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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Schulausschluss, sexueller Übergriff

Gericht / Entscheidungsdatum: VG Stuttgart, Beschl. v. 03.05.2016, 12 K 2336/16

Leitsatz: Zum Schulausschluss wegen eines sexuellen Übergriffs.


In pp.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 5.000,- festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller, ein aktuell die 6. Klasse besuchender 12-jähriger Schüler, wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den gesetzlich angeordneten Sofortvollzug eines von der stellvertretenden Schulleiterin der Realschule P. am 11.04.2016 erlassenen Schulausschlusses.
Der Antrag ist nach § 80 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 VwGO in Verbindung mit § 90 Abs. 3 Satz 3 SchG zulässig. Insbesondere kann dem Antragsteller, obwohl er nach Angaben des Antragsgegners bereits an einer anderen Schule aufgenommen worden ist, nicht das Rechtsschutzbedürfnis für seinen Antrag abgesprochen werden, weil er immer noch die Möglichkeit hätte, an die Realschule P. zurückzukehren.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels ganz oder teilweise anordnen bzw. wiederherstellen, wenn das Interesse des Antragstellers, während des Rechtsbehelfsverfahrens von der Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Insoweit hat das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Im Rahmen der Interessenabwägung sind neben anderen Belangen insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, vorliegend des mit Schreiben vom 20.04.2016 erhobenen Widerspruchs, zu berücksichtigen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit ist dabei umso größer, je geringer die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels sind. Die Anordnung ist abzulehnen, wenn das Rechtsmittel offensichtlich aussichtslos ist. Umgekehrt hat die Anordnung zu erfolgen, wenn der angegriffene Bescheid offensichtlich fehlerhaft ist oder jedenfalls ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen.
Im vorliegenden Fall gebietet eine Abwägung des vorliegend widerstreitenden Interesses des Antragstellers, vom Schulausschluss verschont zu bleiben, und des öffentlichen Interesses des Antragsgegners an der Durchsetzung der verhängten Maßnahme das Zurücktreten der Interessen des Antragstellers. Denn die Entscheidung der stellvertretenden Schulleiterin, den Antragsteller von der Realschule P. auszuschließen, begegnet nach der im Eilrechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage wohl keinen rechtlichen Bedenken. Der Widerspruch wird daher aller Voraussicht nach erfolglos bleiben.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Schulausschlusses ist § 90 Abs. 3 Nr. 2 g), Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 Sätze 2 bis 4 SchG. Hiernach kann der Schulleiter nach Anhörung der Klassenkonferenz sowie - auf Wunsch der Erziehungsberechtigten eines minderjährigen Schülers auch der Schulkonferenz - einen Schüler aus der Schule ausschließen, wenn der Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten seine Pflichten verletzt und dadurch die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet und das Verbleiben des Schülers in der Schule eine Gefahr für die Erziehung und Unterrichtung, die sittliche Entwicklung, Gesundheit oder Sicherheit der Mitschüler befürchten lässt.
Die getroffene Maßnahme des Schulausschlusses dürfte formell rechtmäßig sein. Die stellvertretende Schulleiterin war vorliegend gemäß § 42 Abs. 1 SchG zum Erlass des Schulausschlusses befugt, weil die Stelle des Schulleiters in der Realschule P. derzeit noch nicht besetzt ist. Die Erziehungsberechtigten des Antragstellers wurden in einem Gespräch mit der stellvertretenden Schulleiterin am 11.04.2016 zum beabsichtigten Schullausschluss angehört. Die gemäß § 90 Abs. 3 Nr. 2 g) SchG erforderliche Anhörung der Klassenkonferenz wurde am 05.04.2016 vor der Entscheidung der stellvertretenden Schulleiterin über den Schulausschluss durchgeführt. Ein Protokoll über die Klassenkonferenz wurde nachträglich zu den Akten genommen. Dass die Erziehungsberechtigten des Antragstellers nicht von der Klassenkonferenz angehört worden sind, begründet keinen formellen Fehler. Denn deren Teilnahme schreibt das Gesetz nicht vor; insbesondere sind sie nicht Teil der Klassenkonferenz, wie sich aus § 45 Abs. 1, 2 SchG ergibt (vgl. VG Sigmaringen, Beschl. v. 07.02.2006 - 7 K 45/06).
Im Weiteren ist nicht zu beanstanden, dass die Schulkonferenz nicht gemäß § 90 Abs. 4 Satz 1 SchG bereits vor dem Erlass des Schulausschlusses angehört wurde. Denn eine Heilung der unterbliebenen Anhörung kann noch in analoger Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 4 LVwVfG im Widerspruchsverfahren erfolgen (vgl. VG Karlsruhe, Beschl. v. 19.03.1997); tatsächlich wurde - durch nachgereichtes Protokoll belegt - am 25.04.2016 die Schulkonferenz angehört. Auch die Nichtanhörung der Erziehungsberechtigten des Antragstellers durch die Schulkonferenz stellt keinen formellen Fehler war. Der Gesetzeswortlaut spricht bereits von einer Anhörung „der Schulkonferenz“ und nicht etwa „durch die Schulkonferenz“. Es entspricht zudem dem Willen des Gesetzgebers, dass keine Anhörungspflicht durch die Schulkonferenz besteht. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass die Entscheidung über Ordnungsmaßnahmen vollständig dem Schulleiter übertragen ist; das Votum der Schulkonferenz ist rechtlich nicht verbindlich (vgl. LT-Drs. 13/2424 S. 7). Die Konferenzanhörung ist folglich durch den Grundsatz der Mittelbarkeit geprägt (vgl. Wörz/v.Alberti/Falkenbach, Schulgesetz für Baden-Württemberg 15. Nachlieferung, § 90 SchG 10.2.7). Es kann im Übrigen dahingestellt bleiben, ob die Erziehungsberechtigten des Antragstellers - wie vom Antragsteller bestritten - auf die Möglichkeit der Anhörung der Schulkonferenz hingewiesen worden sind. Denn mit der am 25.04.2016 erfolgten Anhörung der Schulkonferenz wäre ein unterbliebener Hinweis jedenfalls geheilt. Ein solcher Hinweis hätte nämlich nicht mehr bewirkt, als die Erziehungsberechtigten über die Möglichkeit der Anhörung der Schulkonferenz zu informieren.
Der Schulausschluss ist voraussichtlich auch materiell rechtmäßig. Beim Antragsteller liegt ein schweres und auch wiederholtes Fehlverhalten vor, das den Erlass des Schulausschlusses rechtfertigt.
Nach Aktenlage befand sich der Antragsteller zusammen mit einem Freund am Freitag, 11.03.2016, im Anschluss an den Unterricht in unmittelbarer Nähe des Schulgeländes auf dem Nachhauseweg. Dabei ging er auf eine 11-jährige Schülerin, die die 5. Klasse derselben Schule besucht, zu, zog die Hose und auch die Unterhose herunter und forderte das Mädchen auf, „ihm einen zu blasen“. Die Schülerin vertraute sich direkt im Anschluss daran ihrer Sportlehrerin an. Am 21.03.2016 erstatteten die Eltern der Schülerin bei der Polizei Anzeige gegen den Antragsteller.
Zwar hat der Antragsteller wiederholt bestritten, auch sein Geschlechtsteil entblößt zu haben. Weiter hat er angegeben, er habe sich bei dem Vorfall auf der anderen Straßenseite befunden und habe auch die Hose sofort mit den Worten „war nur Spaß“ wieder hochgezogen. Nach Aktenlage sind diese Angaben jedoch widerlegt. So hat insbesondere der den Antragsteller an diesem Tag begleitende Freund angegeben, der Antragsteller sei zu der Schülerin gegangen und habe sie gefragt „ob sie ihm einen blasen kann“. Er habe dabei seine Hose und Unterhose ausgezogen. Auch aus der wiedergegebenen Befragung des Freundes sowie der Schülerin durch die Schulleiterin wird ersichtlich, dass sich der Antragsteller jedenfalls in deutlich geringerem Abstand zu der Geschädigten befunden haben muss.
Das Fehlverhalten des Antragsstellers weist zunächst den nach § 90 Abs. 1 SchG erforderlichen Schulbezug auf. Maßgeblich bei Verhalten außerhalb des Schulgeländes ist dabei, ob das Fehlverhalten konkret störend in den Schulbetrieb hineinwirkt und so den pädagogischen Auftrag der Schule berührt (vgl. Ebert (Hrsg.), Schulrecht Baden-Württemberg, 1. Aufl. 2013, § 90 SchG RdNr. 8). Dies ist vorliegend der Fall. Das Fehlverhalten fand in unmittelbarer Nähe des Schulgeländes im Anschluss an den Unterricht statt. Geschädigte des Fehlverhaltens war eine Schülerin derselben Schule. Allein der Umstand, dass diese weiterhin mit dem Antragsteller dieselbe Schule besuchen muss, stellt eine konkrete negative Auswirkung auf den Schulbetrieb dar. So wurde auch vom der Antragsgegner dargelegt, dass Freunde des Antragstellers die Geschädigte auf den Vorfall angesprochen hätten bzw. der Vorfall auch in den jeweiligen Klassen Gesprächsthema gewesen sei.
Die Schilderung des Fehlverhaltens durch die Beteiligten ergibt in jedem Falle, dass der Antragsteller die Schülerin in nicht unerheblichem Maße sexuell belästigt und beleidigt und so das Recht auf deren sexuelle Selbstbestimmung und deren Ehrgefühl verletzt hat. Dies wiegt insoweit schwer, als der Antragsteller nicht nur verbal die Geschädigte zum Oralsex aufgefordert hat, sondern dabei auch die Hose und Unterhose herunter gezogen hat. Für eine sexuelle Belästigung ist dabei nicht erforderlich, dass auch noch eine Bedrohung hinzutritt. Doch ist - wie dargelegt - als lebensnah anzunehmen, dass durch das Herantreten des Antragstellers, eines älteren Schülers, die Geschädigte eingeschüchtert gewesen sein dürfte. Es spielt dabei insoweit keine Rolle, ob der Antragsteller dieses Verhalten selbst als „Spaß“ angesehen hat (vgl. VG Freiburg, Urt. 28.01.2016 - 2 K 2180 - juris RdNr. 22). Obwohl der Antragsteller in seinem jungen Alter möglicherweise nicht die gesamte Tragweite seines Verhaltens überblickt hat, kann dies nicht als alterstypisches (vor-)pubertäres Verhalten angesehen werden. Denn es muss auch dem Antragsteller klar gewesen sein, dass ein solches Verhalten die Grenze zum „Spaß“ bei weitem überschreitet. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller und die Geschädigte nur vom Sehen kannten. Folglich konnte der Antragsteller unter keinen Umständen davon ausgehen, dass die Geschädigte dies etwa als „Spaß“ eines Freundes auffassen könnte. Nicht von entscheidender Bedeutung ist im Übrigen, dass der Entschluss zur Tat - wie vorgetragen - spontan entstanden ist. Eine sexuelle Belästigung und Beleidigung werden nicht dadurch in besonderer Weise in ihrem Unrechtsgehalt verstärkt, dass sie „von langer Hand geplant“ sind. An der Schwere des Fehlverhaltens vermag auch die nunmehr vom Antragsteller vorgetragene Entschuldigung gegenüber der Geschädigten im Beisein der jeweiligen Erziehungsberechtigten am 24.04.2016 nichts Entscheidendes zu ändern. Trotz einer darin in gewissem Maß zum Ausdruck kommenden Einsicht und Reue des Antragstellers wird an der zwischen Vorfall und Entschuldigung vergangenen Zeit deutlich, dass die Entschuldigung erst (auch) unter Einfluss des ausgesprochenen Schulausschlusses erfolgte. Das unmittelbare Verhalten des Antragsstellers nach dem Vorfall legt dagegen nahe, dass es ohne die ausgesprochene Sanktion möglicherweise nicht zu einer Entschuldigung gekommen wäre. Hierfür spricht insbesondere, dass der Antragsteller das Fehlverhalten vom 11.03.2016 nach Angaben der stellvertretenden Schulleiterin verharmloste und gegenüber Mitschülern damit prahlte, die Polizei habe sich gar nicht bei ihm gemeldet. Aus einer schriftlichen Stellungnahme des Klassenlehrers der Geschädigten geht überdies hervor, dass der Antragsteller die Geschehnisse vom 11.03.2016 in der Gestalt verzerrt wiedergegeben habe, dass das Mädchen den Antragsteller zu sexuellen Handlungen aufgefordert habe.
Beim Antragsteller liegt zudem ein wiederholtes Fehlverhalten vor. Aus den dem Gericht vorliegenden Klassenbucheinträgen der Schuljahre 2014/2015 sowie 2015/2016 geht hervor, dass der Antragsteller wiederholt durch Undiszipliniertheiten, jedoch auch durch nicht unerhebliches Fehlverhalten aufgefallen ist. Während sich die Klassenbucheinträge aus dem Schuljahr 2014/2015 zumeist noch auf geringeres Fehlverhalten wie das Vergessen von Hausaufgaben beschränken, ist im Schuljahr 2015/2016 eine Tendenz zu gewichtigerem Fehlverhalten zu beobachten. Insbesondere sind zahlreiche Vorfälle dokumentiert, in denen der Antragsteller Mitschüler beleidigt, provoziert oder auch körperlich angegangen hat.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers dürfte dessen Verbleib an der Realschule P. auch eine Gefahr für die Erziehung und Unterrichtung, die sittliche Entwicklung und Sicherheit der Mitschüler befürchten lassen. Aus Sicht der Kammer besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass es bei einem Verbleiben des Antragstellers an der Realschule P. wieder zu erheblichen Beeinträchtigungen der genannten Rechtsgüter kommt. Neben dem gewichtigen Fehlverhalten vom 11.03.2016 lassen die sich in den vergangenen Monaten intensivierenden übrigen Verfehlungen die Gefahr erkennen, dass auch weiterhin massive Störungen des Schulbetriebes durch den Antragsteller zu erwarten sind. Aus der Stellungnahmen seiner Klassenlehrerin lässt sich zudem ersehen, dass der Antragsteller in seiner Klasse und auch darüber hinaus die Rolle eines „Anführers“ innehat. Es ist somit davon auszugehen, dass ein Verbleib an der Realschule P. den Antragsteller in dieser Rolle bestärkt und anderen Schülern das Verhalten des Antragstellers gleichwohl als Vorbild dienen könnte. Es ist ferner nicht wahrscheinlich, dass der Antragsteller zukünftig sein Verhalten ändern könnte. Dies ist insbesondere im bereits aufgezeigten Verhalten des Antragstellers nach dem Vorfall vom 11.03.2016 begründet. Zudem ist auch im Klassenbuch weiteres Fehlverhalten des Antragstellers nach dem 11.03.2016 dokumentiert. Die Gefahr wird nicht dadurch abgemildert, dass sich der Antragsteller nunmehr bei der Geschädigten entschuldigt hat.
Auch wenn damit bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des Schulausschlusses nach § 90 Abs. 6 Satz 2 und 4 SchG vorliegen, ist zu berücksichtigen, dass es der Geschädigten auch gemäß § 90 Abs. 6 Satz 3 SchG nicht zumutbar sein dürfte, weiter dieselbe Schule wie der Antragsteller zu besuchen. Wie bereits die spätere „Identifizierung“ des Antragstellers durch die Geschädigte auf dem Schulhof zeigt, kann es im Schulhaus und Schulgelände stets zu einem Zusammentreffen des Antragstellers mit der Geschädigten kommen. Insoweit kann die Geschädigte jederzeit wieder mit der Tat konfrontiert werden. Der Klassenlehrer der Geschädigten hat in einer Stellungnahme angegeben, dass die Geschädigte nach dem Vorfall von den Freunden des Antragstellers auf dem Pausenhof beschuldigt worden sei, für den dem Antragsteller zu dieser Zeit drohenden Schulausschluss verantwortlich zu sein. In dieser Stellungnahme wird zudem der Eindruck geschildert, dass das Mädchen nach dem Vorfall und der fortlaufenden Konfrontation mit diesem in der Schule verunsichert gewirkt habe und sich ihre Mitarbeit erst nach dem Ausschluss des Antragstellers wieder verbessert habe. Der nun auch gesetzlich normierte Opferschutz dürfte es vorliegend somit gebieten, die Geschädigte nicht weiter im schulischen Bereich mit dem Antragsteller zu konfrontieren. Dagegen spricht nicht, dass die Geschädigte nach Angaben des Antragstellers beim Treffen am 24.04.2016 geäußert haben soll, sie habe keine Probleme, den Antragsteller wieder in der Schule zu sehen. Denn diese im Beisein der Erziehungsberechtigten getätigte Aussage kann nicht als frei von der auf der Geschädigten lastenden Erwartungshaltung, der Schulausschluss des Antragstellers solle noch rückgängig gemacht werden, gewertet werden.
Weiter dürfte sich der Schulausschluss des Antragstellers nicht als unverhältnismäßiger Eingriff in dessen Rechte darstellen. Für den Schulausschluss als schärfste Sanktion des Schulrechts gilt dabei, dass dieser angesichts der mit dem Abbruch des Schulverhältnisses verbundenen Wirkungen nur aufgrund von schwerwiegenden, anders nicht zu behebenden Störungen des Schulfriedens verfügt werden darf (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.08.2009 - VBlBW 2009, 430). Der Ausschluss des Antragstellers aus der Realschule P. ist geeignet, die Gefahr erneuter erheblicher Störungen durch den Antragsteller an der Realschule P. zu verhindern. Er ist aber auch geeignet, Übergriffe von anderen Schülern, die in dem Antragsteller ein Vorbild sehen könnten, auf Mitschüler und Mitschülerinnen zu vermeiden. Eine mildere Maßnahme, mit der dieser Erfolg ebenfalls erreicht werden kann, ist nicht ersichtlich. Insbesondere erscheinen pädagogische Maßnahmen, denen nach § 90 Abs. 2 Satz 1 SchG Vorrang gegenüber Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen einzuräumen ist, vorliegend nicht in gleicher Weise erfolgsversprechend. Es muss im Hinblick auf das bisherige Verhalten des Antragstellers, das in gewisser Weise seinen Höhepunkt im Vorfall vom 11.03.2016 erreichte, davon ausgegangen werden, dass selbst eine mit einem zeitweiligen Unterrichtsausschluss kombinierte Androhung des Schulausschlusses keine Änderung des Verhaltens des Antragstellers herbeiführen würde. Insbesondere das Gewicht des Fehlverhaltens vom 11.03.2016 und das Verhalten im unmittelbaren Anschluss an den Vorfall lassen einen solchen Schluss nicht zu.
Schließlich dürfte der Schulausschluss des Antragstellers auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Insbesondere ist das Fehlverhalten vom 11.03.2016 - wie dargelegt - als schwerwiegend einzustufen. Dieses wird durch die früheren Verfehlungen des Antragstellers gleichwohl verstärkt. Entgegen der Auffassung des Antragstellers darf früheres Verhalten bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer schulischen Ordnungsmaßnahme Berücksichtigung finden (vgl. Wörz/v.Alberti/Falkenbach, a.a.O., § 90 5.) Auch lässt der Umstand, dass in der Vergangenheit keine Maßnahmen aus dem Katalog des § 90 Abs. 3 Nr. 2 SchG gegen den Antragsteller erlassen worden sind, die Angemessenheit nicht entfallen. Denn bei dem Maßnahmenkatalog des § 90 Abs. 3 Nr. 2 SchG handelt es sich nicht um eine Stufenfolge, die von der leichtesten bis zur schwersten Maßnahme durchlaufen werden müsste; vielmehr ist das individuelle Fehlverhalten maßgeblich (vgl. Ebert (Hrsg.), a.a.O., § 90 SchG RdNr. 38). Soweit der Schulausschluss dazu führt, dass der Antragsteller seiner fortbestehenden Schulpflicht durch den Besuch einer anderen Realschule genügen muss, stehen die damit verbundenen Belastungen zu der Notwendigkeit, den Antragsteller zu einer dauerhaften Verhaltensänderung zu bewegen, in einem angemessenen Verhältnis. Wie durch das vom Regierungspräsidium Stuttgart zu den Akten gegebene ausgefüllte Antragsformular für die Aufnahme an der Realschule R. belegt, ist der Antragsteller auch bereits von einer anderen Schule aufgenommen worden. Die mit dem Schulwechsel verbundene möglicherweise empfundene Herausnahme aus seinem bisherigen sozialen Umfeld beschränkt sich dabei auf die Schulzeiten.
Im Übrigen lässt auch die vom Antragsteller vorgetragene Angabe des Mädchens, sie habe einen Schulausschluss des Antragstellers nicht gewollt, an der Angemessenheit der Maßnahme nicht zweifeln. Denn diese Maßnahme zielt nicht auf eine Bestrafung des Antragstellers und eine damit verbundene Genugtuung für das Opfer, sondern allein auf die - nach objektiven Kriterien zu beurteilende - Sicherstellung eines möglichst ordnungsgemäßen Schulbetriebs (vgl. VG Freiburg, a.a.O. - juris RdNr. 29).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Der Auffangwert von 5.000,- EUR ist vorliegend nicht im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu halbieren, weil die Entscheidung über den Eilantrag in Verfahren über einen Schulausschluss eine Hauptsacheentscheidung angesichts der erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen für einen Schulwechsel vielfach faktisch vorwegnimmt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 28.07.2009 - 9 S 1077/09 - juris RdNr. 15).


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