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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Verbotenes Kraftfahrzeugrennen, Alleinrennen, hohe Geschwindigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Berlin, Beschl. v. 14.08.2020 - (538 KLs) 255 Js 745/19 (12/20)

Leitsatz: Zur Annahme eines sog. Alleinrennens beim Fahren mit hohe Geschwindigkeit.


Landgericht Berlin

Beschluss

(538 KLs) 255 Js 745/19 (12/20)

In der Strafsache
gegen pp.

Rechtsanwalt

wegen verbotener Kraftfahrzeugrennen

hat die 38. große Strafkammer des Landgerichts Berlin am 14. August 2020 beschlossen:

Der Beschluss des AG Tiergarten vom pp. Juni 2020 pp wird aufgehoben.


Gründe

I.

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen und der darauf beruhenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom pp. soll der Angeschuldigte zwischen dem pp. und pp. 2019. in Berlin mit dem Pkw pp. amtliches Kennzeichen pp. die pp.-Straße in pp. Berlin befahren haben. Bei einer zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h soll er unter anderem 73 km/h gefahren sein. Auf Höhe der Hausnummern 86-99 soll er auf dem linken Fahrstreifen drei Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von über 120 km/h überholt haben und über eine Wegstrecke von 180 m mit einer Geschwindigkeit von 101 km/h gefahren sein, wobei ihm ein Fahrradfahrer auf dem Fahrradweg entgegen kam. Nach Abbiegen in den pp., soll er mit einer Geschwindigkeit von über.96 km/h über eine Wegstrecke von ca. 55 m einen Pkw überholt haben. Hierbei soll es dem Angeschuldigten darum gegangen sein, im Sinne eines Rennens eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

Der Angeschuldigte wendet sich mit Schriftsatz seines Verteidigers vom pp. Juli 2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom pp. Juni 2020, durch welchen ihm gemäß § 111a StPO i.V.m. §§ 69 Abs. 2 Nr. la, 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen vorläufig entzogen worden ist, und beantragt dessen Aufhebung.

II.

Der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom Juni 2020 war aufzuheben, weil die Voraussetzungen des § 111a StPO nicht vorliegen. Gemäß § 111a Abs. 1 StPO müssen dringende Gründe für die Annahme vorhanden sein, dass dem Angeschuldigten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen Ungeeignetheit demnächst durch Urteil entzögen werden wird (§ 69 StGB). Der endgültige Entzug der Erlaubnis muss in hohem Maße wahrscheinlich sein (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 40).

1. Die Regelung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt sich bei einschränkender, zurückhaltender Auslegung des Tatbestandes nicht als verfassungswidrig dar (vgl. KG NZV 2019, 210; KG NZV 2019, 314).

2. Nach § 315d Abs. 1 Ni", 3 StGB wird bestraft, wer sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Nach summarischer Prüfung ist eine. Verurteilung wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht weit überwiegend wahrscheinlich. Es kann bei zurückhaltender, einschränkender Auslegung des Tatbestandes nach Aktenlage nicht festgestellt werden, dass der Angeschuldigte mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fuhr, um zielgerichtet die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

a) Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der, Angeschuldigte phasenweise mit nicht angepasster Geschwindigkeit fuhr. Nicht angepasste Geschwindigkeit meint nämlich eine den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen nicht entsprechende Geschwindigkeit, wobei die Überschreitung der vorgegebenen Höchstgeschwindigkeit eine maßgebliche Indizwirkung hat (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 - (3). 161 Ss 134/19 (75/19) -). Den im dargelegten Sachverhalt angegebenen Geschwindigkeiten liegt keine Geschwindigkeitsmessung zu Grunde. Die Geschwindigkeiten wurden aufgrund eines auf der Plattform www.Youtube.de eingestellten Videos durch den Sachverständigen ermittelt. Neben dem Verstoß gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung ist auf dem Video unter anderem zu sehen, dass der Angeschuldigte mehrere Fahrzeuge überholt. Bei einem Überholvorgang kommt ihm ein Radfahrer entgegen. Der Angeschuldigte ist danach dringend verdächtig, mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren zu sein.

b) Es fehlt indes an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Angeschuldigte grob verkehrswidrig und rücksichtslos gefahren sei, um die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Bei der Auslegung der Norm ist zu berücksichtigen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Fälle erfasst werden, in denen nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen darstellt (vgl. BT-Drs. 18/12964, 5). Tatbestandsmäßig sind nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB somit Verkehrsverstöße, von denen eine ähnliche Gefahr ausgeht, wie von einem Kraftfahrzeugrennen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 — (3) 161 Ss 134/19 (75/19) —). Typische Gefahren eines Kraftfahrzeugrennens sind regelmäßig vorkommende waghalsige Fahrweisen mit der damit verbundenen Gefahr des Kontrollverlustes, was erhebliche Risiken für andere Verkehrsteilnehmer mit Sich bringt (vgl. Hecker, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 315d Rn. 1). Die einem solchen Rennen innewohnende Dynamik verleitet in besonderer Weise zu riskanten Verhaltensweisen, denn Rennteilnehmer werden durch den" Wettbewerb bestärkt, Fahr- und Verkehrssicherheit außer Acht zu lassen und für einen Zuwachs an Geschwindigkeit den Verlust der Kontrolle über ihre Fahrzeuge in Kauf zu nehmen (vgl.BT-Drs. 18/12964, 5). Das bedeutet, dass bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen gerade nicht von der Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst sein sollen (vgl. BT-Drs. 1.8/12964, 6). Tatbestandsrelevant sind vielmehr nur solche Handlungen, die objektiv und subjektiv aus der Menge der bußgeldbelegten Geschwindigkeitsverstöße herausragen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 - (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -; Hecker, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 315d Rn. 8) und qualitativ einem Rennen entsprechen.

Um dem Tatbestand die Qualität des Renncharakters zu verleihen, fordert die Regelung, dass der Täter mit der Absicht - dolus directus ersten Grades - handeln muss, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 - (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -). Hierbei wird auf die relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit abgestellt, die sich aus der Zusammenschau der fahrzeugspezifischen Beschleunigung bzw. Höchstgeschwindigkeit, des subjektiven Geschwindigkeitsempfindens, der Verkehrslage und der Witterungsbedingungen ergibt; nicht maßgeblich ist dagegen, ob der Täter die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeuges vollständig ausschöpft (vgl. KG, Beschl. v. 15. April 2019 - (3) 161 Ss 36/19 (25/19) 7), wobei die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund sein muss (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. Juli 2019 - 4 Rv 28 Ss 103/19 -). Zu berücksichtigen ist aber, dass allein der Wille, eine Strecke möglichst schnell zurückzulegen, nicht gleichbedeutend ist mit der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (vgl. Jansen, NZV 2019, 285; KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 - (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -).

Der Angeschuldigte überschritt zwar die zulässige Höchstgeschwindigkeit phasenweise erheblich. Diese Überschreitung dauerte indes nach dem Gutachten. des Sachverständigen nur wenige Sekunden. Durch den Sachverständigen wurde errechnet, dass der Angeschuldigte dabei u. a. eine Wegstrecke von 55 m bzw. 180 m zurückgelegt habe, wobei es sich hierbei um Überholvorgänge gehandelt habe. Dies legt nach Aktenlage - ohne durchgeführte Beweisaufnahme - zunächst den Rückschluss nahe, dass es dem Angeschuldigten darum bestellt war, seine Wegstrecke' möglichst schnell zurückzulegen. Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit im Tatzeitpunkt der jeweiligen Verkehrssituation zu erreichen, ist danach insgesamt nicht überwiegend wahrscheinlich. Auch, ist weder ersichtlich, dass in den vom Sachverständigen errechneten Geschwindigkeitsüberschreitungen ein Kontrollverlust des Angeschuldigten über das Fahrzeug zu befürchten war noch, dass der Angeschuldigte dies in seinen Vorsatz einbezogen hatte.

3. Im Übrigen unterscheidet sich der hiesige Sachverhalt deutlich von denen, die durch das Kammergericht bereits entschieden wurden. In einem Verfahren, in dem die eingelegte (Sprung-) Revision Erfolg hatte, legte der Angeklagte eine Wegstrecke von mindestens 1,8 km zurück, wobei er ohne Fahrtrichtungsanzeiger vorausfahrende Fahrzeuge links und rechts überholte. Beim Einbiegen in eine Rechtskurve wurde das Fahrzeug nach außen getragen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 - (3) 161 Ss 134/19 (75119) -); in einem anderen Verfahren, in dem die Revision verworfen wurde, legte der Angeklagte eine Wegstrecke von 3,8 km zurück, wobei er zeitweise eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 150km/h erreichte .und ohne Fahrtrichtungsanzeiger ruckartig vorausfahrende Fahrzeuge überholte (vgl. KG, Beschl. .v. 15. April 2019 - (3) 161 Se 36/19 (25/19) -).

Eine abschließende Würdigung der Beweismittel und Klärung der Schuldfrage kann jedoch nicht in dem hiesigen, nur vorläufigen Verfahren nach § 111a StPO erfolgen, sondern muss einer Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.


Einsender: RA K. Reese, Berlin

Anmerkung:


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