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Entscheidungen

OWi

Entbindungsantrag, Pflicht zur Entbindung, Verwerfungsurteil

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 14.03.2013 - 3 Ss OWi 344/13

Leitsatz: 1. Muss das Amtsgericht aufgrund der Begründung des Entbindungsantrags davon ausgehen, dass der Betroffene keine weiteren Angaben mehr machen und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich sein würde, ist er von der Pflicht zur persönlichen Anwesenheit in der Hauptverhandlung zu entbinden. Das gilt insbesondere, wenn die Anordnung seines persönlichen Erscheinens zu seiner Identifizierung unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht nicht (mehr) erforderlich ist, weil der Betroffene eingeräumt hat, zu dem im Bußgeldbescheid genannten Tatzeitpunkt das Tatfahrzeug geführt zu haben.
2. Liegen die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vor, ist die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt; vielmehr ist das Gericht dann verpflichtet, dem Antrag zu entsprechen, sofern nicht die Aufklärungspflicht die Anwesenheit des Betroffenen unverzichtbar macht


3 Ss OWi 344/13
Oberlandesgericht Bamberg
BESCHLUSS
Der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Bamberg erlässt durch den Richter am Oberlandesgericht am 14. März 2013
in dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
wegen
Verkehrsordnungswidrigkeit

folgenden
Beschluss:
I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Weilheim i. OB vom 19. Dezember 2012 wird zugelassen.
Il. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.
III. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Weilheim i. OB zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 25.07.2012 wegen einer am 16.06.2012 als Führer eines Kraftrades begangenen fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h eine Geld-buße von 100 Euro festgesetzt. Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht mit Urteil vom 19.12.2012 nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene - ohne von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden worden zu sein - in der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen sei.

Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene die Verletzung formellen Rechts, insbesondere die Versagung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG).
Das Rechtsmittel hat mit der gemäß § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge der Verletzung von § 74 Abs. 2 OWiG Erfolg.

1. Der Zulassungsantrag, der als vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde gilt, ist zulässig. Der Beschwerdeführer hat alle zur Beurteilung der Frage, ob der gerügte Verstoß vorliegt, erforderlichen Verfahrenstatsachen vorgetragen. Insbesondere wird in der gebotenen Vollständigkeit dargelegt, weshalb von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung aufgrund der im Verfahren abgegebenen schriftlichen Erklärungen (u.a. Verteidigerschriftsätze vom 17. und 18.12.2012) kein weiterer Beitrag zur Sachaufklärung mehr zu erwarten war (§ 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG).

2. Der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör ist wie die Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht in ihrer Antragsschrift vom 05.03.2013 im Wesentlichen in Übereinstimmung mit der Rechtsbeschwerderechtfertigung der Verteidigung zutreffend ausführt - dadurch verletzt worden, dass das Amtsgericht den (wiederholten) Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen rechtsfehlerhaft abgelehnt und deshalb sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen hat mit der Folge, dass das schriftliche Vorbringen des Betroffenen zur Sache bei der Entscheidung nicht berücksichtigt worden ist.

a) Einem Entbindungsantrag ist stattzugeben, wenn der Betroffene sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte nicht erforderlich ist (§ 73 Abs. 2 OWiG).

Diese Voraussetzungen waren hier gegeben.

Aufgrund der Begründung des Entbindungsantrags musste das Gericht davon ausgehen, dass der Betroffene keine weiteren Angaben mehr machen und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich sein würde. Insbesondere war die Anordnung seines persönlichen Erscheinens zu seiner Identifizierung unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht nicht (mehr) erforderlich, nachdem der Betroffene jedenfalls mit Verteidigerschriftsatz vom 17.12.2012 im Rahmen des dortigen (ersten) Entbindungsgesuchs (BI. 25 d.A.) und sodann mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.12.2012 (BI. 28 d.A.) jeweils eingeräumt hatte, zu dem im Bußgeldbescheid genannten Tatzeitpunkt das Tatfahrzeug geführt zu haben, wenn auch verbunden mit der indes nicht die hier allein relevante Fahrereigenschaft relativierenden, jedoch im Einzelfall aufgrund der gewählten Formulierung durchaus die Gefahr eines Missverständnisses bergenden Einschränkung, wonach weiterhin „allerdings „..1 der Messvorgang nicht eindeutig dem Betroffenen zuzuordnen" sei. Das Amtsgericht hätte damit in Abwesenheit des Betroffenen verhandeln können; die über seinen Verteidiger abgegebene Einlassung zum Tatvorwurf hätte verwertet werden können und müssen.

b) Liegen die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vor, ist die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt; vielmehr ist das Gericht dann verpflichtet, dem Antrag zu entsprechen, sofern nicht die Aufklärungspflicht die Anwesenheit des Betroffenen unverzichtbar macht (KG DAR 2011, 146 und VRS 115, 429 f.; OLG Zweibrücken NZV 2011, 97 ff.; OLG Hamm, NZV 2010, 214 f. sowie Beschluss vom 25.09.2009 — 2 Ss OWi 705/09 [bei Juris]; BayObLG DAR 2001, 371 und DAR 2002, 133 f.; OLG Düsseldorf NZV 2007, 251 f.; OLG Dresden DAR 2005, 460; OLG Karlsruhe zfs 2005, 154 und Beschluss vom 05.06.2012 — [6] SsRs 279/12 [bei juris]; OLG Hamm VRS 107, 120 ff. und zfs 2006, 710 ff.; OLG Frankfurt zfs 2012, 291 f. = NZV 2012, 307 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2012 - 1 RBs 121/12; OLG Köln NZV 2013, 50 f. sowie st.Rspr. des Senats, u.a. OLG Bamberg VRS 113, 284 ff. = OLGSt OWIG § 73 Nr. 13 = SVR 2008, 355 f.; Beschluss vom 17.08.2009 — 3 Ss OWi 780/09 [bei Juris] = SVR 2009, 393 ff. = VRR 2010, 231 f. und zuletzt Beschluss vom 29.08.2012 — 3 Ss OWi 1092/12 = DAR 2013, 90 ff.; vgl. auch KK-Senge OWiG 3. Aufl. § 73 Rn. 15, 24 ff. und Göhler/Seitz OWiG 16. Aufl. § 73 Rn. 5 ff.). Insbesondere ist das persönliche Erscheinen eines Betroffenen nicht allein (schon) deshalb erforderlich, weil in Gegenwart des Betroffenen nach Auffassung des Gerichts zuverlässigere Angaben eines Zeugen zu erwarten sind. Denn es ist bereits nicht ersichtlich, weshalb von einem in der Hauptverhandlung anwesenden, jedoch schweigenden Betroffenen überhaupt Auswirkungen auf das Aussageverhalten eines zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichteten Tatzeugen zu erwarten wären. Hinzu kommt, dass von einem Zeugen in Gegenwart des Betroffenen nicht notwendig zuverlässigere Angaben zu erwarten sind; ebenso gut könnte bei einer Zeugeneinlassung in Gegenwart des Betroffenen von einem den Betroffenen tendenziell entlastenden Aussageverhalten auszugehen sein. Auch kann die Ablehnung eines Antrages auf Befreiung von der Erscheinens-pflicht selbst im Falle eines drohenden Fahrverbots nicht darauf gestützt werden, dass insoweit noch Detailfragen - etwa zur Frage des Eintritts einer wirtschaftlichen Existenzkrise bei einem Berufskraftfahrer - zu klären seien, die allein der Betroffene beantworten kann. Denn eine solche, gegebenenfalls in vergleichbaren Fällen durchaus erfüllte tatrichterliche Erwartung ist letztlich im konkreten Fall nur theoretisch oder spekulativ und vermag deshalb allein ein Aufklärungsinteresse im Sinne des § 73 Abs. 2 OWiG nicht begründen, wenn sich der seine Fahrereigenschaft ein-räumende Betroffene zur Sache geäußert und gleichzeitig erklärt hat, sich in der Hauptverhandlung nicht weiter einlassen zu wollen.

c) Nach alledem hätte dem Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entsprochen werden müssen. Hierdurch ist der An-spruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden. Denn sein Einspruch hätte nicht nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden dürfen, weil sein Ausbleiben als entschuldigt anzusehen war.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Weilheim i. OB zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWIG).

Einsender: RA M.Bauer, Augsburg

Anmerkung:


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