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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Auswechselung, Fristbeginn, Bekanntmachung, Belehrung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 09.03.2022 - 13 Qs 16/22

Eigener Leitsatz: 1. Maßgeblich für den Fristbeginn nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO ist jedoch nicht die tatsächliche Kenntnis, sondern die Bekanntmachung des Bestellungsbeschlusses an den Beschuldigten.
2. Die Drei-Wochen-Frist des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO beginnt nicht zu laufen, wenn der Beschuldigte nicht auf die Möglichkeit der Auswechslung des Pflichtverteidigers und die dabei einzuhaltende Frist hingewiesen wurde.


Landgericht Nürnberg-Fürth
13 Qs 16/22


In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen bes. schweren Falls des Diebstahls u.a.

erlässt das Landgericht Nürnberg-Fürth - 13. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 9. März 2022 folgenden

Beschluss

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 23.02.2022 wird die Bestellung von Rechtsanwalt K. als Pflichtverteidiger aufgehoben und dem Angeklagten statt dessen Rechtsanwalt L. als Pflichtverteidiger beigeordnet.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth führt gegen den strafrechtlich bereits mehrfach verurteilten (15 Einträge im Bundeszentralregister, zuletzt verurteilt zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 10.11.2020, rechtskräftig seit 24.11.2021) Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls in mindestens drei Fällen (polizeiliches Aktenzeichen PI Nürnberg-West BY 5445-030385-21/9).

Gegen den in dieser Sache am 26.12.2021 vorläufig festgenommenen Angeklagten erging am 27.12.2021 Haftbefehl durch das Amtsgericht Nürnberg - Ermittlungsrichter (Gz. 58 Gs 12355/21), auf den Bezug genommen wird.

Vor Anhörung zur vorläufigen Festnahme und Erlass des Haftbefehls am 27.12.2021 von 11:07 Uhr bis 11:23 Uhr wurde dem Beschuldigten an diesem Tag durch Verfügung des Amtsgerichts Nürnberg - Ermittlungsrichter Rechtsanwalt K. als Pflichtverteidiger bestellt. Der Beschuldigte erhielt zuvor durch PHK pp. Gelegenheit, einen Pflichtverteidiger zu bezeichnen, und bezeichnete zunächst Rechtsanwältin Ka. Diese teilte dem Ermittlungsgericht um 09:19 Uhr auf telefonische Anfrage mit, auf dem Weg nach Regensburg zu einer Verhandlung zu sein und zu der Anhörung nicht erscheinen zu können.

Nach mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 28.12.2021 dem Verteidiger Rechtsanwalt K. am 30.12.2021 gewährter Akteneinsicht erhob diese am 06.01.2022 Anklage gegen den Beschuldigten zum Amtsgericht Nürnberg.

Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 10.01.2022, vermutlich am 02.01.2022, adressierte der Beschuldigte einen undatierten Brief an das Amtsgericht Fürth mit folgendem In-halt:

„Hiermit Möchte ich den Anwalt L. als Pflichtverteidiger zu zu ordnen (sic!) nur dieser wird als Verteidiger von meiner Seite aus akzeptiert"

Dieses Schreiben wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 10.01.2022 an das Amtsgericht Nürnberg weitergeleitet. Aus derselben Verfügung der Staatsanwaltschaft ist ersichtlich, dass zeitgleich mit vorstehend zitierten Schreiben ein Schreiben des Angeklagten an Rechtsanwalt L. weitergeleitet wurde.

Mit Schreiben vom 13.01.2022 bat Rechtsanwältin Ka. im hiesigen Verfahren beim Amtsgericht Nürnberg - Ermittlungsgericht um Beiordnung als Pflichtverteidigerin, da sie den Angeklagten „schon seit längerem vertrete".

Mit Schriftsatz vom 14.01.2022 an das Amtsgericht Nürnberg - Ermittlungsrichter, dort eingegangen am 15.01.2022, zeigte Rechtsanwalt L. die Verteidigung des Angeklagten in dem Verfahren 473 Gs 945/21 der PI Fürth (BY5401-025604-21/7) an und bat um Beiordnung als Pflichtverteidiger. Dabei nahm der Verteidiger Bezug auf ein Schreiben des Angeklagten vom 02.01.2022, das am 14.01.2022 bei ihm eingegangen sei, und ein Gespräch mit dem im hiesigen Verfahren zuständigen Staatsanwalt.

Das genannte Schreiben des Angeklagten vom 02.01.2022 an Rechtsanwalt L. hat folgenden Inhalt:

„Sehr geehrter Her L.
Hiermit bitte ich Sie für mich als Pflichtverteidiger einzutreten für das Aktenzeichen 473 Gs 945/21 Polizeiinspektion Fürth BY5401-025604-21/7 ihre Adresse/Kanzlei habe ich vom Mitinhaftierten bekommen ich habe eine Frist ab 03.01.2022 von einer Woche bekommen mir einen Verteidiger zuzulegen."

Das Schreiben wurde durch das Amtsgericht Nürnberg - Ermittlungsrichter an das Amtsgericht Nürnberg - Strafrichter zum hiesigen Aktenzeichen weitergeleitet.

Mit Schriftsatz vom 19.01.2022 zeigte Rechtsanwalt L. im hiesigen Verfahren gegenüber dem Amtsgericht Nürnberg die Verteidigung des Angeklagten an und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger sowie die Entpflichtung des bereits beigeordneten Kollegen. Dabei nahm er Bezug auf das Schreiben des Angeklagten vom 02.01.2022.

Mit Schriftsatz vom 01.02.2022 wiederholte Rechtsanwalt L. diesen Antrag nach erfolgter Akteneinsicht und nahm zum einen Bezug auf das o.g. undatierte Schreiben des Angeklagten an das Amtsgericht Fürth sowie darauf, dass der Angeklagte ihm gegenüber am 19.01.2022 und 24.01.2022 schriftlich ausdrücklich bekräftigt habe, von ihm verteidigt werden zu wollen. Außerdem habe der bisher beigeordnete Kollege bislang weder schriftlich noch mündlich Kontakt zum Angeklagten aufgenommen.

Das Amtsgericht Nürnberg ließ am 08.02.2022 die (verbundenen) Anklagen der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Az. 803 Js 31244/21 und Az. 803 Js 27820/21 zur Hauptverhandlung zu, eröffnete das Hauptverfahren und ordnete Haftfortdauer an. Es bestimmte zunächst Termin zur Hauptverhandlung auf den 28.02.2022.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erklärte mit Verfügung vom11.02.2022 ihr Einverständnis mit dem beantragten Pflichtverteidigerwechsel.

Rechtsanwalt K. nahm unter dem 18.02.2022 Stellung zum beantragten Pflichtverteidigerwechsel.

Mit Verfügung vom 22.02.2022 verlegte das Amtsgericht Nürnberg den Termin vom 28.02.2022 aus dienstlichen Gründen auf den 21.03.2022. Rechtsanwalt K. teilte zuvor telefonisch mit, an diesem Tag verfügbar zu sein, die Kanzlei des Rechtsanwalts L. teilte mit, erst am 11.04.2022 verfügbar zu sein.

Mit verfahrensgegenständlichem Beschluss vom 23.02.2022 wies das Amtsgericht Nürnberg den Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel als unbegründet zurück.

In der Begründung führte das Amtsgericht Nürnberg aus, dass das Schreiben des Rechtsanwalts L. vom 14.01.2022 auf ein Verfahren 473 Gs 945/21 bezogen sei. Maßgeblich stützt das Amtsgericht Nürnberg seine Entscheidung aber darauf, dass keine Gründe vorlägen, den Pflichtverteidiger auszuwechseln, da weder vorgetragen sei, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt K. und dem Angeklagten gestört sei, noch ein Wechsel mit dem Beschleunigungsgrundsatz vereinbar wäre.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der durch Rechtsanwalt L. mit Schriftsatz vom 25.02.2022, eingegangen am Amtsgericht Nürnberg am selben Tag, erhobenen sofortigen Beschwerde. Namentlich wird diese darauf gestützt, dass bei der dreiwöchigen Verzögerung des Hauptverhandlungstermins im konkreten Fall wegen der derzeitigen Strafhaftverbüßung des Angeklagten nicht von einem der Bestellung entgegenstehenden wichtigem Grund ausgegangen werden könne.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth legte die sofortige Beschwerde mit Verfügung vom 02.03.2022 der Kammer zur Entscheidung vor mit dem Antrag, diese als unbegründet aus den zutreffenden Gründen der amtsgerichtlichen Entscheidung zu verwerfen.

Im Übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig, und in der Sache begründet. Die Kammer erlässt daher die in der Sache erforderliche Entscheidung (§ 309 Abs. 2 StPO).

a) Die im Übrigen zulässige (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde des Angeklagten ist insbesondere auch statthaft.

Gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers sind nach der seit dem 13. Dezember 2019 geltenden Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung gemäß § 142 Abs. 7 S. 1 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, die nach § 142 Abs. 7 S. 2 StPO jedoch ausgeschlossen (unstatthaft) ist, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO auf Pflichtverteidigerwechsel stellen kann. Gemäß § 143a Abs. 4 StPO sind Beschlüsse über die Auswechslung des Verteidigers nach § 143a Abs. 1 bis 3 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

Hier wendet sich der Beschwerdeführer gegen einen Beschluss, der die Auswechslung seines Pflichtverteidigers gem. § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO ablehnt, sodass es auf § 142 Abs. 7 StPO nicht ankommt, da der verfahrensgegenständliche Beschluss gem. § 143a Abs. 4 StPO anfechtbar ist (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 42. Ed. 1.1.2022, StPO, § 143a Rn. 41).

b) Die Beschwerde ist auch begründet, da der Angeklagte gem. § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO rechtzeitig einen Pflichtverteidigerwechsel im hiesigen Verfahren beantragte, nachdem ihm zu-nächst ein von ihm nicht bezeichneter Rechtsanwalt beigeordnet wurde, und auch die übrigen Voraussetzungen vorliegen.

aa) Die Auswechslung des Pflichtverteidigers ist nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO vorzunehmen, wenn der Beschuldigte, dem ein anderer als der von ihm bezeichnete Verteidiger beigeordnet wurde oder dem zur Auswahl nur eine kurze Frist gesetzt wurde, innerhalb von drei Wochen nach Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung über die Bestellung beantragt, ihm einen anderen von ihm bezeichneten Verteidiger zu bestellen, und dem kein wichtiger Grund entgegensteht.

Umfasst sind demnach Fälle, in denen der Benennung eines Verteidigers durch den Beschuldigten entweder nicht Folge geleistet wurde oder der Beschuldigte unter Zeitdruck keine ausreichende Gelegenheit zur Bezeichnung des gewünschten Verteidigers hatte. In diesen Konstellationen soll er die Gelegenheit haben, innerhalb einer dreiwöchigen Frist ab Bekanntgabe der Entscheidung über die Bestellung eine Auswechslung des Pflichtverteidigers zu beantragen.

Diesem Antrag ist zu folgen, wenn keine wichtigen Gründe entgegenstehen. Zu den Gegengründen zählen etwa die mangelnde Verfügbarkeit des gewünschten Verteidigers oder das Vorliegen eines Interessenkonflikts (vgl. zum Ganzen HK-GS/Edgar Weiler, 5. Aufl. 2022, StPO § 143a Rn. 3).

bb) Ein im Ergebnis fristgerechter Antrag des Angeklagten, mit dem er mit Rechtsanwalt L. auch einen anderen Verteidiger bezeichnet, liegt jedenfalls mit dem Schreiben des Rechtsanwalts L. vom 19.01.2022 vor.

(1) Allerdings ist weder in dem undatierten Schreiben des Angeklagten an das Amtsgericht Fürth, welches von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit Verfügung vom 10.01.2022 an das Amtsgericht Nürnberg weitergeleitet wurde, ein Antrag des Angeklagten auf einen Pflichtverteidigerwechsel im hiesigen Verfahren zu sehen noch in dem Antrag des Angeklagten durch Rechtsanwalt L. vom 14.01.2022.

Das undatierte Schreiben des Angeklagten ist ausweislich der Verfügung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth an das Amtsgericht Fürth gerichtet gewesen und nicht an das Amtsgericht Nürnberg. Darüber hinaus war das Schreiben ausweislich der Verfügung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 10.01.2022 durch den Angeklagten zeitgleich gemeinsam mit einem Schreiben an Rechtsanwalt L. versendet worden. Rechtsanwalt L. nimmt in seinem Schriftsatz vom 14.01.2022 auf das Schreiben des Angeklagten vom 02.01.2022 Bezug. Dieses soll im Zusammenhang mit einem Anruf des in der hiesigen Sache befassten Staatsanwalts vom 10.01.2022 stehen, in dem dieser von einem an Rechtsanwalt L. gerichteten Schreiben berichtet.

Aus dieser zeitlichen Verbindung und dem Inhalt des Schreibens vom 02.01.2022 ist für die Kammer auch bei der gebotenen Auslegung des undatierten und inhaltlich auf kein konkretes Verfahren bezogenen Schreibens nicht hinreichend sicher belegt, dass sich dieses gegen die Pflichtverteidigerbestellung im hiesigen Verfahren richtet, insbesondere da es ausdrücklich an das Amtsgericht Fürth gerichtet war und nur durch die Staatsanwaltschaft zur Akte gelangte und an das Amtsgericht Nürnberg geleitet wurde, wobei nicht feststellbar ist, ob es dort ankam.

Dass der Angeklagte ganz grundsätzlich und überhaupt nur Rechtsanwalt L. als Pflichtverteidiger wünsche, kann dem undatierten Schreiben ebenfalls nicht entnommen werden, da er aus weislich des Akteninhalts bereits mehrfach auch durch Rechtsanwältin Ka. vertreten wurde und jedenfalls zunächst im hiesigen Verfahren von ihr vertreten werden wollte.

Gleiches gilt für den Antrag des Rechtsanwalts L. vom 14.01.2022. Dort nehmen der Angeklagte und Rechtsanwalt L. explizit Bezug auf das Verfahren 473 Gs 945/21 und das Aktenzeichen der PI Fürth (BY5401-025604-21/7). Ein Bezug zum hiesigen Verfahren ist nicht erkennbar.

(2) Jedoch handelt es sich bei den Anträgen des Angeklagten vom 19.01.2022 und 01.02.2022 durch Rechtsanwalt L. um Anträge auf Auswechslung des Pflichtverteidigers im hiesigen Verfahren.

Diese sind im Ergebnis fristgerecht i.S.d § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO gestellt.

(a) Die Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO beginnt mit der Bekanntgabe der Bestellung des Pflichtverteidigers.

Zwar wurde Rechtsanwalt K.. am 27.12.2021 durch Verfügung des Amtsgerichts Nürnberg im schriftlichen Verfahren bestellt, sodass der Angeklagte spätestens im Termin zur Anhörung nach vorläufiger Festnahme davon Kenntnis erlangte.

Maßgeblich für den Fristbeginn nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO ist jedoch nicht die tatsächliche Kenntnis, sondern die „Bekanntmachung". Mit diesem Begriff wird ausweislich des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019" auf § 35 StPO Bezug genommen, der die Bekanntgabe regelt (BT-Drs. 19/13829, S. 47, wobei hier noch von einer zweiwöchigen Frist ausgegangen wird).

Ausweislich § 35 Abs. 1 StPO werden Entscheidungen, die in Anwesenheit der davon betroffenen Person ergehen, durch Verkündung bekannt gemacht und auf Verlangen eine Abschrift erteilt, und andere Entscheidungen gem. § 35 Abs. 2 StPO durch Zustellung bekannt gemacht, wobei nur dann eine formlose Mitteilung genügt, wenn die Bekanntmachung der Entscheidung keine Frist in Lauf setzt.

(b) Die Verfügung des Ermittlungsrichters vorn 27.12.2021, mit der Rechtsanwalt K. zum Pflichtverteidiger bestellt wurde, wurde dem Angeklagten und Rechtsanwalt K. formlos mitgeteilt. Eine Verkündung der Entscheidung im Anhörungstermin am 27.12.2021 erfolgte nicht. Ausweislich des Protokolls wurde lediglich festgestellt, dass der Angeklagte einen Verteidiger hat.

Da die Bekanntgabe der Pflichtverteidigerbestellung jedoch die Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO in Gang setzt, wäre eine Zustellung der Entscheidung gem. § 35 Abs. 2 S. 1 StPO erforderlich gewesen (so auch OLG Koblenz, Beschluss vom 28.10.2020 - 4 Ws 639/20; im Übrigen heißt es auch im Gesetzesentwurf der Bundesregierung bereits wörtlich: „Mit dem Begriff der Bekanntmachung wird auf § 35 StPO Bezug genommen, so dass sowohl Verkündungen als auch — wegen des lnlaufsetzens der Frist zur Stellung des Antrags künftig erforderliche — Zustellungen hiervon erfasst sind.").

Für dieses Zustellungserfordernis streitet nach Auffassung der Kammer auch noch ein weiterer Gesichtspunkt.

Unstreitig sind gem. § 35 Abs. 2 StPO insbesondere solche Beschlüsse zuzustellen, die mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden können (vgl. MüKoStPOValerius, 1. Aufl. 2014, StPO, § 35 Rn. 25). § 142 Abs. 7 S. 1 StPO regelt die Anfechtbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers mit der sofortigen Beschwerde. § 142 Abs. 7 S. 2 StPO schließt dabei die sofortige Beschwerde aus, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO stellen kann.

Die Möglichkeit zur Stellung eines solchen Antrages lässt also die grundsätzlich bestehende Möglichkeit der sofortigen Beschwerde entfallen. Die gerichtliche Entscheidung ist mit dem Ziel der Auswechslung des Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO nicht mehr mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, das Ziel der Auswechslung des Pflichtverteidigers kann in diesem Fall (nur) durch den Antrag gem. § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO, der ebenfalls fristgebunden ist, erreicht werden. Aus diesem Ausschlussverhältnis zwischen sofortiger Beschwerde und Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO ist nach Auffassung der Kammer ebenfalls zu folgem, dass die Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung gleichermaßen wie bei der Anfechtbarkeit mit der sofortigen Beschwerde gem. § 35 Abs. 2 StPO zuzustellen ist, wenn als einzige Korrekturmöglichkeit der Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO statthaft ist.

Bereits aus diesem Grund begann in Ermangelung einer fristauslösenden Zustellung die Drei-Wochen-Frist bislang nicht zu laufen.

(c) Überdies begann die Drei-Wochen-Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO deshalb nicht zu laufen, weil der Angeklagte nicht auf die Möglichkeit der Auswechslung des Pflichtverteidigers und die dabei einzuhaltende Frist hingewiesen wurde.

Die Pflicht, auf dieses Recht hinzuweisen, ergibt sich für die Kammer aus einer entsprechenden Anwendung des § 35a Abs. 1 StPO, die auf gesetzessystematischen Erwägungen beruht.

Aus dem oben dargestellten Verhältnis der sofortigen Beschwerde nach § 142 Abs. 7 S. 1 StPO und dem Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO folgt, dass einem Beschuldigten statt der Möglichkeit eines Rechtsmittels mit Devolutiveffekt die Möglichkeit gegeben wird, instanzwahrend einen Antrag auf Auswechslung des Pflichtverteidigers zu stellen. Wenn aber über die Möglichkeit eines befristeten Rechtsmittels gem. § 35a S. 1 StPO belehrt werden muss, dann muss dies auch für den dieses Rechtsmittel ausschließenden, instanzwahrenden befristeten Antrag gem. § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO gelten. Denn nur dann, wenn er den entsprechenden Antrag und seine Frist kennt, kann es gerechtfertigt sein, dem Beschuldigten die grundsätzlich bestehende Möglichkeit eines Rechtsmittels zu verwehren (im Ergebnis auch OLG Koblenz, Beschluss vom 28.10.2020 - 4 Ws 639/20, Rn. 15-18).

Demgegenüber kann die Begründung des Ermittlungsrichters am BGH im Beschluss vom 14.09.2020 - Az. 2 BGs 619/20, nicht überzeugen, soweit dieser im Rahmen der Ablehnung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in die Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO ausführt, es entstünde bei Ablauf der Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO insoweit kein Rechtsnachteil für den Beschuldigten, als er weiterhin über § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO die Auswechslung verlangen könne.

Dies erscheint bereits deshalb unzutreffend, weil § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO die substantiierte Darlegung von Tatsachen für das zerrüttete Vertrauensverhältnis/die Unmöglichkeit einer angemessenen Verteidigung zwischen Beschuldigtem und Verteidiger und ggf. deren Glaubhaftmachung erfordert (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 42. Ed. 1.1.2022, StPO § 143a Rn. 22) und damit deutlich andere und strengere Voraussetzungen hat als der lediglich an den zeitlichen Ablauf bzw. die Benennung eines anderen als den bestellten Pflichtverteidiger anknüpfende § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO.

Zudem entfällt mit der Möglichkeit, einen Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO zu stellen, auch die Beschwerdemöglichkeit nach § 142 Abs. 7 S. 2 StPO, sodass bei Versäumung der Antragsfrist bereits hierin ein Rechtsnachteil für den Beschuldigten liegt.

cc) Auch die weiteren Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO liegen vor.

(1) Der Angeklagte hatte mit Rechtsanwältin Ka. am 27.12.2021 eine andere Verteidigerin benannt, als den letztlich als Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalt K. (Fall des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 StPO), sodass es auf die Frage, ob eine zur Auswahl „zu kurz" gesetzte Frist (Fall des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2 StPO) vorlag, letztlich nicht ankommt.

(2) Der Bestellung des Rechtsanwalts L. steht - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts - kein wichtiger Grund entgegen.

Für das Entgegenstehen solcher wichtigen Gründe wird in der Literatur auf die Kasuistik zu § 142 Abs. 5 S. 3 StPO verwiesen (vgl. nur Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, 64. Auflage 2021, § 143a Rn. 11).

Dabei ist zutreffend dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen als Prozessmaxime hohe Bedeutung beizumessen. Allerdings ist bei der Frage, inwieweit dieses bei Auswechslung des Pflicht-verteidigers beeinträchtigt ist, der jeweilige, konkrete Einzelfall zu berücksichtigten. Dabei ist im hiesigen Fall zu berücksichtigen, dass die Hauptverhandlung mit Rechtsanwalt K.am 23.03.2022, mit Rechtsanwalt L. frühestens am 11.04.2022, mithin 19 Tage später beginnen könnte. Dieser grundsätzlich nicht vernachlässigbare Zeitverzug von knapp drei Wochen ist aber nicht isoliert zu betrachten. Mit einzubeziehen ist, dass der Angeklagte sich in dieser Sache zwar seit 27.12.2021 in Untersuchungshaft befindet, diese aber jedenfalls seit dem 24.01.2022 nicht vollstreckt, sondern als Überhaft vorgemerkt ist, da der Beschuldigte bis 24.07.2022 eine sechs-monatige Strafhaft verbüßt (Ziff. 15 BZR). Insoweit erscheint die Verzögerung von drei Wochen bei Berücksichtigung des bisherigen Verfahrensgangs (Festnahme 26.12.2021, Anklage 06.01.2022, Eröffnung 08.02.2022) nicht derart gewichtig, dass sie als wichtiger Grund dem Pflichtverteidigerwechsel entgegenstünde, zumal der Beschwerdeführer den Pflichtverteidiger-wechsel selbst wünscht und keine Beschränkungen gem. § 119 StPO angeordnet sind.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO analog.


Einsender: RA T. Lößel, Alsdorf

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