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Entscheidungen

OWi

Abwesenheitsverhandlung, Verwerfung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 15.09.2021 - 1 RBs 260/21

Leitsatz: Wurde der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden und bleibt auch sein nach § 73 Abs. 3 OWiG zur Vertretung bevollmächtigter Verteidiger der Hauptverhandlung fern, rechtfertigt dies keine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG.


OBERLANDESGERICHT KÖLN

BESCHLUSS

In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Köln im Verfahren über den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Bonn. vom 10. September 2019 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft in der Besetzung gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG durch den Richter am Oberlandesgericht am 15. September 2021 beschlossen:

1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2. Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung — auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde —an das Amtsgericht Bonn zurückverwiesen.

Gründe:
Die Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, der mit folgenden Erwägungen begründet worden ist:

Der Oberbürgermeister der Bundesstadt Bonn hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 15.06.2018 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 320,00 Euro und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt (BI. 47 f. d. VV.).

Nach rechtzeitig gegen den Bußgeldbescheid eingelegtem Einspruch (BI. 44 d. VV.), Eingang der Akte beim Amtsgericht Bonn am 07.12.2018 (BI. 61 d. A.) und Verlegung bereits anberaumter Hauptverhandlungstermine (BI. 75, 140, 209, 218 d. A.,) hat das zur Entscheidung berufene Amtsgericht Bonn mit Verfügung vom 21.05.2019 Termin zur Hauptverhandlung auf den 10.09.2019 bestimmt (BI. 218 d. A.J. Der Betroffene und sein Verteidiger sind zu diesem Termin geladen worden (BI. 218 f. d. A.J. Die Ladung ist dem Betroffenen am 01.06.2019 (BI. 224 d. A.) und seinem Verteidiger am 03.06.2019 (BI. 222 d. A.) zugestellt worden.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Beschluss vom 06.06.2019 (BL 225 d. A.) von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden.
Mit Urteil vom 10.09.2019 (806 OWi 335 Js-OWi 2215/18 — 485/18) hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG mit der Begründung verworfen, der nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Entscheidung in der Hauptverhandlung entbundene Betroffene sei in dem Hauptverhandlungstermin ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben (Bl. 295 f. d. A.).


Das Urteil ist dem Betroffenen am 17.10.2019 zugestellt worden (BI. 298 d. A.J. Eine Benachrichtigung von der Zustellung gemäß § 145a Abs. 3 StPO an den Verteidiger ist nicht erfolgt.

Mit bei Gericht am selben Tag eingegangenem (Bl. 304 d. A.) Schreiben seines Verteidigers vom 28.04.2021 hat der Betroffene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand [gemeint offenbar: in die Versäumung der Frist zur Anbringung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde] beantragt und Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, den er zugleich mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet hat. Insbesondere hat er die Nichtbeachtung der Vorschrift des § 74 Abs. 1 OWiG gerügt.

Das Amtsgericht Bonn hat dem Betroffenen mit Beschluss vom 25.05.2021 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt (BI. 322 d. A.).

II.

Das als Rechtsbeschwerde auszulegende und gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsmittel begegnet auch hinsichtlich der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen keinen Bedenken. Es hat auch in der Sache Erfolg.

Der zugleich mit der Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingereichten Rechtsbeschwerdebegründung vom 28.04.2021 ist die — den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende — Verfahrensrüge zu entnehmen, das Tatgericht habe den Einspruch des Betroffenen zu Unrecht gemäß § 74 Abs. 3 OWiG verworfen, obwohl die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorgelegen hätten und das Amtsgericht gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG in Abwesenheit des Beschwerdeführers hätte verhandeln müssen.

Die Verfahrensrüge kann bei Vorliegen eines Verwerfungsurteils gerade darauf gestützt werden, dass der Einspruch entgegen § 74 Abs. 2 OWiG wegen Verkennung des Rechtsbegriffs der genügenden Entschuldigung zu Unrecht verworfen worden sei (vgl. insoweit SenE v. 25.06.2021 — 111-1 RBs 176/21 — m. w. N.; SenE v. 29.10.2004 - 8 Ss 441/04 -; SenE v. 11.03.2005 - 8 Ss 29/05 -; SenE v. 17.06.2005 - 8 Ss 78/05 -; SenE v. 21.01.2014 - 111-1 RVs 8/14 ). Enthält das Urteil - wie hier - keine Ausführungen zu möglichen Entschuldigungsgründen, dann muss die Rechtsmittelbegründung im Rahmen der Verfahrensrüge zumindest den Hinweis enthalten, welche Entschuldigungsgründe vorgelegen hätten und vom Gericht hätten geprüft werden müssen (vgl. SenE v. 25.06.2021 — 111-1 RBs 176/21 -; SenE v. 11.01.2000 - Ss 606/99 -; SenE v. 15.08.2000 - Ss 189/00 -; SenE v. 15.09.2000 - Ss 376/00 -; SenE v. 16.03.2001 - Ss 66/01 - KG NStZ-RR 2002, 218). Die Verfahrensrüge ist hier formgerecht erhoben; der Entschuldigungsgrund, der geltend gemacht wird, nämlich die Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, ist durch den Betroffenen vorgetragen und durch das Tatgericht selbst vor seiner Entscheidung herbeigeführt worden.

Die Begründung des Verwerfungsurteils, der Betroffene sei zum Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Wurde — wie hier — der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden und bleibt auch sein nach § 73 Abs. 3 OWiG zur Vertretung bevollmächtigter Verteidiger der Hauptverhandlung fern, rechtfertigt dies keine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG. Denn eine Verpflichtung zur Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung besteht nicht (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. SenE vom 14.06.2021, -111-1 RBs 170/21; SenE v. 26.03.2004 - Ss 125/04 Z - = NZV 2004, 655 = VRS 107, 312; SenE v. 08.03.2012 -111-1 RBs 60/12 -; SenE v. 10.04.2012 - 11I-1 RBs 92/12 -; SenE v. 06.11.2014 - 111-1 RBs 306/14 -; SenE v. 26.04.2016 — 111-1 RBs 123/16 -; SenE v. 12.07.2016 — 111-1 RBs 204/16). Das Gericht hätte vielmehr gemäß § 74 Abs. 1 OWiG die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen durchführen müssen.„

Diesen Ausführungen tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend: Die kompetenzwidrig (vgl. § 46 StPO) durch das Tatgericht gewährte Wiedereinsetzung bindet den Senat (Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO. 64. Auflage 2021, § 46 Rz. 7 m. N.). Sie wäre zu versagen gewesen, da es (jedenfalls) an Vortrag zur Beauftragung mit der Einlegung eines Rechtsmittels fehlt (SenE v. 20.02.2018 — 111-1 RBs 46/18 -; SenE v. 15.05.2018 —111-1 RBs 136/18 -; SenE v. 06.11.2019 —111-1 RVs 215/19 -).


Einsender: RA D. Anger, Bergisch-Gladbach

Anmerkung:


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