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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Widerruf, Strafaussetzung, Fahrlässigkeitstat

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 14.10.2013 – 2 Ws 494-495/13

Leitsatz: Eine Fahrlässigkeitstat ist dann als Widerrufsgrund geeignet, wenn sie von einigem Gewicht ist und mit den Taten, die der Strafaussetzung zugrunde lagen, in einem inneren Zusammenhang steht.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
2 Ws 494-495/13141 AR 544-545/13
In den Strafsachen
gegen pp.
wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis u. a.
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 14. Oktober 2013 beschlossen:

Die sofortigen Beschwerden des Verurteilten gegen die gleichlautenden Be-schlüsse des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 20. August 2013 werden verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
G r ü n d e :

I.

Der Beschwerdeführer ist wie folgt verurteilt worden:

1. Durch Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 14. September 2005 wurde gegen ihn wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verhängt. In diese Strafe einbezogen worden war eine Freiheits-strafe von einem Jahr und neun Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten – Jugendschöffengericht – in Berlin vom 22. Juli 2004 wegen ge-meinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und mit unerlaubtem Verschaffen von Betäubungsmitteln. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und dem Beschwerde-führer wurde aufgegeben, 300 Stunden gemeinnützige Arbeiten zu leisten. Da der Beschwerdeführer trotz mehrfacher Mahnungen keine Arbeiten erbrachte und unbekannten Aufenthalts war, wurde die Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss vom 8. Mai 2007 widerrufen.

2. Am 6. Juni 2007 verurteilte das Amtsgericht Wesel den Beschwerdeführer wegen unerlaubter Einfuhr genehmigungspflichtiger Betäubungsmittel zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten.

Beide Strafen hat der Beschwerdeführer ab dem 23. Januar 2008 zunächst in der Justizvollzugsanstalt T. und ab dem 9. März 2009 in der Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzuges B. (vormals Justizvollzugsanstalt D.) verbüßt. Zwei Drittel beider Strafen waren am 2. September 2009 vollstreckt. Mit gleichlautenden Beschlüssen vom 20. August 2009 hat die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der Rest-freiheitsstrafen ab diesem Tage für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausge-setzt, den Beschwerdeführer der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewäh-rungshelfers bestellt und ihn angewiesen, die in der Strafhaft begonnene Gesprächs-therapie bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten fortzusetzen.

Während des Laufes dieser Bewährungszeit ist der Beschwerdeführer ein weiteres Mal einschlägig straffällig geworden: Am 6. August 2012 gegen 15.45 Uhr führte er in Berlin-Gesundbrunnen fahrlässig einen Pkw, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 8. November 2012 wurde deswegen gegen ihn eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. In diesem Verfahren hatte sich der Beschwerdeführer dahin eingelassen, zur Tatzeit bereits einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis gestellt zu haben, und über seinen Verteidiger eine Antragsbestätigung des Landesamtes für Bürger- und Ord-nungsangelegenheiten – Referat Fahrerlaubnisse, Personen- und Güterbeförde-rung – vom 2. August 2012 vorgelegt.

Im Hinblick auf diese Straftat hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin mit den angefochtenen gleichlautenden Beschlüssen die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.


II.

Die sofortigen Beschwerden des Verurteilten sind zulässig, insbesondere statthaft (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO), haben je-doch in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB sind gegeben. Der Beschwerdeführer hat innerhalb der Bewährungszeit erneut eine ein-schlägige Straftat begangen und dadurch gezeigt, dass sich die der Strafaussetzung zugrunde liegende Erwartung, er werde sich gesetzestreu verhalten, nicht erfüllt hat.

a) Der Widerruf ist nicht dadurch gehindert, dass die Strafvollstreckungskammer vor ihrer Entscheidung den Ablauf der dem Verurteilten gewährten Stellungnahmefrist nicht abgewartet hat. Denn ein etwaiger Mangel rechtlichen Gehörs kann im vorlie-genden Fall, in welchem es einer mündlichen Anhörung nach § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO nicht bedurfte, dadurch geheilt werden, dass der Beschwerdeführer im Be-schwerdeverfahren Gelegenheit hat, das vorzutragen, was er für bedeutsam hält (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. April 2010 – 2 Ws 175/10 – und vom 9. November 2006 – 5 Ws 608-609/06 – jeweils mit weit. Nachweisen). Das ist inzwischen ge-schehen.

b) Die neue Tat ist als Widerrufsgrund geeignet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts genügt dafür jede in der Bewährungszeit begangene Tat von einigem Gewicht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 10. Oktober 2008 – 2 Ws 494/08 – und vom 15. Juni 2005 – 5 Ws 285/05 – juris – jeweils mit weit. Nachweisen). Die verhängte Freiheitsstrafe von sechs Monaten bringt die Erheblichkeit des abgeurteil-ten Sachverhalts hinreichend zum Ausdruck. Somit kann die neue Tat auch nicht als eine für die Sozialprognose bedeutungslose Bagatelltat gewertet werden. Allerdings schließen Fahrlässigkeitstaten eine günstige Prognose regelmäßig dann nicht aus, wenn sie in keinem inneren Zusammenhang mit den Taten stehen, die der Strafaus-setzung zugrunde lagen (vgl. Senat, Beschluss vom 20. März 2002 – 5 Ws 46/02 – mit weit. Nachweisen). Zur Feststellung eines etwaigen inneren Zusammenhangs bedarf es einer eingehenden Würdigung aller Umstände der abgeurteilten Taten so-wie der neuen Tat. (vgl. Senat a.a.O.). Hier tritt der innere Zusammenhang – trotz der abweichenden subjektiven Tatseite – schon in der Gleichartigkeit der Taten her-vor. Der Beschwerdeführer ist seit seinem 18. Lebensjahr bereits vielfach wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und anderer Verkehrsdelikte in Erschei-nung getreten und musste deshalb auch bereits eine Freiheitsstrafe – zumindest teilweise – verbüßen. Gegen ihn wurden wiederholt Sperrfristen für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Gegenüber dem Bewährungshelfer hatte er im Über-nahmegespräch im Januar 2010 erklärt, nunmehr eine Fahrerlaubnis erlangt zu ha-ben. Aus welchem Grund ihm diese vor Begehung der Anlasstat wieder entzogen worden ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Insgesamt betrachtet, zeugt sein Verhalten von einer eingeschliffenen Neigung, die zum Schutz des Straßenverkehrs erlassenen Rechtsvorschriften zu missachten. Diese Neigung ist – auch unter Be-rücksichtigung der diesbezüglichen Einlassung des Beschwerdeführers – in der An-lasstat erneut zum Ausdruck gekommen und begründet dadurch den inneren Zu-sammenhang zumindest mit den Taten aus dem Urteil vom 14. September 2005.

2. Mildere Maßnahmen als der Widerruf (§ 56f Abs. 2 StGB) reichen nicht aus. Sie wären nach ständiger Rechtsprechung des Kammergerichts nur dann eine ange-messene Reaktion auf das erneute Versagen des Verurteilten, wenn objektiv eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestünde, dass dieser künftig ein straffreies Leben führen wird (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Juni 2006 – 5 Ws 215/06 – juris). Die günstige Prognose setzt dabei mehr voraus als den Willen, sich künftig straffrei zu führen. Es muss auch die Fähigkeit belegt sein, diesen Willen in die Tat umzusetzen. Diese Befähigung hat sich auf Tatsachen zu stützen; sie darf nicht unterstellt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 30. März 2010 – 2 Ws 74/10 – mit weit. Nachweisen). Dabei ist von Bedeutung, dass der Widerruf nicht der Ahndung des Bewährungs-bruchs dient, sondern dass auf der Grundlage der aktuellen Lebenssituation prog-nostisch bewertet werden muss, ob der Verurteilte seine kriminelle Lebensführung geändert hat oder mit einer solchen Änderung aufgrund nachvollziehbarer Tatsachen höchst wahrscheinlich zu rechnen ist (Senat a.a.O. mit weit. Nachw.). An derartigen Tatsachen fehlt es hier.

Der Beschwerdeführer ist seit seinem 14. Lebensjahr vielfach und zumeist in schnel-ler Folge strafrechtlich in Erscheinung getreten, überwiegend mit Körperverletzungs-, Verkehrs- und Betäubungsmitteldelikten. Er ist durch die Begehung der durch Urteil des Amtsgerichts Wesel geahndete Tat auch in der Vergangenheit bereits bewäh-rungsbrüchig geworden und hat sowohl Untersuchungs- als auch Strafhaft verbüßt, ohne dass ihn das von neuen Straftaten abgehalten hat. Die Anlasstat hat er in Kenntnis des Umstands begangen, dass gegen ihn von der Staatsanwaltschaft Berlin – 234 Js 2165/11 – ein Ermittlungsverfahren wegen eines Kapitaldeliktes geführt wurde, für das er sich vom 6. Mai 2011 bis zum 21. Juli 2011 in Untersuchungshaft befunden hatte und seit dem 4. Juni 2013 erneut befindet.
Der Verlauf der Bewährungszeit war alles andere als befriedigend. So teilt auch der Bewährungshelfer in seinem Abschlussbericht vom 21. Juni 2013 mit, dass die Ent-wicklung des Beschwerdeführers während der Bewährungszeit ungünstig verlaufen sei. Im letzten Jahr der Bewährungszeit habe der Beschwerdeführer insgesamt nur sechs Gesprächstermine eingehalten und sei dabei nur schwer ansprechbar und wenig zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung gewillt gewesen.

Bereits kurze Zeit nach der vorzeitigen Haftentlassung hielt er die vereinbarten Ter-mine sowohl mit dem Bewährungshelfer als auch mit dem Psychotherapeuten nur unzuverlässig ein und musste deswegen durch die Strafvollstreckungskammer er-mahnt werden. Von dem Beschwerdeführer Anfang August 2010 und am 25. April 2013 abgegebene Urinproben wurden positiv im Hinblick auf THC getestet. Nachdem der Beschwerdeführer Ende 2010 die Gesprächstherapie zunächst vollständig abge-brochen hatte, nahm er auf eine gerichtliche Ermahnung hin im November und De-zember 2012 wieder drei Termine wahr, ohne sich nach Mitteilung des Therapeuten inhaltlich auf die Therapiegespräche einzulassen. Nach dem zweiten positiven THC-Befund beendete der Gesprächstherapeut daher von sich aus die Therapie und emp-fahl eine stationäre Maßnahme, wobei offen bleibt, ob wegen der von ihm bei dem Beschwerdeführer diagnostizierten dissozialen Persönlichkeitsstörung und wegen des Substanzmissbrauchs.

Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, der Verlauf der Bewährungsüberwachung und auch der Gesprächstherapie seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft im Sommer 2011 lasse sich mit den Auswirkungen des gegen ihn wegen Totschlags geführten Ermittlungsverfahrens und der in diesem Zusammenhang gegen ihn von dem Vater des Getöteten ausgestoßenen Rachedrohungen hinreichend erklären, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn der Abbruch der Gesprächstherapie fand bereits im Jahr 2010 statt und damit lange vor der dem Beschwerdeführer vor-geworfenen neuen Tat vom 30. April 2011 statt. Auch die Probleme im Kontakt mit dem Bewährungshelfer traten bereits deutlich davor auf.

Auch im Übrigen haben sich die Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers nicht derart stabilisiert, dass sie trotz des Bewährungsversagens eine tragfähige Grundla-ge für eine günstige Kriminalprognose bilden könnten. Seit August 2012 ist er ar-beitslos und bezieht Sozialleistungen. Zwar lebte er bis zu seiner erneuten Inhaftie-rung mit seiner derzeitigen Lebensgefährtin und deren Kindern in einer gemeinsa-men Wohnung. Auch dieser Umstand und die Geburt des ersten gemeinsamen Kin-des im Februar 2012 haben ihn jedoch nicht von der Begehung der neuen Straftat abgehalten.

Der Grundsatz, dass sich das für den Widerruf einer Strafaussetzung zuständige Gericht der zeitnahen Prognose eines Tatrichters anschließen soll, weil diesem auf-grund der Hauptverhandlung bessere Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen (vgl. Senat, Beschluss vom 12. April 2010 – 2 Ws 175/10 – mit weit. Nachweisen), steht einem Widerruf vorliegend nicht entgegen. Denn dieser Grundsatz gilt nur dann, wenn dessen Prognose durch neue Tatsachen nachvollziehbar belegt ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. Juni 2003 – 5 Ws 263/03 – und 21. Mai 2003 – 5 Ws 177/03 – mit weit. Nachweisen).

Daran fehlt es hier in Gänze. Das Amtsgericht hat seine Begründung auf eine bloße Floskel beschränkt. Seine Bewährungsentscheidung kann auch im Ergebnis nicht überzeugen. Das Amtsgericht hat sich mit den bei der Aussetzungsentscheidung zu beachtenden Tatsachen ersichtlich nicht hinreichend befasst. Zu diesen gehört etwa der Umstand, dass der Beschwerdeführer vielfach vorbestraft, hafterfahren und nicht zum ersten Mal bewährungsbrüchig geworden ist. Somit enthält das amtsgerichtliche Urteil keine auch nur ansatzweise nachvollziehbare Begründung für die erneute Zu-billigung einer Strafaussetzung und steht dem Widerruf nicht entgegen.

Abschließend merkt der Senat an:
Soweit der Beschwerdeführer in den Erwägungen des Landgerichts zu Recht durch die Berücksichtigung des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung sieht, tritt dem der Senat bei. Dies war indes für die hier zu treffende Entscheidung nicht tragend. Denn aus den oben genannten Gründen ist es dem Senat bei der vorzunehmenden vollumfänglichen Bewertung des gesamten Bewährungsverlaufs unabhängig von dem neuen Strafver-fahren nicht möglich, dem Verurteilten die für das Absehen von einem Widerruf er-forderliche günstige Prognose zu stellen.


III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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