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Entscheidungen

StPO

Rechtsmittel, Auslegung des Rechtsmittels

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 23.03.2022 – (3) 162 Ss 31/22 (9/22) –

Eigener Leitsatz: 1. Ist der Angeklagte der irrigen Auffassung, gegen ein durch das Rechtsmittel der Berufung oder der Sprungrevision überprüfbares Urteil sei die Rechtsbeschwerde gegeben, so wird sich der Rechtsmittelführer der Wahlmöglichkeit zwischen Berufung und Sprungrevision regelmäßig gerade nicht bewusst gewesen sein. Das Rechtsmittel ist dann regelmäßig als Berufung zu behandeln.
2. Dies gilt aber dann nicht, wenn sich aus der Rechtsbeschwerdebegründung oder aus sonstigen Umständen zweifelsfrei ergibt, dass der Rechtsmittelführer auf eine Nachprüfung des Urteils in tatsächlicher Hinsicht verzichten wollte.
3. Unzuständigkeitserklärung und Abgabe der Sache an das Berufungsgericht.
4. Fahren ohne Fahrerlaubnis deutet als "typisches Verkehrsdelikt“ und "verkehrsspezifische Anlasstat“ auf eine fehlende charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hin.


(3) 162 Ss 31/22 (9/22)

In der Strafsache
gegen pp.

wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 23. März 2022 beschlossen:

Der Senat ist für das als Rechtsbeschwerde bezeichnete Rechtsmittel des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. Dezember 2021 nicht zuständig.
Es wird festgestellt, dass das Rechtsmittel des Angeklagten als Berufung zu behandeln ist.
Die Sache wird zur Entscheidung über die Annahme der Berufung und über die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung an das Landgericht Berlin - Strafkammer 65 - zurückgereicht.

Gründe:

I.

Mit der zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten - Strafrichter - zugelassenen Anklageschrift vom 30. März 2021 hat die Amtsanwaltschaft Berlin dem Angeklagten zur Last gelegt, am 9. Januar 2021 gegen 20:50 Uhr ein Vergehen des verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB begangen zu haben. Nach Erteilung eines entsprechenden rechtlichen Hinweises nach § 265 StPO in der Hauptverhandlung hat das Amtsgericht den Angeklagten am 1. Dezember 2021 (lediglich) wegen einer vorsätzlich begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit, nämlich wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, zu einer Geldbuße in Höhe von 400,00 Euro verurteilt sowie ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet.

Dem Angeklagten sind die Verfahrenskosten mit Ausnahme der durch die Beauftragung des Sachverständigen entstandenen Kosten auferlegt worden.

Mit beim Amtsgericht am 7. Dezember 2021 eingegangenem Verteidigerschriftsatz vom 6. Dezember 2021 hat der Angeklagte gegen das Urteil „Rechtsbeschwerde“ und sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung eingelegt. In diesem Zusammenhang führt die Verteidigung zwar aus, der Angeklagte habe bereits im Ermittlungsverfahren eingeräumt, die Höchstgeschwindigkeit überschritten zu haben. Nach Zustellung des Urteils am 10. Januar 2022 hat der Angeklagte mit weiterem, am 7. Februar 2022 beim Amtsgericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz vom 4. Februar 2022 die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils mit den tatsächlichen Feststellungen beantragt, die allgemeine Sachrüge erhoben, mit der Verjährung der Ordnungswidrigkeit argumentiert und die Feststellungen und die Beweiswürdigung beanstandet.

Das Amtsgericht hat die Sache daraufhin über die Amtsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft Berlin an eine Berufungskammer des Landgerichts Berlin übersandt.
Die Strafkammer 65 des Landgerichts hat das Rechtsmittel als Rechtsbeschwerde beurteilt und unter Ablehnung der eigenen Zuständigkeit über Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft Berlin die Sache an das Kammergericht weitergeleitet.

II.

1. Das Kammergericht ist für die Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten nicht zuständig. Denn es ist als Berufung zu behandeln.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 1. Dezember 2021 ist nicht das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79, 80 OWiG gegeben, auch wenn - wie hier - das Gericht nur eine Geldbuße festgesetzt hat.

Das angegriffene Urteil unterliegt vielmehr nach § 82 Abs. 1 OWiG der Überprüfung durch das Rechtsmittel der Berufung oder der Sprungrevision (vgl. Senat, Beschlüsse vom 10. Juli 2018 - 3 ARs 4/18 - und vom 24. April 2013 - (3) 161 Ss 47/13 (35/13) -; OLG Bamberg, Beschluss vom 27. September 2012 - 2 Ss OWi 1189/12 -, juris; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 82 Rn. 25 m.w.N.). Es gelten die allgemeinen Rechtsmittelvorschriften der Strafprozessordnung; davon geht auch § 313 Abs. 3 StPO aus.
Dass das Rechtsmittel des Angeklagten als „Rechtsbeschwerde" bezeichnet worden ist, macht es nicht unzulässig; vielmehr ist es gemäß § 300 StPO auszulegen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 27. September 2012 a.a.O.). Im Zweifel gilt unter der Geltung des Prinzips effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) das Rechtsmittel als eingelegt, das die umfassendere Nachprüfung erlaubt und mit geringeren Begründungsanforderungen verbunden ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 18. Februar 2022 - (3) 161 Ss 29/22 (5/22) - m.w.N. und vom 24. April 2013 a.a.O.; KG, Beschluss vom 9. Juli 2012 - (4) 121 Ss 135/12 (163/12) -; OLG Bamberg, Beschluss vom 27. September 2012 a.a.O.).
Danach ist ein als „Rechtsbeschwerde" bezeichnetes Rechtsmittel in der vorliegenden Fallkonstellation in aller Regel als Berufung zu behandeln. Trifft der Angeklagte nämlich unter den zulässigen Rechtsmitteln der Berufung und der Sprungrevision keine Wahl, so sieht das Gesetz in § 335 Abs. 1 StPO in erster Linie das Rechtsmittel der Berufung vor; ein nicht näher bezeichnetes Rechtsmittel ist damit als Berufung zu behandeln (vgl. Senat, Beschluss vom 24. April 2013 a.a.O.; OLG Bamberg, Beschluss vom 27. September 2012 a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 335 Rn. 4). Nichts Anderes kann grundsätzlich gelten, wenn der Angeklagte der irrigen Auffassung ist, gegen das angefochtene Urteil sei die Rechtsbeschwerde gegeben. Einer solchen unrichtigen Bezeichnung ist nicht zu entnehmen, welches der beiden ihm wahlweise eröffneten Rechtsmittel der Angeklagte ergreifen wollte. Da sich der Rechtsmittelführer in derartigen Fallkonstellationen der Wahlmöglichkeit zwischen Berufung und Sprungrevision regelmäßig gerade nicht bewusst gewesen sein wird, ist deshalb eine gegen das Urteil eingelegte Rechtsbeschwerde regelmäßig als Berufung zu behandeln (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. Juli 1984 - 1 Ss 915/84 -, juris). Dies gilt aber dann nicht, wenn sich aus der Rechtsbeschwerdebegründung oder aus sonstigen Umständen zweifelsfrei ergibt, dass der Rechtsmittelführer auf eine Nachprüfung des Urteils in tatsächlicher Hinsicht verzichten wollte (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 27. September 2012 a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. August 1990 - 5 Ss 265/90 - 35/90 IV -, juris; Seitz/Bauer in Göhler a.a.O. ).
Vorliegend ergibt sich nicht zweifelsfrei, dass der Angeklagte auf eine Nachprüfung des Urteils in tatsächlicher Hinsicht verzichten wollte: Zwar wird im Schriftsatz vom 6. Dezember 2021 zunächst angeführt, die Geschwindigkeitsüberschreitung habe der Angeklagte bereits im Ermittlungsverfahren eingeräumt. Ausweislich seiner Ausführungen in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 4. Februar 2022 beantragt der Angeklagte jedoch die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils mit den tatsächlichen Feststellungen, erhebt die allgemeine Sachrüge, und beanstandet - neben der Verjährung der Ordnungswidrigkeit - die Feststellungen und die Beweiswürdigung: Die Beweiswürdigung fuße „nicht auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage“, und das Einräumen der Geschwindigkeitsüberschreitung wird relativiert (Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 4. Februar 2022 S. 3).

Vor allem rechtfertigt die Begründungsschrift vom 4. Februar 2022, in der zur Ausführung der erhobenen materiellen Rüge vor allem Rechtsausführungen gemacht werden, schon deshalb keine Beurteilung als Verzicht auf eine Nachprüfung des Urteils in tatsächlicher Hinsicht, weil der Verteidiger offensichtlich aufgrund seines Irrtums, die Rechtsbeschwerde sei das einzig zulässige Rechtsmittel, davon ausgehen musste, es werde nur eine rechtliche Nachprüfung, §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 337 StPO, stattfinden (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Mai 2008 - (3) 1 Ss 129/08 (55/08) -; OLG Jena, Beschluss vom 3. März 2009 - 1 Ws 69/09 -, BeckRS 2009, 11607).

2. Die Entscheidung über die Annahme der Berufung (§ 313 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 StPO) hat nach § 322a Satz 1 StPO die zuständige Berufungskammer zu treffen. Die Berufung unterfällt nach § 74 Abs. 3 GVG der Zuständigkeit des Landgerichts.

Gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO ist das Berufungsgericht auch für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung zuständig.

In entsprechender Anwendung des § 348 Abs. 1, 2 StPO (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juli 2018 a.a.O.; OLG Bamberg, Beschluss vom 27. September 2012 a.a.O.) erklärt sich der Senat für unzuständig und gibt die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel an das als Berufungsgericht zuständige Landgericht Berlin ab.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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