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Entscheidungen

StPO

Berufungsverwerfung, genügende Entschuldigung, Attest

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 22.02.2022 – 5 Ws 28/22

Leitsatz des Gerichts: Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung macht eine Verhandlungsunfähigkeit auch dann nicht glaubhaft, wenn auf ihr der ICD10-Code Z 29.0 (Notwendigkeit der Isolierung als prophylaktische Maßnahme) eingetragen wurde. Es ist Sache des Gerichts, darüber zu entscheiden, wie es einem von dem Angeklagten ausgehenden Ansteckungsrisiko, dem durch die ärztlich für erforderlich gehaltene Isolierung vorgebeugt werden soll, begegnet.


In PP.

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Gelsenkirchen hat den Angeklagten mit Urteil vom 05.05.2021 wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung sowie wegen Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt und Zahlungserleichterungen bewilligt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Landgericht Essen mit Urteil vom 26.11.2021 nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen.

Mit Schriftsatz vom 01.12.2021, eingegangen beim Landgericht Essen per Telefax am gleichen Tag, hat der Verteidiger des Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantragt. Der Angeklagte sei - wie sich aus der beigefügten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin A vom 26.11.2021 ergebe - zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung wegen einer Gastroenteritis und Kolitis (ICD10-A09.0) verhandlungsunfähig erkrankt gewesen. Zudem habe der behandelnde Arzt die Notwendigkeit einer Isolierung des Angeklagten (ICD10-Z29.0) festgestellt.

Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung hat das Landgericht Essen mit Beschluss vom 16.12.2021, dem Verteidiger des Angeklagten am 23.12.2021 zugestellt, verworfen. Der Angeklagte habe ein fehlendes Verschulden nicht hinreichend dargelegt, da sich aus der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Verhandlungsunfähigkeit ergebe. Eine solche liege bei der angegebenen Gastroenteritis auch nicht nahe. Weitere Angaben zur Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit enthalte das Attest nicht.

Gegen diese Entscheidung hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 29.12.2021, eingegangen auf elektronischem Wege am gleichen Tag, sofortige Beschwerde eingelegt. Entgegen dem angefochtenen Beschluss enthalte das vorgelegte Attest weitere Angaben zur Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit. So folge aus der vom Arzt diagnostizierten Notwendigkeit der Isolierung zwangsläufig die Verhandlungsunfähigkeit. Zudem liege bei einer Gastroenteritis auch die Verhandlungsunfähigkeit nahe, da eine solche Erkrankung mit Erbrechen und Durchfall einhergehe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu gewähren.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 329 Abs. 7, 46 Abs. 3, 311 StPO statthaft (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, 64. Aufl. 2021, § 329 StPO Rn. 44a) und auch im Übrigen zulässig; hat in der Sache indes keinen Erfolg.

a) Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht verworfen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungshauptverhandlung war bereits unzulässig.

aa) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 44 S. 1 StPO demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 StPO binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; innerhalb dieser Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 45 StPO Rn. 5; BGH, Beschluss vom 14.01.2015, 1 StR 573/14 -, juris).

Zulässigkeitsvoraussetzung für ein Wiedereinsetzungsgesuch ist hierbei unter anderem die konkrete Angabe des Hinderungsgrundes (Senatsbeschlüsse vom 06.01.2022 - 5 RVs 131/21 -, Rn. 1, juris und vom 30.10.2018 - 5 Ws 449/18 -, Rn. 14, juris; OLG Braunschweig Beschluss vom 08.01.2015, 1 Ws 380/13 -, juris). Diesem Erfordernis genügt ein Antragsteller nur, wenn er die Umstände vorträgt, die dazu geführt haben, dass ihm eine Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht zuzumuten war (Senatsbeschlüsse vom 06.01.2022 - 5 RVs 131/21 -, juris und vom 30.10.2018 - 5 Ws 449/18 -, Rn. 14, juris; OLG Braunschweig Beschluss vom 08.01.2015, 1 Ws 380/13 -, juris). Beruft sich ein Angeklagter auf eine Erkrankung, genügt der Hinweis nicht, er sei infolge der akuten Erkrankung verhandlungsunfähig gewesen (Senatsbeschlüsse vom 06.01.2022 - 5 RVs 131/21 -,juris und vom 30.10.2018 - 5 Ws 449/18 -, Rn. 14, juris; Maul, in: Karlsruher Kommentar, 8. Auflage 2019, § 45 StPO Rn. 7). Es ist auch nicht ausreichend, wenn der Angeklagte ein Attest beibringt, in dem ihm eine Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt wird (Senatsbeschlüsse vom 06.01.2022 - 5 RVs 131/21 -, juris und vom 30.10.2018 - 5 Ws 449/18 -, Rn. 14: Maul, in: Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 45 StPO Rn. 7). Vielmehr ist die Art der Erkrankung unter Angabe der Symptomatik darzustellen (Senatsbeschlüsse vom 06.01.2022 - 5 RVs 131/21 -,juris und vom 30.10.2018 - 5 Ws 449/18 -, Rn. 14, juris; OLG Hamm VRS 114, 376: OLG Braunschweig Beschluss vom 08.01.2015, 1 Ws 380/13 -, juris).

Den vorbeschriebenen Anforderungen wird die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 26.11.2021 nicht gerecht.

(1) Soweit sich den dort angegebenen ICD-Codes entnehmen lässt, dass der behandelnde Arzt A am Tag der Berufungshauptverhandlung eine Gastroenteritis und Kolitis (ICD10-A09.0) diagnostiziert hat, bleibt unklar, welche konkreten körperlichen Beeinträchtigungen der Angeklagte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung aufgewiesen hat. Die konkrete Angabe der bestehenden Symptome war auch nicht deshalb entbehrlich, weil eine solche Erkrankung - wie nunmehr in der Beschwerde vorgebracht wird - mit Erbrechen und Durchfall verbunden ist. Denn - wie allgemein bei Erkrankungen üblich - variieren auch bei der Gastroenteritis und Kolitis Charakter und Schweregrad der Symptome. Sie können insbesondere in Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen bestehen und unterschiedlich stark auftreten (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gastroenteritis).Die behauptete Verhandlungsunfähigkeit und damit das unverschuldete Fernbleiben von der Hauptverhandlung lässt sich allerdings nur dann beurteilen, wenn konkret dargelegt wird, welche körperlichen Beeinträchtigungen im Einzelnen wie stark jeweils ausgeprägt waren.

(2) Des Weiteren ist auch die in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthaltene Angabe des ICD-Codes Z29.0 nicht hinreichend, um das Fernbleiben des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin zu entschuldigen.

Der betreffende ICD-Code besagt, dass der Angeklagte im fraglichen Zeitpunkt ansteckend war und er aus diesem Grunde vorbeugend von anderen Menschen isoliert werden sollte. Die von der Erkrankung ausgehende Ansteckungsgefahr begründet indes - jedenfalls regelmäßig - keine Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten, sondern verpflichtet das Gericht, zum Schutz der weiteren Verfahrensbeteiligten zu prüfen, ob und welche Maßnahmen es ergreift, um das Ansteckungsrisiko senken (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.03.2020 - HEs 1 Ws 84/20 -, juris). Bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kommt dem Gericht hierbei ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 - 2 BvR 483/20 -, Rn. 8). Schwerwiegende, hochansteckenden Erkrankungen - wie beispielsweise die Infektion mit dem Corona-Virus SarsCoV2 - können abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles die Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung rechtfertigen, wenn die möglichen und zumutbaren Schutz- und Hygienemaßnahmen nicht ausreichen, um das Ansteckungsrisiko der Verfahrensbeteiligten auf ein vertretbares Maß zu reduzieren (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.05.2021 - H 4 Ws 87/21 - juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.03.2020 - HEs 1 Ws 84/20, juris Rn. 11). Ein dahingehender Automatismus besteht indes nicht. Insbesondere bei niedrigerem Ansteckungsrisiko und/oder Schweregrad der Erkrankung kann das Gericht eine Vielzahl von Maßnahmen - Abstandsgebot, Maskenpflicht, Trennscheiben, etc. - ergreifen, um die Hauptverhandlung unter angemessenem Schutz der Verfahrensbeteiligten durchzuführen.

Der Umstand, dass der Angeklagte infolge der Gastroenterititis und Kolitis ansteckend war, berechtigte ihn daher nicht dazu, nicht zur Berufungshauptverhandlung zu erscheinen. Vielmehr hätte er dies dem Gericht mitteilen müssen, damit die Vorsitzende prüfen konnte, ob und welche Schutzmaßnahmen zum Schutz der anderen Verfahrensbeteiligten ergriffen werden.

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht daraus, dass das Landgericht Essen dem Angeklagten bereits einmal mit Beschluss vom 06.09.2021 Wiedereinsetzung gewährt hatte, als er neben Angaben zur Erkrankung ebenfalls die Notwendigkeit seiner Isolierung behauptete. Der betreffende Beschluss ist durch das Landgericht nicht näher begründet worden, so dass ein schützenswertes Vertrauen des Angeklagten dahingehend, dass die Notwendigkeit der Isolierung sein Fernbleiben im Termin rechtfertigt, nicht entstanden sein kann.
3)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


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