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Entscheidungen

StPO

Berufungsverwerfung, Vertretungsvollmacht, Erlöschen, Wirksame Zustellung, Gemeinschaftseinrichtung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 12.06.2018 - 1 RVs 107/18

Leitsatz: 1. Zur Wirksamkeit der Zustellung der Ladung zum Berufungshauptverhandlungstermin in einer "Gemeinschaftseinrichtung“.
2. Zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge, mit der eine Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO gerügt wird.


In pp.

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aachen vom 13. September 2017 wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht – Schöffengericht - Aachen hat den Angeklagten am 10. Februar 2017 wegen schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit versuchter Nötigung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Seine hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht in Anwendung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen.

Die Revision des Angeklagten erhebt zwei Verfahrensbeanstandungen und rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Das Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Ergänzend zu den Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft gemäß Vorlageverfügung vom 15. Mai 2018 ist auszuführen:

1. Die Zustellung der Ladung zum Hauptverhandlungstermin vom 13. September 2017 ist wirksam erfolgt.

a) Diese ist dem Angeklagten unter der im Rubrum angegebenen Anschrift in der Weise zugestellt worden, dass die Ladung selbst in einer Postfiliale hinterlegt und eine Benachrichtigung hierüber in den zu der Anschrift gehörenden Briefkasten eingelegt worden ist. Unter der Anschrift „H 1 – 3“ betreibt der X e. V., ein Verein zur Unterstützung von Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, eine sog. „Wärmestube“, die als Anlaufstelle für ansonsten obdachlose Männer und Frauen vormittags Aufenthaltsmöglichkeiten, die Möglichkeit der Nahrungsaufnahme, Gesundheitsvorsorge, die Verwahrung von Wertsachen und namentlich auch die Erreichbarkeit durch Einrichtung einer Postadresse anbietet.

Dem zuvor obdachlosen Angeklagten, der am 30. März 2017 – ausschließlich, um eine im Vollzug nicht mögliche medizinische Anschlussbehandlung nach einem Herzinfarkt durchführen lassen zu können - aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, war im Haftverschonungsbeschluss aufgegeben worden, sich unverzüglich um eine Wohnung zu bemühen, entsprechende Bemühungen dem Gericht unaufgefordert nachzuweisen und die Adresse seiner gefundenen Wohnung mitzuteilen. Unter dem 10. April 2017 richtete der Abteilungsrichter an den Verteidiger die Anfrage, ob von dort die neue Anschrift des Beschuldigten mitgeteilt werden könne und versah diese Anfrage mit dem Zusatz: „Auf Ziffer a des Außervollzugsetzungsbeschlusses vom 28.03.2017 wird Bezug genommen“. Hiermit bezog er sich auf die vorstehend dargelegte Auflage. Mit Schriftsatz vom 21. April 2017 teilte der Verteidiger die „neue Anschrift“ wie im Rubrum angegeben mit. Freibeweisliche Ermittlungen der Berufungsstrafkammer im Hauptverhandlungstermin ergaben, dass der Angeklagte vom 10. April bis 28. Juli 2017 unter der angegebenen Anschrift eine Postadresse besaß.

b) Unter diesen Umständen kann der Zustellung der Terminsladung die Wirksamkeit nicht versagt werden:

Gemäß § 37 Abs. 1 StPO gelten für das Verfahren bei Zustellungen die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Gemäß § 178 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO kann in dem Falle, dass der Zustellungsempfänger in einer Gemeinschaftseinrichtung wohnt, dort aber nicht angetroffen wird, dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter zugestellt werden. Ist die Zustellung auf diesem Wege nicht ausführbar, kann das zuzustellende Schriftstück bei einer von der Post dafür bestimmten Stelle niedergelegt und über die Tatsache der Niederlegung eine schriftliche Mitteilung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben werden (§ 181 Abs. 1 ZPO). Die Zustellung gilt dann mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als bewirkt (§ 181 Abs.1 S. 4 ZPO).

aa) Bei der Wärmestube der X e.V. handelt es sich zunächst um eine vom Gesetz gemeinte Gemeinschaftseinrichtung, hierzu zählen grundsätzlich auch Obdachlosenunterkünfte (MüKo-StPO-Valerius, § 37 Rz. 27; SSW-StPO-Mosbacher/Claus, 3. Auflage 2018, § 37 Rz. 35).

bb) Der Angeklagte hat unter der Anschrift der Wärmestube auch im Zeitpunkt der Zustellung im Sinne der Zustellungsvorschriften „gewohnt“.

Der Begriff der Wohnung im Sinne des Zustellungsrechts ist geprägt durch das Interesse des Zustellungsveranlassers an zeitnaher Kenntnisnahme des Inhalts des zuzustellenden Schriftstücks durch den Zustellungsempfänger bei gleichzeitiger Wahrung der Belage des Adressaten. Diese gebieten es, im Ausgangspunkt auf die tatsächlichen Verhältnisse, d. h. dessen räumlichen Lebensmittelpunkt abzustellen. Nicht maßgebend ist daher der Wohnsitzbegriff des § 7 BGB oder die polizeiliche Meldung. Anknüpfungspunkt ist vielmehr die tatsächliche Benutzung einer Wohnungweil damit grundsätzlich auch die Möglichkeit einhergeht, in zumutbarer Weise von zugestellten Sendungen Kenntnis zu nehmen (so insgesamt MüKo-ZPO-Häublein, 5. Auflage 2016, § 178 Rz. 5 m N.; Wieczorek/Schütze-Rohe, ZPO, 4. Auflage 2013, § 178 Rz. 22). Für die Erfüllung des Begriffs „Wohnen“ ist es zwar typisch, nicht aber unabdingbar, dass der Zustellungsempfänger an der angegebenen Anschrift auch übernachtet (Stein/Jonas-Roth, ZPO, 23. Auflage 2016, § 178 Rz. 6; MüKo-ZPO-Häublein a.a.O.). Sieht – wie hier - die Gemeinschaftseinrichtung eine Übernachtungsmöglichkeit nicht vor, kann der Zustellungsadressat nach Auffassung des Senats daher dort gleichwohl seinen Lebensmittelpunkt im vorstehend gekennzeichneten Sinne haben.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hier zunächst von Bedeutung, dass die Wärmestube postalische Erreichbarkeit als eine ihrer Leistungen anbietet. Der Angeklagte selbst hatte - über seinen Verteidiger - ohne jegliche Einschränkung seine „neue Anschrift“ mit der aus dem Rubrum ersichtlichen Adresse mitgeteilt (vgl. a. SSW-StPO-Mosbacher/Claus, a.a.O., § 37 Rz. 29). Dabei war umso mehr von einem „Wohnen“ auszugehen, als die entsprechende gerichtliche Anfrage auch ausdrücklich auf die auf die Wohnsitznahme abstellende Auflage aus dem Verschonungsbeschluss Bezug nahm. Entsprechend war denn auch die postalische Erreichbarkeit des Angeklagten bis Ende Juli 2017 – also auch im Zustellungszeitpunkt – unter dieser Anschrift gegeben, eine anderweitige Erreichbarkeit hingegen – namentlich auch angesichts der Obdachlosigkeit vor seiner Festnahme - nicht bekannt.

Dieser Befund wird nicht durch die weiteren mit der Revisionsbegründung vorgetragenen Umstände infrage gestellt. Dass der Angeklagte um den Zustellungszeitpunkt herum den Kontakt mit seiner Bewährungshelferin abbrach und auch der polizeilichen Meldeauflage nicht mehr nachkam, nötigt angesichts der noch bis Ende Juli 2017 bestehenden Postadresse nicht zu der Schlussfolgerung, dass er ab diesem Zeitpunkt auch seinen - im obigen Sinne gekennzeichneten – Lebensmittelpunkt nicht mehr unter der im Rubrum angegebenen Anschrift hatte. Zutreffend weist nämlich die Generalstaatsanwaltschaft darauf hin, dass dann mit einer früheren Auflösung der Postanschrift zu rechnen gewesen wäre.

Wollte man in dieser Frage anders entscheiden und davon ausgehen, der Angeklagte habe unter der Anschrift „H 1 – 3“ nicht im Sinne der Zustellungsvorschriften gewohnt, wäre zu bedenken, dass er in diesem Falle – das Vorliegen der Voraussetzungen Übrigen unterstellt – durch öffentliche Zustellung zur Berufungshauptverhandlung hätte geladen werden können und müssen. Den oben erwähnten Belangen des Zustellungsadressaten wird in höherem Maße Rechnung getragen, nimmt man demgegenüber an, der Angeklagte habe unter der angegebenen Anschrift gewohnt, bietet die Zustellung durch Niederlegung doch jedenfalls die Chance, dass ihn das zuzustellende Schriftstück auch tatsächlich erreicht.

cc) Die Benachrichtigung über die Niederlegung ist alsdann gemäß § 181 Abs. 1 S. 3 ZPO in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise, nämlich durch Einlegung in den Briefkasten der Gemeinschaftseinrichtung, erfolgt. Dass die Zustellung gemäß § 178 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO nicht ausführbar war, hat der Zusteller in der Urkunde attestiert, § 182 Abs. 2 Ziff. 4 ZPO.

Danach ist die Zustellung durch Niederlegung der zuzustellenden Terminsladung und Benachrichtigung hierüber wirksam erfolgt. Die von dem Verteidiger favorisierte Form der Zustellung durch Einlegen des Schriftstücks selbst in den Briefkasten der Wärmestube ist von § 180 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht vorgesehen, da diese Vorschrift nur auf § 178 Abs. 1 Ziff. 1 und 2, nicht aber auf § 178 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO Bezug nimmt.

2. Die Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO ist nicht in einer § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Weise ausgeführt.

a) Bei einer Verfahrensrüge müssen die den Verfahrensmangel enthaltenden Tatsachen ohne Bezugnahme und Verweisungen so vollständig angegeben werden, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Rechtfertigungsschrift ohne Rückgriff auf die Akte prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage 2018, § 344 Rz. 20 ff.).Welche Umstände der Revisionsführer im Einzelnen vortragen muss, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt von der der Rüge jeweils zu Grunde liegenden Verfahrenssituation ab (BGH NJW 1998, 3284 = NStZ 1999, 145 = NStZ-RR 2001, 9 [Miebach/Sander]; SenE v. 06.01.2004 - Ss 559/03 -). Daran gemessen fehlt es hier an Vortrag zur Pflichtverteidigerbestellung:

b) Mit der Beiordnung des bisherigen Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger endet das Mandat und damit auch die (etwa) erteilte Vertretungsvollmacht. Das folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 168 BGB, wonach die Vollmacht mit dem ihr zugrunde liegenden Rechtsgeschäft erlischt (SenE v. 15.04.2016 – III-1 RVs 55/16 -; SenE v. 08.07.2016 – III-1 RVs 129/16; OLG Hamm B. v. 14.06.2012 – III-1 RVs 41/12 und B. v. 03.04.2014 – III-5 RVs 11/14 [= ZfS 2014, 470] - bei Juris und jeweils unter Bezugnahme auf BGH NStZ 1991, 94; OLG München B. v. 14.07.2010 – 4 StRR 93/10 = BeckRS 2010 18330; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 142 Rz. 7; MüKo-StPO-Thomas/Kämpfer, § 141 Rz. 14 aE; HK-StPO-Julius, 5. Auflage 2012, § 141 Rz. 16). Bei fortbestehendem Willen des Angeklagten, sich von dem nunmehrigen Pflichtverteidiger vertreten zu lassen, ist die Erteilung einer neuen, den Anforderungen des § 329 StPO genügenden Vollmacht vonnöten (SenE a.a.O.). Aus diesem Grund setzt die formgerechte Ausführung der Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO - neben einer Darstellung des genauen Inhalts der Vollmacht - Vortrag dazu voraus, ob und bejahendenfalls zu welchem Zeitpunkt der Verteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist (SenE v. 08.07.2016 – III-1 RVs 129/16; SenE v. 10.10.2017 – III-1 RVs 238/17). Nur so wird der Senat in die Lage versetzt zu prüfen, ob ein Fall wirksamer Vertretung in der Berufungshauptverhandlung vorliegt.

Entsprechenden Vortrag lässt die Revisionsbegründung vermissen. Ihr ist lediglich zu entnehmen, dass dem Verteidiger die in der Berufungshauptverhandlung vorgelegte (erste) Vollmacht am 20. Januar 2017 erteilt worden ist. Zu einer Bestellung als Pflichtverteidiger und deren Zeitpunkt verhält sie sich nicht. Soweit man der mit der Revisionsbegründung (dort S. 3) mitgeteilten Terminsladung, ausweislich derer „L, U (Pflicht-Vert. zu Besch 1)“ zum Termin vom 13. September 2017 geladen wurde, eine entsprechende Stellung des Verteidigers entnehmen wollte, ist die Terminsladung am 8. Mai 2017 und mithin nach Erteilung der Vollmacht verfügt und schließt damit eine nach Vollmachterteilung erfolgte Bestellung zum Pflichtverteidiger gerade nicht aus. Es kann daher - ungeachtet insoweit bestehender weiterer Bedenken (dazu vgl. die Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 329 StPO BT-Drs. 18/3562 S. 68; OLG Hamburg B. v. 25.07.2017 – 1 Rev 37/17 = BeckRS 2017 110201, freilich – in Abgrenzung zu der Entscheidung BayObLG NStZ 2002, 277 - zu einer mündlichen Ermächtigung) – auch nicht beurteilt werden, ob der Verteidiger zur Ausstellung einer (weiteren) Vollmacht, wie sie im Termin zur Berufungshauptverhandlung von diesem namens des Angeklagten gefertigt worden ist, ermächtigt war.

Ob die Vollmacht vom 20. Januar 2017, ausweislich derer der Verteidiger befugt war „in allen Instanzen zu verteidigen bzw. zu vertreten, und zwar auch bei meiner (scil.: des Angeklagten) Abwesenheit“ den Anforderungen an eine gerade für die Berufungshauptverhandlung erteilten Vertretungsvollmacht erfüllt (zu dieser Frage zuletzt KG B. v. 01.03.2018 – (5) 121 Ss 15/18 (11/18) = BeckRS 2018 5556; OLG Oldenburg B.. v. 20.12.2016 – 1 Ss 178/16 = BeckRS 2016 124738; OLG Hamm B. v. 24.11.2016 – 5 RVs 82/16 = BeckRS 2016 111318; OLG Hamm, B v. 06.11.2016 - 4 RVs 96/16, StRR 2016, Nr. 11, 2), bedarf danach keiner Entscheidung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


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