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Entscheidungen

Gebühren

Anrechnung Vorschuss/Zahlung, Pflichtverteidigergebühren, Wahlanwalt

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Berlin, Beschl. v. 31.03.2016 - (538 KLs) 283 Js 2801/14 29103V (7/15) Kbd1

Leitsatz: 1. Vorschüsse und Zahlungen, welche der Verteidiger für das Ermittlungsverfahren erhalten hat, sind nach der Neuregelung des § 58 Abs. 3 Satz 1 durch das 2. KostRMoG nicht auf seine Pflichtverteidigervergütung für das gerichtliche Verfahren des ersten Rechtszuges anzurechnen.
2. Eine analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 Satz 4 RVG auf § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG kommt nicht in Betracht.


Landgericht Berlin
Beschluss
Geschäftsnummer: (538 KLs) 283 Js 2801/14 29103V (7/15) Kbd1
Datum: 31.03.2016
In der Strafsache
gegen pp.
Verteidiger
Rechtsanwalt Nikolas Krähn, c/o Dr. Schmitz & Partner Rechtsanwälte, Kurfürstendamm 92, 10709 Berlin,
wegen Raubes
hat die Strafkammer 38 des Landgerichts Berlin — zu 1. durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht — am 31. März 2016 beschlossen:
1. Das Verfahren wird zur Entscheidung der Kammer übertragen.
2. Auf die Erinnerung des Verteidigers wird die Festsetzung vom 24. Februar 2016 — 538 KLs 7/15 —, unter Zurückweisung des weitergehenden Festsetzungsantrags, teilweise geändert:
Die dem Rechtsanwalt pp. aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung wird auf (in Worten: eintausendsiebenhundertsiebenundachtzig Euro und achtunddreißig Eurocent) festgesetzt.
Im Übrigen wird die Erinnerung als unbegründet verworfen.
3. Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:
I.
Der Erinnerungsführer war seit dem 16. Februar 2015 im Ermittlungsverfahren und sodann zunächst noch im gerichtlichen Verfahren als Wahlverteidiger tätig, bevor er dann nach Niederlegung seines Wahlmandats mit Beschluss vom 29. Mai 2015 zum Pflichtverteidiger bestellt wurde. Er nahm als Verteidiger des nicht auf freiem Fuß befindlichen Mandanten an der Haftbefehlsverkündung und einem Haftprüfungstermin vor dem Ermittlungsrichter sowie einem Haftprüfungstermin am 2. April 2015 und zwei Hauptverhandlungsterminen am 29. Mai und 4. Juni 2015 vor der Strafkammer teil. Außerdem legte er für den Mandanten Revision ein und begründete diese.

Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2016 beantragte der Rechtsanwalt, für das Verfahren vor der Strafkammer und die Revision Pflichtverteidigergebühren und -auslagen in Höhe von insgesamt 1.961,12 brutto gegen die Staatskasse festzusetzen. Die Terminsgebühr für den Haftprüfungstermin vor der Strafkammer setzte er dabei gemäß Nr. 4115 VV RVG in Höhe von 312,- E netto an. Er teilte mit, dass er von seinem Mandanten aufgrund einer gesonderten Vergütungsvereinbarung für das Ermittlungsverfahren ein Pauschalhonorar in Höhe von 4.300,- € brutto erhalten habe und dass der Mandant nicht zum Abzug der Vorsteuer berechtigt sei.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Festsetzungsantrag des Rechtsanwalts überwiegend zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie unter Bezugnahme auf eine entsprechende Stellungnahme der Bezirksrevisorin ausgeführt, dass eine analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 S. 4 RVG gerechtfertigt sei, da die vereinbarte Zahlung des Verurteilten auf die Gebühren des Ermittlungsverfahrens die Höchstgebühreneines Wahlverteidigers deutlich (um das 3,04-fache) überschreite. Deshalb habe eine Anrechnung auf die Gebühren im Ermittlungsverfahren nur insoweit zu erfolgen, als die Höchstgebühren eines Wahlverteidigers zu berücksichtigen seien, und könne im Übrigen eine Anrechnung auf die Gebühren des erstinstanzlichen Verfahrens vorgenommen werden.

Gegen diese Festsetzung wendet sich der Verteidiger mit seiner Erinnerung vom 9. März 2016. Er widerspricht der vorgenommenen Anrechnung der vereinnahmten Zahlung für das Ermittlungsverfahren auf andere gebührenrechtliche Angelegenheiten und verweist auf den Wortlaut der gesetzlichen Neuregelung durch das zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz.

Die Bezirksrevisorin verweist auf die besondere Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage für die Praxis, verteidigt die analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 S. 4 RVG und verweist darauf, der Sinn der Vorschrift erschließe sich nur, wenn damit eine allgemeine Obergrenze festgelegt worden sei.

II.
Das Verfahren war gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 2 RVG der Kammer zur Entscheidung zu übertragen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Zu der von der Bezirksrevisorin angeregten und in der angefochtenen Festsetzung vorgenommenen analogen Anwendung des § 58 Abs. 3 S. 4 RVG gibt es, soweit ersichtlich, bislang keine obergerichtliche Rechtsprechung.

Die Erinnerung des Rechtsanwalts ist gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 RVG zulässig. Sie ist auch überwiegend begründet.

1. a) Die Zahlung des Verurteilten auf das mit dem Erinnerungsführer für das Ermittlungsverfahren vereinbarte Pauschalhonorar ist nicht gemäß § 58 Abs. 3 S. 1 RVG auf die Tätigkeit des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren des ersten Rechtszuges anzurechnen.

Denn nach dem hier gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 RVG maßgeblichen Recht, nämlich §§ 17 Nr. 10, 58 Abs. 3 RVG in ihrer seit dem 1. August 2013 gültigen Fassung, sind das Ermittlungs- und das Strafverfahren nicht mehr als eine Angelegenheit anzusehen (vgl. dazu schon Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl. 2013, § 17 Rn 128 m.w.N., sowie den Wortlaut von § 17 'Nr. 10a RVG). Dies hat zur Folge, dass Vorschüsse und Zahlungen, welche der Verteidiger für das Ermittlungsverfahren erhalten hat, nicht auf seine Pflichtverteidigervergütung für das gerichtliche Verfahren des ersten Rechtszuges anzurechnen sind (so auch Kießling, in: Mayer/Kroiß (Hrsg.), RVG, 6. Aufl. 2013, § 58 Rn 29; Volpert, in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 4. Aufl. 2014, § 58 Rn 20; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, • § 58 Rn 29; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 58 Rn 69) — ebenso wie dies auch nach dem vor dem 1. August 2013 geltenden Recht bereits für das gerichtliche Verfahren des ersten Rechtszuges einerseits und das Berufungs- oder Revisionsverfahren andererseits galt (vgl. Kießling, a.a.O., Rn 28; Volpert, a.a.O., Rn 21; Ahlmann, a.a.O.; Burhoff, a.a.O.).

b) Die Kammer folgt nicht der Einschätzung der Bezirksrevisorin, die Höhe der vereinbarten Zahlung des Verurteilten auf die Gebühren des Ermittlungsverfahrens rechtfertige eine analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 S. 4 RVG.

Denn eine analoge Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift erfordert stets eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzes (vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. Juli 2008 — II ZB 40/07, BeckRS 2008, 19209; Meissner/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 29. EL Oktober 2015, § 173 Rn 55; Stein, in Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl. 2016, § 179a Rn 85; alle zitiert nach beck-online). Von einer solchen planwidrigen Lücke kann angesichts des Umstandes, dass der Gesetzgeber bei Neufassung der §§ 17 Nr. 10, 58 Abs. 3 RVG die frühere Streitfrage, ob das Ermittlungs- und das Strafverfahren einen „,Verfahrensabschnitt" bildeten, der bisherigen Mindermeinung folgend dahingehend klargestellt hat, dass es sich um verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten handelt, so dass eine Anrechnung nicht in Betracht kommt (vgl. Kießling, a.a.O., Rn 29; Volpert, a.a.O., Rn 20; Ahlmann, a.a.O.; Burhoff, a.a.O., Rn 69 f.), nicht die Rede sein. Soweit vereinzelte Stimmen auch nach der gesetzlichen Neuregelung noch die Ansicht vertreten, Vorschüsse, die der Anwalt im Ermittlungsverfahren erhalten habe, seien auf die Pflichtverteidigervergütung des erstinstanzlichen Verfahrens anzurechnen, da es sich um denselben Instanzenzug und damit um dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit handele (Bräuer, in: Bischof u.a., RVG Kommentar, 7. Aufl. 2016, Rn 19, unter Anführung obergerichtlicher Rechtsprechung aus den Jahren 2008 bis 2011, also zur alten Gesetzesfassung), steht diese Auslegung der „gebührenrechtlichen Angelegenheit" in eklatantem Widerspruch zur Legaldefinition verschiedener Angelegenheiten in § 17 Nr. 10a RVG (,Verschiedene Angelegenheiten sind das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren").

Soweit die Bezirksrevisorin zur Stützung ihrer Ansicht, eine analoge Anwendung von § 58 Abs. 3 S. 4 RVG sei gerechtfertigt, darauf verweist, der Sinn der Vorschrift erschließe sich anders nicht, rechtfertigt auch dies nicht die angestrebte Analogie. Denn zum einen bezieht sich § 58 Abs. 3 S. 4 RVG ausdrücklich auf § 58 Abs. 3 S. 3 RVG und setzt damit voraus, dass eine Anrechnung oder Rückzahlung überhaupt in Betracht zu ziehen ist, was gemäß § 58 Abs. 3 S. 1 RVG nur bei einer gebührenrechtlichen Angelegenheit der Fall ist, nicht aber bei verschiedenen gebührenrechtlichen Angelegenheiten. Und zum anderen wollte der Gesetzgeber mit § 58 Abs. 3 S. 4 RVG eine spezielle Streitfrage klären (vgl. schon Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl. 2013, § 58 Rn 79; vgl. weiterhin Kießling, a.a.O., Rn 33; vgl. auch Ahlmann, a.a.O.,. Rn 31) und nicht etwa eine allgemeine wirtschaftliche Obergrenze setzen.

c) Die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4113 VV RVG in Höhe von 180,- E, die Terminsgebühren gemäß Nr. 4115 VV RVG in Höhe von jeweils 312,- € für die Hauptverhandlungstage vom 29. Mai und 4. Juni 2015 und die Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,- für das gerichtliche Verfahren erster Instanz sowie die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4130 VV RVG in Höhe von 492,€ und die Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,- für die Revisionsinstanz sind durch den Erinnerungsführer im Antrag aus dem Schriftsatz vom 10. Februar 2016 zutreffend angesetzt worden. Dies zieht auch die Bezirksrevisorin nicht in Zweifel, wie sich aus deren Stellungnahme vom 23. Februar 2016 ergibt.

Allein die Terminsgebühr für den Haftprüfungstermin hat der Erinnerungsführer unzutreffend gemäß Nr. 4115 VV RVG in Höhe von 312,- € angesetzt, während sie zutreffend nach Nr. 4103 VV RVG in Höhe von 166,- € anzusetzen gewesen wäre.

d) Mehrwertsteuer ist — unabhängig davon, ob § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO Anwendung findet (vgl. dazu Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl. 2013, § 55 Rn 33 m.w.N.) hinzuzusetzen, da eine Vorsteuerabzugsberechtigung verneint wurde (vgl. dazu §§ 55 Abs. 5 S. 1 RVG, 104 Abs. 2 S. 3 ZPO sowie Herget, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 104 Rn 21 i.V.m. § 91 Rn 13 "Umsatzsteuer").

2. Die Vergütung des Pflichtverteidigers war gemäß §§ 55 Abs. 1 S. 1, 56 Abs. 1 S. 1 RVG in Höhe von insgesamt 1.787,38 € festzusetzen:
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4113 VV RVG 180,- €
Terminsgebühr gemäß Nr. 4103 VV RVG 166,- €
Terminsgebühren gemäß Nr. 4115 VV RVG für den 29. Mai 2015 312,- €
für den 4. Juni 2015 312,- €
Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20.-
ergibt: 990,-
Umsatzsteuer 188.10 €
Erstattungsbetrag für den ersten Rechtszug 1.178,10 €
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4130 VV RVG 492,- €
Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20.- €
ergibt: 512,- E
Umsatzsteuer 97.28 €
Erstattungsbetrag für den zweiten Rechtszug 609,28 €
Gesamtsumme 1.787,38 €

Das Verfahren über die Erinnerung ist gemäß § 56 Abs. 2 S. 2 RVG gebührenfrei; Kosten werden gemäß § 56 Abs. 2 S. 3 RVG nicht erstattet.

Einsender: RA N. Krähe, Berlin

Anmerkung:


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