Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Steuerstrafverfahren, Vermögensarrest, Sicherungsbedürfnis, allgemeine Verhältnismäßigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hamburg, Beschl. v. 08.03.2022 – 618 Qs 3/22

Eigener Leitsatz: Zum Sicherungsbedürfnis im Sinne des § 111e Abs. 1 StPO für einen Vermögensarrest im Steuerstrafverfahren.


In pp.

1. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 23. Februar 2022 (Geschäftszeichen: 164 Gs 417/22) wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 23.02.2021 (Geschäftszeichen: 164 Gs 417/22) aufgehoben.
2. Es ergehen die anliegenden Vermögensarreste.
3. Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist der Entscheidung über die Verfahrenskosten im Hauptverfahren vorbehalten.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg führt gegen den Beschuldigten pp. ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.

Sie legt dem Beschuldigten zur Last, in der Zeit vom 18.06.2019 bis zum 30.06.2021 als Inhaber eines Einzelunternehmens in den dem Finanzamt Hamburg-Nord für die Veranlagungszeiträume 2018, 2019, 2020 jeweils übermittelten Umsatzsteuerjahreserklärungen und sodann als Geschäftsführer der das Einzelunternehmen übernehmenden GmbH in der dem vorgenannten Finanzamt übermittelten Umsatzsteuerjahreserklärung für den Veranlagungszeitraum 2020 jeweils Vorsteuern aus Rechnungen erklärt zu haben, obwohl ihm bewusst gewesen sein soll, dass diesen Rechnungen von insgesamt fünf Fremdfirmen keine tatsächlichen Leistungen gegenüberstehen. Dadurch habe das Finanzamt, worauf es dem Beschuldigten auch angekommen sei, durch ihre Zustimmung zu den jeweiligen Umsatzsteuerjahreserklärungen die Umsatzsteuer um insgesamt bezüglich des Einzelunternehmens € 126.505,37, davon in Fall 2 (2019) in Höhe von 88.834,92€ und bezüglich der GmbH in Höhe von 72.576,46 € zu niedrig festgesetzt.

Das Amtsgericht Hamburg - Ermittlungsrichter - hat mit Beschluss vom 23.02.2021 (Geschäftszeichen: 164 Gs 417/22) den Antrag der Staatsanwaltschaft zur Sicherung der Einziehung des Wertes von Taterträgen für die Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Staatsanwaltschaft Hamburg als Gläubigerin, den Vermögensarrest in Höhe von € 126.505,37 in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten sowie in Höhe von € 72.576,46 in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der pp. anzuordnen, abgewiesen. Im gleichen Beschluss hat das Amtsgericht Hamburg die Anträge der Staatsanwaltschaft Hamburg auf Durchsuchung der Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume, der Person des Beschuldigten, der ihm zugänglichen Kraftfahrzeuge, der ihm gehörenden Sachen, der ihm zugänglichen Kundenmietfächer sowie der Geschäfts-, Betriebs- und Nebenräume der pp. GmbH zur Auffindung von Vermögen abgewiesen. Es führte im Wesentlichen aus, dass für einen Arrest in der beantragten Höhe keine rechtfertigende Verdachtslage bestünde. Da es angesichts der Höhe naheläge, dass zumindest nahezu das gesamte Vermögen des Beschuldigten und der pp. GmbH betroffen seien, drohe eine Aufhebung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit und irreversible Folgen, wohin gehend die Verdachtslage nicht eine der erheblichen Intensität korrespondierende Stärke besäße. So stütze sich die Staatsanwaltschaft hauptsächlich auf Auswertungsvermerke und Bewertungen Dritter, ohne dass diese vollständig eigenständig überprüft werden können. So zeigten sie zwar Auffälligkeiten, diese rechtfertigten die weitreichende Anordnung mit schwerwiegenden langfristigen Folgen jedoch nicht. Hierfür seien konkretere Feststellungen bezüglich des Beschuldigten und der hier in Rede stehenden Fremdunternehmen notwendig, die im Rahmen der „allgemeinen“ Durchsuchung zu erwarten sind.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Hamburg Beschwerde eingelegt, die beim Amtsgericht am 02.03.2022 eingegangen ist. Darin begehrt sie die Anordnung des beantragten Arrests sowie den Erlass der zu dessen Vollziehung beantragten Durchsuchungen.

Zur Begründung nimmt sie auf ihre Anträge Bezug und trägt ergänzend vor, ein Arrest sei entgegen der Ansicht des Amtsgerichts verhältnismäßig. Es bedürfe hierfür nach § 111 e StPO keinen erhöhten Anforderungen an die Verdachtslage, es reiche vielmehr wie bei der Durchsuchung ein einfacher Tatverdacht aus. Vorliegend sei sogar das Ermessen des Gerichts durch den dringenden Tatverdacht intendiert. Es lägen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei den fünf Fremdunternehmen auch im Fall des Beschuldigten um Servicegesellschaften handele, wie insbesondere die Arrestanregungen vom 07.02.2022 detailliert mit Bezug auf den hiesigen Beschuldigten darlegten. Es verböte sich, pauschal auf den hohen Arrestbetrag abzustellen um die Angemessenheit zu verneinen. Zum einen gäbe es keine Anhaltspunkte, dass die beantragte Summe das ganze Vermögen des Beschuldigten darstelle, vielmehr bewege sich die Summe im üblichen Rahmen des Wirtschaftslebens. Zum anderen sei eine hohe Schadenshöhe und damit ein hoher Arrestbetrag vielmehr ein anerkanntes Kriterium für den Erlass eines Arrestes. Möglichen unbilligen Härten könne im Vollstreckungsverfahren begegnet werden. Bei der Abwägung sei zu beachten, dass lediglich die Umsatzsteuer, also eine treuhänderisch gehaltene Steuer, aus bereits bekannten Rechnungen berücksichtigt worden sei, der weit überwiegende Teil der Umsätze sowie andere wahrscheinlich hinterzogene Steuern verblieben beim Beschuldigten.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 02.03.2022 der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die gemäß §§ 304 Abs. 1, 305 Satz 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde führt zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses und zum Erlass der anliegenden Vermögensarreste.

Das Amtsgericht Hamburg hat zu Unrecht gemäß §§ 111e Abs. 1, 111j Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 73, 73c StGB den Vermögensarrest in Höhe von € 126.505,37 in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten und in Höhe von € 72.576,46 in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der pp. GmbH (1.) und die zur Vollziehung beantragten Durchsuchungen (2.) nicht angeordnet.

1. Nach § 111e Abs. 1 StPO kann zur Sicherung der Vollstreckung der Vermögensarrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Betroffenen angeordnet werden, wenn die Annahme begründet ist, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz vorliegen. Die Anordnung eines Vermögensarrestes steht somit grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Strafverfolgungsbehörden.

Hierfür reicht es aus, dass bestimmte Tatsachen die Annahme im Sinne einer gewissen Wahrscheinlichkeit begründen, dass die Voraussetzungen für eine spätere gerichtliche Anordnung der Einziehung von Wertersatz vorhanden sind. Es genügt bereits der einfache Verdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO einer rechtswidrigen (§§ 73, 73c, 74b, 74c StGB) oder vorsätzlichen (§§ 74, 74c StGB) Tat (vgl. Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. § 111e Rn. 4).

a) Es besteht, wovon auch das Amtsgericht ausgeht, gegen den Beschuldigten der Anfangsverdacht der Hinterziehung von Umsatzsteuer in vier Fällen gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO, 53 StGB, wodurch Gründe für die Annahme gegeben sind, dass der hierdurch ersparte Geldbetrag in einer späteren gerichtlichen Anordnung in Form von Wertersatz eingezogen werden wird.

Darüber hinaus lagen zum Zeitpunkt des Antrages der Staatsanwaltschaft dringende Gründe zur Annahme folgenden Sachverhaltes vor:

aa) Nach den bisherigen Ermittlungen führte der Beschuldigte ab Juni 2015 bis Ende April 2020 das Gewerbe „Lagerdienstleistungen, Container be- und entladen“ als Einzelunternehmen. Jedenfalls ab 2018 bis Ende 2020 nutze der Beschuldigte Rechnungen von zumindest fünf Unternehmen, um seine Umsatzsteuerlast zu senken, indem er aus Rechnungen dieser Finnen Vorsteuern geltend machte. Tatsächlich standen mit hoher Wahrscheinlichkeit den in den Tabellen Fremdleistungen 2018, 2019, 2020 (Bl. 9-11 d.A.) aufgeführten und bei der Umsatzsteuerjahreserklärung im Wege der Vorsteuer in Abzug gebrachten Rechnungen der Firmen pp. keine tatsächlichen Leistungen gegenüber. Vielmehr handelt es sich bei diesen Unternehmen hochwahrscheinlich um wirtschaftlich inaktive sogenannte Servicegesellschaften.

Im Einzelnen:

(1) pp. UG

Es sprechen mehrere Indizien dafür, dass die von der pp. UG in Rechnung gestellten Leistungen (Containerentladung, Staplerfahrer) tatsächlich nicht erbracht wurden. Die vom Beschuldigten eingereichten Rechnungen (SB 2 Bl. 51-60) beinhalten sehr pauschal gehaltene Leistungsbeschreibungen (Tagessatz Lager, Tagessatz Staplerfahrer, Containerentladung) und geben keinen Leistungsort an, so dass eine Überprüfung der Rechnungen faktisch nicht möglich erscheint, was gegen ein tatsächliches Subunternehmerverhältnis spricht.

Mit diesen Leistungsbeschreibungen ist ferner nicht in Einklang zu bringen, dass die pp. UG, wie aus dem Vermerk des Hauptzollamts Heilbronn vom 22.01.2020 (SB 1 Bl. 9) hervorgeht, keine Arbeitnehmer gemeldet hat. Der zwischen der pp. UG und dem Beschuldigten geschlossenen Darlehensvertrag über 120.000 € ist von der pp. UG nicht vom Geschäftsführer, sondern wahrscheinlich von einem pp. unterschrieben, obwohl es sich um eine beträchtliche Summe handelt. Herr pp. ist unter derselben Anschrift gemeldet wie pp. (siehe zu diesem (3)). Dies spricht dafür, dass der eingetragene Geschäftsführer nicht die tatsächlichen Geschäfte leitet. Es fanden sich bei der Durchsuchung des Smartphones von pp., einer Person, die keine offizielle Funktion bei der pp. UG innehatte, Mailverkehr insbesondere mit einem anderen Unternehmen, welches sich beschwerte, dass eine Scheinrechnung der pp. UG ausgestellt wurde, obwohl diese in dem Leistungszeitraum noch nicht und das betreffende Gewerbe gar nicht eingetragen war. Dies verspricht die pp. UG zu ändern sowie die konkrete Rechnung „über die pp. GmbH ab(zu)wickeln“; entsprechend korrespondierender Mailverkehr findet sich im Postfach der pp. GmbH. Des Weiteren trat die pp. UG (zu dieser siehe (4)) angeblich ihre Forderung gegenüber der pp. an die pp. UG ab (SB 1 Trennblatt pp. UG), ein halbes Jahr später (17.02.2019) übernimmt die pp. GmbH (siehe zu dieser (2)) den Geschäftsbetrieb der pp. UG (SB 1 Trennblatt pp. GmbH). Hieraus lässt sich hochwahrscheinlich schließen, dass die pp. GmbH, wie auch die pp. GmbH, die pp. GmbH und die pp. UG in ein von pp. gesteuertes Scheingesellschaftsgeflecht eingebettet war und dort für mehrere Unternehmen als Scheinrechnungsstellerin fungierte, ohne einen eigenen wirtschaftlichen Betrieb zu unterhalten.

Bei der Umsatzsteuerjahreserklärung 2019 machte der Beschuldigte Rechnungen der pp. UG in Höhe von insgesamt € 119.240,50 und somit Vorsteuern in Höhe von € 22.655,71 geltend.

Bei der Umsatzsteuerjahreserklärung 2020 machte der Beschuldigte eine Rechnung der pp. UG in Höhe von € 12.399,75 und somit Vorsteuern in Höhe von € 2.355,95 geltend.

(2) pp. GmbH

Neben der Verflechtung mit pp. und den von ihm hochwahrscheinlich gesteuerten Scheinfirmen sprechen weitere Indizien gegen eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit der pp. GmbH. So hat sie weder Arbeitnehmer angemeldet, noch Eingangsleistungen in ihrer Umsatzsteuererklärung erklärt, obwohl sie gegenüber dem Beschuldigten, mit den bereits unter (1) thematisierten allgemein gehaltenen Leistungsbeschreibungen Containerentladung, 3 Tage Staplerfahrer und Warenbearbeitung abrechnet (SB 2 Bl. 61). Hinzu kommen mehrfache Umfirmierungen in kurzer Zeit sowie eine Veräußerung an einen Unbekannten, was für eine „Beerdigung“ der Scheinfirma spricht (siehe hierzu Schreiben des Finanzamts Itzehoe vom 29.10.2020 zum Vorgang pp.).

Die pp. GmbH hat zum Jahresende 2020 angeblich ihre Forderungen gegen die pp. GmbH an eine „pp. UG“ abgetreten, was der pp. GmbH mit fast identischem Wortlaut mitgeteilt wird, wie die Abtretung der pp. UG an die pp. UG. Die „pp. UG“ gibt wiederum auf ihrem Briefbogen (Bp-Arbeitsakten Band II zur Steuernummer pp.) keine Steuernummer und keine Handelsregisternummer an und ist auch nicht zu ermitteln.

Bei der Umsatzsteuerjahreserklärung 2020 machte der Beschuldigte eine Rechnung der pp. GmbH in Höhe von € 21.910,75 und somit Vorsteuern in Höhe von € 4.163,04 geltend.

(3) pp. e.K.

Neben den pauschal gehaltenen Leistungsbeschreibungen (Container 40er, 20er, Lagerarbeiten) ohne Angabe eines Leistungsortes sprechen weitere Indizien dagegen, dass Herr pp. tatsächlich Leistungen erbrachte. So stellte er im Zweiwochenrhythmus fast ausschließlich über 400 Stundenzahlen in Rechnung, ohne jedoch Arbeitnehmer angemeldet zu haben. So stellte er zum Beispiel am 01.06.2018 470,25 Stunden, am 15.06.2018 insgesamt 327,75 Stunden und am 02.07.2018 429,5 Stunden in Rechnung (SB 2 Bl. 10-12), obwohl 14 Tage nur aus 336 Stunden bestehen. Eine Firma pp. e.K. war zu keinem Zeitpunkt im Handelsregister eingetragen, auch reichte Herr pp. letztmalig 2016 Umsatzsteuervoranmeldungen ein (pp.).

Bei der Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 machte der Beschuldigte Rechnungen des pp. e.K. in Höhe von insgesamt € 145.811,51 und somit Vorsteuern in Höhe von € 27.704,15 geltend.

(4) pp. UG

Bezüglich der pp. UG fanden sich bei der Durchsuchung des Smartphones von pp., einer Person, die keine offizielle Funktion bei der pp. UG innehatte, E-Mailkonversationen mit mehreren Personen, die Rechnungen „mit der Summe die ich auch überwiesen hab und vereinbart war“ fordern, bzw. fordern, dass Rechnungen für farblich markierte Aufträge mit bestimmten Rechnungsdatum und „welche halt zur Zeit Funktioniert (sic!) Log. O. Tral.“ gestellt werden sollen, welche pp. mit näheren Anweisungen zur Rechnungsstellung an seine Schwester weiterleitete. Aus einem WhatsApp-Chat geht hervor, dass die pp. UG Arbeitnehmer für 30 € zum Schein anmeldet (Vermerk des Hauptzollamts Heilbronn vom 22.01.2020, SB 1 Bl.8- 9). Neben den unter (1) dargestellten Indizien spricht schließlich auch die Tatsache, dass sich am Geschäftssitz auch der Firmensitz des Buchhaltungsunternehmens des pp. befindet dafür, dass die pp. UG Teil des Scheinfirmengeflechts des pp. ist, dessen sich der Beschuldigte bediente.

Bei der Umsatzsteuerjahreserklärung 2019 machte der Beschuldigte Rechnungen der pp. UG in Höhe von insgesamt € 289.512,39 und somit Vorsteuern in Höhe von € 55.007,36 geltend.

(5) pp. GmbH

Die pp. GmbH hat, wie aus dem Vermerk des Hauptzollamts Heilbronn vom 22.01.2020 (SB 1 Bl. 7) hervorgeht, keine Arbeitnehmer gemeldet, obwohl sie ausweislich der bei der Betriebsprüfung eingereichten Rechnungen die pp. GmbH „Lager- und Logistiktätigkeiten“, „Containerentladung“, „doppelt wickeln“ und „Staplerfahrer“ und somit Arbeitsleistungen abgerechnet hat (SB 2). Es fanden sich bei der Durchsuchung des Rechners von pp., einer Person, die keine offizielle Funktion bei der pp. GmbH innehatte, neben Unterlagen und Schriftverkehr zu diversen anderen Scheinfirmen, bei denen es um die Bestellung von Rechnungen gegen Provision ging, bezüglich der pp. GmbH Exceltabellen zur Berechnung von Provisionen für ausgestellte Scheinrechnungen. Letztlich meldete die pp. GmbH auch keine Umsätze bei der Steuer an. Umsätze die auf das Konto der GmbH bei der Commerzbank eingingen wurden zeitnah in bar abgehoben, sonstige Kontobewegungen, die auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb hindeuten, fehlen (Abschlussvermerk des pp.).

Bei der Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 machte der Beschuldigte Rechnungen der pp. GmbH in Höhe von insgesamt € 18.143,75 und somit Vorsteuern in Höhe von € 3.447,31 geltend.

Bei der Umsatzsteuerjahreserklärung 2019 machte der Beschuldigte Rechnungen der pp. GmbH in Höhe von insgesamt € 58.799,19 und somit Vorsteuern in Höhe von € 11.171,85 geltend.

bb) Im Mai 2020 übertrug der Beschuldigte das Gewerbe auf die von ihm zuvor gegründete und geführte pp. GmbH. Für diese reichte er bei der Umsatzsteuerjahreserklärung 2020 Rechnungen der pp. GmbH und der pp. UG ein, um seine Umsatzsteuerlast zu senken, indem er aus Rechnungen dieser Firmen Vorsteuern geltend machte. Tatsächlich stehen die in der Tabelle Anlage A des Schreibens des Finanzamts Hamburg-Nord vom 23.12.2021 (Bl. 2-3 dA) aufgeführten Rechnungen hochwahrscheinlich keine tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungen gegenüber.

Im Einzelnen:

(1) Hinsichtlich der pp. GmbH wird auf oben (2) verwiesen.

Bei der Umsatzsteuerjahreserklärung 2020 machte der Beschuldigte für die pp.GmbH Rechnungen der pp. GmbH in Höhe von insgesamt € 278.696,45 und somit Vorsteuern in Höhe von € 50.799,70 geltend.

(2) pp. UG (hb)

Es bestehen mehrere Indizien, die dafür sprechen, dass die pp. UG Teil des Scheingesellschaftsgeflechts ist, welche insbesondere im steuerstrafrechtlichen Vermerk vom 23.08.2021 zusammengefasst sind (SB 1 Trennblatt pp. UG (hb)). So beurkundete die Notarin pp. sowohl den Geschäftsanteilsübertragungsvertrag bezüglich der pp. GmbH als auch den Gründungsvertrag der pp. UG einen Monat später. Sowohl der Anteilskäufer der pp. GmbH als auch der Gründer und Geschäftsführer der pp. UG sprachen kein Deutsch, wiesen sich mit bulgarischen Ausweisen aus, wobei jedenfalls derjenige des Geschäftsführers der pp. UG wie auch die Person selbst in Bulgarien nicht existent ist und gaben die gleiche Wohnanschrift in pp. (Brandenburg) an. Geschäftsadresse der pp. UG wiederum ist dieselbe wie die des Buchhaltungsunternehmens des pp. UG sowie der pp. UG. Es wurden Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und kein Signal zur Abführung von Lohnsteuer gesetzt, keine Lohnsteueranmeldungen übermittelt und auch keine Betriebsnummer durch die Bundesagentur für Arbeit vergeben, obwohl die pp. UG zum Beispiel der pp. GmbH in Rechnung stellte, vom 01.09. - 15.09.2020 361 Container für Netto circa 20.000 € entladen zu haben (SB 2 Bl. 78).

Der Geschäftsführer der pp. UG erteilte Herrn pp., ebenfalls zu diesem Zeitpunkt unter derselben Anschrift gemeldet wie Herr pp., Vollmacht Bargeld von dem Beschuldigten in Empfang zu nehmen (SB 2 Bl. 84, 88).

Bei der Umsatzsteuerjahreserklärung 2020 machte der Beschuldigte für die pp. GmbH Rechnungen der pp. UG (hb) in Höhe von insgesamt € 136.104,75 und somit Vorsteuern in Höhe von € 21.776,76 geltend.

Entsprechend besteht ein dringender Tatverdacht, dass der Beschuldigte Vorsteuern in den Jahren 2018-2020 in folgenden Umfang zu hoch erklärte:


Zeitraum Scheinrechnungssumme in € Zu hoch erklärte Vorsteuer in €
2018 163.955,26 31.151,46
2019 467.552,08 88.834,92
2020 (Einzelunternehmen) 34.310,50 6.518,99
2020 (GmbH) 414.801,20 72.576,46

bb) Die zu niedrig abgeführten Steuern hat der Beschuldigte bzw. die pp. GmbH „aus der Tat erlangt“ in Form von ersparten Aufwendungen im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB, so dass Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass in einem späteren Urteil die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c StGB angeordnet werden wird.

b) Es liegt auch ein Sicherungsbedürfnis im Sinne des § 111e Abs. 1 StPO vor.

aa) Nach § 111e Abs. 1 StPO kann der Vermögensarrest in das Vermögen eines Beschuldigten oder eines Dritten dann angeordnet werden, wenn der Vermögensarrest der Sicherung der Vollstreckung dient, mithin erforderlich ist (vgl. BT-Drucks 18/9525 S. 76; Köhler a.a.O., Rn. 6). Zwar entfiel mit der Neuregelung des § 111e Abs. 1 StPO n. F. und der ersatzlosen Streichung des § 111d Abs. 2 StPO a. F. der Verweis auf § 917 ZPO, mithin die Besorgnis einer Erschwerung oder wesentlichen Vereitelung der Forderungsvollstreckung. Das Erfordernis eines Arrestgrundes einschließlich der dazu ergangenen Rechtsprechung sollte nach dem gesetzgeberischen Willen allerdings nicht tangiert werden. Bereits in der Gesetzesbegründung ist klargestellt, dass sich das Erfordernis eines Sicherungsgrundes als Ausprägung des Übermaßverbotes nunmehr unmittelbar aus der StPO ergeben soll, da der Vermögensarrest nur „zur Sicherung der Vollstreckung einer Wertersatzeinziehung“ angeordnet werden dürfe (vgl. BT-Drucks 18/9525 S. 49).

Die Erforderlichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn zu besorgen steht, dass die künftige Vollstreckung ohne Anordnung eines Arrestes vereitelt oder wesentlich erschwert werden wird (BGH wistra 2014, 452).

Wegen des in der Arrestanordnung liegenden schwerwiegenden staatlichen Grundrechtseingriffs zu Lasten eines einer Straftat nur erst Verdächtigen müssen hierfür - über den Tatverdacht als solchen und nie ausschließbare ganz allgemeine Möglichkeiten hinausgehend - in objektiver Hinsicht oder in Hinblick auf das Verhalten der Beschuldigten konkrete Umstände vorliegen, die besorgen lassen, dass ohne eine Arrestanordnung der staatliche Anspruch ernstlich gefährdet wäre (vgl. BVerfG StV 2004, 409).

Dabei sind grundsätzlich alle Umstände zu würdigen, die geeignet sind, Anhaltspunkte für oder gegen eine drohende Vereitelung oder Erschwerung der Vollstreckung zu ergeben. Diese können sich aus der Person des Beschuldigten, seiner Lebensumstände, dem den Ermittlungen vor- und nachgelagerten Verhalten sowie der Art und Weise der Tatbegehung ergeben.

Wenn sich der Täter nicht nur durch die Taten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft hat, sondern darüber hinaus die Taten durch eine betrügerische oder listige Vorgehensweise geprägt waren, kann das Sicherungsbedürfnis durch die Art und Weise der Tat indiziert sein. In solchen Fällen besteht eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass er sich auch künftig unlauter verhalten wird (OLG Hamburg StV2009, 122; vgl. LR-Schäfer § 111 d Rn. 17 m.w.N. (zu § 111d StPO a. F.)).

bb) Nach diesen Maßstäben besteht ein Sicherungsbedürfnis im Sinne des § 111e StPO. Es besteht, wie oben dargelegt, der dringende Tatverdacht der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO, mithin einer gegen das Vermögen gerichteten Straftat. Hinzu treten vorliegend in der Tatbegehung liegende konkrete Umstände sowie das den Ermittlungen nachgelagerte Verhalten des Beschuldigten, die besorgen lassen, dass ohne eine Arrestanordnung der Anspruch des Fiskus gefährdet ist.

Bereits die konkrete Art der Tatbegehung zeichnet sich sowohl durch auf Verschleierung beruhendes Verhalten als auch durch eine erhebliche kriminelle Energie zur Eigenbereicherung aus. Der Beschuldigte nutzte zum einen über einen Zeitraum von drei Jahren fünf verschiedene Servicegesellschaften, um sodann mit Geschäftsübertragung auf die GmbH sein Vorgehen fortzusetzen und eine weitere Servicegesellschaft einzubinden. Zum anderen verschleierte er die wahre Natur der Rechnungen weiter, indem einzelne Servicegesellschaften ihre Forderungen gegen den Beschuldigten gegenseitig abtraten und so die Nachverfolgung weiter erschwerten.

Für ein Sicherungsbedürfnis spricht entscheidend, dass der Beschuldigte, zeitnah nachdem er von der Betriebsprüfung Kenntnis erlangte, zunächst insgesamt vier Konten für seine Kinder eröffnet wurden, bei denen er und seine Frau verfügungsberechtigt sind, sodann mehrere Konten seiner Frau und seines Sohnes aufgelöst wurden, für die er verfügungsberechtigt war und seine Frau ein Bankschließfach eröffnete, für das der Beschuldigte verfügungsbefugt ist (BaFin Auskunft vom 09.02.2022 Bl. 51-60 d.A.). Dies lässt befürchten, dass der Beschuldigte willens ist, Vermögen dem Zugriff des Staates zu entziehen, um eine Vollstreckung zu vereiteln.

c) Die Anordnung des Vermögensarrests ist schließlich auch insgesamt verhältnismäßig.

aa) Der im Wege einer Gesamtbetrachtung nochmals zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht der Anordnung des Arrestes entgegen der Ansicht des Amtsgerichts nicht entgegen. Dabei bedenkt die Kammer, dass das möglicherweise strafbar erlangte Vermögen zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht und noch nicht über die Strafbarkeit entschieden worden ist. Das Eigentumsgrundrecht verlangt in diesen Fällen eine Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsposition des Beschuldigten, wie das Amtsgericht im Grundsatz zu Recht ausgeführt hat. Bei der Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigten - wie das Amtsgericht zu Recht betont- auch durch eine vorläufige Maßnahme ein erheblicher Nachteil zugefügt werden kann, der die wirtschaftliche Handlungsfreiheit beschränkt. Auch mittelbare Beeinträchtigungen - etwa bei der Berufsausübung oder bei der Kreditwürdigkeit - sind in den Blick zu nehmen und auch, dass sich der Eigentumseingriff mit der Fortdauer der Maßnahme intensiviert (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Juli 2006, 2 BvR 583/06).

bb) Vorliegend hat die Kammer den erheblichen Verdachtsgrad, den erheblichen Betrag der wahrscheinlichen Steuerhinterziehung und die durch verschleierndes Verhalten gekennzeichneten Tatumstände in die Abwägung eingestellt. Es vermag den Einwendungen des Amtsgerichts gegen den Tatverdacht nicht folgen. Zwar ist dem Amtsgericht zuzugeben, dass der Arrestantrag eher pauschal auf die Ermittlungen Dritten bezüglich der Eigenschaft als Scheingesellschaften verweist. In der Arrestanregung und insbesondere im Sonderband 1 sind hingegen die Ermittlungsergebnisse bezüglich der einzelnen eingesetzten Gesellschaften detailliert dokumentiert und in Hinblick auf das hiesige Verfahren aufbereitet und in Bezug gesetzt. In diesen finden sich, wie oben unter aa) näher ausgeführt, zahlreiche konkrete Anhaltspunkte, die gerade auch in Bezug auf die vom Beschuldigten eingereichten Rechnungen dringend vermuten lassen, dass diesen Rechnungen keine tatsächlichen Leistungen gegenüberstanden und dies dem Beschuldigten auch bewusst war. Auch wenn sich, worauf das Amtsgericht im Grundsatz zutreffend hinweist, einige Anhaltspunkte, wie zum Beispiel die bei Herrn pp. aufgefundenen E-Mails (noch) nicht eigenständig überprüft wurden, liegt angesichts der Gesetzesintention und der Tatsache, dass für die Anordnung des Arrestes ein einfacher Tatverdacht ausreicht, nach Ansicht der Kammer ein den Eingriff in das Eigentumsgrundrecht rechtfertigender Tatverdacht vor. Bezüglich jeder Fremdfirma waren objektive Anhaltspunkte vorhanden, die sich konkret mit dem hiesigen Verfahren in Bezug setzen ließen und den Tatverdacht erhärteten.

Jedenfalls die vorliegende ausführliche Darlegung der konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte für einen dringenden Tatverdacht der Steuerhinterziehung genügen dem Maßstab, den das Bundesverfassungsgericht in einem vom Amtsgericht zitierten Kammerbeschluss aufgestellt hat. Nach diesem Beschluss bedarf es der besonders sorgfältigen Prüfung der maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen, „damit der Betroffene gegen diese Rechtsschutz suchen kann“ (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 17. April 2015 - 2 BvR 1986/14 - zitiert nach juris). Entsprechend kann offenbleiben, ob der Arrest nahezu das gesamte Vermögen des Beschuldigten und der pp. GmbH betrifft. Hiergegen sprechen, worauf die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung zu Recht hinweist insbesondere die Tatsache, dass lediglich ein geringer Teil der Umsätze arrestiert werden soll. Es bleibt nach der Neukonzeption des Einziehungsrechts der Vollstreckung vorbehalten, etwaige unbillige Härten zu begegnen.

Mithin überwiegt nach durchgeführter Würdigung vorliegend das Sicherungsinteresse des Staates das Eigentumsschutzbedürfnis der Beschuldigten.

2. Die zur Arrestvollziehung notwendigen Durchsuchungen waren entsprechend auch anzuordnen.


Einsender:

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".