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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stralsund, Beschl. v. 23.08.2021 - 26 Qs 161/21

Leitsatz: Eine rückwirkende Beiordnung des Pflichtverteidigers ist auf Grundlage der seit dem 13.12.2019 geltenden Rechtslage zumindest dann zulässig, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt wurde, bereits zuvor von Amts wegen eine Bestellung hätte erfolgen müssen und trotzdem vor einer Verfahrenseinstellung die Bestellung eines Pflichtverteidigers unterblieb.


Landgericht Stralsund

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Urkundenfälschung gern. § 267 Abs. 1 StGB

hier: Beschwerde des Beschuldigten

hat das Landgericht Stralsund - 26. Kammer (Große Strafkammer und Strafbeschwerdekammer) - durch die unterzeichnenden Richter am 23. August 2021 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 13.08.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts Stralsund vom 10.08.2021 — 332 Gs 1186/21 aufgehoben.
2. Dem Beschuldigten wird rückwirkend ab dem 06.07.2021 Rechtsanwalt Bernd Eickelberg aus Burgwedel als notwendiger Verteidiger beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Staatskasse.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Stralsund führte gegen den Beschuldigten das vorliegende Ermittlungs-verfahren wegen des Verdachts u.a. der Urkundenfälschung. Der Beschuldigte befindet sich seit dem 07.01.2020 in Strafhaft aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Greifswald vom 10.09.2019 wegen u.a. versuchter Brandstiftung (Az.: 528 Js 16062/18 332 Ls 29/19), rechtskräftig seit dem 21.02.2020, in der Justizvollzugsanstalt Stralsund. Vollstreckungsende ist auf den 06.07.2022 notiert (Ablauf von 2/3 = 05.09.2021). Im Vollstreckungsblatt vom 23.08.2021 (BI. 95 d.A.) finden sich im Anschluss daran weitere Freiheitsentziehungen im Rahmen von Rest-(Gesamt)-Ersatz-Freiheitsstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Neustadt am Rübenberge vom 23.05.2019 (Az.: 64 Cs 428/19 2425 Js 39689/19) und dem Urteils des Amtsgerichts Neustadt am Rübenberge vom 10.04.2018 (Az.: 64 Ds 58/18 3523 Js 72981/17). Das Vollstreckungsende ist auf den 27.02.2023 prognostiziert.
Am 15.07.2019 wurde der Beschuldigte von der Polizei in Rahmen einer Verkehrskontrolle kontrolliert, bei der sich der Verdacht der o.g. Tatvorwürfe ergab (BI. 1 ff d.A.); es wurden u.a. Kennzeichentafeln sichergestellt (BI. 8 f d.A.). Der Beschuldigte sollte verantwortlich vernommen werden. Er ließ sich nicht ein (BI. 6 d.A.).
Mit Schreiben vom 22.07.2019 (BI. 14 f d.A.) beantragte Rechtsanwalt Eickelberg Akteneinsicht. Diese wurde durch die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 01.07.2021 (BI. 68R d.A.) gewährt mit dem Hinweis, dass für den Fall, dass mit Rücksendung der Akte der Verzicht auf die Heraus-gabe der sichergestellten Gegenstände erklärt werde, das Verfahren im Hinblick auf das Urteil des Amtsgerichts Greifswald vorn 21.02.2020 eingestellt werde, anderenfalls nicht. Mit Rücksendung der Akte stellte Rechtsanwalt Eickelberg mit Schriftsatz vom 06.07.2021 (BI. 69 d.A.) bei der Staatsanwaltschaft Stralsund den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidigerin im vorliegenden Ermittlungsverfahren mit Hinweis auf § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO. Eine Verzichtserklärung bzgl. der sichergestellten Gegenstände wurde nicht abgegeben. Durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 14.07.2021 (BI. 72 f d.A.) wurde das vorliegende Verfahren vorläufig gern. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt im Hinblick auf das Urteil des Amtsgericht Greifswald vom 10.09.2021 (Az.: 528 Js 16062/18 332 Ls 29/19), wonach der Beschuldigte wegen des Tatvorwurfs der versuchten Brand-stiftung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und vorsätzlichen Verstoß gegen das Pfiichtversicherungssgetz zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten verurteilt und eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 20.02.2023 ausgesprochen worden war. Mit gleicher Verfügung übersandte die Staatsanwaltschaft die Akte an das Amtsgericht Greifswald zur Entscheidung über den Antrag des Verteidigers auf Beiordnung als Pflichtverteidiger. Nach Weiterleitung an das für die zu treffende Entscheidung gern. § 142 Abs. 1 S.2, Abs. 3 Nr. 1 StPO zuständige Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Stralsund, lehnte dieser durch Beschluss vom 10.08.2021 die Beiordnung mit der Begründung ab, es liege kein Fall des § 140 StPO vor (BI. 88 d.A.).

Gegen diesen dem Verteidiger am 13.08.2021 (BI. 93 d.A.) zugestellten Beschluss wendet sich der Beschuldigte mit seinem als sofortige Beschwerde auszulegenden Rechtsmittel vorn 13.08.2021 (BI. 80 f d.A.). Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Verzicht auf die Herausgabe der Asservate, wie von der Staatsanwaltschaft für eine Einstellung nach § 154 StPO verlangt, nicht erfolgt sei, demzufolge kein Fall des § 140 Abs. 2 S. 3 StPO gegeben sei.

Mit Übersendungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 19.08.2021 (BI. 94 d.A.) beantragt diese, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Zu Unrecht wurde durch den angefochtenen Beschluss die Pflichtverteidigerbeiordnung mit der Begründung abgelehnt, es liege kein Fall der notwendigen Verteidigung vor.

Ein Fall der notwendigen Verteidigung lag nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor, da der Beschwerde-führer sich seit dem 07.01.2020 in anderer Sache in Strafhaft in der JVA Stralsund befindet. Auch ging der Beiordnungsantrag vom 06.07.2021 rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft ein (Eingangsstempel: 08.07.2021) und hatte die Staatsanwaltschaft Kenntnis hiervon, als sie die Einstellung am 14.07.2021 verfügte.

Somit wäre eine Pflichtverteidigerbestellung unverzüglich veranlasst gewesen, dies nach Ansicht der Kammer spätestens am 01.07.2021, da die Verteidigungsanzeige bereits vom 22.07.2019 datiert und der BZR-Auszug vom 28.06.2021 bereits vorlag, aus dem sich wiederum ergab, dass der Beschwerdeführer sich in Haft befindet bzw. befinden musste.

Die Einschränkungen des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO kommen hier nicht zur Anwendung.

Nach dieser Vorschrift kann von der Verteidigerbestellung bei Haft in anderer Sache abgesehen werden, wenn eine alsbaldige Verfahrenseinstellung beabsichtigt ist und solange keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Ur-teilen oder Akten, mithin solche ohne Außenwirkung, vorgenommen werden sollen.

Eine rückwirkende Beiordnung des Pflichtverteidigers ist auf Grundlage der seit dem 13.12.2019 geltenden Rechtslage (BGBl. 2019 1, S. 2128; dazu Böß, NStZ 2020, 185) zumindest dann zulässig, wenn — wie hier — der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt wurde, bereits zuvor von Amts wegen eine Bestellung hätte erfolgen müssen und trotzdem vor der Verfahrenseinstellung die Bestellung eines Pflichtverteidigers unterblieb.
Zwar ist eine rückwirkende Beiordnung nach auf der früheren Rechtslage beruhenden höchstrichterlicher und weit überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung unzulässig und unwirksam (BGH NStZ-RR 2009, 348; OLG München, Beschl. v. 13,01.2012 — 1 Ws 25/12; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 113; OLG Köln NStZ-RR 2011, 325), wobei dies nach der Rechtsprechung einzelner Landgerichte nicht ausnahmslos gilt (LG Potsdam StraFo 2004, 381; LG Schweinfurt StraFo 2006, 25; LG Hamburg StV 2000, 207; umfassender Nachweis bei KG StV 2007, 372; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt § 141 Rn. 8).

Nach Ansicht der Kammer ist jedenfalls in der vorliegenden Konstellation die rückwirkende Bei-ordnung zulässig.

Die Kammer schließt sich der Argumentation des Beschwerdeführers an:

Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren nicht bereits nach Eingang der Akten (22.06.2021) nach § 154 Abs. 1StPO eingestellt und anschließend dem Verteidiger Akteneinsicht gewährt, sondern die Einstellung ausdrücklich von der Verzichtserklärung auf die Herausgabe der Asservate abhängig gemacht, anderenfalls Anklage erhoben würde, d.h. die Staatsanwaltschaft beabsichtigte auch nicht bedingungslos, das Verfahren „alsbald" einzustellen. Da ein solcher Verzicht nicht erklärt wurde, musste der Angeklagte mit der Anklageerhebung rechnen und war ihm entsprechend zur Wahrung seiner Rechte ein Verteidiger zu bestellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA B. Eickelberg, 30938 Burgwedel

Anmerkung:


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