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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, JGG-Verfahren, Sachverständigengutachten, schwierige Rechtslage

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Braunschweig, Beschl. v. 19.04.2017 - 3 Qs 37/17

Leitsatz: Die Sachlage kann für den Angeklagten dann als schwierig zu beurteilen sein, wenn ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen den Angeklagten darstellt.


Landgericht Braunschweig
3 Qs 37/17
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Straßenverkehrsgefährdung
hat die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts in Braunschweig am 19.04.2017 durch die unterzeichnenden Richter beschlossen:
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Salzgitter vom 22.03.2017 aufgehoben.
Dem Angeklagten wird Rechtsanwalt pp., Braunschweig, als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Mit Anklageschrift vom 16.12.2016 wirft die Staatsanwaltschaft Braunschweig dem Angeklagten vor, als Heranwachsender in Salzgitter am 19.11.2016 gegen 23:45 Uhr vorsätzlich im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt zu haben, obwohl der Angeklagte infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage gewesen sei, das Fahrzeug sicher zu führen, und dadurch fahrlässig fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet zu haben, wobei sich aus der Tat ergebe, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei.

Der Angeklagte sei zur Tatzeit mit einem Pkw auf einer Freifläche der mmiiLangen-Realschule/Kranichgymnasium, Saldersche Straße 5/An der Windmühle 23- 27 in Salzgitter gefahren und habe sogenannte Drift-Übungen durchgeführt, obwohl er infolge Alkoholeinwirkung mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 1,51 Promille (Blutentnahme-Zeitpunkt: 00:50 Uhr) nicht mehr fahrtüchtig gewesen sei, was er zumindest billigend in Kauf genommen habe. Aufgrund der Alkoholeinwirkung sei er mit dem von ihm geführten Pkw gegen eine Mauer der Emil-LangenRealschule gefahren und habe dadurch ein Fallrohr beschädigt sowie Kratzer am Mauerwerk und einen Flurschaden infolge des „Driftens" verursacht.

Zeugen, die das Geschehen beobachtet haben, stehen nicht zur Verfügung.

In der mündlichen Hauptverhandlung vom 8.03.2017 hat sich der Angeklagte über seinen Verteidiger dahingehend eingelassen, dass er am Tatabend zwar tatsächlich auf dieser Freifläche gefahren sei, dabei jedoch weitestgehend nüchtern gewesen sei. Er habe vor der Fahrt lediglich 2 bis 3 Mischungen aus Wodka und einem energy Drink mit sehr wenig Alkohol getrunken. Er habe sich absolut fahrtüchtig gefühlt. Danach habe er mit dem Pkw Driftübungen ausgeführt und es sei zu dem in der Anklageschrift beschriebenen Unfall gekommen. Nach dem Unfall sei er frustriert gewesen und habe sich daher aus Frust für einen Zeitraum von 20-30 Minuten erhebliche Mengen Alkohol zugeführt. Dann sei ihm bewusst geworden, was er für einen „Mist gemacht" habe. Er habe beschlossen zu warten, um wieder auszunüchtern. Er habe sich hingesetzt und wieder zu sich kommen wollen.
Im Rahmen der Hauptverhandlung vom 8.03.2017 hat der Verteidiger im Hinblick auf die Schwierigkeit der Sachlage seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt.
Das Gericht hat die Hauptverhandlung zwecks Einholung eines Gutachtens zur Frage des Nachtrunks ausgesetzt.
Unter dem 22.03.2017 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger abzulehnen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Schriftsatz von 22.03.2017 verwiesen.

Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Amtsgericht Salzgitter den Beiordnungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen. Weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ließen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen. Bei einer Straßenverkehrsgefährdung handele es
sich um ein alltägliches Verkehrsdelikt, das grundsätzlich nicht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfordere, da die Tat weder besonders schwer wiege noch erhebliche Folgen zu erwarten seien. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass zum nächsten Hauptverhandlungstermin ein Sachverständiger geladen sei, der zu dem behaupteten Nachtrunk des Angeklagten Stellung nehmen solle. Die Gutachtenerstattung zu einem Nachtrunk sei einfach gelagert und auch durch einen juristischen Laien problemlos zu erfassen.

Hiergegen richtet sich die nicht näher begründete Beschwerde des Angeklagten vom 24.03.2017.

Das Amtsgericht Salzgitter hat die Akten mit Nichtabhilfe-Beschluss vom 24.03.2017 über Vermittlung der Staatsanwaltschaft der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt.

Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, sodass der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Salzgitter aufzuheben und Rechtsanwalt Voss dem Angeklagten auf seinen Antrag hin als Pflichtverteidiger beizuordnen war.

Die Voraussetzungen der §§ 109 Abs. 1, 68 Nr. 1 JGG in Verbindung mit § 140 Abs. 2 StPO liegen vor.
Nach dieser Vorschrift ist dem Angeklagten unter anderem dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.

Die Sache kann für den Angeklagten dann als schwierig zu beurteilen sein, wenn ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen den Angeklagten darstellt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 140 Rn. 27 unter Hinweis auf OLG Hamm, Beschluss vom 22.04.2002, Az. 2 Ws 88/02).

So verhält es sich hier. Die zu erwartenden sachverständigen Ausführungen zur Frage des von dem Angeklagten behaupteten Nachtrunks stellen das einzige Beweismittel dar, um das erkennende Gericht von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu überzeugen.

Der erst 19-jährige Angeklagte dürfte nicht in der Lage sein, die Qualifikation des oder die diesem zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden zu beurteilen und sich insoweit allein sachgerecht zu verteidigen.

Die Schwierigkeit der Sachlage gebietet daher die Beiordnung eines Verteidigers. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO in entsprechender Anwendung.


Einsender: RA M. Voß, Braunschweig

Anmerkung:


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