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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidigerwechsel, Vollzug der Sicherungsverwahrung

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 27.08.2019 - 2 Ws 135/19

Leitsatz: 1. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 463 Abs. 8 StPO gilt auch für jedes weitere Verfahren, solange sie nicht aufgehoben wird.
2. Die Zulässigkeit eines Pflichtverteidigerwechsels im Rahmen des § 463 Abs. 8 StPO ist außerhalb der Fallgestaltungen der Rücknahme der Bestellung nach § 143 StPO nicht allein daran zu messen, ob ein "wichtiger Grund“ vorliegt oder nicht.
3. Für einen neuen Vollstreckungsabschnitt rechtfertigen - anders als in einem laufenden Abschnitt - weder Kostengesichtspunkte noch Gründe der Prozessökonomie die Ablehnung eines Beiordnungsantrages eines neuen Verteidigers.


KAMMERGERICHT

Beschluss

Geschäftsnummer:
2 Ws 135/19 - 121 AR 156/19

In der Sicherungsverwahrungssache
gegen pp.

wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 27. August 2019 beschlossen:


1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 21. Juni 2019 aufgehoben.
2. Unter Entpflichtung von Rechtsanwalt F wird dem Beschwerdeführer auf seinen Antrag Rechtsanwalt O gemäß § 463 Abs. 8 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.

Gründe:

I.

Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 21. November 2005 (rechtskräftig seit dem 29. Juni 2006) wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Geiselnahme, schwerem Raub und vorsätzlicher Körperverletzung, wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Vergewaltigung, räuberischer Erpressung und vorsätzlicher Körperverletzung, wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten und ordnete die anschließende Sicherungsverwahrung an.

Mit Beschluss vom 5. Februar 2016 stellte die Strafvollstreckungskammer fest, dass die Vollzugsbehörde dem Beschwerdeführer eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Betreuung angeboten hat (§ 66c Abs. 2 iVm. Abs. 1 Nr. 1 StGB) und ordnete ihm am 5. Dezember 2016 Rechtsanwalt F für „das Verfahren über die Maßregel der Sicherungsverwahrung entsprechend § 140 Abs. 2 StPO“ bei. Am 31. Juli 2017 zeigte Rechtsanwalt H an, von dem Betroffenen mit der „Beratung und gegebenenfalls Vertretung neben“ Rechtsanwalt F beauftragt worden zu sein.

Am 2. August 2017 ordnete das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - den Vollzug der Sicherungsverwahrung an. Sein hiergegen gerichtetes und über Rechtsanwalt H eingelegtes Rechtsmittel blieb ohne Erfolg (Senat, Beschluss vom 17. Oktober 2017 - 2 Ws 135/17 -). Das Strafende war für den 23. August 2017 notiert. Seit dem 24. August 2017 befindet sich der Beschwerdeführer in Sicherungsverwahrung.

Im vorangegangenen Vollstreckungsabschnitt teilte Rechtsanwalt H mit Schreiben vom 19. Juli 2018 die Beendigung des Mandatsverhältnisses mit, woraufhin der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 24. Juli 2018 (erneut) Rechtsanwalt F gemäß § 463 Abs. 8 StPO zum Pflichtverteidiger bestellte.

Mit Schriftsatz vom 13. September 2018 zeigte Rechtsanwalt O an, den Beschwerdeführer „im aktuellen Verfahrensabschnitt als Wahlverteidiger“ zu vertreten. Im Hinblick darauf hob der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 29. Januar 2019 die Beiordnung von Rechtsanwalt F „für diesen Verfahrensabschnitt“ auf.

Am 13. Februar 2019 wurde der Beschwerdeführer im Beisein seines Wahlverteidigers mündlich angehört. In diesem Anhörungstermin beantragte Rechtsanwalt O seine „Beiordnung für zukünftige Vollstreckungsabschnitte“. Mit Beschluss vom selben Tag ordnete die Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung an und verkürzte die Überprüfungsfrist auf sieben Monate.

Am 26. Februar 2019 beantragte Rechtsanwalt O mit der Begründung, diese sei für ein „eventuelles Beschwerdeverfahren“ notwendig, (erneut) „die Umstellung der Beiordnung“ auf ihn. Mit Beschluss vom 27. Februar 2019 lehnte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer den Antrag ab und bestellte wiederum Rechtsanwalt F gemäß § 463 Abs. 8 StPO zum Pflichtverteidiger. Durch Schriftsatz von Rechtsanwalt O vom 1. März 2019 legte der Verurteilte hiergegen Beschwerde ein, die der Senat mit Beschluss vom 23. April 2019 - 2 Ws 62/19 - als unzulässig verwarf. Zugleich wies der Senat darauf hin, dass das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - zu Beginn eines möglichen künftigen Vollstreckungsabschnitts über den (mangels Vorliegens der Voraussetzungen damals noch nicht beschiedenen) Antrag von Rechtsanwalt O auf Bestellung zum Pflichtverteidiger vom 13. Februar 2019 zu entscheiden haben würde. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 23. April 2019 verwiesen.

Die gegen den Fortdauerbeschluss vom 13. Februar 2019 gerichtete sofortige Beschwerde nahm der Verurteilte durch Schriftsatz seines Wahlverteidigers vom 30. April 2019 zurück.

Unter dem 22. Mai 2019 vermerkte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer, dass im Hinblick auf „den stark verkürzten Überprüfungszeitraum und auf Grund der Verschiebung des Streits zur Pflichtverteidigerbestellung in den neuen Überprüfungszeitraum durch den Beschluss des KG vom 23.4.2019 […] bereits jetzt das Verfahren zur erneuten Prüfung nach §§ 67d, e StGB in Gang zu setzen“ sei und verfügte die Vergabe eines neuen Geschäftszeichens. Mit Verfügung vom 7. Juni 2019 vermerkte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer seine Rechtsansicht hinsichtlich eines Pflichtverteidigerwechsels und übersandte die Akten zwecks Einholung einer aktuellen Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Tegel an die Staatsanwaltschaft.

Namens und im Auftrag des Beschwerdeführers beantragte Rechtsanwalt O mit an die Staatsanwaltschaft gerichtetem Schriftsatz vom 5. Juni 2019 (erneut) seine Beiordnung gemäß § 463 Abs. 8 StPO.

Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer diesen Antrag ab. Hiergegen richtet sich die über Rechtsanwalt O eingelegte Beschwerde des Verurteilten vom 1. Juli 2019.

II.

Die nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Untergebrachten ist begründet, weil die Voraussetzungen eines Auswechselns des bestellten Verteidigers auf seinen Wunsch gegeben sind.

Die Bestellung nach § 463 Abs. 8 Satz 2 StPO gilt auch für jedes weitere Verfahren, solange sie nicht aufgehoben wird. Vorliegend ist die Beiordnung von Rechtsanwalt F zurückzunehmen und Rechtsanwalt O für den neuen Vollstreckungsabschnitt zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Entgegen der Begründung des angefochtenen Beschlusses rechtfertigen für einen neuen Vollstreckungsabschnitt - anders als in einem laufenden Abschnitt - weder Kostengesichtspunkte noch Gründe der Prozessökonomie eine Ablehnung eines Beiordnungsantrages eines neuen Verteidigers (vgl. Senat, Beschluss vom 23. April 2019 - 2 Ws 62/19 -). Grund dafür ist, dass in einem neuen Prüfverfahren die Verteidigergebühren nach Nr. 4200 f. VV-RVG ohnehin neu anfallen und mit dem Wechsel des Pflichtverteidigers keine Verfahrensverzögerung einhergehen würden.

Es kann dahinstehen, ob der neue Vollstreckungsabschnitt hier mit der Verfügung des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer vom 22. Mai 2019 oder mit der vom 7. Juni 2019 begann (zum Zeitpunkt des Beginns eines Vollstreckungsabschnitts vgl. ausführlich Pollähne StV 2018, 141), denn jedenfalls hat der Beschwerdeführer seinen Antrag rechtzeitig gestellt.

Gründe des Vertrauensschutzes des bestellten Pflichtverteidigers erfordern es ebenfalls nicht, dass hohe Anforderungen an die Auswechslung des Pflichtverteidigers vor oder zu Beginn des nächsten Prüfungsverfahrens zu stellen wären. Wesentlicher Schutzzweck der neu eingeführten Regelung des § 463 Abs. 8 StPO ist es, die erforderliche Verteidigung des Untergebrachten sicherzustellen, und nicht dem Pflichtverteidiger eine dauernde Einnahmequelle zu verschaffen (vgl. OLG Nürnberg NStZ 2017, 118).

Die gegen diese überwiegend vertretene Auffassung (vgl. Senat aaO; OLG Nürnberg aaO, jeweils mwN) vorgebrachten Argumente des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer vermögen nicht zu überzeugen. Eine Verfahrensverzögerung durch eine Auswechslung des Pflichtverteidigers ist hier - insbesondere in Anbetracht des rechtzeitig gestellten Antrages sowie der Verfahrenskenntnis des bereits zuvor als Wahlverteidiger tätig gewesenen Rechtsanwalts O - nicht ersichtlich.

In Anlehnung an die Gesetzesmaterialien zu § 463 Abs. 8 StPO (Gesetzesentwurf zur bundeseinheitlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung, BT-Drs. 17/9874 S. 27) greift es nach Auffassung des Senats zu kurz, die Zulässigkeit eines Pflichtverteidigerwechsels außerhalb der Fallgestaltungen der Rücknahme der Bestellung nach § 143 StPO allein daran zu messen, ob eine der von der Rechtsprechung für das Erkenntnisverfahren entwickelten Fallgruppen des „wichtigen Grundes“ - wie etwa die nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Untergebrachten und dem Verteidiger - vorliegt oder nicht. Denn dies hätte zur Folge, den Untergebrachten - ggf. über einen extrem langen Zeitraum hinweg - an einen Verteidiger zu binden, bei dem sich zwar keine „wichtigen Gründe“ im genannten Sinne für einen Wechsel anführen lassen, zu dem der Untergebrachte aber gleichwohl - bei langjährigem Vollzug der Sicherungsverwahrung nicht fernliegend - das Vertrauen wegen dessen (vermeintlich) „erfolgloser“ Tätigkeit verloren hat (vgl. in diesem Sinne auch OLG Nürnberg aaO). Dies liefe jedoch dem mit Einführung von § 463 Abs. 8 StPO vom Gesetzgeber verfolgten Zweck, die Verteidigung des in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten in einer Weise zu regeln, die den Besonderheiten der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angemessen Rechnung trägt, ersichtlich zuwider (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juli 2019 - 2 Ws 226/19 -, juris).

Ausweislich der Materialien (BT-Drs. aaO) hatte der Gesetzgeber bei der Einführung von § 463 Abs. 8 StPO das Ziel vor Augen, der in diesem Bereich als zu restriktiv wahrgenommenen Beiordnungspraxis der Strafvollstreckungskammern entgegenzutreten. Insgesamt sollten demnach die Rechte des Untergebrachten in dessen Verteidigung gestärkt werden. Mit der gewählten Konstruktion der „Dauerpflichtverteidigung“ (§ 463 Abs. 8 Satz 2 Halbsatz 2 StPO) war insoweit lediglich eine Verfahrensvereinfachung bezweckt (BT-Drs. aaO). Wird die damit als Vereinfachung gedachte Konstruktion jedoch dahingehend umgesetzt, dass stets lediglich unter der Voraussetzung des Vorliegens eines „wichtigen Grundes“ im oben dargelegten Sinne eine Auswechslung in der Person des Verteidigers ermöglicht wird, führte dies dazu, dass die zur Stärkung der Rechte des Untergebrachten gedachte Regelung sich für diesen in solcher Hinsicht in einen Nachteil verkehrte. Dies ist nach Auffassung des Senats angesichts der auch vom Gesetzgeber ausdrücklich gesehenen besonderen Bedeutung und Tragweite jeder Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung nicht hinzunehmen (vgl. OLG Karlsruhe aaO).

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


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