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Entscheidungen

OWi

Zweifel, Fristwahrung, Rechtsbeschwerdeeinlegung

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 23.07.2020 - 201 ObOWi 881/20

Leitsatz: 1. Ist nicht mehr aufklärbar, ob eine vom Verteidiger ausweislich eines von ihm vorgelegten Sendeberichts per Telefax übermittelte Rechtsbeschwerdeeinlegungsschrift tatsächlich innerhalb der Wochenfrist bei Gericht eingegangen ist, ist das Rechtsmittel zugunsten des Beschwerdeführers als rechtzeitig eingegangen anzusehen und zu behandeln, wenn sein tatsächlicher Eingang bei Gericht feststeht.
2. Der Beschluss des Amtsgerichts, durch den der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 346 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG als unzulässig verworfen wurde, ist in einem solchen Fall bei Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts aufzuheben. Durfte der Tatrichter in einer derartigen Konstellation gemäß § 77b OWiG zunächst von der Fertigung von Entscheidungsgründen absehen, ist ihm analog § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Gelegenheit zur nachträglichen Fertigung der Urteilsgründe zu geben.


In pp.

Der Beschluss des Amtsgerichts vom 28.04.2020 wird aufgehoben.

Gründe

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 10.03.2020 wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 100 Euro. Bei der Hauptverhandlung war der bevollmächtigte Verteidiger anwesend, der Betroffene war von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden. Von der Fertigung von Urteilsgründen sah der Tatrichter ab. Am 19.03.2020 ging beim Amtsgericht der Schriftsatz des Verteidigers vom 17.03.2020 ein, mit dem dieser gegen das vorgenannte Urteil „Rechtsbeschwerde“ einlegte. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 28.04.2020 wurde der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 10.03.2020 als unzulässig verworfen, da das Rechtsmittel erst nach Ablauf der Wochenfrist bei Gericht eingegangen sei. Gegen diesen ihm am 30.04.2020 zugestellten Beschluss beantragte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 05.05.2020, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Zur Begründung wies er darauf hin, dass er tatsächlich die Rechtsbeschwerde bereits am 17.03.2020 vorab per Telefax an das zuständige Amtsgericht übersandt habe. Das Telefax vom 17.03.2020 ist zu keinem Zeitpunkt zur Akte gelangt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 31.05.2020 beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts vom 28.04.2020 aufzuheben und die Sache zur Begründung des Urteils vom 10.03.2020 an das Amtsgericht zurückzugeben. Diesem Antrag hat sich der Verteidiger mit Schriftsatz vom 20.07.2020 angeschlossen.

II.

1. Der zulässige Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erweist sich als begründet, da der Betroffene die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht versäumt hat.

a) Nach §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 4 OWiG beginnt die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde im Fall der Abwesenheit des Betroffenen bei Verkündung des Urteils bereits mit Urteilsverkündung, wenn der Betroffene durch einen nach § 73 Abs. 3 OWiG schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten war. Die einwöchige Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 341 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG) begann damit mit Verkündung des Urteils am 10.03.2020 und lief bis einschließlich 17.03.2020. Die am 19.03.2020 eingegangene und zu den Akten gelangte „Rechtsbeschwerde“ des Betroffenen war daher verspätet.

b) Allerdings ließ sich vorliegend nicht klären, ob der Schriftsatz vom 17.03.2020 nicht bereits an diesem Tag beim Amtsgericht eingegangen ist. Hierfür spricht zwar der vom Verteidiger vorgelegte Fax-Sendebericht, aus dem sich ergibt, dass der Schriftsatz, durch welchen Rechtsbeschwerde eingelegt wurde, am 17.03.2020 um 17:27 Uhr mit dem Ergebnis „OK“ dem Amtsgericht übermittelt worden ist. Der vorgelegte Sendebericht vermag jedoch den ordnungsgemäßen Eingang des Faxschreibens beim Adressaten nicht zu beweisen (vgl. KG, Beschl. v. 01.11.2005 – 2 Ss 194/053 Ws (B) 490/05 bei juris; OLG Düsseldorf NJW 1995, 2303). Ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle des Amtsgerichts vom 20.07.2020 war das Faxgerät am 17.03.2020 in dem Zeitraum zwischen 14:48 Uhr bis 18:12 Uhr defekt. Ein Faxjournal konnte deshalb nicht ausgedruckt werden. Es bleibt damit offen, ob das per Fax eingelegte Rechtsmittel tatsächlich noch am 17.03.2020 vom Faxgerät empfangen worden ist. Ist der Eingang einer Einlegungserklärung überhaupt festgestellt, bestehen jedoch nicht behebbare tatsächliche Zweifel an der Einhaltung oder Versäumung der Einlegungsfrist, so wirken sie zugunsten des Beschwerdeführers. Eine verspätet eingelegte oder begründete Revision bzw. Rechtsbeschwerde muss von dem zuständigen Gericht als unzulässig verworfen werden (§§ 346, 349 StPO); dies aber nur dann, wenn zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass sie verspätet eingelegt ist. Bleibt dies zweifelhaft, so ist das Gericht nicht zur Verwerfung des Rechtsmittels befugt, sondern muss es als rechtzeitig behandeln (vgl. neben BGH NJW 1960, 2202 u.a. BGH, Beschl. v. 02.05.1995 – 1 StR 123/95 = StV 1995, 454 = BGHR StPO § 341 Frist 1 und v. 11.10.2017- 5 StR 377/17 bei juris sowie schon BayObLG, Urt. v. 09.12.1965 – 4b St 79/1965 = BayObLGSt 1965, 142; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 63. Aufl. § 261 Rn. 35 m.w.N.). So liegt es hier. Auf die Tatsache, dass das Telefax an die Zivilabteilung des Amtsgerichts gerichtet war, kommt es nicht an, weil § 341 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG nur auf den Eingang bei dem Gericht abstellt und nicht auf den bei der zuständigen Abteilung (vgl. BGH, Beschl. v. 19.05.1999 – 3 StR 200/99 und 20.10.2011 – 2 StR 405/11, jew. bei juris). Dementsprechend war der Beschluss des Amtsgerichts vom 28.04.2020, durch den der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 10.03.2020 als unzulässig verworfen worden war, aufzuheben. Eine Kostenentscheidung ist insoweit nicht veranlasst (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 346 Rn. 12 m.w.N.).

2. Durch die Entscheidung unter Ziffer 1. hat der Senat zugleich festgestellt, dass die Rechtsmittelfrist gewahrt worden ist. Dies hat entsprechend § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG zur Folge, dass das Amtsgericht innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgesehenen Frist die Urteilsgründe noch fertigen kann. Die Interessenlage entspricht derjenigen im Fall der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Tatrichter durfte nach (damaliger) Aktenlage von der Begründung des Urteils absehen, § 77b Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz OWiG. Die nachträgliche Feststellung, dass ein solcher Fall nicht vorlag, macht es erforderlich, das weitere Verfahren entsprechend § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG zu gestalten (vgl. BGH, Beschl. v. 04.10.2017 - 3 StR 397/17 bei juris m.w.N., Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Aufl. § 267 Rn. 30). Die Frist zur Fertigung der Urteilsgründe beginnt, sobald die Akten bei dem zuständigen Amtsgericht eingehen (BGH a.a.O.). Die vorliegende Konstellation, in der bis zur Entscheidung des Senats Ungewissheit darüber bestanden hat, ob das Rechtsmittel als fristgerecht eingegangen zu behandeln ist, ist nicht damit zu vergleichen, dass der Tatrichter nachträglich positiv Kenntnis von der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels erlangt hat und die Frist zur nachträglichen Fertigung der Urteilsgründe mit dem Erkennen des Versehens beginnt (vgl. BGH, Beschl. v. 25.10.2012 – 5 StR 512/12 bei juris). Die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde beginnt mit der Zustellung der nachträglich gefertigten Urteilsgründe.

III.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.


Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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