Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Geringwertigkeit, Wertgrenze,

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 08.01.2015 - 121 Ss 211/14

Leitsatz: 1. Zur Beuteerhaltungsabsicht im Sinne des § 252 StGB.
2. Bei einem im Jahr 2014 begangenen Diebstahl ist jedenfalls bei einem Beutewert von 31,95 Euro Geringwertigkeit im Sinne der §§ 248a, 243 Abs. 2 StGB anzunehmen.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
(4) 121 Ss 211/14 (276/14)

In der Strafsache
gegen pp.
wegen räuberischen Diebstahls

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 8. Januar 2015 beschlossen:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 27. August 2014 im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagte des Diebstahls und der versuchten Nötigung schuldig ist (§§ 242, 248a; 240, 22, 23; 53 StGB).

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu gehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.
G r ü n d e :

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte wegen räuberischen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt.

Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lassen sich die folgenden Fest-stellungen des Schöffengerichts entnehmen: Die Angeklagte entnahm am 17. Januar 2014 gegen 9.15 Uhr in den Geschäftsräumen der Fa. „K“ in der xstraße in y den Auslagen einen Damenpullover für 14 Euro und ein Sweatshirt für 17,95 Euro, klemmte sich beide Gegenstände unter den Arm und verließ das Geschäft, ohne die Waren, die sie behalten wollte, zu bezahlen. Sie legte die Kleidungsstücke in den Fahrradkorb ihres vor dem Geschäft abgestellten Fahrrades und wollte davonfahren. Die Zeugin N, die als Verkäuferin in dem „K“-Geschäft arbeitet, war der Angeklagten gefolgt und forderte diese auf, die Kassenbelege vorzuzeigen. Die Angeklagte rea-gierte darauf nicht, sondern versuchte, mit dem Fahrrad davonzufahren. Dies gelang ihr jedoch nicht, weil die Zeugin N das Fahrrad festhielt. Die Angeklagte zog ihrer-seits an dem Fahrrad. Bei dieser Rangelei fielen die Kleidungsstücke möglicherweise zu Boden. Außerdem – eventuell etwas später – hielt die Zeugin auch die Tasche der Angeklagten fest, ohne dass jedoch festgestellt wäre, wo sich diese befand. Als sich ein weiterer Mitarbeiter der Fa. „K“ näherte, gab die Angeklagte ihr Vorhaben auf und ging mit in das Büro.

Das Amtsgericht hat angenommen, die Angeklagte habe „durch ihre Abwehrhand-lungen“ das Ziel verfolgt, im Besitz der gestohlenen Waren zu bleiben, weil sie sich bei der Frage nach dem Kassenbeleg nicht von der offen im Fahrradkorb liegenden Beute getrennt, sondern ihr Fahrrad gepackt und versucht habe, den Tatort zu ver-lassen.

Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte in zulässiger Weise Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel, das mit dem Hauptantrag die vom Senat getroffene Entscheidung begehrt hat, ist erfolgreich.

1. Es kann dahin stehen, ob – wie die Revision meint – schon das Tatbestands-merkmal der „Gewalt gegen eine Person“ im Sinne des § 252 StGB nicht hinreichend belegt ist. Denn jedenfalls fehlt es an rechtsfehlerfreien Feststellungen zum subjekti-ven Tatbestand. Die innere Tatseite des räuberischen Diebstahls setzt neben Vor-satz, der sich auf den Diebstahl und die Nötigungshandlung beziehen muss, voraus, dass der Täter in der Absicht handelt, eine Gewahrsamsentziehung zu verhindern, die nach seiner Annahme gegenwärtig ist oder unmittelbar bevorsteht (vgl. BGHSt 9, 161, 163; 13, 64, 65; 28, 224, 230 f.; BGHR StGB § 252 Besitzerhaltungsabsicht 3). Dafür reicht es nicht aus, dass der Täter sich nur der Feststellung seiner Person ent-ziehen und einen dadurch bedingten späteren Verlust des Diebesgutes verhindern will. Es genügt allerdings, wenn sich der Täter durch den Einsatz des Nötigungsmit-tels der Strafverfolgung entziehen, gleichzeitig aber auch das Diebesgut verteidigen will (vgl. BGH NStZ 2000, 530; NStZ-RR 2005, 340).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu dem Rechtsmittel unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 13. Dezember 2010 – [4] 1 Ss 416/10 [245/10] –) insoweit ausgeführt (Anmerkungen des Senats in eckigen Klammern):

„Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen räuberischen Diebstahls nicht. Sie weisen zwar aus, dass die Angeklagte bei einem Diebstahl auf fri-scher Tat betroffen Gewalt gegen den Hausdetektiv [gemeint ist: gegen die Zeugin N] verübt hat. Sie rechtfertigen aber nicht die Annahme, die Angeklagte habe sich damit den Besitz des gestohlenen Gutes erhalten wollen (§ 252 StGB).

Das Amtsgericht schließt insbesondere aus dem Nachtatverhalten des [richtig: der] Angeklagten, dass dieser [richtig: diese] die festgestellte Gewalt nicht le-diglich zum Entkommen einsetzte, sondern […] zumindest zu Beginn der Ran-gelei (auch) im Besitz der Beute bleiben wollte. Es führt dazu aus, es wäre kein Problem für die Angeklagte gewesen, bei der Frage der Zeugin N nach dem Kassenbeleg die Ware aus dem offenen Korb zu nehmen und sodann zu flüch-ten. Eine weitere Begründung enthält das Urteil nicht. Diese Erwägungen sind nicht rechtsfehlerfrei und tragen die Annahme der ‚Beutesicherungsabsicht’ im Sinne von § 252 StGB deshalb nicht.

Bei einem auf frischer Tat entdeckten Dieb steht die Absicht, seine Identifizie-rung zu verhindern, erfahrungsgemäß im Vordergrund (vgl. KG StV 2004, 67 f. m.w.N. –; Beschluss vom 13. Dezember 2010 – 4-245/10 –). Das gilt vor allem dann, wenn der Täter – wie hier die bereits wegen Diebstahls vorbestrafte An-geklagte – mit einer spürbaren Bestrafung zu rechnen hat. In einem solchen Fall liegt es daher nicht fern, dass die Absicht des Täters, seine Identifizierung zu verhindern, nicht nur der vorherrschende, sondern möglicherweise sogar der alleinige Beweggrund der Gewaltanwendung ist. Das gilt umso mehr, wenn es sich bei dem Diebesgut – wie hier – nicht um einen hochwertigen Gegenstand handelt. Die Annahme, dass es dem Täter möglicherweise nur um seine Frei-heit geht, wenn er bei dem Diebstahl auf frischer Tat betroffen Gewalt anwen-det, liegt deshalb nahe. Die Möglichkeit, dass es sich so verhalten haben könn-te, wäre daher auch im vorliegenden Fall näher in Betracht zu ziehen gewesen, zumal der Umstand, dass die Angeklagte sich auch nach der Überzeugung des Amtsgerichts aufgrund einer belastenden Familiensituation in einer emotionalen Ausnahmesituation befand, hierfür spricht. Auch der festgestellte äußere Ge-schehensablauf weist keine Besonderheiten auf, die die Schlussfolgerung nahe legen, dass es der Angeklagten nicht nur darum ging, sich ihrer Identifizierung zu entziehen, sondern auch darum, sich den Besitz der gestohlenen Sachen zu erhalten.

Der vom Amtsgericht als belastendes Indiz gewertete Umstand, dass die Ange-klagte die entwendeten Gegenstände nicht herausgab, ist kein tragfähiges Be-weisanzeichen für eine ‚Beutesicherungsabsicht’ der Angeklagten. Auch wenn die Herausgabe zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen wäre, erlaubt dies keinen Rückschluss auf eine mögliche Beutesicherungsabsicht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es der Angeklagten zuvor ohne weiteres möglich gewe-sen wäre, die Beute loszuwerden, ohne sich durch den Vorgang der Entledi-gung in die Gefahr zu begeben, von der Zeugin N ergriffen zu werden. Die Beu-te befand sich in dem Fahrradkorb, in den sie hätte hineingreifen müssen, statt sich gegen das Festhalten ihres Fahrrades und ihrer Tasche durch die Zeugin zu wehren.

Die Ansicht des Amtsgerichts, die Angeklagte habe sich auch den Besitz der entwendeten Sache erhalten wollen, als sie sich, zur Flucht entschlossen, ge-gen das Festhalten wehrte, beruht nach alledem nicht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage, sondern stellt sich als bloße Vermutung dar, die nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag. Der Zweifelsgrundsatz verbie-tet es jedoch, dem Täter – wenn die zweifelsfreie Feststellung der Besitzerhal-tungsabsicht wie hier letztlich nicht möglich ist – die Absicht der Gewahrsams-behauptung zu unterstellen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 28. No-vember 2007 – 1 Ss 94/07 – [bei juris]; OLG Zweibrücken StV 1994, 545, 546; OLG Köln NStZ-RR 2004, 299; KG, Beschluss vom 13. Dezember 2010 – 4-245/10 –).

Da auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch nähere Feststellungen getroffen werden können, die die Annahme einer ‚Beutesiche-rungsabsicht’ der Angeklagten tragen, kommt hier […] eine Berichtigung des Schuldspruchs durch das Revisionsgericht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf der Grundlage der vorliegenden Urteilsfeststellungen in Betracht. Danach ist der Angeklagte des Diebstahls und der versuchten Nötigung (§§ 242, 240, 22, 23, 53 StGB) schuldig. Denn es ist rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der die Angeklagte in der Absicht, die Ware nicht zu bezahlen, das Geschäft verließ, und dass die Angeklagte, als die Zeugin N sie festhalten wollte, ihrerseits an dem Fahrrad und der Tatsche zog, ihre Festnahme hierdurch aber dennoch nicht verhindern konnte. Eines rechtlichen Hinweises nach § 265 StPO bedarf es für die Schuldspruchänderung nicht, weil auszuschließen ist, dass sich die Angeklagte gegen diesen Schuldspruch anders, als bisher geschehen, verteidi-gen könnte.

Die Änderung des Schuldspruchs zwingt zur Aufhebung des Rechtsfolgenaus-spruchs und zur Zurückverweisung der Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht […].“


2. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen, soweit sie die Frage der Beuteerhal-tungsabsicht betreffen, an. Er kann zum Schuldspruch abschließend selbst entschei-den.

a) Insbesondere liegt es fern, dass eine erneute Hauptverhandlung zu Feststellungen führen könnte, die die Annahme rechtfertigten, die Angeklagte habe – zumindest auch – durch die allein in Betracht kommende Nötigungshandlung, das Zerren am Fahrrad, das Diebesgut verteidigen wollen. Vielmehr waren die gestohlenen Gegen-stände, die zunächst offen im Fahrradkorb und sodann möglicherweise auf dem Bo-den lagen, für die Zeugin N seit dem Beginn der möglichen Nötigungshandlung je-derzeit greifbar. Angesichts dessen hätte es für die Annahme des Amtsgerichts, die Angeklagte habe gehandelt, um im Besitz der Ware zu bleiben, einer sorgfältigen Beweiswürdigung bedurft. Für die – am Gesetzeswortlaut orientierte, lediglich for-melhafte – Annahme der Beutesicherungsabsicht fehlt indessen eine tragfähige Be-weisgrundlage. Das Schöffengericht ist ausweislich der Urteilsgründe der Einlassung der Angeklagten gefolgt. Mit deren der Annahme einer solchen Absicht entgegenste-henden Angabe, sie habe „nur wegfahren wollen, weil ihr die Sache sehr unange-nehm gewesen sei“ (UA S. 3), hat sich das Gericht mit keinem Wort beschäftigt. Das angefochtene Urteil lässt besorgen, dass das Tatgericht die Zueignungsabsicht als subjektives Element des der Gewalthandlung vorausgegangenen Diebstahls mit der für § 252 StGB notwendigen Beutesicherungsabsicht in rechtsfehlerhafter Weise gleichgesetzt hat. Da das Fehlen der Beutesicherungsabsicht hier auf der Hand liegt und nicht nur nach dem Zweifelsgrundsatz zu verneinen ist, erfordert die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses nicht die mehrfache Anwendung des Zweifelsgrundsat-zes mit der Folge, dass hinsichtlich des Diebstahls und der versuchten Nötigung Tat-einheit anzunehmen war (vgl. dazu etwa BGH NStZ-RR 2005, 240; OLG Koblenz, Beschluss vom 13. Juli 2006 – 1 Ss 151/06 –, juris-Rn. 28 mwN).
b) Die Voraussetzungen für die Verurteilung wegen Diebstahls liegen auch unter Be-rücksichtigung der Tatsache vor, dass sich die Tat auf geringwertige Sachen im Sin-ne des § 248a StGB bezog; denn die geschädigte Firma hat wirksam Strafantrag gestellt.

aa) Die Geringwertigkeit ist bei dem hier gegebenen Verkaufspreis von 31,95 Euro, der mangels entgegenstehender Anhaltspunkte den Maßstab für den insoweit ent-scheidenden objektiven Verkehrswert bildet, zu bejahen.

Die Geringwertigkeitsgrenze im Sinne des § 248a StGB ist nicht starr zu ziehen. Ent-scheidend ist vielmehr eine tatrichterliche Bewertung, bei der nicht allein auf den Eu-ro-Betrag abzustellen, sondern auch die Art der Tatobjekte in den Blick zu nehmen ist (vgl. Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB 29. Aufl., § 248a Rn. 10). Die Wert-grenze unterliegt nach nahezu einhelliger Meinung infolge der Preis-, Lohn- und Geldwertentwicklung der Veränderung.

Die Grenze, bei der im Regelfall von Geringwertigkeit auszugehen ist, stieg in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf etwa 50 DM (umgerechnet entspre-chend 25,53 Euro). In dem Standardkommentar für Praktiker zum StGB von Dre-her/Tröndle findet die 50-DM-Grenze erstmals in der im Jahr 1983 erschienen 41. Auflage (Bearbeitungstand Oktober 1982) – unter Bezugnahme auf Rechtspre-chung aus dem Jahr 1981 und ausdrücklichem Hinweis auf die „Teuerung“ – Erwäh-nung (vgl. Dreher/Tröndle, StGB 41. Aufl., § 248a Rn. 5). In der obergerichtlichen Rechtsprechung wurde es ebenfalls schon in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als „herrschende Meinung“ bezeichnet, Geringwertigkeit jedenfalls bei einem Verkehrswert bis zu 50 DM anzunehmen (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1987, 1958).

Inzwischen wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur vielfach an-genommen, dass der Grenzwert bei etwa 50 Euro liege (vgl. OLG Zweibrücken NStZ 2000, 536; OLG Hamm NJW 2003, 3145; wistra 2012, 40; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 311 mit zust. Anm. Jahn JuS 2008, 1024 ff.; Kudlich in SSW-StGB 2. Aufl.,
Rn. 7; Hohmann in MüKo-StGB 2. Aufl., Rn. 6; Kretschmer in AnwK-StGB 2. Aufl., Rn. 3; Wittig in von Heintschel-Heinegg, StGB, Rn. 4; Lackner/Kühl, StGB 28. Aufl., Rn. 3; Joecks, StGB 11. Aufl., Rn. 7; alle zu § 248a StGB; Henseler StV 2007, 323 ff.; ebenso BVerwGE 145, 269; Sächs. OVG, Urteil vom 14. März 2014 – D 6 A 767/12 – [juris]). Dabei ist jedoch nicht ersichtlich, welche konkreten wirtschaftlichen Überlegungen der damit angenommenen Verdoppelung des seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts unstreitigen Grenzwertes zugrunde liegen. Überwie-gend wird lediglich pauschal auf die „Preis- und Lohnentwicklung“ hingewiesen (OLG Zweibrücken aaO) bzw. neben der eingetretenen Kosten- und Preissteigerung auf nicht näher dargelegte „geänderte Wertvorstellungen in der Bevölkerung“ abgestellt (OLG Hamm NJW 2003, 3145).

Obgleich die Preis-, Lohn- und Geldwertentwicklung bei der Bestimmung der Ge-ringwertigkeit von Gegenständen und Waren Berücksichtigung finden muss und die eingetretenen Veränderungen es nahe legen, dass die Verkehrswerte inzwischen nicht unerheblich angestiegen sind, wird vereinzelt noch immer der vor mehr als 30 Jahren angenommene Grenzwert (bzw. ein rechnerisch sogar geringerer von 25 Eu-ro) zugrunde gelegt (vgl. insbesondere Fischer, StGB 62. Auflage [2015, Stand Ok-tober 2014], § 248a Rn. 3a; zustimmend Schmidt in Matt/Renzikowski, StGB, § 248a Rn. 3). Bei Fischer heißt es, die Grenze sei „in den 90er Jahren“ bei etwa 50 DM angenommen worden und der BGH ziehe sie „derzeit“ bei 25 Euro, wobei ein Hin-weis auf eine mehr als zehn Jahre alte Entscheidung erfolgt, die ihrerseits die Gren-ze ohne nähere Begründung oder Auseinandersetzung mit der Veränderlichkeit der wirtschaftlichen Gegebenheiten, sondern allein unter Verweis auf den genannten Standardkommentar (in der Auflage von 2003) auf 25 Euro bestimmt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 – 2 StR 176/04, BGHR StGB § 248a Geringwertig 1). Fischer argumentiert seit der im Jahr 2004 erschienenen 52. Auflage des nun-mehr von ihm bearbeiteten Standardkommentars bis in die heutige Zeit gegen eine Anhebung der Regelgrenze auf 50 Euro wortgleich damit, dass Sachen im Wert des „halben Wochenlohns eines geringfügig Beschäftigten“ oder „eines Zehntels des mo-natlichen Sozialhilfesatzes“ nicht als belanglose Bagatelle angesehen werden könn-ten, ohne jedoch darauf einzugehen, dass sich die von ihm gewählten Bezugsgrößen in der Zwischenzeit nicht unerheblich geändert haben. Unter Bezugnahme auf eine ebenfalls fast zehn Jahre alte Entscheidung des OLG Oldenburg, das sich seiner-seits lediglich auf die Kommentierung Fischers bezogen hatte (vgl. OLG Oldenburg NStZ-RR 2005, 111), hält er seither allenfalls einen Grenzwert von 30 Euro für ver-tretbar (ebenso restriktiv und ohne Begründung OLG Koblenz, Urteil vom 24. Febru-ar 2014 – 2 Ss 160/12 – [juris]: 25 Euro, nur im Einzelfall 30 Euro vertretbar).

Soweit die Ablehnung der 50-Euro-Grenze mit pauschalen Hinweisen auf die Ein-kommensgrenzen geringfügig Beschäftigter oder den Sozialhilfesatz begründet wird, erachtet der Senat dies für nicht überzeugend. Eine Auseinandersetzung damit, dass der BGH eine Koppelung der Geringfügigkeitsgrenze an die Höhe von Sozial(ver-sicherungs)leistungen verworfen hat (vgl. BGHSt 5, 263; 6, 41; weitere Nachweise bei Vogel in LK-StGB 12. Aufl., § 248a Rn. 6 Fn. 9), findet sich nicht. Auch wird nicht erkennbar in den Blick genommen, dass bei der Bestimmung anderer Sach- und Vermögenswertgrenzen im StGB (etwa bei § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB, Bagatellschäden im Sinne des § 142 StGB oder dem Vermögensverlust großen Ausmaßes gemäß § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB) die wirtschaftliche Entwicklung selbstverständlich Beachtung gefunden hat. Unklar bleibt zudem die Bedeutung des – im Übrigen zu keinem Zeitpunkt der Kommentierungen Fischers rechnerisch ohne weiteres ver-ständlichen – Verweises auf „ein Zehntel“ des monatlichen Sozialhilfesatzes oder den „halben Wochenlohn“ eines geringfügig Beschäftigten. Das damit gemeinte Verhält-nis des Geringfügigkeitsbetrags zu den genannten Bezugsgrößen ist nicht näher ausgeführt worden; insbesondere ist nicht deutlich, welche Erkenntnisse für die Rechtsanwendung damit verbunden sein sollen. Klar ist allerdings, dass die Befür-worter einer Koppelung an Sozialleistungssätze und ähnliche Bezugsgrößen nicht deutlich machen, dass ihnen bewusst ist, dass mit der Entwicklung dieser Bezugs-größen die Berechtigung ihrer Kritik an einer Anhebung des Grenzwerts beständig abnimmt. So lag das Verhältnis des Geringwertigkeitsbetrages von 50 DM bis zum Jahr 1991 bei mehr als 10 % des Regelsatzes, ohne dass eine ähnlich begründete Kritik an der Bestimmung der Geringwertigkeitsgrenze auf 50 DM geübt worden wäre (im Jahr 1983 etwa lag das Verhältnis bei einem Regelsatz von 345 DM bei knapp 14,5 %). Sollte mit dem Verweis auf „ein Zehntel“ des monatlichen Sozialhilfesatzes ausgesagt sein, dass bis zu zehn Prozent des Regelsatzes vertretbar seien (dafür ließe sich anführen, dass der von Fischer seit 2005 für vertretbar erachtete Wert von 30 Euro immerhin gut 9 % des zum 1. Januar 2005 auf 331 Euro angehobenen Re-gelsatzes in den neuen Bundesländern ausmachte), stünde die Ansicht Fischers der vom Senat vorliegend getroffenen Entscheidung im Übrigen nicht entgegen. Denn der Regelsatz in dem hier zu betrachtenden Jahr der Tatbegehung lag (seit dem 1. Januar 2014) bei 391 Euro, sodass der Beutewert nur wenig mehr als 8 % dieses Regelsatzes ausmachte. Ob der BGH an seiner 2004 getroffenen Festlegung des Grenzwertes noch immer festhalten würde, kann ebenso dahin stehen, wie die Fra-ge, ob der Ansicht zu folgen ist, wonach die Grenze bereits bei 50 Euro liege. Ließe der BGH sich allerdings auf die Argumentation Fischers ein und setzte er den Grenzwert zum Regelsatz für die Grundsicherung ins Verhältnis, hätte er zu beden-ken, dass dieser Regelsatz seit seiner Entscheidung um gut 32 % gestiegen ist: Sei-nerzeit betrug der Regelsatz (seit dem 1. Juli 2003) 296 Euro, im Jahr 2014 lag er bei 391 Euro. Übertrüge man diese Erhöhung auf den vom BGH im Jahr 2004 be-fürworteten Grenzwert, stiege dieser von 25 Euro auf 33 Euro.

Ohne dass der Senat eine rechnerische Ankoppelung der Geringwertigkeitsgrenze an irgendwelche Regelsätze befürworten würde, ist darauf hinzuweisen, dass jeden-falls eine Koppelung an die Entgeltgrenze für geringfügige Beschäftigungsverhältnis-se in keiner Weise begründbar erscheint, weil diese schon im Ansatz keine verwert-bare Bezugsgröße bilden kann. Denn bei der Bemessung dieser Entgeltgrenze sind nicht allein die hier maßgeblichen Preis- und Wertentwicklungen, sondern nicht zu-letzt auch arbeitsmarkt-, steuer-, sozialversicherungs- und ordnungspolitische Ge-sichtspunkte von Bedeutung. Aber auch wenn man auf „den halben Wochenlohn“ eines geringfügig Beschäftigten abstellen wollte, müsste dessen nicht unerhebliche Veränderung seit der Festlegung der 50-DM-Grenze berücksichtigt werden. Ab dem 1. Januar 1982 (bis zum Jahr 1996) lag die Entgeltgrenze bei monatlich 390 DM, womit 50 DM mehr als einen halben Wochenlohn des geringfügig Beschäftigten ausmachten, ohne dass dies die nunmehr vorgebrachte Kritik hervorgerufen hätte, während derzeit selbst ein Geringwertigkeitsbetrag von 50 Euro deutlich unter dem halben Wochenlohn eines geringfügig Beschäftigten, der seit dem 1. Januar 2013 monatlich 450 Euro erzielen darf, läge.

Zutreffend ohne Bezugnahmen auf irgendwelche Bezugsgrößen, sondern auf die Entwicklung des Preisgefüges abstellend, hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts darauf erkannt, dass für Taten, die Mitte 2005 bis Mitte 2006 begangen waren, Ge-ringwertigkeit „jedenfalls bis 30 Euro“ gegeben sei (vgl. KG, Urteil vom 26. Januar 2009 – [2] 1 Ss 344/08 [27/08] –; Hervorhebung hier), während er die Frage aus-drücklich offen gelassen hat, ob der Auffassung zu folgen sei, wonach die Grenze auf 50 Euro zu bestimmen sei (ähnlich OLG Brandenburg, Beschluss vom 15. Okto-ber 2008 – 1 Ss 70/08 – [juris], jedoch in Bezug auf eine Anhebung auf 50 Euro eher skeptisch: „nicht … ohne weiteres“; s. auch OLG Oldenburg NStZ-RR 2005, 111: Geringwertigkeit bis 30 Euro; Anhebung auf 50 Euro „gegenwärtig“ nicht gerechtfer-tigt). Der 1. Strafsenat des Kammergerichts hatte die Geringwertigkeitsgrenze dem-gegenüber zunächst in nicht ganz einheitlicher Rechtsprechung (zu § 243 Abs. 2 StGB) bei Schäden „bis etwa 25 Euro“ (Beschluss vom 13. Januar 2010, StraFo 2010, 212) bzw. „bis etwa 25 bzw. 30 Euro“ gezogen (Urteil vom 17. März 2010 – [1] 1 Ss 46/10 [3/10] –). Zweifel gegen eine Anhebung der Grenze auf 50 Euro hatte er mit einem nicht näher ausgeführten Hinweis auf die „Beziehung (des Beutewerts) zum Regelbedarf gemäß § 20 Abs. 2 SGB II“ geäußert und ferner – unter Hinweis auf die Kommentierung Fischers – angenommen, mit einem solchen Betrag wäre der Wert etwa des halben Wochenlohns eines geringfügig Beschäftigten als geringfügige Bagatelle eingeordnet. Diese Entscheidungen dürften jedoch inzwischen überholt sein, weil sich der 1. Strafsenat des Kammergerichts nunmehr im Ergebnis und mit wortgleicher Begründung dem 2. Strafsenat angeschlossen hat (vgl. KG, Beschluss vom 2. September 2010 – [1] 1 Ss 561/09 [1/10] –, StraFo 2011, 65). Damit ist für den Bereich des Kammergerichts davon auszugehen, dass nach der zutreffenden Rechtsprechung des 2. Strafsenats schon für im Jahr 2005 bis 2006 begangene Ta-ten die Geringwertigkeit jedenfalls bei 30 Euro zu bejahen ist.

Die seither eingetretene weitere Preisentwicklung rechtfertigt es, jedenfalls den vor-liegend zu beurteilenden Beutewert von 31,95 Euro als gering im Sinne des § 248a StGB anzusehen. Die Beachtung der Entwicklung der wirtschaftlichen Gegebenhei-ten seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die etwa in dem jeweiligen Verbraucherpreisindex erkennbar wird (vgl. Statistisches Bundesamt, Verbraucher-preisindizes für Deutschland, abrufbar unter www.destatis.de/DE/Publikationen/ Thematisch/Preise/Verbraucherpreise/VerbraucherpreisindexLangeReihenPDF_ 5611103.pdf; jsessionid=98372EABF8347E77B4C602B7E75121C7.cae1?_ blob=publicationFile), lässt die damit vorgenommene Anhebung des Grenzwertes im Umfang eines Drittels seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als an-gemessen erscheinen. Die vorliegende Bestimmung der Geringwertigkeitsgrenze ist im Übrigen auch mit der Rechtsprechung des BGH, der beispielsweise wiederholt zehn Schachteln Zigaretten als geringwertig angesehen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 1975 – 4 StR 62/75 – [juris]; insoweit in BGHSt 26, 104 ff. nicht abge-druckt; NJW 1964, 117; s. auch Vogel aaO Rn. 7), vereinbar.

bb) Hiernach war § 248a StGB in die Liste der angewendeten Vorschriften aufzu-nehmen.

3. Demgegenüber vermag der Senat der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft, hinsichtlich des Hilfsantrages sei die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwer-fen, nicht zu folgen. Vielmehr ist der Hilfsantrag der Revision, das Urteil insgesamt aufzuheben und die Sache zur Neuverhandlung zurückzuverweisen, ersichtlich nur für den – hier nicht eingetretenen – Fall gestellt worden, dass der Senat nicht dem Hauptantrag folgen sollte, etwa weil er sich an einer eigenen abschließenden Ent-scheidung zum Schuldspruch gehindert sehen könnte, da er noch ergänzende Fest-stellungen zur Beuteerhaltungsabsicht für möglich erachtet. Der Hilfsantrag, der der Revision im Übrigen ebenfalls einen – wenngleich insgesamt vorläufigen – Erfolg er-bracht hätte, betraf daher im Verhältnis zu dem Hauptanliegen der Rechtsmittelfüh-rerin, das sie erreicht hat, entgegen der Bewertung der Generalstaatsanwaltschaft keine „weitergehende“ Revision.

4. Im Umfang der Aufhebung war die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Ver-handlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückzuverweisen.

Einsender: RiKG D. Lind, Berlin

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".