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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Trennungsvermögen, Grenzwert

Gericht / Entscheidungsdatum: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 03.01.2019 - VGH 10 S 1928/18

Leitsatz: Zum Grenzwert beim sog. Trennungsvermögen


In pp.

hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof und den Richter am Verwaltungsgericht
am 3. Januar 2019 beschlossen:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 2. August 2018 - 7 K 632/18 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Die statthafte und auch sonst nach §§ 146, 147 VwGO zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Auf der Grundlage der vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, kommt eine Änderung der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht in Betracht.

Der Antragsteller rügt zusammengefasst, das Verwaltungsgericht habe die Entscheidung über seinen Antrag, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehung der ihm erteilten Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L wiederherzustellen, nicht auf die Einzelrichterin übertragen dürfen. Der Frage, ob eine erstmalige Verletzung des Trennungsgebots zwischen dem gelegentlichen Konsum von Cannabis und der Teil-nahme am öffentlichen Straßenverkehr den sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertige, komme - wie das zu dieser Problematik beim Bundesverwaltungsgericht anhängige Revisionsverfahren zeige - grundsätzliche Bedeutung zu. In der Sache seien die Erwägungen, mit denen das Verwaltungsgericht trotz zwischenzeitlicher Neubewertung durch die Grenzwertkommission im Jahr 2015 an einem Grenzwert von 1,0 ng/ml THC im Blut festhalte, nicht tragfähig. Wenn eine Leistungseinbuße bis zu bestimmten Werten nicht nachweisbar sei, sei der Umkehrschluss, dass unterhalb dieses Werts Leistungseinbußen gegeben sein könnten, unhaltbar. Die zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebe hierfür nichts her, weil sie durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse überholt sei. Schließlich setze sich das Verwaltungsgericht nicht hinreichend mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auseinander, der ausgehend von der Normstruktur des § 14 FeV überzeugend dargelegt habe, warum in Fällen wie dem vorliegenden ein sofortiger Entzug der Fahrerlaubnis nicht von den gesetzlichen Regelungen gedeckt sei. Die zitierte Rechtsprechung des Senats stehe dem nicht entgegen, weil ihr ein Referenzfall zugrunde gelegen habe, in dem der Betroffene zum zweiten Mal unter THC-Einfluss am Straßenverkehr teilgenommen habe.
Damit kann der Antragsteller nicht durchdringen.

1. Die Übertragung des Rechtsstreits auf die Einzelrichterin ist durch Kammerbeschluss vom 02.08.2018 erfolgt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO), der gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 VwGO unanfechtbar ist. Für das Berufungs- und das Berufungszulassungsverfahren ergibt sich aus § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 512 ZPO, dass die dem Endurteil vorausgehenden unanfechtbaren Entscheidungen einer inhaltlichen Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht entzogen sind. Dies gilt auch für das Beschwerdeverfahren (vgl. BayVGH, Beschluss vom 10.02.2004 - 10 CS 04.40 - BayVBI 2004, 696 m. w. N.). Allein eine behauptete Fehlerhaftigkeit des Einzelrichterübertragungsbeschlusses ist daher nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Hierzu müsste vielmehr gel-tend gemacht und dargelegt werden, dass der geltend gemachte Verstoß gegen § 6 VwGO zugleich eine Verletzung der prozessualen Gewährleistungen des Grundgesetzes - konkret des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) - darstellt. Hierfür genügt aber nicht bereits die Behauptung einer fehlerhaften Anwendung des einfachen Pro-zessrechts. Das Verfassungsgebot des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist vielmehr erst dann verletzt, wenn die - unterstellt - fehlerhafte Auslegung oder Anwendung des einfachen Rechts willkürlich oder manipulativ ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.10.2001 - 8 B 104.01 - NVwZ-RR 2002, 150; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.03.2014 - 8 S 2628/13 - NVwZ-RR 2014, 545; NdsOVG, Beschluss vom 17.05.2016 - 8 LA 40/16 -; OVG Nordrhein-Westfa-len, Beschluss vom 26.07.2012 - 1 A 1775/10 -; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.02.2010 - 1 L 95/09 - jeweils juris). Dergleichen hat der Antragsteller aber schon nicht dargetan. Hierfür bestehen im Übrigen auch keinerlei Anhaltspunkte. Die Frage, ob bereits die erstmalige Feststellung des Führens eines Kraftfahrzeuges unter Cannabiseinfluss den Schluss auf ein fehlendes Trennungsvermögen im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV und den sich daraus ergebenden Mangel im Sinne von § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV erlaubt, ist zwar im Anschluss an die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschlüsse vom 14.09.2016 - 11 CS 16.1467 -, vom 29.08.2016 - 11 CS 16.1460 - und vom 10.07.2017 - 11 CS 17.1058 - juris; Urteil vom 25.04.2017 - 11 BV 17.33 - Blutalkohol 54, 268) umstritten. Allein dies und die Anhängigkeit eines Revisionsverfahrens zu dieser Frage (BVerwG 3 C 13.17) begründet für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aber keine eine Einzelrichterübertragung hindernde Grundsatzbedeutung. Betrachtet man die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs mit Blick hierauf als offen, führt dies im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vielmehr zu einer Inte-ressenabwägung, bei der nicht zuletzt dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs eine erhebliche Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.11.2018 - 3 VR 1.18 - juris).
2. Der Senat geht trotz der neuen Empfehlungen der Grenzwertkommission vom September 2015 (Blutalkohol 2015, 322) nach wie vor bereits ab einer festgestellten THC-Konzentration von 1 ng/ml im Blutserum von einem fehlenden Trennungsvermögen im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV aus (vgl. Senatsbeschlüsse vom 07.03.2017 - 10 S 328/17 - VRS 132, 87 und vom 22.07.2016 - 10 S 738/16 - VRS 130, 272). Entscheidend ist insoweit - wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat (Beschlussabdruck, S. 5 f.) -, dass es sich hierbei um einen Risikogrenzwert handelt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.10.2014 - 3 C 3.13 - NJW 2015, 2439) und Verkehrsbeeinträchtigungen sowie damit verbunden eine Gefährdung höchstrangiger Rechtsgüter auch nach Auffassung der Grenzwertkommission bereits ab diesem Wert nicht praktisch ausgeschlossen werden können. Die neueren Empfehlungen der Grenzwertkommission, erst ab einer THC-Konzentration von 3 ng/ml im Blutserum vom fehlenden Trennungsvermögen des Cannabiskonsumenten auszugehen, rechtfertigen es deswegen nicht, vom bisherigen Grenzwert abzuweichen (so auch OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.06.2018 - 4 MB 45/18 - Blutalkohol 55, 380; SächsOVG, Beschluss vom 12.12.2017 - 3 B 282/17 - Blutalkohol 55, 266; OVG Hamburg, Beschluss vom 15.11.2017 - 4 Bs 180/17 VRS 132, 140; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.09.2017 - 3 M 171/17 Blutalkohol 55, 85; HessVGH, Beschluss vom 17.08.2017 - 2 B 1213/17 - Blutalkohol 54, 390; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.03.2017 - 16 A 432/16 - Blutalkohol 54, 328; BayVGH, Beschluss vom 23.05.2016 - 11 CS 16.690 - VRS 130, 164).

3. Bis zur grundsätzlichen Klärung im anhängigen Revisionsverfahren hält der Senat jedenfalls im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes an seiner Rechtsprechung fest, derzufolge bei einem Betroffenen, der gelegentlich Cannabis konsumiert, die Kraftfahreignung nach Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV bereits dann fehlt, wenn eine Fahrt mit einer THC-Konzentration ab 1,0 ng/ml im Blutserum belegt ist (vgl. hierzu bereits Senatsbeschluss vom 07.03.2017, a.a.O.). Die systematischen Erwägungen, mit denen der Bayerische Verwal-tungsgerichtshof dem entgegengetreten ist, zwingen nicht zu einer Abkehr von dieser Rechtsansicht, die von den anderen Obergerichten noch immer ganz überwiegend geteilt wird (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31.08.2018 - 3 M 290/18 - Blutalkohol 55, 449; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.06.2018, a.a.O.; OVG Bremen, Beschluss vom 30.04.2018 – 2 75/18 - VRS 134, 31; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.03.2018 – 10 10060/18 - VRS 133, 47; SächsOVG, Beschluss vom 26.01.2018 - 3 B 384/17 - VRS 133, 44; HessVGH, Beschluss vom 21.09.2017 - 2 D 1471/17 VRS 132, 79; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2017 - 1 S 27.17 - juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.03.2017, a.a.O.; NdsOVG, Beschluss vom 07.04.2017 - 12 ME 49/17 - Blutalkohol 54, 274). So verbleibt für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV auch danach ein Anwendungsbereich. Es fehlt überdies an Anhaltspunkten dafür, dass der Verordnungsgeber eine völlige Gleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsum beabsichtigt hätte oder eine solche zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erforderlich sein könnte.

Im Übrigen würde auch eine Interessenabwägung hier zulasten des Antragstellers ausfallen. Denn bereits die Möglichkeit einer rauschmittelbedingten Beeinträchtigung der Fahreignung rechtfertigt die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung. Diese kann aber bei einer vorausgegange-nen Drogenfahrt wie hier grundsätzlich nur dann sicher ausgeschlossen werden, wenn eine medizinisch-psychologische Untersuchung die aktuelle Fahreignung des Betroffenen ergibt (vgl. insoweit BVerwG, Beschluss vom 05.11.2018, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.- 6 -

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 sowie § 52 Abs. 1 und 2 GKG i. V. m. den Empfehlungen Nr. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungs-gerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt z. B. in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, unter § 163).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


Einsender: RA H. Urbanzyk, Coesfeld

Anmerkung:


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