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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Erkennungsdienstliche Behandlung, Verhältnismäßigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Niedersachsen, Beschl. v. 24.10.2007 - 12 ME 359/07

Leitsatz: Eine erkennungsdienstliche Behandlung ist nur dann verhältnismäßig, wenn zu erwarten ist, dass der Betreffende auch in der Zukunft strafrechtlich in Erscheinung treten wird.


In pp.
Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg -3. Kammer -vom 16. Juli 2007 geändert.
Auf den Antrag des Antragstellers wird die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Mai 2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 8. Juni 2007 wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,--Euro festgesetzt.
Gründe
Mit Bescheid vom 25. Mai 2007 verfügte die Antragsgegnerin unter Anordnung des Sofortvollzuges die erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers gemäß § 81 b 2. Alt. StPO (Finger- und Handflächenabdruck, Lichtbild, Feststellung äußerer körperlicher Merkmale, Messungen).
Der Antragsteller hat am 4. Juni 2007 Klage erhoben (3 A 86/07) und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2007 hat die Antragsgegnerin die erkennungsdienstliche Behandlung auf das Anfertigen von Lichtbildern und die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale (u. a. Körpergestalt und Körpergröße, Schuhgröße, Mundart, Namen. Tätowierungen, weitere auffällige körperliche Merkmale) begrenzt.
Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 16. Juli 2007 abgelehnt.
Die dagegen erhobene Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg.
Allerdings ist der Antragsteller Beschuldigter im Sinne des § 81 b 2. Alt. StPO. Der Vortrag des Antragstellers, er sei Angeschuldigter und unterfalle daher schon nach dem Wortlaut nicht der Norm, trifft nicht zu. Angeschuldigter wäre er erst, wenn gegen ihn öffentliche Klage erhoben worden wäre und Angeklagter, wenn die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen wäre (vgl. § 157 StPO). Das in § 81 b StPO genannte Tatbestandsmerkmal "Beschuldigter" ist also der umfassendere Begriff.
Der Antragsteller ist Beschuldigter, weil gegen ihn staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen § 315 b und § 113 StGB laufen (Vorfall vom 9. 5. 2007).
Voraussetzung der erkennungsdienstlichen Behandlung ist, dass die angeordneten Maßnahmen für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 19. 10. 1982 -1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192 = NJW 1983, 183) ist die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung dann gegeben, wenn der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles -insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist -Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen -den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend -fördern könnten. Da Maßnahmen für Zwecke des Erkennungsdienstes tief in die Rechte des Beschuldigten eingreifen, kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine erhebliche Bedeutung zu (Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechtes, 4. Aufl., 2007, G Rdnr. 265).
Nach der in diesem Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung bestehen zumindest zur Zeit Bedenken, ob die angeordnete Maßnahme dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht.

Die von der Antragsgegnerin für die Vergangenheit aufgezeigten Handlungen des Antragstellers, die ebenso wie die Anlasstat vom 9.Mai 2007 im Zusammenhang mit dem Engagement des Antragstellers gegen Atomenergie stehen, rechtfertigen aller Voraussicht nach unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht die angeordnete Maßnahme, da sie keinen hinreichend sicheren Schluss auf die zukünftige Begehung strafrechtlicher Verfehlungen zulassen. Dieses ergibt sich aus folgendem:
Dem Verfahren 5103 - Js 4861/05 (StA Lüneburg) - liegt ein Vorfall vom 30. Oktober 2004 zugrunde. Dem Antragsteller wurde anlässlich des Castor-Transportes ein Verstoß gegen § 113 StGB vorgeworfen. Das Verfahren ist am 29. April 2005 gemäß § 153 StPO eingestellt worden. Aus der dieser Einstellung zugrunde liegenden staatsanwaltschaftlichen Verfügung vom 29. 4. 2005 (Beiakte B und D) lässt sich ableiten, dass das strafrechtliche Verhalten allenfalls im "unteren Bereich" des § 113 StGB lag.
Das Verfahren 5103 Js 21664/05 (StA Lüneburg) betraf den Vorwurf der Beleidigung (§ 185 StGB). Aus der staatsanwaltschaftlichen Verfügung vom 20. September 2005 (GA Bl. 77) ergibt sich, dass schon das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale in Frage gestellt wurde. Entsprechend sind die Ermittlungen auch gemäß §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO eingestellt worden.
Dem Verfahren 1161 Js 111408/06 (StA Hannover) lag ein Vorfall vom 6. Dezember 2006 zugrunde. Ausweislich der von dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren überreichten Presseberichte (GA Bl. 68 ff.) hatten an dem Tag über 50 Atomkraftgegner aus den Standorten Gorleben, Asse und Schacht Konrad im und am Landtag in Hannover gegen die Endlagerpolitik der Niedersächsischen Landesregierung protestiert und u. a. im Plenarsaal ein Transparent entrollt und versucht, sich am Rednerpult anzuketten, während andere als Nikoläuse verkleidet mit symbolischen Atommülldosen die Eingangstür zum Landtagsgebäude versperrten. Hierbei handelt es sich jedoch schon aufgrund des Datums (Nikolaustag) um einen singulären Vorfall, der nicht zur die Annahme einer die erkennungsdienstliche Behandlung rechtfertigenden Wiederholungsgefahr führt.
Soweit gegen den Antragsteller darüber hinaus drei Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet worden sind, stellen derartige Verfahren schon grundsätzlich keinen Anlass für die Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung dar. Hinzu kommt, dass auch diese Ordnungswidrigkeitsverfahren eher am unteren Bereich angesiedelt sind. So ist das Verfahren wegen unbefugten Betretens von Bahnanlagen (Az. 200522906703 BPollLG - II/103/05; Vorfall vom 16. 10. 2005) gemäß § 47 OrdnungswidrigkeitsG eingestellt worden. Ein erneutes unbefugtes Betreten von Gleisanlagen am 22. Oktober 2006 ist nur mit einem Verwarngeld in Höhe von 25,--Euro geahndet worden. In einem weiteren Ordnungswidrigkeitsverfahren ist gegenüber dem Antragsteller gemäß §§ 16, 29 a VersG ein Bußgeldbescheid erlassen worden, weil anlässlich des o. a. Vorfalls vom 6. Dezember 2006 im Landtag auch ein Bannmeilenverstoß vorliegen soll. Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Antragsteller Rechtsmittel eingelegt, das Verfahren wird zur Zeit noch beim Amtsgericht Hannover geführt (Az.: 1161 Js 12557/07). Bereits oben wurde ausgeführt, dass es sich bei der Aktion der Atomkraftgegner vom 6. Dezember 2006 aufgrund des Datums um einen Einzelfall gehandelt hat, aus dem nicht ohne weiteres der Rückschluss auf weitere vergleichbare Taten zu ziehen ist.
Allerdings kann auch allein Art und Begehung der Anlasstat u.U. eine erkennungsdienstliche Behandlung rechtfertigen. Die Anlasstat, derentwegen die erkennungsdienstliche Behandlung angeordnet worden ist, ist von erheblichem Gewicht. Der Antragsteller soll am 9. Mai 2007 Sperrmaßnahmen von Polizeibeamten anlässlich eines Castor-Kalttransportes (Castor-Leertransportes) in deutlich überhöhter Geschwindigkeit mit seinem Fahrzeug umfahren haben, so dass ein Polizeibeamter dem Fahrzeug des Antragstellers durch einen Sprung habe ausweichen müssen (Az. StA Lüneburg: 5103 Js 13988/07; Az. Polizei Lüneburg: 20070065650641330141(001)). Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kann allein auf die Anlasstat eine erkennungsdienstliche Behandlung jedoch nur gestützt werden, wenn der Sachverhalt hinsichtlich dieses Vorfalls bereits in zureichendem Maße ermittelt worden ist. (Lisken/Denninger, a. a. O., G Rdnr. 265). Davon ist zur Zeit noch nicht auszugehen. Zwar haben nach den vorliegenden Unterlagen (Beiakte E) neben dem betroffenen Polizeibeamten noch drei seiner Kollegen den Vorfall bestätigt. Unklarheiten ergeben sich aber daraus, dass dabei teilweise von zwei Polizeibeamten berichtet wird, die zur Seite springen mussten, während der (angeblich) betroffene zweite Polizeibeamte dieses bislang nicht bestätigt hat. Auch liegt eine Stellungnahme des Antragstellers noch nicht vor. Einer Vorladung der Polizei ist er nicht nachgekommen. Allein auf die Anlasstat kann die erkennungsdienstliche Behandlung daher jedenfalls zur Zeit noch nicht gestützt werden.
Da dem Hauptbegehren des Antragstellers entsprochen worden ist, war auf die von ihm im Beschwerdeverfahren noch gestellten Hilfsanträge, die im Wesentlichen darauf abzielen der Antragsgegnerin zu untersagen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens durch die erkennungsdienstliche Behandlung gewonnene Daten an Dritte zu übermitteln, nicht mehr einzugehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG. (Da im vorläufigen Rechtsschutzverfahren bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlung regelmäßig die Hauptsache vorweggenommen wird, setzt der Senat den Auffangwert von 5.000,--Euro an.
Der Beschluss ist unanfechtbar.

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