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Entscheidungen

Haftfragen

Fesselung, Darmentleerung, Entschädigung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Marburg, Beschl. v. 22.09.2015 - 7 O 112/11

Leitsatz: Die Verletzung der Menschenwürde eines Strafgefangenen durch die Fesselung während einer Krankenhausbehandlung kann die Zuerkennung einer Geldentschädigung rechtfertigen.


In pp.
Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 2.500 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.07.2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung wegen einer Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Anspruch. Der Kläger verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes mit anschließender Sicherheitsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt. Während der gesamten bis zum streitgegenständlichen Vorfall dreizehnjährigen Haftdauer gab es keine Ereignisse, die auf einen Fluchtwillen hindeuteten.
Am 19.11.2009 wurde der Kläger aufgrund plötzlich aufgetretener krampfartiger Schmerzen im Unterleib in die Asklepios-Klinik Schwalmstadt verbracht. Auf Anweisung der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt wurden dem Kläger Hand- und Fußfesseln angelegt und zudem ständige und unmittelbare Bewachung angeordnet. Die Fesselung wurde während der ärztlichen Untersuchung und Behandlung, bei der der Kläger Einläufe erhielt, beibehalten.
Zur Bewachung des Klägers befanden sich mindestens sechs Polizeibeamte in dem Behandlungszimmer, die das Zimmer auch während der Verabreichung der Einläufe nicht verließen und somit Zeuge der für den Kläger unangenehmen Prozedur wurden. Im Anschluss an die Einläufe wurde dem Kläger nicht gestattet, den im Behandlungszimmer befindlichen fensterlosen Toilettenraum aufzusuchen. Es wurde auf Weisung der bewachenden Polizeibeamten ein Toilettenstuhl in das Behandlungszimmer gebracht, auf dem der Kläger in Gegenwart der Polizeibeamten seine Notdurft verrichtete. Auch während dieses Vorgangs blieb die Fesselung an Händen und Füßen bestehen. Gegenüber dem Hinweis des Klägers, eine Flucht sei nicht beabsichtigt, verwiesen die Beamten auf die Anordnung der Fesselung. Im Anschluss daran wurde der Kläger zur weiteren Behandlung in das Vollzugskrankenhaus nach Kassel transportiert.
Mit Beschluss vom 07.05.2010 hat die 7. Strafkammer - Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Marburg/Lahn festgestellt, dass die Sicherungsmaßnahmen anlässlich des Krankenhausaufenthaltes am 19.11.2009, soweit diese von der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt veranlasst waren, rechtswidrig waren (Beiakte 7a StVK 262/09, Bl. 8f. d. A.).
Der Kläger begehrt eine angemessene Entschädigung, wobei er sich einen Betrag in der Größenordnung von 5.000 € vorstellt. Der Kläger ist der Auffassung, dass die massive Bewachung eine Fluchtgefahr ausgeschlossen habe. Die Weigerung, dem Kläger die Nutzung des fensterlosen Toilettenraumes zu gestatten, habe ihn in seinen Rechten verletzt. Die Rechtsverletzung zwinge zur Gewährung einer Geldentschädigung. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit sei nicht geeignet, ihm zureichende Genugtuung und Wiedergutmachung zu vermitteln.
Der Kläger beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn eine Geldentschädigung für immaterielle Schäden wegen der Beibehaltung der Hand- und Fußfesseln als Sicherungsmaßnahme anlässlich seiner Behandlung im Krankenhaus (Nierenkolik) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.07.2014 zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land behauptet, die Benutzung des fensterlosen Toilettenraums sei nicht möglich gewesen, weil eine ärztliche Beobachtung erforderlich gewesen sei.
Das beklagte Land vertritt die Auffassung, Notfallsituation und Schmerzempfindung hätten dazu geführt, dass der Kläger von den äußeren Umständen der Behandlung nicht besonders beeinträchtigt gewesen sei. Der Kläger habe sich im Anschluss auch nicht bei dem Sicherheitsdienstleiter der Justizvollzugsanstalt beschwert.
Fesselung und Bewachung seien angeordnet worden, da der Kläger nach Auffassung der Justizvollzugsanstalt gefährlich und fluchtgefährdet sei und weder Simulation noch Flucht oder Geiselnahme auszuschließen gewesen seien.
Der behandelnde Arzt habe die Frage, ob die Fesselung die Behandlung des Beklagten beeinträchtige, verneint.
Das beklagte Land ist der Auffassung, dass die erlittene Beeinträchtigung durch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer hinreichend ausgeglichen sei.
Die Akten des Landgerichts Marburg - Strafvollstreckungskammer - 7a StVK 262/06 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Geldentschädigung ergibt sich aus § 839 BGB, Art. 34 GG in Verbindung mit Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.
Dass die Fesselung des Klägers während des Krankenhausaufenthaltes am 19.11.2009 eine Amtspflichtverletzung darstellte, ergibt sich aus der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Marburg vom 07.05.2010 (Bl. 30 der Beiakte 7a StVK 262/09). Die Feststellung der Rechtswidrigkeit entfaltet für den Amtshaftungsprozess bindende Wirkung (vgl. BGH NJW 2006, 3572 [BGH 28.09.2006 - III ZB 89/05]; NJW 05, 58 [BGH 04.11.2004 - III ZR 361/03]). Eine bindende Feststellung der Rechtswidrigkeit in Bezug auf die Verweigerung der Nutzung des fensterlosen Toilettenraumes ist durch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht gegeben. Gleichwohl ist eine Amtspflichtverletzung zu bejahen. Die handelnden Beamten waren gehalten, Verletzungen der Menschenwürde des Klägers so weit als möglich zu vermeiden. Die Weigerung, den fensterlosen Raum zur Verrichtung der Notdurft zu nutzen, war unverhältnismäßig. Mit dem Argument, es drohe Flucht oder Geiselnahme, lässt sich die Weigerung nicht begründen. Eine solche Gefahr wäre durch die Nutzung der fensterlosen Räumlichkeiten nicht erhöht worden. Auch das Argument, ein Arzt habe den Kläger und seine Ausscheidungen beobachten müssen, überzeugt nicht. Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, dass eine Beobachtung des Klägers sowie des Ausscheidungsvorgangs und -ergebnisses durch einen vor der geöffneten Tür wartenden Arzt unmöglich gewesen wäre.
Auch die weiteren Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs, insbesondere die Schuldhaftigkeit der Amtspflichtverletzung, sind zu bejahen. Erforderlich ist, dass dem Beamten eine schuldhaft fehlerhafte Amtsausübung vorzuwerfen ist. Ein Beamter handelt schuldhaft, wenn er im amtlichen Verkehr die erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dabei ist auf einen Durchschnittsbeamten abzustellen. Bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung hat ein solcher Durchschnittsbeamter unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsmeinung zu bilden. Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als rechtlich vertretbar angesehen werden kann, dann kann aus der Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden (BGH NJW 1979, 2097, 2098 [BGH 22.03.1979 - III ZR 22/78]). Die Verneinung des Schuldvorwurfs setzt demnach aber voraus, dass die letztlich als unzutreffend erkannte Rechtsmeinung nicht nur vertretbar, sondern auch aufgrund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung entwickelt worden ist (BGH NJW 93, 530, 531 [BGH 08.10.1992 - III ZR 220/90]). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Dabei kann einerseits darauf abgestellt werden, dass eine Weisung der vorgesetzten Beamten -hier des Sicherheitsdienstleiters bzw. des Bereichsleiters der Justizvollzugsanstalt - eine Fesselung unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, unvertretbar und damit sorgfaltspflichtwidrig war. Die Rechtswidrigkeit einer solchen - unterstellten - Weisung ergibt sich, wie die Strafvollstreckungskammer bindend festgestellt hat, daraus, dass die Voraussetzungen einer Fesselung nach § 88 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6, Abs. 4 StVollzG nicht vorlagen. Über bloße Vermutungen hinausgehende Anknüpfungspunkte für das Bestehen einer Fluchtgefahr hat das beklagte Land bis heute nicht vorgetragen. Es ist unstreitig geblieben, dass der Kläger in sämtlichen zuvor durchgeführten Ausführungen keine Fluchtversuche unternahm. Die Behauptung einer gesteigerten Gefahr der Flucht oder der Geiselnahme ist mit konkreten Tatsachen nicht belegt. Das von dem beklagten Land auszugsweise vorgelegte Gutachten (Bl. 190 d. A.) befasst sich mit der kriminellen Entwicklung des Klägers vor Antritt der Strafhaft. Einen Bezug zum Verhalten in der Haft oder gar nachvollziehbare Anknüpfungspunkte für die Bejahung einer Fluchtgefahr enthält das Gutachten nicht. Vor diesem Hintergrund kann auch unentschieden bleiben, ob die vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen die Verwertung des Gutachtenauszugs durchgreifen.
Die Schuldhaftigkeit lässt sich andererseits aber auch auf die Beibehaltung der Fesselung durch die bei der Behandlung anwesenden Beamten stützen. Unabhängig davon, ob eine Weisung bestand, wonach die Fesselung des Klägers an Hand und Fuß unter allen Umständen aufrechtzuerhalten war, musste sich den beteiligten Beamten aufdrängen, dass die besondere Situation und die Art der medizinischen Behandlung eine Ausnahme von einer zuvor angeordneten Fesselung erforderlich machten. Selbst wenn die mit der unmittelbaren Bewachung beauftragten Beamten den Regelungszusammenhang von § 88 Abs. 2, 4 StVollzG nicht vor Augen hatten, so musste sich ihnen doch aufdrängen, dass besondere Umstände vorlagen, die eine Aufhebung bzw. Lockerung der Sicherungsmaßnahmen erforderten. Neben den vom Kläger geschilderten Schmerzen sprach hierfür auch der Umstand, dass die Verabreichung mehrerer Einläufe solche Körperfunktionen auslöste, die einer Steuerung nur begrenzt zugänglich waren und die mit Blick auf die in Rede stehende Menschenwürde des Klägers eine besondere Gefährdung begründeten. Vor diesem Hintergrund konnte auch nicht von einer unbeherrschbaren Fluchtgefahr ausgegangen werden.
Ein Sorgfaltspflichtverstoß lässt sich auch nicht damit ausräumen, dass die behandelnden Ärzte eine Aufhebung der Fesselung nicht für erforderlich hielten. Die von den Beamten an die Ärzte herangetragene Frage bezog sich - ausweislich des Vorbringens des beklagten Landes - auf die medizinische Erforderlichkeit einer Aufhebung der Fesselung. Die Gewährleistung einer menschenwürdigen Behandlung oblag im Hinblick auf für erforderlich gehaltene Sicherungsmaßnahmen jedoch den Beamten der Justizvollzugsanstalt und nicht den Ärzten.
Da die Voraussetzung einer Entschädigung nach § 253 Abs. 2 BGB, nämlich die Verletzung eines der dort genannten Rechtsgüter zu verneinen ist, lässt sich ein Anspruch nicht auf den Gesichtspunkt des Schmerzensgeldes stützen. Allerdings steht dem Kläger ein Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes (Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) in Gestalt der Verletzung der Menschenwürde zu. Eine solche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann einen Anspruch auf eine immaterielle Entschädigung begründen. Der Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes gebietet insofern einen Ausgleich in Geld, weil andernfalls ein Verkümmern des Rechtsschutzes des Persönlichkeitsrechts zu befürchten wäre (vgl. BVerfG NJW 2010, 433, 434 [BVerfG 11.11.2009 - 1 BvR 2853/08]; BGH NJW 95, 861, 864 [BGH 15.11.1994 - VI ZR 56/94]; 05, 58 m. w. N.).
Dabei ist davon auszugehen, dass nicht jede Verletzung der Menschenwürde durch eine Geldentschädigung auszugleichen ist. Insbesondere dann, wenn die Beeinträchtigung auch in anderer Weise befriedigend ausgeglichen worden ist, kann eine Geldentschädigung entbehrlich sein. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Zubilligung der Entschädigung auf dem Schutzauftrag aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG folgt und insofern die Genugtuung für das Opfer im Vordergrund steht (BGH NJW 05, 58, 59 [BGH 04.11.2004 - III ZR 361/03]). Für die Zubilligung einer Entschädigung ist auf Bedeutung und Tragweite des Eingriffes, Anlass und Beweggrund des Handelns und den Grad des Verschuldens abzustellen (vgl. BGH NJW 05, 58, 59 [BGH 04.11.2004 - III ZR 361/03]; 95, 861, 865). Insofern ist eine umfassende Abwägung der Einzelfallumstände vorzunehmen. Dabei ist davon auszugehen, dass im Falle der Menschenwürdeverletzung die entschädigungspflichtige Erheblichkeitsschwelle generell niedrig anzusetzen ist. (BVerfG, Beschluss vom 26.12.2013 - 1 BvR 2531/12, BeckRS 2014, 46813; BGH NJW 05, 58, 59 [BGH 04.11.2004 - III ZR 361/03])
Nach diesen Maßstäben war die Zubilligung einer Geldentschädigung geboten. Im Rahmen der erforderlichen Einzelfallabwägung war zu berücksichtigen, dass das Ausmaß der Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht mehr als nur unerheblich beschrieben werden kann.
Die Fesselung des Klägers während der Behandlung begründete sowohl mit Blick auf das Krankenhauspersonal als auch auf die anwesenden Vollzugs- und Polizeibeamten eine Bloßstellung und damit auch eine Entwürdigung. Hierbei ist davon auszugehen, dass angesichts der zahlenmäßigen Übermacht der Beamten, der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers und der Behandlungsmaßnahmen eine Flucht oder eine Gefährdung Dritter nahezu ausgeschlossen war.
Mit dem Argument, ein Patient empfinde die Zuwendung einer ärztlichen Behandlung mit einer gewissen Erleichterung und Dankbarkeit lässt sich die Beeinträchtigung nicht relativieren, da eine solcherart empfundene Dankbarkeit nicht auch auf eine Fesselung und die Beobachtung durch die anwesenden Beamten bezogen ist. Gegen die Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle spricht auch nicht, dass das medizinische Personal der Verschwiegenheitspflicht unterlag. Der Kläger wendet sich nicht primär gegen die Beobachtung durch medizinisches Personal, sondern gegen die Fesselung während der Behandlung und die Beobachtung durch umstehende Beamte der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt und des Sondereinsatzkommandos der Polizei. Die durch Fesselung und Überwachung mit mehreren Beamten begründete Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes des Klägers ist auch nicht mit der weithin üblichen Behandlung in einem Zweibettzimmer zu vergleichen. Ungeachtet des Umstandes, dass deutlich mehr Personen als ein gedachter Mitpatient anwesend waren, ist der Krankenhausbetrieb im Regelfall in der Lage, durch mobile Trennwände oder ähnliche Maßnahmen auch in einem Zweibettzimmer eine abgeschirmte Behandlungssituation zu gewährleisten, wenn dies der Zustand des Patienten oder die Behandlung erfordern. Bedeutung für das Ausmaß der Beeinträchtigung im Einzelfall hat allerdings der vom Kläger selbst vorgetragene Umstand, dass er aufgrund der Schmerzen genauere Erinnerungen an die Einzelheiten der Situation nicht mehr hat (Bl. 33 d. A.). In diesem Zusammenhang muss auch Berücksichtigung finden, dass die bloßstellende Behandlung unter fortdauernder Fesselung allenfalls einen kurzen Zeitraum von wenigen Stunden andauerte.
Auch mit Blick auf das Maß der Sorgfaltspflichtverletzungen sprechen die überzeugenderen Gründe für die Annahme einer Entschädigungspflicht. Die Anordnung einer ununterbrochenen Fesselung bzw. die Außerachtlassung derjenigen Aspekte, die zur wenigstens kurzzeitigen Lockerung der Fesselung drängten, kann als qualifizierte Sorgfaltsverletzung angesehen werden. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Fesselung während der Darmentleerung. Entsprechendes gilt für die Weigerung, den fensterlosen Toilettenraum nutzen zu dürfen. Auch hierfür ist ein nachvollziehbarer Grund nicht ersichtlich. Dass die insofern vorgebrachten Sicherungsüberlegungen oder Aspekte der medizinischen Behandlung eine ernsthafte Rolle gespielt haben können, erschließt sich für die Kammer nicht. Der Sorgfaltspflichtverstoß der mit der Ausführung befassten Beamten erscheint aus den oben dargestellten Gründen auch nicht deshalb geringer, weil die behandelnden Ärzte eine Aufhebung der Fesselung nicht für erforderlich hielten.
Nicht zu überzeugen vermag auch das Argument des beklagten Landes, der Kläger habe sich im Nachgang zu der Ausführung über die Fesselung nicht beschwert. Zunächst ist eine Beschwerde im weiteren Sinn jedenfalls in dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit vom 28.11.2009 zu erblicken. Zudem ließe das Fehlen einer persönlichen Missfallensbekundung nicht den Schluss zu, die Beeinträchtigung sei nur gering gewesen, werde als gering empfunden oder klaglos hingenommen.
Ob die anwesenden Beamten anlässlich der ärztlichen Behandlung abfällige Bemerkungen machten, ist für die Frage der Zubilligung einer Entschädigung und deren Höhe nicht von Bedeutung, da der Kläger das Geschehen selbst nur verschwommen wahrnahm. Keine wesentliche Bedeutung kommt auch dem Umstand zu, dass der Kläger nach seinem unstreitig gebliebenen Vortrag infolge des Ereignisses an Alpträumen leidet. Nach menschlichem Ermessen sind auch zahlreiche andere in der Biografie des Klägers begründete Umstände zur Auslösung von Alpträumen geeignet. Hierfür spricht gerade auch die Angabe des Klägers, diese Alpträume nicht zum Schwerpunkt der Klage machen zu wollen (Bl. 28 d. A.).
Zu berücksichtigen war allerdings der Umstand, dass die Fesselung des Klägers eine effektive Reinigung nach dem Ausscheidungsvorgang erheblich beeinträchtigt haben dürfte.
Dies alles rechtfertigt in diesem speziellen Fall die Zuerkennung einer Geldentschädigung, da dem Kläger anderenfalls keine hinreichende Genugtuung zuteilwürde. Bei der Zumessung der Geldentschädigung war allerdings zu berücksichtigen, dass jedenfalls teilweise durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit eine Genugtuung erfolgte.
Unter Abwägung sämtlicher relevanten Umstände erscheint die Zubilligung einer Entschädigung in Höhe von 2.500 € angemessen aber auch ausreichend, um dem Kläger hinreichende Genugtuung für die erfahrene Verletzung seiner Menschenwürde zu verschaffen. Zur Bildung eines Vergleichsmaßstabes kann auf die Entscheidung des Landgerichts Baden-Baden (Urteil vom 30.11.1990 - 2 O 135/90, NVwZ 91, 1118, 1119) zurückgegriffen werden. Der dort entschiedene Sachverhalt ist insofern vergleichbar, als ebenso eine entwürdigende Behandlung durch eine Zurschaustellung bei der Verrichtung der Notdurft zugrunde lag. Hierfür sprach das Landgericht Baden-Baden dem dortigen Kläger eine Entschädigung von 600 DM zu. Die Beeinträchtigung des hiesigen Klägers wiegt jedoch deshalb ungleich schwerer, weil sie sich auf einen längeren Zeitraum erstreckte, die Zurschaustellung einen größeren Personenkreis erreichte und die Randumstände (medizinische Behandlung, Darmentleerung) eine weitergehende Erniedrigung des Klägers begründeten. Diese Umstände zwingen zur deutlichen Erhöhung des Entschädigungsbetrages.
Die begehrten Zinsen kann der Kläger gem. §§ 286, 288, 291 BGB seit dem 05.07.2014 verlangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.

Einsender: entnommen Justiz Hessen

Anmerkung:


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