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Entscheidungen

Haftfragen

Untersuchungshaft, Vorwegvollzug, Verhältnismäßigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Kleve, Beschl. v. 03.04.2014 - 120 Qs-402 Js 845/13-29/14

Leitsatz: Es gibt keinen Rechtssatz, dass Untersuchungshaft nicht bis zur Höhe der erkannten Freiheitsstrafe vollzogen werden darf, wenn dies notwendig ist, um die Durchführung des vom Angeklagten gewünschten Berufungsverfahrens oder die drohende Vollstreckung der Strafe zu sichern.


120 Qs-402 Js 845/13-29/14
Landgericht Kleve
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
arbeitsloser Automechaniker, ledig, zurzeit in der vorliegenden Sache in Untersuchungshaft in der JVA Kleve, Rumäne,
wegen Diebstahls u.a,
Verteidiger: Rechtsanwalt Dr. Dominik Pichler,
Annastraße 10, 47623 Kevelaer

hat die 2. Strafkammer des Landgerichts Kleve auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Amtsgerichts Geldern vom 21.02.2014 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und den Richter am Landgericht am 3. April 2014 beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe

Die Haftbeschwerde ist unbegründet, weil die Voraussetzungen der Untersuchungshaft weiterhin vorliegen.

Die Untersuchungshaft darf gemäß § 112 StPO angeordnet werden, wenn der Beschuldigte bzw. Angeklagte einer Straftat dringend verdächtig ist, ein Haftgrund (z.B. Fluchtgefahr) besteht und Verhältnismäßigkeit gegeben ist.

Hinsichtlich des dringenden Verdachts einer Straftat ist insbesondere das Ergebnis einer - wie hier - bereits erfolgten tatrichterlichen Hauptverhandlung zu berücksichtigen, dies gilt auch für das Beschwerdegericht, denn allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattgefunden hat, ist in der Lage, deren Ergebnis umfassend zu würdigen. Nach der Rechtsprechung des BGH unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Hier hat das Amtsgericht den Angeklagten nach Beweisaufnahme - noch nicht rechtskräftig - wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung verurteilt.

Es ist der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben. Trotz der familiären Bindungen und der relativ milden Strafe besteht die überwiegende und sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er sich dem weiteren Strafverfahren bzw. der Strafvollstreckung durch Untertauchen oder Flucht entziehen würde. Die Meldeanschrift bei den Eltern in Duisburg ist nicht mit der Bindung durch ein Eigenheim vergleichbar (vgl. auch BI. 26 und 552: "für Zustellungen nicht tauglich"). Der Angeklagte ist arbeitslos und spricht kaum Deutsch. Auch nach einem früheren Deutschlandaufenthalt hat er sich wieder "nach Hause" nach Rumänien begeben (BI. 517). Für die Strafverfolgungsbehörden in Niedersachsen war er zeitweise nicht erreichbar (BI. 81: "unbekannter Aufenthalt"). Nach der Tat flüchtete er mit der Beute in die Niederlande. Es bestehen scheinbar auch Verbindungen nach Belgien, wo man die Beute verkaufen wollte (BI. 519). Ob angesichts früherer Diebstahlstaten in Deutschland und Rumänien zusätzlich der subsidiäre Haftgrund der Wiederholungsgefahr besteht (nach den Urteilsfeststellungen wollte er sich durch weitere Einbrüche eine Einnahmequelle von einigem Umfang und gewisser Dauer verschaffen), kann hier dahingestellt bleiben.

Schließlich ist die Haftfortdauer auch verhältnismäßig. Das Amtsgericht hat den Angeklagten - insoweit in Übereinstimmung mit dem Antrag des Verteidigers (BI. 520) - zu 9 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Diese - offenbar allseits für dem Grunde nach zutreffend und schuldangemessen gehaltene - Zeitspanne ist - auch unter Einrechnung von Auslieferungs- und Untersuchungshaft - noch nicht verstrichen. Es gibt keinen Rechtssatz, dass die Untersuchungshaft nicht bis zur Höhe der erkannten Freiheitsstrafe vollzogen werden darf, wenn dies - wie hier - notwendig ist, um die Durchführung des vom Angeklagten gewünschten Berufungsverfahrens oder die drohende Vollstreckung der Strafe zu sichern (KG, NStZ-RR 2008, 157; OLG Hamm MDR 1993, 673; Schultheis in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013 § 120 Rn. 7). Maßnahmen nach § 116 StPO - etwa die von der Verteidigung angeführten Meldeauflagen - reichen angesichts des hohen Grades der Fluchtgefahr nicht aus. Die vom Amtsgericht festgestellte besondere Haftempfindlichkeit des Angeklagten stellt einen zusätzlichen Fluchtanreiz dar. Angesichts der für den Strafrichter recht umfangreichen Sache (drei - zunächst bestreitende - Angeklagte) und der erforderlichen Rechtshilfeersuchen wurde das erstinstanzliche Verfahren in angemessener Zeit abgeschlossen. Durch die Flucht des Angeklagten ins Ausland bedingte Verzögerungen muss sich der Staat nicht zurechnen lassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Einsender: RA Dr. Dominik Pichler, Kleve

Anmerkung:


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