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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Schwere der Tat, Gesamtstrafenfall

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Marburg, Beschl. v. 09.11.2021 - 4 Qs 78/21

Leitsatz: Die Schwelle für die Bestellung eines Pflichtverteidigers von einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe ist auch bei der Gesamtstrafenbildung maßgeblich, was selbst dann gilt, wenn die Gesamtstrafe aus der verfahrensgegenständlichen Verurteilung und -künftigen Verurteilungen aus noch nicht abgeschlossenen Verfahren gebildet werden wird oder insoweit zumindest in Betracht kommt. Etwas Anderes gilt jedoch dann, wenn die Straferwartung im anhängigen Verfahren die Gesamtstrafenbildung nur unwesentlich beeinflusst.


Landgericht Marburg

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verdachts der Gefährdung des Straßenverkehrs u. a.

Zurückweisung des Antrags auf Pflichtverteidigerbeiordnung

hat die 4. Strafkammer — Strafbeschwerdekammer — des Landgerichts Marburg auf die am 22.10.2021 beim Amtsgericht Marburg eingegangene sofortige Beschwerde des Beschuldigten vom selben Tag gegen den Beschluss des Amtsgerichts Marburg vom 15.10.2021, durch den der Antrag auf Bestellung und Beiordnung eines Pflichtverteidigers vom 27.09.2021 zurückgewiesen worden ist, nach Anhörung der Staatsanwaltschaft am 09.11.2021 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

Die nach § 142 Abs. 7 S. 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie unter dem 22.10.2021 fristgerecht gegen den zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts Marburg vom 15.10.2021 (BI. 79 d. A.) eingelegt worden.

Gleichwohl hat sie aus den zutreffenden Gründen des angegriffenen Beschlusses in der Sache keinen Erfolg.

Insoweit ist ergänzend und vertiefend im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen (vgl. BI. 108 f. d. A.) Folgendes auszuführen:

Das Beschwerdegericht überprüft nach § 142 Abs. 7 StPO die Einhaltung des Beurteilungsspielraums hinsichtlich des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbestellung sowie die fehlerfreie Auswahl durch den Vorsitzenden in den Fällen des § 142 Abs. 6 StPO (vgl. Krawczyk, in: BeckOK StPO, 41. Edition, Stand: 01.10.2021, § 142, Rn. 54). Die von der Kammer vorzunehmende Überprüfung beschränkt sich also darauf, ob das Amtsgericht die Grenzen seines Beurteilungsspielraums eingehalten hat und ob die getroffene Entscheidung ermessensfehlerfrei erfolgt ist. Dies gilt auch für die sofortige Beschwerde nach der reformierten Gesetzeslage- zu den §§ 140 ff'. StPO (vgl. BGH, Beschl. v. 31.08.2020 — StB 23/20 —, NStZ 2020, 754).

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Amtsgerichts Marburg, dem Beschwerdeführer keinen Pflichtverteidiger beizuordnen, nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht hat die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung auf Grundlage von § 140 Abs. 2 StPO frei von Ermessensfehlern verneint.

Nach dieser Vorschrift liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Ausgehend von diesem Maßstab liegen im Verfahren 56 Gs — 2 Js 11831/21 keine Umstände vor, die eine Verteidigung als notwendig erscheinen lassen. Diese könnten sich allenfalls aus einer Gesamtschau mit dem Verfahren vor dem Amtsgericht Koblenz ergeben, da im Hinblick auf die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge ab einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe regelmäßig das Erreichen der Grenze angenommen wird, ab welcher ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist, und diese Schwelle ist auch bei der Gesamtstrafenbildung maßgeblich, was selbst dann gilt, wenn die Gesamtstrafe aus der verfahrensgegenständlichen Verurteilung und -künftigen Verurteilungen aus noch nicht abgeschlossenen Verfahren gebildet werden wird oder insoweit zumindest in Betracht kommt (vgl. Krawczyk, a. a. 0., § 140, Rn. 24; Willnow, in: Karlsruher Kommentar StPO, 8. Aufl., 2019, § 140, Rn. 21). Etwas Anderes gilt jedoch wiederum dann, wenn die Straferwartung im anhängigen Verfahren die Gesamtstrafenbildung nur unwesentlich beeinflusst (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 02.03.2012 — 2 Ws 37/12 —, NStZ-RR 2012, 214; LG Frankfurt, Beschl. v. 22.02.2011 — 5/26 Qs 4/11 —, NStZ-RR 2011, 183; Thomas/Kämpfer, in: MüKo StPO, 1. Aufl., 2014, § 140, Rn. 31).

In Anbetracht dessen kann es nicht beanstandet werden, wenn das Amtsgericht Marburg die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt hat. Selbst wenn aus der im vorliegenden Verfahren zu erwartenden Strafe und der im Verfahren vor dem Amtsgericht Koblenz zu erwartenden Strafe eine Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe gebildet werden sollte, wiegt die Tät im Verfahren 56 Gs — 2 Js 11831/21 nicht so schwer, dass eine Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO geboten wäre. Vorliegend besteht gegen den Beschwerdeführer der Verdacht der Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b), Abs. 3 StGB, welche mit Freiheitsstrafe bis zu fünf bzw. bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet wird, sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB), welches wiederum mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet wird. Insoweit erscheint die Verhängung einer Geldstrafe wahrscheinlich. Demgegenüber sind vor dem Amtsgericht Koblenz unter anderem zwölf Fälle des gewerbsmäßigen Diebstahls angeklagt, welcher im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten belegt ist. Angesichts dessen ist es für 'den Fall einer Gesamtstrafenbildung nicht zu erwarten, dass es aufgrund der im Verfahren,56 Gs — 2 Js 11831/21 zu verhängenden Strafe zu einer wesentlichen Erhöhung der Strafe aus dem Verfahren vor dem Amtsgericht Koblenz kommen wird und dies etwa Auswirkungen auf eine Strafaussetzung zur Bewährung hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1StPO.


Einsender: RA T. Scheffler, Windesheim

Anmerkung:


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