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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Abschleppen. Parkverstoß, Aufenthalt in Ruf- und Sichtweite

Gericht / Entscheidungsdatum: BayVGH, Beschluss vom 08.11.2017 – 10 ZB 17.1912

Leitsatz: 1. Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch eine zeitnahe Abschleppmaßnahme kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrzeugführer vorher ohne Schwierigkeiten und ohne Verzögerung festgestellt und zur Beseitigung des verbotswidrig abgestellten Fahrzeugs veranlasst werden kann.
2. Vor der Anordnung zum Abschleppen eines Kraftfahrzeugs besteht eine Nachforschungspflicht der Polizei nur dann, wenn mit dem Hinweis auf den Aufenthalt bzw. die Erreichbarkeit des Fahrers unter einer bestimmten Anschrift im unmittelbaren Nahbereich des Abstellorts des Fahrzeugs gleichzeitig erkennbar wird, dass sich der Fahrer aktuell an dem angegebenen Ort befindet. Nachforschungen über den Verbleib des Fahrers sind allenfalls zu verlangen, wenn aufgrund konkreter Hinweise sein Aufenthaltsort offensichtlich ist, wenn er sich also in Ruf- und Sichtweite seines Fahrzeugs befindet. Das sichtbare Hinterlassen einer Rufnummer im oder am Fahrzeug, auch einer Mobilfunknummer, ist nicht ausreichend.


In pp.
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 193,01 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Leistungsbescheides des Beklagten vom 20. Juni 2016 weiter. Mit der streitgegenständlichen Kostenrechnung setzte der Beklagte die Auslagen für das Abschleppen des Fahrzeugs des Klägers am 7. April 2016 in der K.-F.-Straße in M. von einem allgemeinen Sonderparkplatz für Schwerbehinderte fest. Zudem erhob er Gebühren für die Sicherstellung und Verwahrung des PKW.

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Es liegen weder der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.) noch ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; 2.), vor. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist bereits nicht hinreichend dargelegt (3.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden nur, wenn der Kläger einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die polizeiliche Abschleppmaßnahme verhältnismäßig gewesen sei, weil sich aus der auf der Parklizenz angegebenen Rechtsanwaltskanzlei bzw. der hinter die Windschutzscheibe gelegten Visitenkarte der Ehefrau des Klägers mit ihren Kontaktdaten und denen ihrer Rechtsanwaltskanzlei keine Nachforschungspflicht für die Polizei ergeben habe. Eine Benachrichtigung des Halters könne aus Verhältnismäßigkeitserwägungen dann in Betracht kommen, wenn sich dieser geradezu in greifbarer Nähe, somit in unmittelbarer Ruf- oder Sichtweite seines Fahrzeugs aufzuhalten scheine. Das Hinterlegen einer Telefonnummer zur Erreichbarkeit reiche dabei grundsätzlich nicht aus, die Polizei zu entsprechenden Erreichbarkeitsversuchen bzw. Nachforschungen zu veranlassen. Auch nach der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts sei die Polizei nach den Umständen des Einzelfalls zu einem Nachforschungsversuch nur dann verpflichtet, wenn mit dem Hinweis auf den Aufenthalt bzw. die Erreichbarkeit des Fahrers unter einer bestimmten Anschrift im unmittelbaren Nahbereich des Abstellorts des Fahrzeugs auch gleichzeitig erkennbar gemacht sei, dass sich der Fahrer aktuell an diesem Ort befinde.

Der Kläger bringt in der Begründung des Zulassungsantrags diesbezüglich vor, dass die Visitenkarte der Ehefrau des Klägers mit ihren Kontaktdaten und denen ihrer Rechtsanwaltskanzlei ausschließlich aus dem Grund hinter die Windschutzscheibe gelegt worden sei, dass sie schnellstmöglich erreicht werden könne. Einen anderen Grund, eine Visitenkarte mit sämtlichen Kontaktdaten zu hinterlegen, gebe es sinnvoller Weise nicht. Die Polizei hätte daher versuchen müssen, die Ehefrau des Klägers unter den auf der Visitenkarte angegebenen Kontaktdaten zu erreichen. Es wäre durch einen einmaligen Anrufversuch auch nicht zu etwaigen weiteren, nicht abzusehenden Verzögerungen gekommen.

Mit diesen Ausführungen zieht der Kläger jedoch die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nicht ernstlich in Zweifel. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass eine Nachforschungspflicht der Polizei vor einer Abschleppanordnung nur dann besteht, wenn mit dem Hinweis auf den Aufenthalt bzw. die Erreichbarkeit des Fahrers unter einer bestimmten Anschrift im unmittelbaren Nahbereich des Abstellorts des Fahrzeugs auch gleichzeitig erkennbar wird, dass sich der Fahrer aktuell an dem angegebenen Ort befindet. Eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei einer zeitnahen Abschleppmaßnahme ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn der Führer des Fahrzeugs vorher ohne Schwierigkeiten und ohne Verzögerung festgestellt und zur Beseitigung des verbotswidrigen Parkens veranlasst werden kann. Das Hinterlassen einer Rufnummer, auch Mobilfunknummer, ist nicht ausreichend (BVerwG, U.v. 9.4.2014 – 3 C 5.13 – juris Rn. 16, 17; BayVGH, B.v. 1.12.2009 – 10 ZB 09.2367 – juris Rn. 2 m.w.N.). Denn in diesem Fall ist für den Polizisten nicht erkennbar, ob bzw. wann der Fahrer erscheinen wird und wie lange die Verkehrsbehinderung durch das geparkte Auto noch anhalten wird. Nur wenn der Bedienstete positiv weiß bzw. wissen kann, dass die verantwortliche Person die Störung in Kürze selbst beseitigen wird, ist die Abschleppanordnung unverhältnismäßig (OVG Hamburg, U.v. 8.6.2011 – 5 BF 124/08 – juris Rn. 30 bis 32). Nachforschungen über den Verbleib des Kfz-Führers sind also allenfalls dann zu verlangen, wenn aufgrund konkreter Hinweise der Aufenthaltsort des Kfz-Führers offensichtlich ist, wenn er sich also in Ruf- oder Sichtweite seines falsch geparkten Fahrzeuges aufhält (Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, BayPAG, 4. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 104) bzw. wenn der Führer des Kraftfahrzeugs ohne Schwierigkeiten und ohne Verzögerungen festgestellt und zur Beseitigung des verbotswidrigen Parkens veranlasst werden kann (Senftl in BeckOK, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand: 1.7.2017, Art. 25 PAG Rn. 38.1). Das Hinterlegen einer Visitenkarte der Ehefrau des Klägers mit Telefonnummer und Anschrift genügt, wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, diesen Anforderungen nicht. Denn hieraus ergibt sich nicht, dass die Ehefrau des Klägers sich zum Zeitpunkt der Anordnung der Abschleppmaßnahme auch tatsächlich in unmittelbarer Nähe aufgehalten hat und in Kürze zu ihrem Fahrzeug hätte zurückkehren können, um die Verkehrsbehinderung zu beseitigen. Es mag zwar zutreffen, dass sich die Ehefrau des Klägers zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich in der Kanzlei aufgehalten hat. Dies war für den die Abschleppanordnung treffenden Bediensteten aus der hinterlegten Visitenkarte jedoch nicht erkennbar. Ebenso wenig waren Anhaltspunkte für eine baldige Rückkehr der Ehefrau des Klägers ersichtlich.

2. Die hinreichende Darlegung eines Verfahrensmangels i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO erfordert zunächst, dass der Verfahrensmangel in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht konkret bezeichnet ist. Der Kläger rügt insoweit die Verletzung der Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO, weil das Erstgericht sein Beweisangebot nicht berücksichtigt und seine Ehefrau nicht als Zeugin vernommen habe. Eine derartige Aufklärungsrüge nach § 86 Abs. 1 VwGO setzt weiter die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachaufklärung getroffen worden wären (BVerwG, B.v. 8.7.2009 – 4 BN 12.09 – juris Rn. 7). Weitere Voraussetzung für die Geltendmachung der Verletzung der Pflicht zur Amtsermittlung im Zulassungsverfahren ist, dass die unterlassene Aufklärung vor dem Verwaltungsgericht gerügt worden ist oder sich dem Tatsachengericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 7). Denn eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt regelmäßig dann nicht vor, wenn das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt für aufgeklärt gehalten hat und die sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten eine Beweiserhebung nicht in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt haben (BayVGH, B.v. 11.5.2009 –10 ZB 09.634 – juris Rn. 11). Wie sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. August 2017 vor dem Verwaltungsgericht München ergibt, war unstrittig, dass die Ehefrau des Klägers ihre Visitenkarte mit der Kanzleianschrift und der Rufnummer hinter die Windschutzscheibe des Fahrzeugs gelegt hatte. Auch hat das Erstgericht die Verfahrensbeteiligten darauf hingewiesen, dass nach seiner Rechtsauffassung eine Nachforschungspflicht der Polizei nur bestehe, wenn sich der Fahrzeugführer für die Polizei erkennbar in einer unmittelbaren Nähe- und Rufbeziehung zum Fahrzeug befinde. Für das erkennende Gericht war daher nicht entscheidungserheblich, ob sich die Ehefrau des Klägers zum Zeitpunkt des Ergehens der Abschleppanordnung tatsächlich in den Kanzleiräumen aufgehalten hat und dort erreichbar gewesen wäre. Es hat vielmehr darauf abgestellt, dass dies für die Polizisten alleine aufgrund der Hinterlegung der Visitenkarte nicht erkennbar war. Damit musste sich dem Verwaltungsgericht auch keine weitere Sachaufklärung bezüglich des tatsächlichen Aufenthalts und der Erreichbarkeit der Ehefrau des Klägers durch deren Vernehmung aufdrängen. Einen unbedingten Beweisantrag hat der Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht gestellt.

3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sich darin eine entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung stellt, die bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist und daher ein Interesse an der Einheit, der Fortbildung oder der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Rechts besteht, das der Klärung durch das Rechtsmittelgericht bedarf. Dementsprechend verlangt das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, warum diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb sie klärungsbedürftig ist und darlegt, inwieweit ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Der Kläger formuliert schon keine klärungsbedürftige abstrakte Rechtsfrage. Er verweist lediglich darauf, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts München von zwei Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Hamburg abweiche. Falls der Kläger geklärt haben möchte, unter welchen Umständen die Polizei zu Nachforschungsversuchen über den Aufenthalt des Halters eines rechtswidrig geparkten Kfz verpflichtet ist, ist diese Frage bereits grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht dahingehend entschieden, dass bei einer Abschleppmaßnahme eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur dann in Betracht zu ziehen ist, wenn der Führer des Fahrzeugs ohne Schwierigkeiten und ohne Verzögerung festgestellt und zur Beseitigung des verbotswidrigen Parkens veranlasst werden kann (BVerwG U.v. 9.4.2014 – 3 C 5.13 – juris Rn. 16). Wann dies tatsächlich der Fall ist, ist eine Frage des Einzelfalls und damit keiner grundsätzlichen Klärung zugänglich.

Für eine Divergenzrüge fehlt es bereits an der Bezeichnung eines Divergenzgerichts i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift liegt nur dann vor, wenn von einer Entscheidung des dem Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung angegriffen wird, im Rechtszug übergeordneten Oberverwaltungsgerichts abgewichen wird (Kopp, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124 Rn. 12). Um ein solches Gericht handelt es sich beim Oberverwaltungsgericht Hamburg für das Verwaltungsgericht München nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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