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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Schwere der Tat

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Magdeburg, Beschl. v. 10.08.2020 - 25 Qs 79/20

Leitsatz: Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lässt. Davon ist bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von über einem Jahr auszugehen.


Landgericht Magdeburg
5. Große Strafkammer

Beschluss

Beschwerdesache
gegen pp.

Verteidiger: Rechtsanwalt Jan-Robert Funck, Schleinitzstraße 14, 38106 Braunschweig

wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

hat die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Magdeburg durch die unterzeichnenden Richter am 10. August 2020 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichtes Halberstadt vom 13, Juli 2020 -Az. 3 Gs 855 Js 86084/19 (365/20) - aufgehoben.

Rechtsanwalt pp. wird dem Beschuldigten als Pflichtverteidiger bestellt.

Gründe

Die Zeugin pp. bekundete am 11. November 2019 in ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung gegenüber dem Zeugen KOK pp. sie habe ihren Lebensgefährten, den gesondert Verfolgten pp. in ungefähr zehn Fällen, in welchen ihm von einem ihr unbekannten ca. 30-jährigen Mann in pp. Drogen in Form von Amphetamin und Methamphetamin für den Weiterverkauf verkauft worden seien, begleitet. Dieser Mann sei 175 cm groß und braungebrannt "durchs Solarium", er habe kurze braun-blonde Haare und fahre einen neuen schwarzen BMW. Etwa im September 2019 habe dieser Mann ihren Lebensgefährten in seiner -Wohnung aufgesucht und ihrem Lebensgefährten die Drogen mitgebracht. Die Zeugen KOK pp. und PK pp. fuhren mit der Zeugin zu dem Ort, an welchem es zur Übergabe der Betäubungsmittel an den gesondert Verfolgten pp. gekommen sei. Es handelte sich dabei um ein Mehrparteienhaus in der pp. in pp. Vor diesem Haus war ein schwarzer BMW geparkt, welcher auf den pp.-jährigen Vater des Beschwerdeführers zugelassen war. Weitere Ermittlungsmaßnahmen führten zu dem Beschwerdeführer. Aufgrund dessen wurde die Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers in der pp. in pp. beantragt, wobei das Ziel der Durchsuchung das Auffinden von Beweismitteln für ein gewerbsmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln des Beschwerdeführers war.

Das Amtsgericht Halberstadt erließ am 08. Januar 2020 -Az. 3 Gs 855 Js 86084/19 (7/20) -den Durchsuchungsbeschluss, wobei es einen Anfangsverdacht hinsichtlich des gewerbsmäßigen Handeltreibens bejahte. Die Durchsuchung erfolgte "coronabedingt" erst am 25. Juni 2020. In dem Mehrparteienhaus bewohnte der Beschwerdeführer mit seiner Lebensgefährtin. die Dachgeschosswohnung, seine Eltern die Wohnung in der zweiten Etage und seine Großmutter die Wohnung in der ersten Etage. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers wurden im Schlafzimmer eine Taschenlampen-ElektroschockKombination sowie ein Teleskopschlagstock gefunden, wobei die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers einräumte, dass diese Gegenstände ihr gehörten. In der Wohnung der Eltern des Beschwerdeführers wurden auf der Fensterbank in der Küche zwei Schlagringe sowie ein Butterflymesser gefunden, wobei die Mutter des Beschwerdeführers bekundete, diese gehörten ihrem Sohn. Sie habe sie bereits wegwerfen wollen. Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin bekundeten wiederum, diese Gegenstände seien seiner Lebensgefährtin zuzuordnen. Im Keller in dem Mehrparteienhaus wurde ein Karton, welcher weißes Pulver enthielt mit der Aufschrift "Caffeine" gefunden. Mit anwaltlichem Schreiben vom 03. Juli 2020, bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg (Zweigstelle Halberstadt) am selben Tag eingegangen, beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers die Beiordnung als Pflichtverteidiger.

Jenes lehnte das Amtsgerichts Halberstadt mit Beschluss vom 13. Juli 2020 -Az. 3 Gs 855 Js 86084/19 (365/20) - mit der Begründung ab, ein Fall der notwendigen Verteidigung läge weder gemäß § 140 Abs. 1 StPO noch gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor. Eine mit Urteil des Amtsgerichtes Zwickau -Az. 5 Ls 323 Js 19731/13- am 17. Juli 2014 verhängte Restfreiheitsstrafe wegen der vorsätzlichen unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sei am 13. Juni 2019 erlassen worden. Eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr sei nicht zu erwarten.

Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 15. Juli 2020 zugestellt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 17. Juli 2020, am selben Tag bei dem Amtsgericht Halberstadt eingegangen, legte er sofortige Beschwerde mit der Begründung, es bestehe möglicherweise der Verdacht des bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30 a BtMG, ein.

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg (Zweigstelle Halberstadt) beantragte, die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses als unbegründet zu verwerfen. § 30 a BtMG läge nicht vor. Die Waffen seien dem Beschwerdeführer nicht zuzuordnen. Außerdem fehle ein örtlicher Zusammenhang mit den aufgefundenen Betäubungsmitteln.

Die gemäß §§ 142 Abs. 7 S. 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Der Beschluss des Amtsgerichtes Halberstadt vom 13, Juli 2020 -Az. 3 Gs 855 Js 86084/19 (365/20) - hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand, da ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vorliegt. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lässt. So ist es hier, da die Schwere der Rechtsfolge nach ständiger Rechtsprechung bereits bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von über einem Jahr angenommen werden kann (OLG Naumburg, BeckRS 2013, 134; OLG Naumburg, BeckRS 2013, 10548; OLG Düsseldorf, NStZ 1995, 147; LG Stendal, LSK 2018, 50751; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63, Aufl. 2020, § 140, Rn. 23 f.; BeckOK StPO/Krawczyk, 37. Ed. 1.7.2020, StPO § 140 Rn. 23 f). Die Kammer schließt sich dieser Rechtsansicht an, da auch bei Begehung eines Vergehens i. S. v. § 12 Abs. 2 StGB, welche die Annahme einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr rechtfertigt, keine anderen Maßstäbe gelten dürfen, als bei der Begehung eines Verbrechens i.S. v. § 12 Abs, 1 StGB, welche grundsätzlich zur Annahme eines Falles der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO führt. Diese Voraussetzung ist zu bejahen, da eine Verurteilung des Beschwerdeführers bei Erweislichkeit des Tatvorwurfes zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr führen dürfte. Gegen den Beschwerdeführer besteht der Verdacht des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in einem besonders schweren Fall, da die Zeugin pp. bekundete, der Beschwerdeführer habe in mehr als zehn Fällen dem gesondert Verfolgten pp. Betäubungsmittel für den Weiterverkauf verkauft. Nach derzeitigem Stand besteht unter Berücksichtigung der kriminalistischen Erfahrungen, welche auch das Amtsgericht Halberstadt seinem Beschluss vom 08. Januar 2020 -Az. 3 Gs 855 Js 86084/19 (7/20) - zugrunde legte, der Verdacht, dass er dies tat, um sich ein regelmäßiges Einkommen zu verschaffen. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 und 2 Nr. 1 BtMG sieht das Gesetz für das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, sofern der Täter gewerbsmäßig handelt, eine Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr vor. Bei Annahme des Regelbeispiels durch das Tatgericht wird sich der Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG gemäß § 29 Abs. 3 S. 1 BtMG erhöhen. Im Weiteren dürfte zu beachten sein, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Amtsgericht Zwickau vom 17. Juli 2014 -Az. 5 Ls 323 Js 19731/13- noch nicht gemäß §§ 45 Abs. 1, 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG tilgungsreif ist und somit gemäß § 46 StGB i. V. m. § 51 BZRG strafschärfend berücksichtigt werden darf, so dass die zu erwartende Rechtsfolge in diesen Fällen schwer i. S. v. § 140 Abs. 2 StPO ist.

Zur Analyse des weißen Stoffes in dem Karton dürfte ein Sachverständigengutachten erforderlich sein, weswegen die Schwierigkeit der Sache auch nicht unerheblich i. S. v. § 140 Abs. 2 StPO sein wird.

Entgegen der Auffassung der Verteidigung besteht kein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO, da ein Verdacht des unerlaubten Handeltreibens gemäß § 30 a BtMG nach derzeitigem Stand nicht besteht. Die Staatsanwaltschaft hat zutreffend ausgeführt, dass die zwei Schlagringe, das Butterflymesser, die TaschenlampeElektroschock-Kombination sowie der Teleskopschlagstock nicht dem Beschwerdeführer zuzuordnen sein dürften. Jenes wird, nach derzeitigem Ermittlungsstand, durch die Aussage seiner Lebensgefährtin gestützt, welche sich selbst eines Verstoßes gegen das Waffengesetz bezichtigte, Im Übrigen dürfte es, wie von der Staatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt, auch in dem Fall, dass diese Gegenstände dem Beschwerdeführer zuzuordnen wären, an der Zugriffsnähe i. S. v. § 30 a BtMG fehlen. Das Mitsichführen setzt voraus, dass die Waffe dem Täter in irgendeinem Stadium des Tatherganges zur Verfügung steht, d. h. sich so in seiner räumlichen Nähe befindet, dass er sich ihrer jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten, bedienen kann. Dieses ist nicht mehr der Fall, wenn die Waffe und die Betäubungsmittel in einem Raus in unterschiedlichen, auch schwer zugänglichen Etagen, getrennt gelagert werden (Körner/PatzakNoikmer/VVeber, 9. Aufl. 2019, § 30 a, Rn. 79, 81). So liegt es hier, da die vermeintlichen Betäubungsmittel in dem Karton mit der Aufschrift "Caffeine" im Keller gelagert worden sind und die Wohnung des Beschwerdeführers im Dachgeschoss lag.


Einsender: RA J.R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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