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Entscheidungen

Zivilrecht

Kollegialverhältnis, kleines Gericht, Selbstanzeige, Geschäftsverteilung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.03.2022 - 7 AR 165/22

Leitsatz des Gerichts: 1. Ein Kollegialverhältnis kann für sich genommen nur dann die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn damit eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit verbunden ist. Bei einem kleinen Gericht, bei dem lediglich fünf Richterinnen und Richter beschäftigt sind, ist davon auszugehen, dass zwischen sämtlichen Richterinnen und Richtern eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit besteht.
2. Es ist sachgerecht, wenn alle Richterinnen und Richter eines Gerichts eine Selbstanzeige mit zumindest teilweise übereinstimmenden Gründen abgegeben haben, dass das zur Entscheidung über die Selbstanzeigen berufene Gericht über sämtliche Selbstanzeigen entscheidet.
3. Sind sämtliche Richterinnen und Richter eines Gerichts an der Ausübung des Richteramtes verhindert, erscheint es sachgerecht, das Verfahren an das örtlich nächstgelegene Amtsgericht im Zuständigkeitsbereich des zur Gerichtsstandsbestimmung berufenen Oberlandesgerichts zu verweisen.
4. Zur Auslegung der Geschäftsverteilung.


In pp.

1. Die Selbstablehnungen der Richterin am Amtsgericht L, des Richters am Amtsgericht G, des Richters am Amtsgericht als ständiger Vertreter des Direktors N sowie des Direktors des Amtsgerichts F werden für begründet erklärt.

2. Zuständig für die weitere Bearbeitung des Verfahrens ist das Amtsgericht Weiden i.d.OPf.

Gründe

I. Die Antragsgegnerin, , ist Richterin am Amtsgericht in T und mit dem Antragsteller, , verheiratet. Der letzte gemeinsame Aufenthalt des Ehepaares war in der Gemeinde , die zum Bezirk des Amtsgerichts T gehört. Die Antragsgegnerin lebt dort weiterhin zusammen mit den beiden minderjährigen Kindern.

Das Amtsgericht T ist das kleinste Amtsgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg. Es sind dort einschließlich des Direktors sowie des Richters am Amtsgerichts als ständiger Vertreter des Direktors insgesamt fünf Richterinnen und Richter beschäftigt.

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 3. Januar 2022 hat der Antragsteller beim Amtsgericht T einen Scheidungsantrag einreichen lassen. Dieser wurde der Antragsgegnerin am 27. Januar 2022 zugestellt. Nacheinander haben die weiteren vier Richter des Amtsgerichts T eine Selbstanzeige gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben. Auf die Anzeigen vom 31. Januar 2022, 8. Februar 2022, 9. Februar 2022 und 14. Februar 2022 wird Bezug genommen. RiAG G, der als Letzter die Anzeige nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgab, legte das Verfahren dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vor.

Der Senat übersandte den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten die Selbstanzeigen und räumte ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme ein. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin erklärte mit Schriftsatz vom 11. März 2022, dass er keine Stellungnahme abgebe. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers erklärte mit Schriftsatz vom 10. März 2022, dass er die Entscheidung über die Anzeigen in das Ermessen des Gerichts stelle und mit einer Bestimmung des Amtsgerichts Weiden i.d.OPf. als zuständiges Gericht einverstanden sei.

II.

1. Gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, § 45 Abs. 3 ZPO ist das Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung über die Selbstanzeigen nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO als das im Rechtsmittelzug in der Hauptsache nächsthöhere Gericht (BGH NJW-RR 2022,284) zuständig, da das Amtsgericht T, weil sich sämtliche für die Entscheidung in Betracht kommende Richter selbst abgelehnt haben, beschlussunfähig geworden ist. Dabei kann das Oberlandesgericht über alle Selbstanzeigen gleichzeitig entscheiden, da dies im vorliegenden Fall sachangemessen ist, um eine weitere Verzögerung des Verfahrens zu verhindern, und sich die Fallkonstellationen zumindest teilweise gleichen (BGHZ 226, 350).

Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Nürnberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergibt sich aus § 36 Abs. 1 ZPO. Auch insoweit ist die Rechtsmittelzuständigkeit in der Hauptsache ausschlaggebend (Zöller-Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 36 Rn 7).

Beim Oberlandesgericht Nürnberg ist der 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen für beide Entscheidungen berufen. Bezüglich der Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergibt sich dies aus dem Wortlaut der Geschäftsverteilung bei dem Oberlandesgericht Nürnberg für das Jahr 2022; denn dies ist auf Seite 20 der Geschäftsverteilung ausdrücklich bestimmt. Bezüglich der Entscheidung über die Selbstanzeigen fehlt eine entsprechende Regelung in der Geschäftsverteilung. Da die Entscheidung über die Selbstanzeigen der Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorausgeht, ergibt jedoch die Auslegung der Geschäftsverteilung, die zulässig ist (Kissel/Mayer, GVG, 10. Auflage, § 21e Rn 116), dass hierfür ebenfalls der 7. Senat zuständig ist.

2. Sämtliche Selbstanzeigen sind begründet.

Ebenso wie ein Ablehnungsgesuch eines Beteiligten ist die Selbstanzeige dann begründet, wenn Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit begründen, vorliegen. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann zu bejahen, wenn Gründe gegeben sind, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, das Vorliegen eines Sachverhaltes, der vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus bei Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters gibt (Zöller-Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 42 Rn 9 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei braucht nicht auf die in den Selbstanzeigen jeweils geschilderten persönlichen Beziehungen zwischen der Antragsgegnerin und dem jeweiligen Richter eingegangen werden; denn die berechtigte Besorgnis der Befangenheit besteht im vorliegenden Fall bereits aufgrund des Kollegialverhältnisses zwischen der Antragsgegnerin und den die Selbstanzeigen erstattenden Richtern. Grundsätzlich reicht das bloße Kollegialverhältnis zwischen einem Richter und einem Verfahrensbeteiligten zwar nicht für die Begründung der Befangenheit aus. Etwas anderes gilt jedoch innerhalb eines kleinen Gerichts wie es das Amtsgericht T ist, da bei einem kleinen Gericht eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit zwischen allen Richtern des Gerichts naheliegt (BGH NJW-RR 2022, 284; BGH NJW 1957, 1400; Zöller-Vollkommer aaO § 42 Rn 12a m.w.N.; Wieczorek/Schütze-Niemann, ZPO, 3. Aufl., § 42 Rn 16).

3. Die Antragsgegnerin ist kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, da sie Beteiligte des Verfahrens ist (§ 113 Abs. 1 FamFG, § 41 Nr. 1 ZPO).

4. Da somit sämtliche Richter des Amtsgerichts T von der Ausübung des Richteramtes im vorliegenden Fall ausgeschlossen sind, sind die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 113 Abs. 1 FamG, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gegeben.


Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Weiden i.d.OPf. bestimmt, da dieses das nächstgelegene Amtsgericht und damit für die Beteiligten gut erreichbar ist (vgl. Brandenburgisches OLG NJW-RR 2020,635). Darüber hinaus liegt es ebenso wie das Amtsgericht T im Bezirk des Landgerichts Weiden i.d.OPf. sowie im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg.

Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 113 Abs. 1 FamFG, § 46 Abs. 2, § 37 Abs. 2 ZPO).


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