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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, beschleunigtes Verfahren, vorherige Anhörung des Beschuldigten

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 21.08.2020 - 3 Qs 117/20

Leitsatz: Bei § 142 StPO n.F. handelt es sich nicht (mehr) um eine Soll-Vorschrift, von der wegen eines beschleunigten Verfahrens eine Ausnahme möglich wäre. Vielmehr hat die Anhörung des Beschuldigten zur Bestellung eines Pflichtverteidigers ausnahmslos zu erfolgen und ist allenfalls dann entbehrlich, wenn ein Beschuldigter bereits einen bestimmten Verteidiger benannt hat.


Landgericht Dessau-Roßlau
3 Qs 694 Js 10246/20 (117/20)

Beschluss

In der Strafsache
gegen pp.
Pflichtverteidiger:
Herr Rechtsanwalt R.
Verteidiger:
Herr Rechtsanwalt F.
wegen Kennzeichenmissbrauchs

hat die 3. Große Strafkammer (Beschwerdekammer) des Landgerichts Dessau-Roßlau durch die unterzeichnenden Richter am 21.08.2020 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Zerbst vom 13.07.2020 — 8 Ds (694 Js 10246/20) — aufgehoben und dem Angeklagten, anstelle von Rechtsanwalt R., Rechtsanwalt F. beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staatskasse,

Gründe:

Gegen den Angeklagten richtet sich der Vorwurf des Kennzeichenmissbrauchs zur Tatzeit des 30.03.2020. Am 15.05.2020 beantragte die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau deshalb beim Amtsgericht Zerbst die Entscheidung im beschleunigten Verfahren gegen den Angeklagten.

Der Angeklagte wurde zuletzt am 16.08.2017, rechtskräftig seit 24.08.2017, vom Amtsgericht Zerbst wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Zerbst vom 27.05.2020 wurde dem Angeklagten gemäß § 140 Abs. 2 StPO aufgrund der Schwere der Tat und weil Bewährungswiderruf droht, Rechtsanwalt R. als notwendiger Verteidiger bestellt. Zugleich wurde der Hauptverhandlungstermin auf den 30,09.2020 bestimmt und der Angeklagte zu diesem Termin geladen. Eine Frist zur Benennung eines Verteidigers wurde ihm nicht gesetzt.

Mit Schriftsatz vom 09.06.2020, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tage, zeigte sich Rechtsanwalt F. aus Braunschweig als Wahlverteidiger an und beantragte für den Angeklagten, den zuvor beigeordneten Rechtsanwalt R. zu entpflichten und ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen. Im Falle der Beiordnung lege er das Wahlmandat nieder, Zur Begründung führt er aus, dass dem Angeklagten kein rechtliches Gehör zur Person des Verteidigers gewährt worden sei.

Mit Beschluss vom 13.07.2020 hat das Amtsgerichts den Antrag von Rechtsanwalt F. mit der Begründung zurückgewiesen, dass dem Angeklagten bereits ein Pflichtverteidiger bestellt worden sei. Eine vorige Anhörung des Angeklagten sei aufgrund der Eilbedürftigkeit des beschleunigten Verfahrens nicht erfolgt, da andernfalls die Bestellung nicht wie gesetzlich gefordert „bei Antragzustellung" hätte erfolgen können. Insofern sei eine Ausnahme vom Soll-Tatbestand des § 142 StPO gerechtfertigt gewesen. Der Beschluss wurde Rechtsanwalt F. am 15.07.2020 zugestellt.

Mit am 22.07.2020 beim Amtsgericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz legte der Angeklagte sofortige Beschwerde ein. Auf den Inhalt seines Schriftsatzes wird ergänzend Bezug genommen. Er teilt außerdem mit, dass er am angesetzten Verhandlungstermin am 30.09.2020 verhindert sei, da dieser Tag derzeit zur Terminierung vor dem Landgericht Dessau-Roßlau freigehalten werde.

Rechtsanwalt R. hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und teilte in seinem Schriftsatz vom 20.08.2020 mit, dass er seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung vom 30.09.2020 zusagen könne.

Die gem. §§ 143a Abs. 4, 311 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung des Pflichtverteidigerwechsels des Angeklagten ist begründet.

Dem Angeklagten war gemäß § 143a Abs. 2 Nr. 1. Alt. 2 StPO Rechtsanwalt F., unter Entpflichtung von Rechtsanwalt R., als neuer Pflichtverteidiger beizuordnen.

Durch das Amtsgericht Zerbst wurde dem Angeklagten mit Zustellung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Durchführung eines beschleunigten Verfahrens Rechtsanwalt R. beigeordnet, ohne dass ihm hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde, wie es § 142 Abs. 5 StPO verlangt. Zweckmäßiger Weise wird diese Frist in den Fällen des § 141 II Nr. 4 StPO mit der Zustellung des Antrags verbunden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt 2020, § 142, Rn. 34).

Bei § 142 StPO handelt es sich nach Gesetzesänderung auch nicht mehr um eine Soll-Vorschrift, von der wegen des beschleunigten Verfahrens eine Ausnahme möglich gewesen wäre. Vielmehr hat die Anhörung ausnahmslos zu erfolgen und ist allenfalls dann entbehrlich, wenn ein Beschuldigter bereits einen bestimmten Verteidiger benannt hat, was hier nicht zutrifft. Dem Angeklagten wurde schlicht gar keine Frist zur Benennung eines Verteidigers eingeräumt. In diesem Falle, muss ein Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StPO erst Recht anwendbar sein.

Der Antrag auf Auswechslung wurde auch innerhalb der dreiwöchigen Frist des § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO gestellt.

Auch ein wichtiger Grund steht dem Wechsel weiter nicht entgegen. Die Tatsache, dass Rechtsanwalt F. am anberaumten Termin nicht zur Verfügung steht, lässt hier keine andere Beurteilung zu, wobei die Kammer die Regelung des § 142 Abs. 5 S. 3 StPO nicht übersehen hat. Dass die Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte des Angeklagten hinsichtlich seines Pflichtverteidigers unberücksichtigt blieben, wiegt vorliegend schwerer als die Terminkollision des Amtsgerichts und des Verteidigers. Hätte das Amtsgericht dem Angeklagten sogleich Rechtsanwalt F. benennen fassen, wären dahingehende Terminsabsprachen möglich gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA J. R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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