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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Geldstrafe, Tagessatzhöhe, Bezieher von ALG II

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 27.07.2022 - 24 Qs 45/22

Eigener Leitsatz: Der Ansatz des Nettoeinkommens als Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Tagessatzhöhe stößt bei einem Angeklagten, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II.) bezieht und finanziell am Existenzminimum lebt, an rechtstaatliche Grenzen. Es bedarf daher einer nicht formelhaften und individuellen Ausgestaltung der Bestimmung der Tagessatzhöhe.


In pp.

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Eberswalde – Az.: 11 Cs 180/21 – dahingehend abgeändert, dass der Rechtsfolgenausspruch (Höhe des Tagessatzes) im Strafbefehl des Amtsgerichts Eberswalde vom 22.03.2021
10,00 Euro beträgt.
Dem Angeklagten wird gestattet, die verhängte Geldstrafe in monatlichen Teilbeträgen von je 20,00 Euro, fällig jeweils am 15. eines Monats, erstmals am 1. des auf die Zustellung dieses Beschlusses folgenden Monats zu zahlen. Erfolgt eine Zahlung ganz oder teilweise nicht rechtzeitig, ist die jeweilige gesamte Reststrafe sofort fällig.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

I. Sachbericht

Das Amtsgericht Eberswalde erließ am 22.03.2021 gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen eines am 25. November 2020 im Netto-Discounter in der Lichterfelderstrasse 11 in Eberswalde begangenen Diebstahls von Waren im Gesamtwert von 27,56 Euro (§ 242 Abs. 1 StGB) und setzte eine Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 20,00 Euro (= 700,00 Euro) fest.

Auf den Einspruch des Angeklagten vom 06.04.2021 und Beschränkung des Einspruchs mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25.05.2021 auf die Höhe des Tagessatzes, hat das Amtsgericht Eberswalde mit Beschluss vom 16.06.2021 die Höhe des Tagessatzes auf 24,00 Euro festgesetzt.

Der Angeklagte hat gegen den Beschluss des Amtsgerichts Eberswalde vom 16.06.2021, ihm am 21.06.2022 zugestellt, mit anwaltlichem Schriftsatz vom 28.06.2022, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag, sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, den Strafbefehl des Amtsgerichts Eberswalde vom 22.03.2021 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abzuändern, dass der Tagessatz 10,00 Euro betrage. Weiterhin beantragte er, ihm Zahlungserleichterungen gemäß § 42 StGB einzuräumen. Zur Begründung führte er aus, dass er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Jobcenter Barnim (Arbeitslosengeld II) in Höhe von insgesamt 721,75 Euro (Regelbedarf: 446,00 Euro, Sachleistung Miete: 275,75 Euro) erhalte und die vom Gericht vorgenommene schematische Anwendung des § 40 Abs. 2 StGB sei ermessensfehlerhaft. Die Leistungen für die Miete seien nicht frei verfügbar, ohne seine persönliche Existenz durch Obdachlosigkeit zu gefährden, und das zum Lebensbedarf Unerlässliche, d.h. 70 % des Regelbedarfs (§ 43 SGB II), müsse ihm erhalten bleiben. Auch habe er bereits auf ein Forderungsschreiben der Geschädigten Fa. Netto einen Betrag in Höhe von 98 Euro an diese gezahlt.

II. Begründetheit

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben worden (§§ 411 Abs. 1 Satz 3, 311 Abs. 2 StPO).

In der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg.

1. Tagessatzhöhe

Der Beschluss des Amtsgerichts Eberswalde vom 16.06.2022 war insoweit abzuändern, dass die Tagessatzhöhe des Strafbefehls des Amtsgerichts Eberswaldes vom 22.03.2021 10,00 Euro beträgt.

Eine Abänderung des angegriffenen Beschlusses war bereits deshalb vorzunehmen, weil die Festsetzung der Höhe des Tagessatzes durch Beschluss vom 16.06.2022 (24,00 Euro) von der Festsetzung im Strafbefehl (20,00 Euro) zum Nachteil des Angeklagten erfolgte (Verschlechterungsverbot, § 411 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz StPO, Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 411 Rn. 2 b.).

Bei der Festsetzung der Tagessatzhöhe durch die Kammer (§ 309 Abs. 2 StPO) gilt Folgendes:

Grundlage für die Festsetzung der Tagessatzhöhe ist das Nettoeinkommen – zum Zeitpunkt der Entscheidung – als Saldo der anzurechnenden Einkünfte und der abziehbaren Belastungen, das wirtschaftlich gesehen die Leistungsfähigkeit und den Lebenszuschnitt des Täters bestimmt (Fischer, StGB, § 40 Rn. 6 und 7, m.w.N.). Bei einkommensschwachen Personen, wie Empfängern von Arbeitslosengeld II., kommt es damit auf die Gesamtheit der Unterstützung- oder Versorgungsleistungen samt etwaigen Sachbezügen an (Fischer, a.a.O., § 40 Rn. 11 m.w.N.).

Gemessen an den vorgenannten Grundsätzen wären die dem Angeklagten vom Jobcenter Barnim gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II.) in Höhe von 721,75 Euro (Regelbedarf plus Sachleistung) als Nettoeinkommen anzusetzen, aus denen sich eine Tagessatzhöhe in Höhe von 24,40 Euro ergäbe.

Die vorgenannte Berechnung stößt bei dem Angeklagten, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II.) bezieht und finanziell am Existenzminimum lebt, an rechtstaatliche Grenzen und es bedarf daher einer nicht formelhaften und individuellen Ausgestaltung der Bestimmung der Tagessatzhöhe.

Der Angeklagte ist durch die Auswirkungen der am Nettoeinkommensprinzip ausgerichteten Geldstrafe systembedingt härter betroffen als der Normalverdienende, weil die auf die Sicherung des Existenzminimums ausgestaltete Leistung dem Leistungsbezieher nur einen sehr geringen finanziellen Spielraum lässt. Der systembedingt härteren Betroffenheit des Angeklagten kann durch Senkung der Tagessatzhöhe entgegengewirkt werden (Fischer, a.a.O., § 40 Rn. 11 a m.w.N.), was auch dem Gedanken, dass die Bemessung der Höhe des Tagessatzes keine rein schematische Berechnung sein darf, Rechnung trägt (Fischer, a.a.O., § 40 Rn. 6 a m.w.N.).

Demnach ist zunächst maßgebend, dass dem Bezieher von Sozialleistungen ein Betrag verbleibt, der es ihm ermöglicht, ein menschenwürdiges Leben ohne die Gefahr der Obdachlosigkeit zu führen. Der Gefahr der Obdachlosigkeit kann in erster Linie entgegengewirkt werden, wenn die diesbezügliche Sachleistung bei dem Bezieher der Leistungen ungekürzt verbleibt und damit diese Sachleistung von dem anrechenbaren Nettoeinkommen abgesetzt wird.

Von dem verbleibenden Regelbedarf ist der Betrag zu ermitteln, der zur Sicherung des Lebensunterhaltes unerlässlich ist. Der „unerlässliche Lebensbedarf“ richtet sich nach dem Recht der Sozialhilfe (§ 26 Abs. 2 SGB XII) und ist ein Bruchteil zwischen 70 % und 80 % des jeweiligen Regelbedarfs nach der Anlage zu § 28 SGB XII (VGH München, FEVS 45, 102 = NVwZ-RR 1994, 398 - juris [70%]; OVG Bremen FEVS 37, 471 - juris [80%]), wobei die Kammer den Bruchteil mit einem Mittelwert von 75 % bestimmt (so auch LG Köln, Urteil vom 25.04.2018 – 153 Ns 89/17 – Rn. 12; OLG Köln, Beschluss vom 10. Juni 2011 – III. – 1 RVs 96/11, jeweils juris und m.w.N.). Der drei bis vierfache Betrag der Differenz zwischen dem Regelbedarf und dem zum Leben unerlässlichen Betrag bildet dann den Geldbetrag, der als monatlich anzurechnendes Nettoeinkommen zur Berechnung der Tagessatzhöhe zugrunde gelegt wird (Fischer, a.a.O., § 40 Rn. 11 a m.w.N.). Darüber hinaus kann im Einzelfall - unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel - die Tagessatzhöhe auch unterhalb eines Dreißigstels der monatlichen anzurechnenden Geldzahlungen festgesetzt werden (OLG Köln, Beschluss vom 10.06.2011 – III – 1 RVs 96/11-, juris).

Vorliegend bedeutet dies, dass für den Angeklagten bei einem aktuellen Regelsatz in Höhe von monatlich 449,00 Euro (Anlage zu § 28 SGB XII.: eine erwachsene Person, die in einer Wohnung lebt, Regelbedarfsstufe 1 ab dem 01.01.2022,) der zum Leben unerlässliche Betrag mit monatlich 336,75 Euro zu beziffern ist. Die Differenz dieses Betrages zum Regelsatz beträgt somit 112,25 Euro monatlich und damit 3,75 Euro täglich. Bei der konkreten Berechnung der Tagessatzhöhe war mindestens der dreifache Betrag des Differenzbetrages zugrunde zu legen und unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel war die Tagessatzhöhe unterhalb eines Dreißigstels der monatlichen anzurechnenden Geldzahlungen festsetzen (OLG Köln, Beschluss vom 10.06.2011 – III – 1 RVs 96/11-, juris), weil der Angeklagte bereits an die Geschädigte 98,00 Euro zahlte, so dass im Ergebnis die Tagessatzhöhe in Höhe von 10,00 Euro festzusetzen war.
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2. Zahlungserleichterungen

Dem Angeklagten waren Zahlungserleichterungen einzuräumen, weil es ihm als Bezieher von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (ALG II) wirtschaftlich nicht zumutbar ist, die Geldstrafe sofort zu zahlen (§ 42 S. 1 StGB). Die Verfallsklausel beruht auf § 42 S. 2 StGB.
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III. Kostenentscheidung

Mangels eines anderen Kostenschuldners trägt die Staatskasse die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten aus dem Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen (Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt StPO § 473 Rn. 2).


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