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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, nachträgliche Bestellung, Rechtsmittel

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Wiesbaden, Beschl. v. 04.03.2020 - 1 Qs 8/20 u. 1 Qs 10/20

Leitsatz: Eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung ist nicht ausnahmslos unzulässig. Die dem Beschuldigten durch die Einräumung eines Rechtsmittels gegen eine Beiordnung kraft Gesetzes gewährte Überprüfungsmöglichkeit darf ihm nicht dadurch entzogen werden, dass das Gericht schlicht untätig bleibt und der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung durch Abtrennung des Verfahrens oder Einstellung des Verfahrens überholt wird.


LG Wiesbaden
1 Qs 8/20 u. 1 Qs 10/20

Beschluss

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Diebstahls

hat das Landgericht Wiesbaden — 1. Große Strafkammer - am 04.03.2020 beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten vom 27.11.2019 ist erledigt.

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 28.11.2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 28.11.2019 aufgehoben und dem Angeklagten wird Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Beschwerdeverfahren werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Gegen den Angeklagten wurde am 22.07.2019 Anklage vor dem Amtsgericht Wiesbaden -Schöffengericht — erhoben Ihm wird in der Anklage zur Last gelegt, am 23.11.2018 gemeinschaftlich handelnd mit dem Mitangeklagten pp. einen Diebstahl begangen zu haben, wobei einer der Beteiligten ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führte (§§ 244 Abs. 1 Ziff. 1 a, 25 Abs.2 StGB). In der Begleitverfügung zur Anklage beantragte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden, auch dem Angeklagten pp. einen Pflichtverteidiger
beizuordnen.

Das Amtsgericht hörte den Angeklagten zur Verteidigerbestellung an. Mit Beschluss vom 09.09.2019 ließ es die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht. Einen Verteidiger ordnete es dem Angeklagten pp. nicht bei. Zugleich bestimmte es einen zeitnahen Termin zur Hauptverhandlung auf den 04.12.2019. da sich der Mitangeklagte pp. in Untersuchungshaft befand.

Mit Schreiben vom 21.11.2019 zeigte Rechtsanwalt pp. die Verteidigung des Angeklagten pp. an und beantragte. als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden.

Mit Beschwerde vom 27.11.2019 rügte der Angeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt pp., die bislang unterbliebene Pflichtverteidigerbestellung. Zugleich beantragte er Verlegung des Hauptverhandlungstermins vom 04.12.2019, da Rechtsanwalt pp. an diesem Tag verhindert sei.

Mit Beschluss vom 28.11.2019 trennte das Amtsgericht das Verfahren gegen den Angeklagten pp. ab, da der Verteidiger pp. 04.12.2019 verhindert war, aber im Hinblick auf die Untersuchungshaft des Angeklagten pp. eine Beschleunigung geboten war und somit eine gemeinsame Verhandlung nicht möglich war.

Mit Beschluss vom gleichen Tag lehnte das Amtsgericht die Bestellung von Rechtsanwalt pp. zum notwendigen Verteidiger des Angeklagten pp. ab. Zur Begründung führte es an. die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 und des § 140 Abs. 1 StPO seien nicht erfüllt, nachdem das Verfahren gegen den Angeklagten pp. abgetrennt worden sei.

Gegen diesen Beschluss legte der Angeklagte am 28.11.2019 Beschwerde ein.

Die Beschwerden des Angeklagten vom 27.11.2019 und vom 28.11.2019 sind gem. § 304 StPO zulässig.

Die Beschwerde des Angeklagten gegen die bislang unterbliebene Pflichtverteidigerbestellung ist durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 28.11.2019, in welchem die Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt wurde, prozessual überholt und damit erledigt.

Die Beschwerde vom 28.11.2019 gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung hat in der Sache Erfolg.

Eine rückwirkende Bestellung, um welche es sich für das Ursprungsverfahren mit dem Aktenzeichen 2250 Js 19804/19 handelt, ist zwar nach der weit überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unzulässig und unwirksam (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt — Schmitt, 62. Aufl., § 141 StPO Rn. 8 m. w. N.), da die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Angeklagten oder seines Verteidigers dient. Die Beiordnung verfolgt allein den Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Angeklagter in entsprechenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der Verfahrensablauf gewährleistet wird (Meyer-Goßner/Schmitt — Schmitt a.a.O.).

Die angenommene Unzulässigkeit einer rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung darf jedoch nicht ausnahmslos gelten. Der Gesetzgeber sieht gegen die Versagung einer Beiordnung ein Rechtsmittel vor. Die dem Beschuldigten hierdurch kraft Gesetzes gewährte Überprüfungsmöglichkeit darf ihm nicht dadurch entzogen werden, dass das Gericht schlicht untätig bleibt und der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung durch Abtrennung des Verfahrens oder Einstellung des Verfahrens überholt wird Der verfassungsrechtlich garantierte Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Artikel 20 Absatz 3 GG gebietet es. dass der Antrag des Verteidigers auf Beiordnung zeitnah entschieden wird (LG Dresden. Beschluss vom 06. Januar 2011 — 3 Qs 174/10 —, Rn. 31 - 6, im Ergebnis ebenso OLG Stuttgart. Justiz 2010, 378 f; Landgericht München Beschluss vom 21.01. 2014. Az. 22 Qs 5/14. Landgericht Halle Beschluss vom 28.12.2009, Az. 6 Qs 68109).

Die Anwendung dieser Grundsätze führt vorliegend zur Aufhebung des Ablehnungsbeschlusses. Der Antrag auf Beiordnung war rechtzeitig angebracht und auch entscheidungsreif. Rechtsanwalt pp. hat erstmals mit Schriftsatz vom 21.11.2019 seine Bestellung als Pflichtverteidiger des Angeklagten beantragt; einen gleichlautenden Antrag stellte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden zudem in ihrer Begleitverfügung zur Anklage vom 22.07.2019. Auf die Beschwerde des Angeklagten gegen die unterbliebene Pflichtverteidigerbestellung vom 27.11.2019 reagierte das Amtsgericht Wiesbaden, indem es das Verfahren gegen den Angeklagten von dem Verfahren gegen den Mitangeklagten pp. mit Beschluss vom 28.11.2019 abtrennte und mit Beschluss vom gleichen Tag den Antrag von Rechtsanwalt pp. auf Bestellung als notwendiger Verteidiger zurückwies. Wenn über die Beschwerde, sei es durch eine Abhilfeentscheidung oder nach der Vorlage an das Beschwerdegericht, unverzüglich entschieden worden wäre. hätte die letztlich durch Untätigkeit des Gerichts erfolgte Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung zumindest durch das Beschwerdegericht korrigiert werden können. bevor das Verfahren abgetrennt wurde.

Entscheidend für eine zulässige Ausnahme einer rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung ist demnach, dass zum Zeitpunkt des rechtzeitig gestellten und entscheidungsreifen Antrages auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers die Voraussetzungen des § 140 StPO vorlagen.

Diese Voraussetzungen waren vorliegend gegeben.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung war dem Angeklagten pp. ein Verteidiger bereits aus dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO beizuordnen. Eine Tat ist in der Regel dann als ''schwer" gem. § 140 Abs. 2 StPO anzusehen, wenn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr zu erwarten ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2000 - 2 Ss 1013/2000). Der Angeklagte ist des gemeinschaftlichen Diebstahls, wobei einer der Beteiligten ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führte. angeklagt. Ausweislich der Anklageschrift weist der Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 18.6.2019 für den Angeklagten bereits 4 Eintragungen auf. Angesichts des Anklagevorwurfes und der Vorstrafen ist eine Strafe von einem Jahr oder mehr zu erwarten. Ferner besteht eine die Beiordnung rechtfertigende schwierige Sachlage, weil es vorliegend zur sachdienlichen Verteidigung gehört, dass der Akteninhalt bekannt ist. Dieser ist aber nur dem Verteidiger zugänglich, so dass in diesem Falle die Bestellung des Pflichtverteidigers unumgänglich ist (OLG Frankfurt. Beschluss vom 31. März 2009 — 3 Ws 271/09 —, Rn. 4). In den Akten befindet sich die CD mit der Videoaufzeichnung der Tat. die für die Frage der Täterschaft ein wesentliches Beweismittel darstellt. Ferner befinden sich in der Akte die Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin und die ärztlichen Berichte über die Entnahme der Blutprobe, die für die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten Bedeutung erlangen können.

Aufgrund dieser Umstände, die nach wie vor gegeben sind, ist auch für das abgetrennte Verfahren mit dem Aktenzeichen 2250 Js 10360/20, welches in der Beschwerde vorgelegt wurde, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers notwendig.

Gemäß § 309 Abs 2 StPO hat das Beschwerdegericht im Falle einer begründeten Beschwerde zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung zu erlassen. Aus diesem Grund war die beantragte Pflichtverteidigerbestellung durch die Beschwerdekammer vorzunehmen

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.


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