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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Dresden, Beschl. v. 12.07.2022 - 15 Qs 34/22

Eigener Leitsatz: Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist zumindest dann zulässig, wenn der , der Antrag auf Beiordnung nicht unverzüglich beschieden worden ist.


15 Qs 34/22

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Rechtsanwalt
wegen Vergehen nach § 29 BtMG

ergeht am 12.07.2022
durch das Landgericht Dresden - Strafkammer als Beschwerdekammer –
nachfolgende Entscheidung:

1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 07.06.2022 Az: 270 Gs 2626/22 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der angegriffene Beschluss ist im Ergebnis rechtmäßig.

Beim Beschuldigten fand am 10.03.2022 mit dessen Zustimmung eine Durchsuchung seiner Wohnung statt. Mit Schriftsatz vom 25.03.2022, eingegangen bei der Staatsanwaltschaft am 28.03.2022, zeigte sich Rechtsanwalt pp. als Verteidiger des Be-schuldigten an, beantragte Akteneinsicht, die Übersendung eines aktuellen Bundeszentralregisterauszuges sowie seine Beiordnung als Pflichtverteidiger mit der Begründung, dass sich der Beschuldigte im Verfahren der Staatsanwaltschaft derzeit in Untersuchungshaft in der JVA pp. befinde. Zudem kündigte er an für den Fall der Beiordnung das Wahlmandat niederzulegen und eine Vollmacht nachzureichen. Mit Verteidigerschriftsatz vom 28.03.2022, eingegangen bei der Staats-anwaltschaft am 29.03.2022, wurde eine Vollmacht vorgelegt. Mit Verfügung vom 31.03.2022 wurde dem Verteidiger Akteneinsicht gewährt. Die Verfügung wurde am 04.04.2022 ausgeführt. Nach Akteneinsicht lagen die Akten der Staatsanwaltschaft am 07.04.2022 wieder vor. Mit Verteidigerschriftsatz vom 22.04.2022, eingegangen bei der Staatsanwaltschaft am 25.04.2022, wurde an die Bescheidung des Antrages auf Pflichtverteidigerbestellung erinnert und um umgehende Erledigung gebeten. Die Einstellungsverfügung vom 10.05.2022 gemäß §154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf eine Anklage vor dem Amtsgericht Dresden - Schöffengericht - vom 29.04.2022 wurde vom Abteilungsleiter bei der Staatsanwaltschaft am 31.05.2022 gezeichnet und am 03.06.2022 abgefertigt. Mit Verteidigerschriftsatz vom 08.06.2022, eingegangen bei der Staatsanwaltschaft Dresden am 09.06.2022, wurde trotz der Verfahrenseinstellung an die Bescheidung des Antrags auf Pflichtverteidigerbestellung erinnert. Mit Beschluss vom 07.06.2022 bestellte das Amtsgericht dem ehemaligen Beschuldigten nachträglich Herrn Rechtsanwalt pp. gemäß §140 Abs. 1 Nr. 5 StPO zum Verteidiger. Der Beschluss wurde der Staatsanwaltschaft am 13.06.2022 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 14.06.2022, eingegangen bei Gericht am 15.06.2022, legte die Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichtes sofortige Beschwerde ein. Zwar hätte ursprünglich ein Fall notwendiger Verteidigung nach §140 Abs. 1 Ziff. 5 StPO vorgelegen und dem Beschuldigten wäre nach §141 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Ziff. 2 StPO grundsätzlich ein Verteidiger beizuordnen gewesen, mit Verweis auf die Entscheidung der 15. Kammer des Landgerichts Dresden vom 02.08.2021 (Aktenzeichen: 15 Qs 47/20) könne die Bestellung aber unterbleiben, wenn beabsichtigt sei, das Verfahren alsbald einzustellen. Hinsichtlich der weiteren Details der Begründung verweist die Kammer auf den Beschwerdeschriftsatz vorn 14.06.2022. Mit Verteidigerschriftsatz vom 20.06.2022, eingegangen beim Amtsgericht am 21.06.2022, ist der Beschuldigte der Beschwerde entgegengetreten.

II. Das Amtsgericht hat zutreffenderweise entschieden, dass dem ehemaligen Beschuldigten ein Verteidiger beizuordnen war. Dies folgt im vorliegenden Verfahren aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens.

Die Kammer sieht sich zunächst gehalten, darauf hinzuweisen, dass die 15. Kammer in ihrer damaligen Besetzung von der regelmäßig zitierten Entscheidung vom 02.08.2021, Aktenzeichen 15 Qs 47/20 bereits in ihrer nichtabhelfenden Entscheidung vom 07.09.2021 über die Gegenvorstellung abgerückt ist. Die Kammer in ihrer aktuellen Besetzung hat die nachträgliche Beiordnung eines notwendigen Verteidigers bisher nur abgelehnt, wenn die Fallgestaltung von Anfang an auch auf eine Einstellung hinaus lief (Beschluss der Kammer vom 27.05.2022, Aktenzeichen: 15 Qs 28/22).

Die Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Abschluss des Verfahrens, insbesondere im Lichte der Richtlinie EU 2016/1919 vom 26.10.2016, ist in der Rechtsprechung nach wie vor umstritten (vgl. einerseits OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.11.2020, Aktenzeichen Gs 962/20 und andererseits OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2021, Aktenzeichen 1 Ws 12/21). Diese Frage kann hier offen bleiben.

Ersichtlich erfolgte die Entscheidung über den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers im vorliegenden Verfahren nicht unverzüglich im Sinne des §141 Abs. 1 Satz 1 StPO, obwohl die Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung vorlagen. Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens ergibt sich daher ein Anspruch auf rückwirkende Bestellung zum Pflichtverteidiger, wenn aus justizinternen Gründen, die der Beschuldigte nicht zu vertreten hat, nicht rechtzeitig entschieden wurde (Beschluss der Kammer vom 11.02.2022, Aktenzeichen: 15 Qs 7/22; LG Leipzig, Beschluss vom 25.03.2021, 8 Qs 26/21, BeckRs 2021, 6858; LG Wuppertal, Beschluss vom 08.10.2021, 26 Qs 175/21, BeckRs 2021, 32474).

Im vorliegenden Fall sind seit Antragsstellung bis zur Abzeichnung der Einstellungsverfügung durch den Abteilungsleiter mehr als zwei Monate vergangen. Zwischenzeitlich hat der Verteidiger auch an den Beiordnungsantrag erinnert, sodass aus Sicht der Kammer ganz offensichtlich keine unverzügliche Entscheidung über den Beiordnungs-antrag vorliegt. Zudem erfolgte die Anklageerhebung vor dem Schöffengericht auf die hier für die Einstellungsverfügung maßgeblich Bezug genommen wird, nach Eingang der Erinnerung an den Beiordnungsantrag. Es entsteht daher für den unbefangenen Außenstehenden der Eindruck, dass nachgerade auf die Einstellungsreife des Verfahrens gewartet wurde. Erst nach Abfassung der Einstellungsverfügung hat die Staatsanwaltschaft dem Amtsgericht den Beiordnungsantrag zur Entscheidung vorgelegt. Hierin liegt ein Verstoß gegen §141 Abs. 1 S. 1 StPO und gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Die nachträgliche Beiordnung durch das Amtsgericht im Beschluss vom 07.06.2022 ist daher rechtmäßig.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S.1,Abs. 2 S.1 StPO.


Einsender: RA A. Hübner, Dresden

Anmerkung:


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