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Entscheidungen

Corona

Urteilsabsetzungsfrist, Krankheit des Richters, Coronaschutzmaßnahmen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.11.2020 - 3 Rv 32 Ss 485/20

Leitsatz: Coronaschutzmaßnahmen hemmen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 10 EGStPO die Urteilsabsetzungsfrist nicht.


3 Rv 32 Ss 485/20

Oberlandesgericht Karlsruhe

3. STRAFSENAT

Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Leistungserschleichung hier: Revision

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe am 5. November 2020 beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 17. Februar 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Mannheim zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht Mannheim verurteilte den Angeklagten am 27.1.2017 wegen Leistungserschleichung in sechs Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 25 Euro. Das Landgericht Mannheim verwarf durch Urteil vom 17.2.2020, das am 5.5.2020 zu den Akten gebracht wurde, die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe, dass er wegen der genannten Taten zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 35 Euro verurteilt wurde. Zudem ordnete das Landgericht an, dass wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung fünf Tagessätze der Gesamtgeldstrafe als vollstreckt gelten.

Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts; er beanstandet mit der Verfahrensrüge ausdrücklich eine verspätete Absetzung der schriftlichen Urteilsgründe.

Das Rechtsmittel hat mit der Rüge einer Verletzung von § 275 Abs. 1 StPO - vorläufigen - Erfolg. Da das angefochtene Urteil bereits deshalb in vollem Umfang aufzuheben ist, bedarf es keines Eingehens auf die Sachrüge.

Die gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO in zulässiger Weise angebrachte Verfahrensbeschwerde (vgl. OLG Stuttgart, Justiz 2017, 394; KG Berlin, StraFo 2016, 386) ist begründet, denn die Überschreitung der Frist zur Absetzung des schriftlichen Urteils war hier nicht nach § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO gerechtfertigt.

1. Das am 17.2.2020 nach eintägiger Hauptverhandlung verkündete Urteil hätte gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO spätestens am 23.3.2020 zu den Akten gelangen müssen. Tatsächlich ging es erst am 5.5.2020 vollständig abgefasst auf der Geschäftsstelle ein.

a) Die Vorsitzende der Berufungskammer hat in einem Vermerk vom 6.4.2020 dienstlich erklärt, dass sie in der Zeit vom 20.2. bis 20.3.2020 aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und nachfolgend im Anschluss bis zum 5.4.2020 aufgrund einer Freistellung vom Dienst als Angehörige einer Corona-Risikogruppe daran gehindert war, das am 17.2.2020 verkündete Urteil rechtzeitig schriftlich abzusetzen.

b) Nach § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO darf die nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu bestimmende Frist nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht vorhersehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert war.

In diesem Sinne war die Vorsitzende als einzige Berufsrichterin der Strafkammer infolge ihrer Erkrankung zunächst - in der Zeit bis zum 20.3.2020 - an der Urteilsabsetzung gehindert (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O., KG Berlin, a.a.O.), ohne dass damit eine Hemmung des Fristablaufs verbunden gewesen wäre (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2008, 117; OLG Hamburg, B. v. 4.4.2019 - 2 Rev 7/19 - 1 Ss 18/19 -, juris).

Ob sodann — wie die Revision mit gewichtigen Gründen ausführt - § 275 Abs. 1 StPO schon während des sich anschließenden Zeitraums der „Freistellung vom Dienst" der Vorsitzenden als Angehörige einer Corona-Risikogruppe verletzt wurde, kann dahinstehen. Coronaschutzmaßnahmen hemmen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 10 EGStPO die Urteilsabsetzungsfrist ebenfalls nicht (vgl. Hiéramente, jurisPR-StR 7/2020 Anm. 2; Peglau, in: BeckOK-StPO, Stand 1.7.2020, Rdn. 15 zu § 268).

Jedenfalls hätte das schriftliche Urteil nach dem am 6.4.2020 erfolgten Dienstantritt der Vorsitzenden deutlich vor dem 5.5.2020 zu den Akten gebracht werden müssen. Die Pflicht des Gerichts, nach Wegfall des Hinderungsgrundes das Urteil mit „größtmöglicher Beschleunigung" zu den Akten zu bringen, geht allen aufschiebbaren Dienstgeschäften vor (vgl. BGH, NStZ 1982, 519; StV 1995, 514; NStZ-RR 2011, 118; OLG Stuttgart, a.a.O.; KG Berlin, a.a.O.). Dies geschah hier nicht; anders ist nicht zu erklären, warum sich die Abfassung des zehnseitigen Urteils bis zum 5.5.2020 hinzog.

2. Das Überschreiten der in § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO bezeichneten Fristen begründet nach § 338 Nr. 7 StPO einen absoluten Revisionsgrund. Dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler nicht beruhen kann, ist demgegenüber ohne Bedeutung (vgl. BGH, NStZ-RR 2011, 118).


Einsender: RA G, Urbanczyk, Mannheim

Anmerkung:


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