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Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Beschleunigungsgrundsatz, Fertigstellung des Protokolls der Hauptverhandlung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Nürnberg, Beschl. v. 2 Ws 645/18

Leitsatz: Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Erstellung eines kompletten Hauptverhandlungsprotokolls im unmittelbaren Anschluss an die Hauptverhandlung und damit parallel zur Erstellung der Urteilsgründe erfolgt.


Oberlandesgericht Nürnberg
2 Ws 645/18

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Verbrechens nach § 29a BtMG u.a.
hier: Beschwerde des Angeklagten

erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - 2. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 28. September 2018 folgenden
Beschluss

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.02.2018 aufgehoben.

2. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Nürnberg vom 16.122016 nach seiner Auslieferung aus Polen seit 22.02,2017 in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl vom 16.12.2016 wurde zunächst durch den Haftbefehl des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 09.05.2017 ersetzt. Mit der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht Nürnberg-Fürth am 22.02.2018 zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren sechs wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen erließ das Landgericht Nürnberg-Fürth am gleichen Tag zudem einen neuen Haftbefehl.

Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, sodass es nicht rechtskräftig ist.

Das unterschriebene Urteil gelangte am 23.05.2018 zu den Akten. Das Protokoll der Hauptverhandlung wurde durch den Vorsitzenden der 1. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth am 09.08.2018 fertiggestellt. Mit Verfügung vom gleichen Tag ordnete der Vorsitzende die Zustellung des Urteils und des Protokolls an. Die Verfügung wurde seitens der Geschäftsstelle am 16.08.2018 ausgeführt. Die Zustellung an die Verteidiger des Angeklagten erfolgte letztlich am 20.08.2018 (Rechtsanwalt M.) und 21.08.2018 (RA pp.).

Mit Schreiben seiner Verteidiger vom 05.09.2018 (Rechtsanwalt M.) und 07.09.2018 (pp.). legte der Angeklagte Beschwerde gegen den Haftbefehl des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.02.2018 ein und beantragte wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen die Aufhebung des Haftbefehls.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat der Haftbeschwerde des Angeklagten mit Beschluss vom 11.09.2018 nicht abgeholfen.

Mit Schreiben vom 13,09.2018 hat die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg beantragt die Be-schwerde als unbegründet zu verwerfen.

Der Senat hat mit Verfügung vom 20.09.2018 dem Vorsitzenden der 1. großen Strafkammer des Landgericht Nürnberg-Fürth um eine dienstliche Stelungnahme gebeten, weswegen das Protokoll erst am 09.08.2018 fertiggestellt werden konnte.

In seiner dienstlichen Stellungnahme vom 25.09.2018 führte der Vorsitzende der 1. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Wesentlichen aus, dass die Fertigstellung des Protokolls durch mehrfache notwendige Korrekturen bis zum 09.08.2018 gedauert hat.

Der Senat nimmt im Übrigen auf die genannten Entscheidungen. Schreiben und Verfügungen vollumfänglich Bezug.

II.

Die zulässige Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache Erfolg.

Der an sich gerechtfertigte Haftbefehl ist aufzuheben, da das Verfahren nach Erlass des Urteils vom 22.02.2018 nicht die in Haftsachen gebotene, auf den Freiheitsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 2 MRK beruhende Beschleunigung erfahren hat. Mit dem verfassungsrechtlich zu beachtenden Beschleunigungsgebot ist es vorliegend unvereinbar, dass der Vorsitzende der 1. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth das Hauptverhandlungsprotokoll erst am 09.08.2018 fertiggestellt hat und Urteil und Protokoll erst am 20./21.08.2018 an die Verteidiger zugestellt wurden.

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK aus-drücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (BVerfG, Beschluss vom 20.12.2017 - 2 ByR 2552/17).

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem im Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu. Dieses verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine abschließende Entscheidung über den Anklagevorwurf mit der gebotenen Schnelligkeit herbeizuführen. Kommt es aufgrund vermeidbarer Fehler der Justizorgane zu einer erheblichen Verzögerung, so steht dies der Aufrechterhaltung des Haftbefehls regelmäßig entgegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt und gleichzeitig zu beachten, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruches gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößert. In diesem Zusammenhang verlangt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen auch, dass die Erstellung eines kompletten Hauptverhandlungsprotokolls im unmittelbaren Anschluss an die Hauptverhandlung und damit parallel zur Erstellung der Urteilsgründe erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2005 - 2 BvR 2057/05, StV 2006, 81).

Bei Beachtung dieser Vorgaben und des Umstandes, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung seit einem Jahr und zwischenzeitlich seit einem Jahr und sieben Monaten in Untersuchungshaft befindet, ist das Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth nach Urteilsverkündung dadurch erheblich verzögert worden, dass eine Fertigstellung des Protokolls nicht bereits zum 23.05.2018 erfolgt ist. Vom Tag der Urteilsverkündung am 22.02.2018 bis zur Fertigstellung des Protokolls am 09.08.2018 vergingen fünfeinhalb Monate. Selbst ab dem 23.05.2018, dem Zeitpunkt an dem das Urteil zur Geschäftsstelle gelangt ist, dauerte die Fertig-stellung des Protokolls noch zwei Monate und 17 Tage, bis zur Zustellung des Urteils und des Protokolls an die Verteidiger sogar knapp drei Monate. Der Fortgang des Revisionsverfahrens hat sich dadurch erheblich verzögert, da die Revisionsbegründungsfrist erst mit der Urteils- und Protokollzustellung an die Verteidiger zu laufen begonnen hat.

Die verspätete Fertigstellung des Protokolls war sachlich nicht gerechtfertigt und vermeidbar. Auch bei einem Umfang - wie vorliegend - von 274 Seiten stand für die Prüfung und Korrektur des Protokolls vom 22.02.2018 bis 23.05.2018 ausreichend Zeit zur Verfügung. Es spielt in diesem Zusammenhang auch keine Rolle, ob letztendlich der Vorsitzende oder die Protokollführer für die eingetretene Verzögerung verantwortlich waren. Die Verzögerung ist jedenfalls allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen. Die Erklärungen, die der Vorsitzende der 1. Strafkammer in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 25.09.2018 für die Dauer der Fertigstellung des Protokolls abgegeben hat, können zu keiner anderen Beurteilung führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, 2 StPO.


Einsender: RA H. Miek, Sulzbach-Rosenberg

Anmerkung:


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