dass auch elektronisch gespeicherte Daten in Betracht kommen (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 4; Greven, a. a. O., § 97 Rn. 11).
18bb) Allerdings ist es dem Beschuldigten verwehrt, eine Beschlagnahme von Unterlagen schon dadurch zu verhindern, dass er diese einfach als Verteidigungsunterlagen bezeichnet oder mit solchen Unterlagen vermischt (vgl. BVerfG, a. a. O.). Allein die - wie hier - naheliegende Möglichkeit, dass sich auf dem durchzusehenden Datenträger auch beschlagnahmefreie Gegenstände befinden, macht die Durchsicht und die hierzu erforderliche vorläufige Sicherstellung nicht rechtswidrig (vgl. Bruns, a. a. O. m. w. N.). Entscheidend ist vielmehr, ob er die Aufzeichnungen erkennbar, also für einen Außenstehenden nachvollziehbar, zum Zwecke der Verteidigung angefertigt hat (vgl. BVerfG, a. a. O.; BGH, a. a. O., Rn. 12). Ist nicht sofort feststellbar, ob einzelne Aufzeichnungen der Verteidigung dienen, so können sie vorläufig sichergestellt werden. Eine Pflicht zur sofortigen ungelesenen Herausgabe besteht nur dann, wenn die Eigenschaft als Verteidigungsunterlage offensichtlich ist; anderenfalls erfordern bereits die rein tatsächlichen Umstände eine Durchsicht (vgl. BVerfG, a. a. O.; Greven, a. a. O., Rn. 25). Eventuell bestehende Beschlagnahmeverbote könnten auch noch im anschließenden gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002, a. a. O., Rn. 5).

Im Hinblick auf die durch die Justizvollzugsanstalt festgestellte manipulative Herstellung der Internetfähigkeit des Laptops ist es jedenfalls nicht offensichtlich, dass es sich bei sämtlichen auf dem Laptop gespeicherten Daten um Verteidigungsunterlagen handelt. Insoweit kann auch dahinstehen, ob tatsächlich private Fotografien oder lediglich Fotodateien aus der Ermittlungsakte auf dem Laptop des Beschwerdeführers gespeichert worden sind.

d) Die vorläufige Sicherstellung ist auch nicht deshalb unzulässig, weil das Strafverfahren im ersten Rechtszug abgeschlossen ist. Denn sie dient - wie vorstehend dargelegt - als vorbereitende Maßnahme dazu, mögliche Beschlagnahmegegenstände aus dem vorgefundenen Material auszusondern. Die Beschlagnahme umfasst das gesamte Strafverfahren; dass bereits ein mit der Revision angefochtenes Urteil vorliegt, steht ihr im Hinblick auf die Möglichkeit der Zurückverweisung nach § 354 Abs. 2 StPO nicht entgegen (vgl. OLG Hamm, JMBl.NW 76, 118; Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 94 Rn. 9).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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