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Entscheidungen

Corona

Corona, U-Haft, pauschaler Einschluss, Corona-Pandemie, Ermessensausübung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamburg, Beschl. v. 12.07.2022 - 1 Ws 27/22

Eigener Leitsatz: Zur fehlerfreien Ermessensausübung betreffend einen 23-stündigen pauschalen Einschluss eine U-Haft-Gefangenen in der U-Haft-Anstalt zur Coronabekämpfung.



Die Übersendung erfolgt auch im Namen des Kollegen Alexander Kienzle, mit dem ich die gerichtlichen Schriftsätze gemeinsam erarbeitet habe. Er hat die übersandte Entscheidung erstritten, ich eine nahezu wortlautidentische desselben Senats.
RA Dr. B. Tachau und R. A. Kienzle, Hamburg

Hanseatisches Oberlandesgericht
1 Ws 27/22

Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.

hat der 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg am 12. Juli 2022 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Amtsgericht beschlossen:

1.) Der Beschluss des Landgerichts Hamburg (626a KLs 14/21) vom 17. Januar 2022 wird aufgehoben.
2.) Es wird festgestellt, dass die Anordnung der Anstaltsleitung der Untersuchungshaftanstalt Hamburg, den Beschwerdeführer in der Zeit vom 03. Dezember 2021 bis zum 16. Februar 2022 der Maßnahme des Einschlusses bei täglich einer Freistunde und 23-stündiger Einsperrung in seinem Haftraum zu unterwerfen, rechtswidrig war.
3.) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg führt gegen den Angeklagten und weitere Angeklagte das verfahrensgegenständliche Strafverfahren u.a. wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz sowie Waffengesetz in insgesamt elf Fällen, von denen neun Gegenstand des verfahrensgegenständlichen Haftbefehls sind.

Der Angeklagte befindet sich seit seiner polizeilichen Festnahme am 22. April 2021 aufgrund des unverändert fortbestehenden Haftbefehls des Amtsgerichts Hamburg vom 22. März 2021 - gestützt auf den Haftgrund der Fluchtgefahr wegen der Tatvorwürfe des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen - ununterbrochen in Polizei- und Untersuchungshaft.

Am 19. Juli 2021 erhob die Staatsanwaltschaft Hamburg Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen der haftbefehlsgegenständlichen sowie zweier weiterer Taten zum Landgericht, Große Strafkammer. Mit Beschluss vom 13. September 2021 ließ die Große Strafkammer 26a die Anklage der Staatsanwaltschaft zu, eröffnete das Hauptverfahren und ordnete Haftfortdauer an. Die Hauptverhandlung begann bereits am 24. September 2021.

Während seiner Unterbringung in der Untersuchungshaftanstalt war der Beschwerdeführer auf einer offenen Station untergebracht, auf der er innerhalb der von der Anstalt vorgegebenen Zeiten - 08.30 Uhr bis 12:30 Uhr sowie 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr - am Aufschluss teilnehmen und dadurch insbesondere duschen, telefonieren, die Küche nutzen sowie sich mit Mitgefangenen unterhalten konnte.

Vor dem Hintergrund der Auswirkungen und Gefahren der Covid-1 B-Pandemie ordnete der Leiter der Untersuchungshaftanstalt am 03. Dezember 2021 aus Gründen des Infektionsschutzes nach Rücksprache mit den in der Ambulanz der Anstalt tätigen Ärzten formlos - mitgeteilt über den hausinternen „Info-Pool" - die Streichung sämtlicher Aufschlusszeiten an.

Im Anschluss hieran wurde der Beschwerdeführer entsprechend dieser Regelung behandelt. Er trägt vor, aufgrund dessen in der Regel 23 Stunden in seinem Haftraum eingeschlossen gewesen zu sein.

Mit Schreiben seines Verteidigers vom 10. Dezember 2021 beantragte der Angeklagte gerichtliche Entscheidung nach § 119a StPO mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme sowie der Aufhebung der Anordnung seines Einschlusses. Er trug vor, dass die Voraussetzungen für einen solchen weitgehenden Eingriff nicht vorlägen und das HmbUVollzG verfassungskonform auszulegen sei. Der Einschluss sei nicht verhältnismäßig, es sei kein Ermessen ausgeübt worden. Der Antragsteller habe einen Anspruch, möglichst viel Zeit außerhalb des Haftraums zu verbringen und ihm seien soziale Kontakte zu ermöglichen.

Die Anstaltsleitung der Untersuchungshaftanstalt (UHA) trug gegenüber dem Landgericht darauf an, den Antrag als unbegründet zurückzuweisen. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass sich die am 03. Dezember 2021 angeordneten „Leistungseinschränkungen" auf § 42 Abs. 6 HmbUVollzG stützten. Auch unter Einhaltung der Verpflichtung der Anstalt aus § 36 Abs. 1 Nr. 6 lfSG seien die Maßnahmen aufgrund des erhöhten Risikos in der Untersuchungshaftanstalt im Hinblick auf die Verbreitung von Infektionskrankheiten wegen der vorherrschenden räumlichen Nähe und der möglichen Einschleppung von Krankheiten durch Mitarbeitende, Besucher, Gefangene in Lockerung oder Neuzugänge z:um Schutz gegen SARS-CoV-2 dringend notwendig. Zweck sei es, die Gesundheit der Gefangenen insgesamt zu schützen und künftige Ansteckungen durch Kontakte auf den offenen Stationen zu unterbinden. Die Vollzugsanstalt habe die Pflicht, die Inhaftierten zu schützen. Darüber hinaus gehe es bei dem angeordneten Einschluss auch darum, die Durchführung geordneter Strafverfahren zu gewährleisten. Quarantäneanordnungen seien zu vermeiden, damit Hauptverhandlungen weiter stattfinden könnten. Der Schutz der Gefangenenrechte sei durch die Anordnung gewahrt. Die gewählte Maßnahme des Einschlusses sei geeignet und erforderlich, den
angestrebten Zweck zu erreichen. Es bestehe in der Untersuchungshaftanstalt bereits ein umfangreiches Hygienekonzept einschließlich Maskentragungspflicht (OP- oder FFP2-Masken). Am Arbeitsplatz gelte die 3G-Regel. Mildere Mittel kämen daher nicht mehr in Betracht. Ferner zeige das Infektionsgeschehen, dass auch geimpfte Personen erkrankten und das Coronavirus weiterverbreiten könnten. Gegenwärtig seien trotz Hygienekonzepts und einer Impfquote unter den Bediensteten von über 90 Prozent 30 positive Fälle von Corona innerhalb der Bediensteten und Inhaftierten der UHA bekannt. Dabei seien verstärkt sogenannte „Impfdurchbrüche" zu verzeichnen. Eine Unterbringung ausschließlich von geimpften und etwa täglich getesteten Personen auf einer offenen Station sei aufgrund der hohen Fluktuation und nicht zuletzt aufgrund des „organisatorischen Mehraufwandes" nicht zu leisten. Daher sei die konkrete Maßnahme des Einschlusses angemessen.

Der Antragsteller ergänzte daraufhin seinen Vortrag am 06. Januar 2022 dahingehend, dass die Anstaltsleitung lediglich pauschale Angaben mache und keine! konkreten Zahlen nenne, zumal sie auch keine kausale Verbindung zwischen den „offenen" Stationen und den steigenden Infektionszahlen vorgetragen habe. Es sei kein legitimer Zweck einer solchen Anordnung, dass Hauptverhandlungen weiter stattfinden könnten. Es bestünden noch bisher nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten zur Pandemiekontrolle wie etwa eine 2-G- bzw. 2-G-plus-Regelung. Auch hätte die Anstaltsleitung zuerst bei den 10% noch ungeimpften Bediensteten ansetzen können, um das Infektionsrisiko für die Insassen zu reduzieren.

Mit Beschluss vom 17. Januar 2022 hat das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 26a, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung verworfen. Zur Begründung hat es sich darauf gestützt, dass der Antrag bereits unzulässig, im Übrigen aber auch unbegründet sei. Gegen Allgemeinverfügungen der Anstaltsleitung sei nicht der Antrag nach § 119a StPO statthaft, sondern der Rechtswerde nach § 23 EGGVG eröffnet. Die hilfsweise Unbegründetheit ergebe sich daraus, dass die Maßnahme vom 03. Dezember 2021 zulässigerweise auf der Rechtsgrundlage des § 42 Abs. 6 HmbUVollzG beruhe und geeignet sei, dem Schutz der Insassen, Bediensteten und Dritten zu dienen; mildere, gleich effektive Mittels stünden nicht zur Verfügung, insbesondere in Anbetracht der deutlich ansteckenderen Omikron-Variante des SARS-CoV-2-Virus. Die Maßnahme sei auch vor dem Hintergrund, dass der faktisch 23 Stunden dauernde Einschluss eine erheblichen Belastung für die Insassen sei, verhältnismäßig. Vorrangig sei aber der Schutz von Leib und Leben der Insassen, Mitinsassen und Bediensteten der UHA sowie der Strafrechtspflege, zumal in den ohnehin bereits beengten Räumlichkeiten besonders viele Risikopatienten – im Vergleich zum Querschnitt der Gesamtbevölkerung - geschützt werden müssten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die mit Verteidigerschriftsatz vom 31. Januar 2022 beim Landgericht angebrachte und beim Senat am 23. Februar 2022 eingegangene Beschwerde des Angeklagten, welcher das Landgericht mit Beschluss vom 02. Februar 2022 nicht abgeholfen hat, da der Antrag jedenfalls unbegründet sei.

Zur Begründung seines Rechtsmittels hat der Beschwerdeführer sinngemäß vorgetragen, dass der angegriffene Beschluss rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten, jedenfalls aus Art. 2 Abs. 1 GG, verletzte und zur Begründung auf den Beschluss des Senats vom 12. Januar 2022 hingewiesen (1 Ws 2/22), wonach§ 119 Abs. 4 StPO auch für abstrakt-generelle Regelungen betreffend die Untersuchungshaft der zulässige Rechtsbehelf ist. Im Übrigen sei auch die Auffassung des Landgerichts, dass der Antrag (hilfsweise) unbegründet sei, falsch. Der Beschluss sei bereits deswegen rechtswidrig, da eine eigene Sachaufklärung vor der Entscheidung nur in unzureichendem Maße stattgefunden habe. Das Gericht sei seinem nach § 119a StPO geltenden Amtsermittlungsgrundsatz nicht in ausreichender Weise nachgekommen und habe sich allein auf behördliche Angaben, welche nach dem Erlass der Maßnahme erfolgt seien, verlassen. Es fehle insbesondere bereits die Grundlage einer Sachverhaltserhebung zur Anordnung der Maßnahme vom 03. Dezember 2021; es sei nach wie vor offen, wer konkret auf Grundlage welcher von Amts wegen erhobener Sachverhalte die Anordnung getroffen habe. Daneben fehle es derzeit an einer Kenntnisnahmemöglichkeit betreffend der Anordnung selbst und deren Begründung im Einzelnen. Dies hätte auch dem Gericht im Zeitpunkt der Beschlussfassung ersichtlich nicht vorgelegen. Es sei daher auch keine Prüfung einer tauglichen Rechtsgrundlage - auf§ 42 HmbUVollzG :sei sich erst zeitlich später berufen worden - sowie eine Überprüfung eines eventuell ausgeübten Ermessens möglich. Der Angeklagte verfüge diesbezüglich nicht über eine ihm beispielsweise schriftlich auszuhändigende Anordnung im Zusammenhang mit der Maßnahme vom 03. Dezember 2021. Das Gericht hätte den Sachverhalt eigenständig aufklären müssen, insbesondere im Hinblick auf das vor dem 03. Dezember 2021 zu beobachtende Infektionsgeschehen, dessen Verursachungszusammenhänge sowie der Möglichkeit alternativer Maßnahmen. Auch habe man bei der Ermessenausübung die gesundheitlichen Auswirkungen der Maßnahmen zu Lasten der betroffenen Inhaftierten berücksichtigen müssen. Im Übrigen sei § 42 Abs. 6 HmbUVollzG keine geeignete Ermessensgrundlage für konkrete Maßnahmen in grundrechtsintensiven Bereichen, zumal es sich weder um notwendige Anordnungen noch um erforderliche Maßnahmen handele. Insgesamt sei eine Ermessensüberprüfung anhand der zu Verfügung gestellten Informationen nicht möglich. Auch widerspreche es der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, Alternativmaßnahmen wie die Betreibung offener Stationen pauschal unter Hinweis auf den erheblichen Aufwand für die Bediensteten abzulehnen.

In seiner Beschwerdeschrift hat der Angeklagte zunächst beantragt, den Beschluss des Landgerichts vom 17 Januar 2022 aufzuheben und die Sache an das grundsätzlich zuständige Landgericht zurückzuverweisen, um eine Sachentscheidung herbeizuführen.

Am 17. Februar 2022 wurde die verfahrensgegenständliche Anordnung vom 03.Dezember 2021 von der UHA aufgehoben, so dass dem Beschwerdeführer seit diesem Zeitpunkt der von ihm begehrte, intern offene Vollzug wieder zugebilligt wird.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt dementsprechend, den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 30 (gemeint ist 26a), vom 17. Januar 2022 aufzuheben sowie festzustellen, dass die Anordnung der Anstaltsleitung der Untersuchungshaftanstalt Hamburg, den Beschwerdeführer in der Zeit vom 03. Dezember 2021 bis zum 16. Februar 2022 der Maßnahme des Einschlusses bei täglich nur einer Freistunde und rund 23-stündiger Einsperrung in seinem Haftraum zu unterwerfen, rechtswidrig war, sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens und der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers der Staatskasse aufzuerlegen.

Zur Begründung führt die Generalstaatsanwaltschaft unter anderem aus, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse trotz Wegfalls der Beschwer gegeben sei. Die Beschwerde sei unter anderem deswegen begründet, weil alle Untersuchungsgefangenen unterschiedslos der Einschließung unterworfen worden seien und die Anstalt nicht einmal die Möglichkeit vorgesehen habe, im Wege einer differenzierten Einzelfallprüfung von dem mit der Einschließung verbundenen Vollzugsregime abzusehen. Der Beschwerdeführer sei daher in seinen Grundrechten aus Art. 1, 2 Abs. 1 GG (Persönlichkeitsrecht) sowie Art. 1 Abs. 1 GG (Kontakt zu anderen Menschen) verletzt worden.

Der Verteidiger des Angeklagten hat mit Schreiben vom 08. März 2022, eingegangen beim Hanseatischen Oberlandesgericht am 09. März 2022, mitgeteilt, dass den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft (mit der Maßgabe der Korrektur des offensichtlichen Schreibversehens betreffend der Großen Strafkammer 26a statt 30) stattzugeben sei, da das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers fortbestehe.

Die U HA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Sie trägt vor, dass die Maßnahme vom 03. Dezember 2021 nicht unter§ 54 Abs. 2 Ziff. 3 HmbUVollzG zu subsumieren sei, da es sich gerade nicht um eine besondere Sicherungsmaßnahme gehandelt habe. Die Einrichtung einer im Haus abgetrennten Station für vollständig geimpfte oder genesene Gefangene sei anhand der räumlichen Gegebenheiten nicht möglich gewesen. Hinzukomme, dass trotz zumeist regelhafter Überwachung der Inhaftierten diese sich in der gemeinsamen Freizeit nicht an die ihnen immer wieder in Erinnerung gerufenen Abstandsregelungen und Maskenpflichten gehalten hätten, was im November 2021 zu einem erheblichen Infektionsgeschehen mit etwa 15 Gefangenen der offenen Station geführt habe.

Unmittelbar vor der Einführung der streitgegenständlichen Maßnahme seien sieben vollständig Geimpfte an einer Covid-19-lnfektion erkrankt. Eine lückenlose Überwachung sei nicht möglich. Durch die Schließung der offenen Stationen sei es letztlich gelungen, die Infektionszahlen innerhalb der Anstalt zu begrenzen. Die Maßnahmen seien dabei regelmäßig von der leitenden Ärztin in den Leitungsrunden überprüft worden. Die Pandemiekommission für den Justizvollzug unter eiern Vorsitz der leitenden Ärztin tage außer am Wochenende täglich, um die Maßnahmen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Unmittelbar nachdem sich das Infektionsgeschehen Anfang Februar beruhigt habe, sei die Öffnung der Station vorgenommen worden

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag des Angeklagten ist, da der Verteidigerschriftsatz vom 08. März 2022 auf den zuvor von der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg gestellten Antrag Bezug genommen und diesen damit der Sache nach übernommen hat, gemäß § 300 StPO als dem Entscheidungssatz entsprechender Feststellungsantrag auszulegen.

2. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts ist in Gestalt des Feststellungsantrags gemäß §§ 119a Abs. 3, 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Insbesondere besteht trotz Aufhebung des angefochtenen Einschlusses ein fortwirkendes, schutzwürdiges Interesse des Angeklagten an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der beanstandeten Maßnahme.

a) Ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährleistung des in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten effektiven Rechtsschutzes im Falle bereits erledigter Maßnahmen jedenfalls auch dann anerkannt, wenn es sich dabei um tiefgreifende Grundrechtseingriffe handelt und der Betroffene wegen der typischerweise kurzen Dauer des Eingriffs keine gerichtliche Entscheidung erlangen konnte (BVerfG, Beschl. v. 17.10.2012, 2 BvR 736/'11; Beschl. v. 07.03.2012 - 2 BvR 988/10, BVerfGK 19, 326, 331 = NJW 2012, 2790, Rn. 27; Urt. v. 27.02.2007 - 1 BvR 538, 538/06, 1 BvR 2045/06 - BVerfGE 117, 244, 268; Urt. v. 31.05.2006-2 BvR 1673/04; 2 BvR 2402/04-, Rn. 31 juris; Beschl. v. 30.04.1997- 2 BvR 817/90, 2 BvR 728/92, 2 BvR 802/95, 2 BvR 1065/95 - BVerfGE !96, 27, 40; Beschl. v. 24.06.1996 - 2 BvR 21 37/95 -, Rn. 21 juris ; OLG Hamburg, Beschl. v. 20.08.2019 - 2 Ws 85/19 -, NStZ 20, 311 ; Beschl. v. 15.02.2017 - 2 Ws 3~~/17 - ). Ein in diesem Sinne gewichtiger Grundrechtseingriff ist dabei nicht ausschließlich auf unter Richtervorbehalt stehende Eingriffe begrenzt (BVerfG, Beschl. v. 28.10.20·12 - 2 BvR 737/11-NJW2013, 1941, Rn. 12; BVerfGK 19, 326, 331).

Ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse liegt überdies auch dann vor, wenn ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen (BVerfG, Urt. v. 31.05.2005 - 2 BvR 1673/04, 2 BvR 2402/04 -, Rn. 32, ju1ris; Beschl. v. 03.03.2004 -1 BvR 461 /03 -, Rn. 27 juris; Beschl. v. 05.12.2001 - 2 BvR 527/99, 2 BvR 1337/00, 2 BvR 1777/00 -, Rn. 35 juris; Meyer-Goßner/ Schmitt, a.a.O., vor § 296 Rn. 18). Eine solche Wiederholungsgefahr kann beispielsweise fortbestehen, wenn nicht fern liegt, dass erneut Entscheidungen getroffen werden, die der angegriffenen gleichen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.02.2010 - 2 Ws 113/10, Rn. 17 juris; KK-Schultheis, StPO, 8. Aufl. 2019, § 119a Rn.9, § 119 Rn. 82).

b) Hieran gemessen kommt dem Angeklagten ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse unter beiden genannten Aspekten - des tiefgreifenden Grundrechtseingriffes und der Wiederholungsgefahr- zu.

Ein die dargestellten Anforderungen erfüllender schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte des Angeklagten lag hier vor (vgl. insoweit auch Junck in BeckOK, Strafvollzugsrecht Hamburg (Hrsg.: Schatz), HmbUVollzG, 14. Ed. Stand 01.Dezember 2021, § 42 Rn. 21, beck-online). Durch die Streichung sämtlicher Aufschlusszeiten wurde der Beschwerdeführer erheblich in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG eingeschränkt. Die Bedingungen des Freiheitsentzuges wurden hierdurch erheblich verschärft, weil der Beschwerdeführer für einen jeweils deutlich längeren Zeitraum pro Tag unfreiwillig auf seinen Haftraum beschränkt und an der Kontaktaufnahme mit anderen Gefangenen gehindert wurde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.10.2012 - 2 BvR 736/11 - BVerfGK 20; 93, 100 = BeckRS 2012, 60003 sowie für den Arrest BVerfG, Beschl. v. 12.02.2004 - 2 BvR 1709/02 - BVerfGK 2, 318, 323 = NStZ-RR 2004, 220).

Im vorliegenden Fall war es dem Beschwerdeführer während der Dauer der Maßnahme vom 03. Dezember 2021 bis zum 17. Februar 2022 auch nicht möglich, eine abschließende Entscheidung des Senats in der Sache einzuholen. Er hat bereits am 10. Dezember 2021 gegen die angeordnete Isolation gerichtliche Entscheidung beantragt und gegen die ablehnende Entscheidung des Landgerichts unverzüglich Beschwerde eingelegt.

Hiervon unabhängig besteht auch Wiederholungsgefahr. Es ist nicht auszuschließen, dass die Anstaltsleitung bei erneutem Ansteigen von Covid-19-Erkrankungen innerhalb der Untersuchungshaftanstalt, bei dem Aufkommen einer neuen Variante des Coronavirus oder gar dem Eintreten einer neuen Pandemielage eine gleichgelagerte Anordnung treffen wird, zumal davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer sich auch fortan noch in der Untersuchungshaftanstalt aufhalten wird.

3. Die Beschwerde ist auch begründet.

a) Der angegriffene Beschluss vom 17. Januar 2022 hat sich zu Unrecht auf die sachliche Unzuständigkeit des Landgerichts gestützt. Das Landgericht hat dabei verkannt, dass§ 119a Abs. 1 StPO auch für abstrakt-generelle Regelungen betreffend die Untersuchungshaft der zulässige Rechtsbehelf ist. Diesbezüglich ist auf den Senatsbeschluss vom 12. Januar 2022 (a.a.O.) zu verweisen. Darin hat der Senat dargelegt, dass die - von dem Landgericht für seine entgegenstehende Auffassung herangezogene - Entscheidung des OLG Hamm (Beschl. v. 04.10.2011 - 1 VAs 42/11, NStZ-RR 2012, 62), wonach der Rechtsweg nach §§ 23ff. EGGVG weiterhin eröffnet sein soll, wenn sich ein Antrag gegen allgemeine Regelungen mit unmittelbarer Wirkung richte und die Gesamtverhältnisse in der Justizvollzugsanstalt zur Gestaltung der Untersuchungshaft betreffe, mittlerweile von der inzwischen vorherrschenden Auffassung (vgl. u.a. KG, Beschl. v. 27.06.2011 - 3 Ws 136/11, NStZ-RR 2011, 388; OLG Koblenz, Beschl. v. 29.11 .2017 - 2 VAs 18/17, BeckRS 2017, 146280 Rn. 6f.; OLG Naumburg, Beschl. v. 29.08.2019- 1 Ws (s) 269/19) zu Recht nicht geteilt wird.

Dies gilt, so der Senat (a.a.O.), sowohl im Hinblick auf die gesetzgeberische Intention (BT-Drucks. 16/11644, S. 31; BR-Drs. 829/08, S. 43, 44), wonach aus Praktikabilitätserwägungen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung einheitlich als statthafter Rechtsbehelf gegen. alle - sowohl konkrete als auch abstrakte - behördlichen Entscheidungen und Maßnahmen im Untersuchungshaftvollzug in die StPO zu implementieren ist als auch in Anbetracht des Wortlauts des § 119a StPO, der sich allgemein auf behördliche Entscheidungen oder Maßnahmen im Untersuchungshaftvollzug, welche auch Allgemeinverfügungen umfassen, bezieht.

b) Im Übrigen erweist sich die angegriffene Maßnahme der UHA Hamburg im Hinblick auf den Angeklagten aufgrund fehlerhafter Ermessensausübung auch in der Sache als rechtswidrig und hat diesen dadurch in seinen Rechten verletzt. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die angefochtene Maßnahme im Ergebnis rechtmäßig hätte angeordnet werden können. Jedenfalls war sie schon deswegen rechtswidrig, weil die UHA das ihr zukommende Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt hat. Im Einzelnen:
aa) Zutreffend hat die UHA die angefochtene Maßnahme allerdings auf die Ermächtigungsgrundlage des § 42 Abs. 6 HmbUVollzG gestützt. Hiernach haben die Untersuchungsgefangenen die notwendigen Anordnungen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu befolgen sowie die dafür erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung des Gesundheitsschutzes und der Hygiene in der Anstalt zu dulden.

(1) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die Vorschrift als Ermächtigungsgrundlage für die konkret angeordnete Maßnahme nicht zu unbestimmt.

(a) Jede Maßnahme, die mit einem Grundrechtseingriff verbunden ist, bedarf, um den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips gerecht zu werden (vgl. Art. 20 Absatz 3 GG i.V.m. Art. 28 Absatz 1 GG), einer Ermächtigungsgrundlage, aus der sich in einer dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechenden Weise die Eingriffsvoraussetzungen und der Umfang der erlaubten Eingriffe ergeben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11 .2007 - 2 BvR 9/06 -, BeckRS 2007, 28276). Zweck, Anlass und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigungsgrundlage, um dem grundrechtlich festgelegten Bestimmtheitsgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG gerecht zu werden, bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden. Dabei ist allerdings die Interpretationsbedürftigkeit einer Norm nicht mit Unbestimmtheit gleichzusetzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11. 1990 - 1 BvR 402/87, NJW 1991, 1417; BVerfG, Urt. v. 17.12.2013-2 BvR 2436/10, 2 BvE 6/08 -, NvWZ 2013, 1468).

Zu berücksichtigen ist, dass die zu regelnden Sachverhalte häufig eine hohe Komplexität und Dynamik aufweisen und, sollen zum Zeitpunkt des Normerlasses nicht im Einzelnen absehbare Sachverhalte erfasst werden, nicht immer auf einfache Begriffe und Reaktionsmuster zu reduzieren sind. Insoweit muss es dem Gesetzgeber gestattet sein, durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und gegebenenfalls auch generalklauselartiger Ermessenstatbestände zukunftsoffene Regelungen zu schaffen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 31 .05.1988 - 1 BvR 520/83 -, NJW 1989, 666; Schulze-Fielitz in Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Band 2, Art. 20 Rn. 133 f.).

Es ist dabei grundsätzlich Aufgabe der Gerichte, durch schrittweise Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe und durch Kontrolle der Einhaltung der Ermessensschranken die notwendige Berechenbarkeit des Verwaltungshandelns sicherzustellen.

(b) § 42 Abs. 6 HmbUVollzG wird diesen Vorgaben gerecht und erfüllt damit die Anforderungen an das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Zweck, Anlass und Grenzen der mit § 42 Abs. 6 HmbUVollzG möglichen Maßnahmen sind, sofern die Norm der gebotenen Auslegung unterzogen wird, ausreichend deutlich bestimmt. Der Zweck des Gesetzes ist anhand seines Wortlautes erkennbar die Aufrechterhaltung der Sicherheit in der Untersuchungshaftanstalt i.S. von § 4 Abs. 2 HmbUVollzG auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes und der Hygiene.

Der hinreichenden Bestimmtheit steht nicht entgegen, dass die Norm auf der Rechtsfolgenseite keine ausdrückliche Begrenzung auf bestimmte oder eingegrenzte Maßnahmen vornimmt. Die Offenheit ist durch die faktischen Bedürfnisse im Bereich der Gesundheitsfürsorge gerechtfertigt. Gerade die jüngste Entwicklung hat gezeigt, dass im Bereich der Abwehr gesundheitlicher Gefahren häufig kurzfristig neuartige und dynamische Gefahrenlagen auftreten, denen schnell und flexibel begegnet werden muss. Trotz der Offenheit auf der Rechtsfolgenseite ist für die Normanwender auch hinreichend erkennbar, dass die möglichen Maßnahmen bis hin zu längeren Einschlüssen reichen. Denn bei ansteckenden Krankheiten erscheinen die Trennung oder Isolierung Gefangener als sich geradezu aufdrängende Mittel der Infektionsprophylaxe. Ihr Einsatz ist deswegen bereits schon im Zweck der Norm erkennbar angelegt. Die mit den entsprechenden Maßnahmen einhergehenden schwerwiegenden Grundrechtseingriffe stehen der Offenheit auf der Rechtsfolgenseite ebenfalls nicht entgegen. Für hinreichende Grenzen und Messbarkeit der Anordnungen der Anstaltsleitung wird tatbestandlich durch die Einschränkung auf „notwendige" bzw.,,erforderliche" Maßnahmen gesorgt. Auf der Rechtsfolgenebene tritt insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinzu (Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drucks. 22/22972, S. 4; Junck a.a.O., § 42 Rn. 19).

(2) Die Voraussetzungen der Norm lagen im Zeitpunkt der Anordnung der angefochtenen Maßnahme ebenso wie in der Folgezeit vor.

(a) Die Anordnung des Anstaltsleiters erfolgte formell rechtmäßig.

(aa) Dessen Zuständigkeit ergibt sich aus den§§ 3 Abs. 1 S. 1, 90 Abs. 2 HambUVollzG, wonach regelhaft der Leiter der Justizvollzugsanstalt, in der die Untersuchungshaft vollzogen wird, die die Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzuges betreffenden Entscheidungen trifft (Junck, a.a.O., § 3 Rn. 1).

(bb) Das Fehlen einer schriftlichen Begründung der Anordnung führt nicht zur formellen Rechtswidrigkeit der Maßnahme. § 42 Abs. 6 HmbUVollzG verlangt weder Schriftform noch Begründung. Ob eine Regelung nach§ 42 Abs. 6 HmbU\/ollzG unter das in § 4 Abs. 3 HmbUVollzG bestimmte Erläuterungsgebot fällt, kann dahinstehen.

Jedenfalls statuiert § 4 Abs. 3 HmbUVollzG keine formelle Begründungspflicht im verwaltungsverfahrensrechtlichen Sinn, wie sie etwa § 39 VwVfG vorsieht. Die Vorschrift soll allein der Transparenz und Nachvollziehbarkeit der vollzuglichen Maßnahmen für die Gefangenen dienen. Dementsprechend führt das Unterlassen einer Erläuterung auch nicht dazu, dass eine Vollzugsmaßnahme aufgrund eines formellen Mangels fehlerhaft wäre (Junck, a.a.O., § 4 Rn. 20).

(b) Die materiellen Voraussetzungen des§ 42 Abs. 6 HmbUVollzG waren gegeben.

Aufgrund der Covid-19-Pandemie bedurfte es spezieller Maßnahmen und Einschränkungen zum Zwecke des Gesundheitsschutzes.

Der gewählte 23-stündige Einschluss ist auch als notwendig bzw. erforderlich anzusehen. Die Erforderlichkeit als Tatbestandsmerkmal ist alleine an dem Zweck des Gesundheitsschutzes ausgerichtet; andere zu berücksichtigende Interessen sind an dieser Stelle nicht von Relevanz, sondern fließen erst in die spätere Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein. Die Erforderlichkeit einzelner Maßnahmen liegt deswegen bereits dann vor, wenn kein milderes bzw. weniger eingriffsintensives Mittel zur Verfügung steht, das dem Gesundheitsschutz zu dienen ebenso geeignet ist. Hieran gemessen ist im vorliegenden Fall von der Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen auszugehen. Jedes mildere Mittel hätte· zu einem größeren Bewegungsspielraum der Gefangenen geführt, hätte die Ansteckungsgefahr damit erhöht und wäre dementsprechend nicht gleich geeignet zur Gefahrenabwehr gewesen.

bb) Dennoch war die verfahrensgegenständliche Anordnung rechtswidrig Die UHA hat das ihr durch § 42 Abs. 6 HmbUVollzG eingeräumte Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt.

(1) Für die Frage der Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung kommt es maßgeblich darauf an, ob die Entscheidung auf sachgerechten Erwägungen beruht (BVerwG, Urt. v. 29.10.1992 - 7 C 34/91 - NJW 1993, 609, 610). Ein Ermessensfehler liegt insbesondere im Falle eines Ermessensfehlgebrauchs vor (vgl. hierzu Kamann/Spaniol in Fest/Lesting, StVollzG, 6. Aufl. 2012, § 115, Rn. 42 ff.; KG Berlin, Beschl. v. 03.12.2002 - 5 Ws 507/02 Vollz -, juris). Von einem solchen ist auszugehen, wenn die behördliche Entscheidung nicht den im Gesetz oder dien in der Rechtsordnung insgesamt zum Ausdruck gebrachten Zwecksetzungen und Zweckvorgaben entspricht (Schwarz in Fehling/ Kastner/ Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Auflage 2021, § 114 VwGO, Rn. 46). Dabei sind nicht nur der einfachrechtliche Zweck zu berücksichtigen, sondern auch gerade verfassungsrechtliche Wertentscheidungen wie insbesondere Grundrechte (vgl. Schwarz a.a.O.; Riese in Schach/ Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 41. EL Juli 2021, § 114 VwGO Rn. 65 f.). Ein Ermessensfehlgebrauch in der Variante des Ermessensdefizits liegt hierbei vor, wenn die Behörde nicht alle für die Entscheidung relevanten Gesichtspunkte gebührend berücksichtigt hat (Schwarz a.a.O. § 114 Rn. 46 f .; vgl. auch Riese a.a.O. Rn. 66). Dabei kommt den Grundrechten der durch die Maßnahme beeinträchtigten Personen eine zentrale Bedeutung zu. Trägt die Behörde diesen nicht hinreichend Rechnung oder verkennt sie die Interessengewichtung, so wird sie der Bedeutung des Grundrechts nicht gerecht (BVerwGE 91, 135, 140). Ein Ermessensdefizit liegt ferner auch dann vor, wenn die Behörde nicht alle relevanten Tatsachen umfassend ermittelt hat und insoweit gar nicht in der Lage war, alle maßgeblichen Gesichtspunkte bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen (Schwarz, in: Fehling/ Kastner/ Störmer, 5. Aufl. 2021, § 114 Rn. 48).

(2) Nach dieser Maßgabe hat die UHA das ihr in § 42 Abs. 6 HmbUVollzG eingeräumte Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt.

(a) Im Rahmen der ihr eingeräumten Ermessensspielräume hat die Justizvollzugsanstalt die Grundrechte und Bedürfnisse der Gefangenen, insbesondere nach Interaktion mit Mitgefangenen, und die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 29.08.2019 -1 Ws (s) 269/191 - juris, Rn. 16; OLG Celle, Beschl. v. 03.03.1981 - 3 Ws 410/80 -, NStZ 1981, 2218). Bei der Anwendung der Vorschriften des Untersuchungshaftrechts hat sie dabei stets der besonderen Stellung Untersuchungsgefangener und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb lediglich unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.01 .2008 - 2 BvR 1229/07 -, juris; BVerfG, Beschl. v. 16.06.04.1976- 2 BvR 61/76-, NJW 1976, 1311 ; Beschl. v. 31 .08.1993- 2 BvR 1479/93 -, NStZ 1994, 52; Beschl. v. 30.10.2014 - 2 BvR 1513/14-, NStZ-RR 2015, 79, 80).

Untersuchungsgefangene sind gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 HmbUVollzG so zu behandeln, dass der Anschein vermieden wird, sie würden zur Verbüßung einer Strafe festgehalten. Vor diesem Hintergrund erlangen die Grundrechte der Gefangenen ein erhöhtes Gewicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.10.2012 - 2 BvR 737/11 - BVerfGK 20, 107, 113). Als Konsequenz hieraus hat die Justizvollzugsanstalt u.a. den in § 5 Abs. 1 S. 1 HmbUVollzG zum Ausdruck gebrachten Angleichungsgrundsatz zu beachten und möglichst darauf hinzuwirken, dass Untersuchungsgefangene eine angemessene Zeit des Tages außerhalb ihrer Hafträume verbringen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.10.2012- 2 BvR 736/11 - BVerfGK 20, 93, 101).

(b) Den vorgenannten Anforderungen hat die UHA nicht genügt. Die einschlägigen Rechte und Interessen der Gefangenen haben bei ihrer Entscheidung keine ausreichende Berücksichtigung gefunden.

(aa) Insoweit kann dahinstehen, auf welchen Zeitpunkt es bei der Prüfung der Ermessensentscheidung ankommt und ob und inwieweit die UHA im gerichtlichen Verfahren Gründe nachschieben kann.

(bb) Denn jedenfalls genügen die Erwägungen der UHA auch unter Berücksichtigung der erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens geäußerten Überlegungen nicht den Anforderungen an eine fehlerfreie und vollständige Ermessensentscheidung.

Der gebotenen Berücksichtigung des Bedürfnisses der Gefangenen an lnteraktion und internen Freiräumen kam im vorliegenden Fall besonderes Gewicht zu. Die Auswirkungen der Anordnung für die Gefangenen ähnelten einer Einzelhaft, die als besondere Sicherungsmaßnahme in § 54 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 HmbUVollzG spezifisch geregelt ist und einen schweren Eingriff in Grundrechte bewirkt (vgl. BVerfGK 20, 93, 103).

Die deswegen gebotene hinreichende Abwägung mit den Interessen der Gefangenen hat ausweislich der von der UHA mitgeteilten Erwägungen nicht stattgefunden. Die Begründung der UHA erschöpft sich auch in den nachgeschobenen Erwägungen in der Rechtfertigung der Maßnahme mit dem Infektionsschutz und der sich aus § 36 Abs. 1 Nr. 6 lfSG ergebenden Pflicht der Behörde zur Festlegung innerbetrieblicher Verfahrensweisen zur Infektionshygiene. Zwar hat die Anstaltsleitung hierzu weiter ausgeführt und erläutert, warum nach ihrer Auffassung mildere Mittel nicht in Betracht kämen. Bezüglich der beeinträchtigten Rechte der Gefangenen hat sie dagegen lediglich pauschal darauf verwiesen, dass diese durch die Anordnung gewahrt seien.

Ihre Ausführungen lassen nicht erkennen, dass sie sich in ihrer Abwägung der entgegenstehenden Belange eingehend mit den konkret beeinträchtigten Grundrechten der Betroffenen und deren Gewicht auseinandergesetzt und hierbei insbesondere den Angleichungsgrundsatz und die Sonderstellung von Untersuchungsgefangenen berücksichtigt hat. Stattdessen waren die Überlegungen der UHA einseitig darauf ausgerichtet, dem Infektionsgeschehen entgegenzuwirken.

Wenngleich dies im Ansatz richtig und dem Sinne des Gesetzes entsprechend war, hätte die UHA in einem zweiten Schritt vor dem Hintergrund der besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffe erwägen müssen, ob und inwieweit zumindest in Grenzen eine Konkordanz mit den Rechten der Gefangenen möglich und vertretbar gewesen wäre. Die UHA hätte sich hierzu näher verhalten und zusätzlich prüfen müssen, ob alternative Konzepte umsetzbar gewesen wären, die zumindest einen kürzeren und eingeschränkten Kontakt zu anderen Gefangenen ermöglicht hätten und hierbei zu einem derart geringen Restrisiko für Belange des Gesundheitsschutzes geführt hätten, dass die rechtlichen geschützten Interessen der Gefangenen dessen Hinnahme als noch vertretbar und damit gerechtfertigt hätten erscheinen lassen.

Dies wäre, soweit ersichtlich, nach Lage der Dinge jedenfalls für geimpfte und genesene Gefangene wie den Beschwerdeführer nicht ausgeschlossen gewesen. Den Versuch eines Interessenausgleichs hätte die UHA etwa durch die Prüfung der Frage unternehmen können, ob dem Grundbedürfnis an Kommunikation zumindest durch ein Minimum an zusätzlichen Freiräumen hätte entsprochen werden können. Zu denken gewesen wäre an deutlich verkürzte Öffnungszeiten, zu denen jeweils nur wenige Gefangene - bei Aufteilung in feste Gruppen - die Gelegenheit zu intern freier Bewegung gehabt hätten. Die Pflicht zur Tragung von Masken hätte in diesem verminderten Rahmen eher mit dem zur Verfügung stehenden Personal! überwacht werden können; ihre Durchsetzung hätte durch den Verlust der Vergünstigung im Falle eines Fehlverhaltens erfolgen können. Soweit die UHA in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, dass eine unterschiedliche Behandlung von Gefangenen (,,Binnendifferenzierung") die Einrichtung einer abgetrennten Station erfordert hätte und dies aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht möglich gewesen wäre, weil dies dazu geführt hätte, dass Plätze auf dieser Station nicht voll hätten belegt werden können, falls nicht ausreichend geimpfte oder genesene Gefangene vorhanden gewesen wären, erscheinen die Überlegungen aus sich heraus nicht nachvollziehbar.

Insbesondere ist nicht erkennbar, warum nicht einzelne Gefangene auf einer sonst (zeitweise) geöffneten Station im Einschluss hätten verbleiben können. Ob die entsprechenden Überlegungen zu einem Interessenausgleich, wie von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten, notwendig zu Ausnahmen von der Einschlussregelung hätten führen müssen, weil letztere andernfalls unverhältnismäßig wäre, kann hier dahinstehen. Ein Ermessensfehler liegt alleine schon darin, dass die UHA das Gewicht der Gefangenenrechte und dementsprechend ihre Bedeutung bei der Ermessensausübung verkannt hat.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 S. 1 StPO, da die Beschwerde in vollem Umfang Erfolg hat (vgl. Maier, in: MüKo-StPO, 1. Aufl. 2019, § 473 Rn. 126).


Einsender: RA Dr. B. Tachau und RA A. Kinezle, Hamburg

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