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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Strafvollstreckungsverfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 29.12.2015 - 2 Ws 834/15

Leitsatz: Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren.


2 Ws 834/15
OLG Köln
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
zurzeit in dieser Sache in Strafhaft in der JVA
Verteidiger:
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln
auf die Beschwerde des Verurteilten vom 01.12.2015 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn vom 19.11.2015 (Az.: 55 StVK 508/15), durch den der Antrag des Verurteilten auf Beiordnung von Rechtsanwalt Pp. als Pflichtverteidiger abgelehnt worden ist, unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht, des Richters am Oberlandesgericht und des Richters am Landgericht am 29. Dezember 2015 beschlossen:

Auf die Beschwerde wird dem Verurteilten unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Rechtsanwalt Pp. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der darin dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:
I.
Der seit dem 20.06.2013 inhaftierte Verurteilte wurde mit Urteil des Landgerichts Köln vom 29.10.2013 (102 KLs 22/13) wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Das Urteil ist seit dem 17.10.2014 rechtskräftig. Die Strafe wird seit dem 30.04.2015 in der Justizvollzugsanstalt mim vollstreckt, wobei sich der Verurteilte seit dem 03.06.2015 in der sozialtherapeutischen Abteilung befindet. Zwei Drittel der vorgenannten Gesamtfreiheitsstrafe werden am 18.02.2016 verbüßt sein. Das Haftende ist auf den 19.06.2017 notiert.

Der Verurteilte hat mit Schreiben seines Verteidigers vom 29.10.2015 die Aussetzung der Restgesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt Pp. als Pflichtverteidiger beantragt. Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt pp. hat mit schriftlicher Stellungnahme vom 02.10.2015 vor dem Hintergrund der für notwendig erachteten Fortführung der begonnenen Therapie eine vorzeitige Entlassung nicht befürwortet. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 19.11.2015 den Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt Pp. als Pflichtverteidiger abgelehnt. Hiergegen hat der Verurteilte mit Schreiben seines Verteidigers vom 01.12.2015 Beschwerde eingelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlageverfügung vom 21.12.2015 beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Dem Verurteilten war für das vorliegende Vollstreckungsverfahren Rechtsanwalt Pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung von § 140 Absatz 2 StPO dem Verurteilten dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- oder Rechtslage schwierig oder sonst ersichtlich ist, dass der Verurteilte seine Rechte nicht selbst wahrnehmen kann (BVerfGE 70, 297, 323; SenE vom 28.12.2006 — 2 Ws 665/06 —; SenE vom 03.03.2010 — 2 Ws 126/10 —; OLG Frankfurt/Main vom 14.01.2008 — 3 Ws 26/08 — zit. nach juris; OLG Hamm vom 03.01.2008 — 3 Ws 704/07 — zit. nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 140 Rdnr. 33). Die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage bemisst sich dabei nicht nach der Schwere der Tatvorwürfe oder der Schwierigkeit der Sache im Erkenntnisverfahren, sondern nach der Schwere des Vollstreckungsfalles für den Verurteilten oder besonderen Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage im Vollstreckungsverfahren (SenE vom 03.03.2010 — 2 Ws 126/10-; OLG Frankfurt/Main a.a.O. m.w.N.). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass im Vollstreckungsverfahren in weitaus geringerem Maße als in dem kontradiktorisch ausgestalteten Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis nach Mitwirkung eines Verteidigers auf Seiten des Verurteilten besteht (BVerfG NJW 2002, 2773; SenE vom 03.03.2010 — 2 Ws 126/10; SenE vom 25.08.2010 — 2 Ws 515516/10; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 219; OLG Frankfurt/Main a.a.O.). Daher sind im Vollstreckungsverfahren die drei abschließend genannten Merkmale des § 140 Absatz 2 Satz 1 StPO einschränkend zu beurteilen (SenE vom 03.03.2010 — 2 Ws 126/10 —; SenE vom 25.08.2010 — 2 Ws 515-516/10 —; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 219; KG vom 10.02.2006 — 5 Ws 61/06 — zit. nach juris).

So liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Verurteilte seine Rechte im vorliegenden Vollstreckungsverfahren selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann. Ausweislich der Aktenlage leidet der Verurteilte unter einer angeborenen Lernschwäche, welche u.a. mit Sprach- und Konzentrationsprobleme einhergeht. Der Vorsitzende der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Köln, der von dem Verurteilten in der zu Grunde liegenden Hauptverhandlung einen eingehenden persönlichen Eindruck gewonnen hat, hat dies in einem Verfahren nach § 81g StPO vor wenigen Wochen zum Anlass genommen, die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO als erfüllt anzusehen. Auch wenn eine Beiordnung in dem vorgenannten Verfahren nicht zwangsläufig eine Beiordnung im vor-liegenden Verfahren gemäß § 57 StGB bedingt, ergibt sich hieraus, insbesondere aufgrund des vorhandenen persönlichen Eindrucks von den Fähigkeiten des Verurteilten zur eigenständigen Wahrnehmung seiner Rechte, eine nicht unerhebliche Indizwirkung. Auch der Senat, dem das zu Grunde liegende Verfahren aus vorangegangenen Entscheidungen zur Frage der Fortdauer der Untersuchungshaft bekannt ist, teilt diese Einschätzung des Vorsitzenden der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Köln und schließt sich ihr für das vorliegende Vollstreckungsverfahren an.

Ob darüber hinaus auch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfordern würde, brauchte der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Die Voraussetzungen wären insoweit unzweifelhaft erfüllt, wenn die Strafvollstreckungskammer die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens für erforderlich erachten würde und der Verurteilte sich hiermit eingehend auseinandersetzen müsste (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. SenE vom 26.07.2002 - 2 Ws 349/02; vom 24.06.2002 - 2 Ws 291/02 und vom 04.11.2008 - 2 Ws 546-549/08). Ob ein solches Sachverständigengutachten vor dem Hintergrund der in der Hautverhandlung letztlich offen gebliebenen Ursachen für die Tatausführung (pädophile Neigung als Haupt- oder Nebenströmung bzw. Homosexualität, vgl. BI. 27 UA) oder aber aufgrund einer Annahme der Voraussetzung des § 454 Abs. 2 Ziff. 2 StPO für erforderlich erachtet wird, wofür u.a. die fehlende strafrechtliche Vorbelastung, die erstmalige Inhaftierung sowie die seit Beginn des Strafverfahrens gegebene Therapiebereitschaft sprechen könnten, wird die Strafvollstreckungskammer in eigener Zuständigkeit zu prüfen und entscheiden haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 StPO.

Einsender: RA Dr. Jan-Maximilian Zeller, Köln

Anmerkung:


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